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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 27.06.2001
Aktenzeichen: 5 AZR 561/99
Rechtsgebiete: BGB, HGB, Gewerbeordnung


Vorschriften:

BGB § 611
HGB § 84 Abs. 1 Satz 2
HGB § 84 Abs. 2
HGB § 92 a
Gewerbeordnung § 121
Ein Kurierdienstfahrer, der allein entscheidet, ob, wann und in welchem Umfang er tätig werden will, und für ausgeführte Frachtaufträge das volle vom Auftraggeber zu leistende Entgelt erhält, ist kein Arbeitnehmer des Unternehmens, das die Frachtaufträge annimmt und an die Kurierdienstfahrer weitergibt.
BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! URTEIL

5 AZR 561/99

Verkündet am 27. Juni 2001

In Sachen

hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 27. Juni 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Griebeling, die Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Müller-Glöge und Kreft, die ehrenamtlichen Richter Ackert und Dittrich für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 2. Juni 1999 - 4 Sa 54/97 - aufgehoben.

2. Die Berufung der Klägerin gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 28. Mai 1997 - 6 Ca 342/95 - wird zurückgewiesen.

3. Die Klägerin hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Parteien streiten im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses darüber, ob ihr Rechtsverhältnis ein Arbeitsverhältnis ist.

Die Klägerin war seit November 1991 für die Beklagte tätig. Die Beklagte betreibt ein Transportunternehmen für Kurierdienste. Sie verfügt über keine eigenen Transportfahrzeuge. Mit von ihr geworbenen Kunden schließt sie Beförderungsverträge ab. Diese werden von mit der Beklagten verbundenen Kurierfahrern ausgeführt, so auch von der Klägerin. Die Aufträge werden über Funk den Kurierfahrern angeboten. Ihnen steht es frei, ob sie ihr Funkgerät anschalten und einen Auftrag übernehmen oder nicht. Die Abrechnung der Aufträge erfolgt in der Regel durch die Beklagte. Das eingenommene Entgelt steht in voller Höhe dem ausführenden Kurierfahrern zu. Für ihre Vermittlungsdienste erhält die Beklagte von den verbundenen Kurierfahrern eine monatliche Pauschalvergütung. Diese betrug im Fall der Klägerin zunächst 690,00 DM, ab Januar 1993 790,00 DM, ab Dezember 1993 740,00 DM und seit Mai 1995 1050,00 DM zuzüglich Mehrwertsteuer.

Der dem Rechtsverhältnis der Parteien zugrunde liegende Vertrag vom 15. November 1991 besagt ua.:

"§ 8

Wettbewerbsverbot

Für die Dauer des Vertragsverhältnisses verpflichtet sich der Unternehmer, dem Stadtboten im gesamten Hamburger Stadtgebiet einschließlich der Beförderungen aus dem Hamburger Stadtgebiet und in das Hamburger Stadtgebiet in dem Bereich der Kurierdienste keine Konkurrenz zu machen.

§ 9

Kündigung des Vertrages

Dieser Vertrag kann von beiden Seiten, ohne daß dies einer Begründung bedürfte, gekündigt werden. Die Kündigungsfrist beträgt für den Stadtboten 4 Wochen zum Monatsende; der Unternehmer kann den Vertrag ohne Einhaltung einer Frist kündigen.

§ 10

Vertragsstrafe

Der Unternehmer hat an den Stadtboten für jeden Fall eines Verstoßes gegen das Wettbewerbsverbot - und zwar unter Ausschluss des Fortsetzungszusammenhanges - gem. § 8 eine Vertragsstrafe in Höhe von DM 300,00 zu zahlen. Es handelt sich hierbei um den Mindestbetrag des Schadensersatzanspruchs wegen Nichterfüllung (§ 340 Abs. 2 BGB). Die Geltendmachung eines weiteren Schadens ist nicht ausgeschlossen."

Eine Urlaubsregelung gibt es bei der Beklagten nicht. Die Kurierfahrer müssen sich nicht abmelden, wenn sie wegen Urlaubs oder krankheitsbedingt nicht zur Verfügung stehen.

Jeder Kurierfahrer darf selbst namens der Beklagten Aufträge von Kunden annehmen. Ob und ggf. in welchem Umfang die Klägerin darüber hinaus eigene nicht über die Beklagte abgerechnete Kunden bediente, ist zwischen den Parteien streitig. Zuletzt erzielte die Klägerin durchschnittlich ca. 5.000,00 DM pro Monat.

