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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 08.09.1999
Aktenzeichen: 5 AZR 451/98
Rechtsgebiete: EFZG, MTV Papier Pappe u. Kunststoffe, GG


Vorschriften:

EFZG § 4 Abs. 1 in der bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Fassung
Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer/Arbeitnehmerinnen in der Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitenden Industrie in der Bundesrepublik Deutschland vom 27. Mai 1991 § 12
Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer/Arbeitnehmerinnen in der Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitenden Industrie in der Bundesrepublik Deutschland vom 27. Mai 1991 § 15
GG Art. 3 Abs. 1
Leitsätze:

1. §§ 12, 15 des Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer/Arbeitnehmerinnen in der Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitenden Industrie in der Bundesrepublik Deutschland vom 27. Mai 1991 enthalten keine konstitutive Regelung zur Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle und begründen keinen Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts in Höhe von 100 %.

2. Tarifwerke verschiedener Tarifvertragsparteien unterliegen nicht der Beurteilung anhand von Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (im Anschluß an Bundesverfassungsgericht Beschluß vom 12. Dezember 1990 - 1 BvR 633/89 - ZTR 1991, 159; BAG Urteil vom 26. März 1998 - 6 AZR 550/96 - AP BAT-O § 1 Nr. 9).

Aktenzeichen: 5 AZR 451/98 Bundesarbeitsgericht 5. Senat Urteil vom 08. September 1999 - 5 AZR 451/98 -

I. Arbeitsgericht Berlin - 40 Ca 48550/96 - Urteil vom 21. Mai 1997

II. Landesarbeitsgericht Berlin - 5 Sa 101/97 - Urteil vom 25. November 1997


---------------------------------------------------------------------- Für die Amtliche Sammlung: Nein Für die Fachpresse : Ja Für das Bundesarchiv : Nein ----------------------------------------------------------------------

Entscheidungsstichworte: Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall: 80 % oder 100 %

Gesetz: EFZG § 4 Abs. 1 in der bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Fassung; Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitneh- mer/Arbeitnehmerinnen in der Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitenden Industrie in der Bundesrepublik Deutschland vom 27. Mai 1991 §§ 12, 15; GG Art. 3 Abs. 1

5 AZR 451/98 5 Sa 101/97 Berlin

Im Namen des Volkes! Urteil

Verkündet am 8. September 1999

Clobes, Amtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In Sachen

pp.

hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 8. September 1999 durch den Vorsitzenden Richter Griebeling, die Richter Dr. Müller-Glöge und Kreft sowie den ehrenamtlichen Richter Sappa und die ehrenamtliche Richterin Zorn für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 25. November 1997 - 5 Sa 101/97 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.

Der Kläger ist bei der Beklagten seit September 1985 als Betriebselektriker beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft beiderseitiger Tarifbindung der Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer/Arbeitnehmerinnen in der Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitenden Industrie in der Bundesrepublik Deutschland Anwendung. Im Zeitraum vom 1. Juli 1991 bis zum 31. Dezember 1996 war die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall im Manteltarifvertrag wie folgt geregelt:

"§ 12 Krankheit, Unfall, Kuren und Heilverfahren

1. Die Lohnfortzahlung im Falle von Erkrankungen und Unfällen, bei Kuren und Heilverfahren sowie bei solchen Schonungszeiten, die mit Arbeitsunfähigkeit verbunden sind, richtet sich nach dem Gesetz über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle (Lohnfortzahlungsgesetz) in seiner jeweiligen Fassung.

2. Gemäß § 2 Abs. 3 Lohnfortzahlungsgesetz gelten abweichend von der gesetzlichen Regelung für die Berechnung des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts einheitlich für den ganzen Betrieb die Bestimmungen des § 15 Abschnitt III Ziffern 1 und 2 dieses Manteltarifvertrages sinngemäß.

Durch Betriebsvereinbarung kann auch festgelegt werden, daß für die Berechnung des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts die gesetzlichen Bestimmungen des § 2 Abs. 1 und 2 Lohnfortzahlungsgesetz zur Anwendung kommen.

§ 15 Urlaub, Urlaubsgeld

...

III. Urlaubsvergütung

1. Das Urlaubsentgelt wird nach dem Durchschnittsverdienst der letzten drei abgerechneten Lohnperioden, mindestens der letzten 13 Wochen, berechnet. Durch Betriebsvereinbarung kann einheitlich für den ganzen Betrieb ein längerer Bezugszeitraum bis zu einem Jahr festgelegt werden.

Im Falle von Kurzarbeit, einer durch kassenärztliche Bescheinigung nachgewiesenen Erkrankung, eines Heil- oder Kurverfahrens, einer ärztlich verordneten Schonzeit oder eines vereinbarten unbezahlten Urlaubs wird an Stelle des in Abs. 1 genannten Zeitraums auf vorhergehende volle Abrechnungszeiträume zurückgegriffen.

Einmalige Zuwendungen, auch wenn sie in Teilbeträgen ausgezahlt werden, bleiben bei der Berechnung des Durchschnittsverdienstes außer Betracht.

Soweit eine Lohnerhöhung in der Berechnung des Urlaubsentgelts noch keinen Niederschlag gefunden hat, ist eine entsprechende Aufzahlung zu leisten.

2. Die Zahl der für den einzelnen Urlaubstag zu vergütenden Stunden beträgt ein Fünftel der wöchentlichen Arbeitszeit des Arbeitnehmers nach dem Durchschnitt der letzten drei abgerechneten Lohnperioden, mindestens der letzten 13 Wochen.

Ist die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit auf 6 Tage verteilt, so wird für die volle Wochen überschreitenden Urlaubstage des Gesamturlaubsanspruchs des Arbeitnehmers ein Sechstel der nach Abs. 1 zu ermittelnden wöchentlichen Arbeitszeit angesetzt. Diese Regelung gilt für Arbeitnehmer in Betrieben, in denen abwechselnd 5 und 6 Tage wöchentlich gearbeitet wird, nur in solchen angebrochenen Urlaubswochen, in denen der Arbeitnehmer 6 Tage arbeiten würde."

Im November 1996 war der Kläger an einzelnen Tagen arbeitsunfähig krank. Die Beklagte leistete ihm Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle in Höhe von 80 %. Mit der Klage macht der Kläger weitere 20 % in rechnerisch unstreitiger Höhe von 355,71 DM brutto geltend. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stehe aufgrund der tarifvertraglichen Regelung ein Anspruch auf ungekürzte Entgeltfortzahlung zu. Darüber hinaus ergebe sich ein Anspruch auf volle Entgeltfortzahlung aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, weil § 13 Nr. 2 des Manteltarifvertrages für die Angestellten in der Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitenden Industrie im Gebiet von Berlin (West) eine eigenständige, vom Gesetz unabhängige Regelung einer hundertprozentigen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall vorsehe.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 355,71 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit dem 1. Dezember 1996 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, der Manteltarifvertrag stelle keine eigenständige Anspruchsgrundlage dar. Den gesetzlichen Entgeltfortzahlungsanspruch habe sie erfüllt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Revision des Klägers ist nicht begründet.

Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen. Die Beklagte schuldet dem Kläger keine weitere Entgeltfortzahlung für November 1996 in Höhe von 355,71 DM brutto. Den gesetzlichen Entgeltfortzahlungsanspruch hat die Beklagte erfüllt. Ein weitergehender tarifvertraglicher Entgeltfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall ist nicht gegeben.

I. § 12 des Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer/Arbeit-nehmerinnen der Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitenden Industrie in der Bundesrepublik Deutschland hat in der im November 1996 geltenden Fassung keine konstitutive Regelung des Entgeltfortzahlungsanspruchs enthalten, sondern auf die jeweiligen gesetzlichen Vorschriften über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle verwiesen. Die Tarifnorm besagt lediglich, daß im Falle von Erkrankungen und Unfällen, bei Kuren und Heilverfahren sowie bei solchen Schonungszeiten, die mit Arbeitsunfähigkeit verbunden sind, sich die Lohnfortzahlung nach dem Gesetz über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle (Lohnfortzah-lungsgesetz) in seiner jeweiligen Fassung richtet. Diese Tarifbestimmung gibt weder nach ihrem Wortlaut noch anhand anderer Auslegungsgesichtspunkte Anlaß zu der Annahme, damit sei tarifvertraglich ein Anspruch auf eine Entgeltfortzahlung in bestimmter Höhe geregelt worden. Vielmehr hat der Tarifvertrag, wie sich aus der Bezugnahme auf die jeweilige Fassung des Gesetzes ergibt, dynamisch auf die Gesetzeslage verwiesen. Damit ist ab 1. Juni 1994 das Entgeltfortzahlungsgesetz an die Stelle des dynamisch in Bezug genommenen Lohnfortzahlungsgesetzes getreten. Dieses Gesetz hat in der ab dem 1. Oktober 1996 geltenden Fassung nur noch eine Entgeltfortzahlung in Höhe von 80 % vorgesehen.