Mit Schreiben vom 28. Juni 1995, der Klägerin am 30. Juni 1995 zugegangen, kündigte die Beklagte das Vertragsverhältnis zum 31. Juli 1995. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Kündigungsschutzklage. Sie macht geltend, das Kündigungsschutzgesetz finde Anwendung. Sie sei wirtschaftlich und persönlich abhängig gewesen. Die Kündigung sei sozial nicht gerechtfertigt. Aufgrund des Wettbewerbsverbots habe sie ihre Arbeitskraft nicht anderweitig im Kurierdienst einsetzen dürfen. Infolge der optischen Zuordnung ihres Fahrzeugs zum Unternehmen der Beklagten sei ihr eine andere Nutzung unmöglich gemacht worden. Wegen der Verpflichtung zur Zahlung der monatlichen Pauschale sei ihr die Ablehnung von Aufträgen faktisch unmöglich gewesen. Um ihren Lebensunterhalt zu erwirtschaften, habe sie täglich etwa zwölf Aufträge für die Beklagte erledigen müssen.

Die Klägerin hat beantragt festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung vom 28. Juni 1995 nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Klägerin sei als selbständige Fuhrunternehmerin im Rahmen eines untypischen Franchise-Systems tätig gewesen. Weder in zeitlicher noch in fachlicher Hinsicht habe sie einem Weisungsrecht unterlegen. Ein Einfluß auf die Tourendurchführung habe nicht bestanden. Das vereinbarte Wettbewerbsverbot habe praktisch keine Bedeutung gehabt. Es sei ihr gleichgültig, ob die Unternehmer noch für weitere Kurierdienste tätig seien.

Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision will die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung erreichen.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Kündigungsschutzklage ist unbegründet. Zwischen den Parteien hat kein Arbeitsverhältnis bestanden.

I. Das Arbeitsverhältnis unterscheidet sich von dem Rechtsverhältnis eines freien Mitarbeiters durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit, in der sich der zur Dienstleistung Verpflichtete befindet. Eine wirtschaftliche Abhängigkeit ist weder erforderlich noch ausreichend (Senat 16. März 1994 - 5 AZR 447/92 - AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 68). Der Arbeitnehmer ist in die Arbeitsorganisation des Arbeitgebers eingegliedert. Die Eingliederung zeigt sich insbesondere darin, daß der Beschäftigte dem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt (vgl. § 121 GewO). Arbeitnehmer ist namentlich der Mitarbeiter, der nicht im wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann (vgl. § 84 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 HGB).

Diese Grundsätze sind auch im Bereich Transport und Verkehr anzuwenden (Senat 16. März 1994 - 5 AZR 447/92 - AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 68; 19. November 1997 - 5 AZR 653/96 - BAGE 87, 129; 30. September 1998 - 5 AZR 563/97 - BAGE 90, 36). Der Gesetzgeber hat den Frachtführer als selbständigen Gewerbetreibenden und damit nicht als Arbeitnehmer eingeordnet, obwohl der Frachtführer schon von Gesetzes wegen weitreichenden Weisungsrechten unterliegt (§ 418 HGB nF; §§ 433 ff. HGB aF). Wie der Senat in seinen Urteilen vom 19. November 1997 und 30. September 1998 (aaO) ausgeführt hat, ist der Frachtführer regelmäßig auch dann selbständiger Gewerbetreibender, wenn die Zusammenarbeit mit seinem Auftraggeber auf einem auf Dauer angelegten entsprechenden Rahmenvertrag beruht und das Fahrzeug die Farben und das Firmenzeichen eines anderen Unternehmers aufweist. Insoweit ist die gesetzgeberische Wertung, wonach Frachtführer Gewerbetreibende und damit Selbständige sind (§ 407 HGB nF, § 425 HGB aF), zu Grunde zu legen. Im Einzelfall kann ein Arbeitsverhältnis zu bejahen sein, wenn Vereinbarungen getroffen und praktiziert werden, die zur Folge haben, daß der betreffende Fahrer in der Ausübung seiner Tätigkeit weniger frei ist als ein Frachtführer im Sinne des HGB, er also nicht mehr im wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Wirtschaftliche Zwänge allein können die Arbeitnehmereigenschaft nicht begründen.

II. Die Klägerin war keine Arbeitnehmerin. Sie war nicht persönlich abhängig. Die Klägerin unterlag keinem Weisungsrecht der Beklagten hinsichtlich Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort ihrer Tätigkeit, welches über die Weisungsbefugnisse in einem freien Dienstverhältnis hinausging.

1. Die Klägerin war in ihrer Arbeitszeitgestaltung frei. Sie konnte allein entscheiden, ob, wann und in welchem Umfang sie tätig werden wollte. Weder nach der vertraglichen Gestaltung noch nach der tatsächlichen Durchführung war die Beklagte berechtigt, der Klägerin einseitig Aufträge zuzuweisen. Vielmehr konnte die Klägerin selbst entscheiden, ob sie ihr Funkgerät anstellte oder nicht. Es brauchte auch keine Kernzeit eingehalten zu werden. Es bestand weder eine Präsenzpflicht noch eine Pflicht zur Dienstbereitschaft. Dementsprechend gab es keine Einsatz- oder Bereitschaftspläne. Die Klägerin war auch nicht verpflichtet, eine bestimmte Auftragsmenge in einer bestimmten Zeit anzunehmen.

2. Darüber hinaus stand es der Klägerin frei, nach eigenem Belieben Urlaub zu nehmen. Gerade dieser Umstand ist atypisch für ein Arbeitsverhältnis und deutet auf die Eigenverantwortlichkeit eines freien Dienstverhältnisses hin. Daran ändert die behauptete wirtschaftliche Abhängigkeit der Klägerin nichts, denn auch ein Unternehmer hat Fixkosten, die weiter anfallen, wenn er Urlaub nimmt.

3. Des weiteren spricht gegen die Annahme, die Klägerin sei Arbeitnehmerin gewesen, daß es ihr vertraglich erlaubt war, eigene Mitarbeiter einzusetzen. Die Möglichkeit, Dritte zur Leistungserbringung einsetzen zu dürfen, stellt eines von mehreren im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigenden Anzeichen dar, das gegen die Annahme eines Arbeitsverhältnisses spricht (Senat 19. November 1997 - 5 AZR 653/96 - BAGE 87, 129). Hierzu heißt es in § 6 Ziffer 2 Satz 2 des Vertrags ausdrücklich: "der Unternehmer haftet auch für die von ihm bei der Durchführung des Auftrags eingesetzten Personen". Eine diesem Vertragswortlaut entgegenstehende tatsächliche Handhabung hat die Klägerin nicht vorgetragen.

4. Die Klägerin konnte ihre Tätigkeit trotz bestehender Vorgaben der Beklagten im wesentlichen frei gestalten. Das von der Beklagten vorformulierte Vertragswerk konkretisiert zwar die Vertragspflichten. Auch die Richtlinien waren für die Klägerin gem. § 1 Ziff. 3 des Vertrags verbindlich. Doch gehen diese Einschränkungen nicht über die Vorgaben im Rahmen eines Unterfrachtführerverhältnisses hinaus.

Zu Unrecht hat das Berufungsgericht in der Bindung an die Preisliste der Beklagten ein Anzeichen für eine persönliche Abhängigkeit gesehen. Die Bestimmung der Leistung oder Gegenleistung durch eine Vertragspartei ist auch in anderen Rechtsverhältnissen zulässig und üblich. Berichtspflichten oder sonstige Anzeigepflichten, welche auf ein Arbeitsverhältnis hindeuten, bestanden nicht. Die Übermittlung einer Kopie der vom Kunden erteilten Quittung bei einem Inkasso beim Kunden resultiert aus der Notwendigkeit, diese Barleistung in die Abrechnung einzubeziehen. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts steht der Annahme eines selbständigen Rechtsverhältnisses auch nicht das in § 8 vereinbarte Wettbewerbsverbot entgegen. Ein Wettbewerbsverbot kann sowohl in einem Arbeitsverhältnis als auch in einem selbständigen Rechtsverhältnis vereinbart werden. Seine mangelnde Aussagekraft wird an dem gesetzlich geregelten Fall des Einfirmenhandelsvertreters in § 92 a HGB deutlich (vgl. BAG 15. Dezember 1999 - 5 AZR 770/98 - AP HGB § 92 Nr. 6).

Ende der Entscheidung

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