II. Auf eine konstitutive Regelung der Entgeltfortzahlung in voller Höhe kann auch nicht aus der in § 12 Nr. 2 enthaltenen Verweisung auf § 15 Abschnitt III Nr. 1 und 2 des Manteltarifvertrages geschlossen werden. Danach gelten für die "Berechnung des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts", sofern es keine abweichende betriebliche Regelung gibt, statt der gesetzlichen Regelung die Vorschriften über die Bemessung der Urlaubsvergütung. Auch diese Bestimmungen des § 15 Abschnitt III regeln nicht einen Anspruch des Arbeitnehmers auf eine bestimmte Vergütungshöhe, sondern modifizieren im Rahmen der nach § 4 Abs. 4 EFZG gegebenen Möglichkeiten den Berechnungsweg des nach § 4 Abs. 1 EFZG maßgebenden Entgelts. So ordnet § 15 Abschnitt III Nr. 1 die Berechnung des Urlaubsentgelts nach dem Referenzperiodensystem an. In § 15 Abschnitt III Nr. 2 findet sich eine Berechnungsregel für die Zahl der zu berücksichtigenden Arbeitsstunden. Damit enthält der Tarifvertrag zwar Bestimmungen über einzelne Berechnungsfaktoren, gibt aber selbst die fortzuzahlende Entgelthöhe nicht vor. Die tarifliche Regelung gewährleistet keinen Zahlbetrag in bestimmter Höhe, wie es z.B. der Fall ist, wenn der Tarifvertrag die Fortzahlung der Vergütung in Höhe eines 1/22stel des Monatsgehaltes je Arbeitstag vorsieht (vgl. BAG Urteil vom 16. Juni 1998 - 5 AZR 728/97 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Gaststätten Nr. 3).

III. Entgegen der von der Revision vertretenen Auffassung folgt aus der abweichenden tariflichen Regelung für Angestellte kein Anspruch des Klägers auf Entgeltfortzahlung in voller Höhe.

1. Eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG durch die Entgeltfortzahlungsregelung für gewerbliche Arbeitnehmer in §§ 12, 15 des Manteltarifvertrages kann nicht damit begründet werden, daß der Manteltarifvertrag für die Angestellten der Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitenden Industrie des Gebietes Berlin (West) in § 13 Abs. 2 vorsieht, daß dem Angestellten das vereinbarte Gehalt bis zur Dauer von sechs Wochen zu zahlen ist. Der Manteltarifvertrag für die Angestellten ist anders als der auf das Arbeitsverhältnis des Klägers anzuwendende Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer auf Arbeitgeberseite nicht vom Hauptverband der Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitenden Industrie, sondern vom "VBP Nord-Ost-Verband der Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitenden Unternehmen in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern e.V." abgeschlossen worden. Tarifwerke verschiedener Tarifvertragsparteien unterliegen nicht der Beurteilung anhand Art. 3 Abs. 1 GG. Ein verschiedene Tarifvertragsparteien erfassendes Gleichbehandlungsgebot gibt es nicht (vgl. BVerfG Beschluß vom 12. Dezember 1990 - 1 BvR 633/89 - ZTR 1991, 159; BAG Urteil vom 26. März 1998 - 6 AZR 550/96 - AP BAT-O § 1 Nr. 9; BAG Urteil vom 29. Oktober 1998 - 6 AZR 241/97 - zur Veröffentlichung bestimmt; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band 1, S. 677; Däubler, Tarifvertragsrecht, 3. Aufl., Rz 434). Deshalb kann als nicht entscheidungserheblich dahingestellt bleiben, ob § 13 des Manteltarifvertrages für die Angestellten überhaupt einen tariflichen Anspruch auf volle Entgeltfortzahlung begründet hat.

2. Ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung in voller Höhe kann auch nicht aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz hergeleitet werden. Dieser Grundsatz verpflichtet den Arbeitgeber zur Gleichbehandlung, wenn er nach einer selbst gegebenen Regel vorgeht. Er verbietet sowohl die sachfremde Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer gegenüber anderen Arbeitnehmern in vergleichbarer Lage als auch die sachfremde Differenzierung zwischen Arbeitnehmern in einer bestimmten Ordnung. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz ist immer dann anwendbar, wenn ein Arbeitgeber seine betriebliche Regelungs- und Ordnungsaufgabe eigenständig wahrnimmt. Eine derartige Regelung der Beklagten in Bezug auf die Entgeltfortzahlungshöhe ist jedoch vom Berufungsgericht nicht festgestellt und auch vom Kläger nicht dargelegt worden. Vielmehr beruht die volle Entgeltfortzahlung bei Angestellten nach Auffassung des Klägers auf der Anwendung von § 13 Manteltarifvertrag, während die Beklagte den gewerblichen Arbeitnehmern unstreitig allein die nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz bemessene Entgeltfortzahlung gewährt. Damit hat die Beklagte keine eigenständige Regelung geschaffen, sondern lediglich die ihr vorgegebenen Normen vollzogen, so daß der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zur Anwendung kommen kann (vgl. BAG Urteil vom 17. Oktober 1995 - 3 AZR 882/94 - NZA 1996, 656).

Ende der Entscheidung

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