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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 10.02.1999
Aktenzeichen: 5 AZR 677/97
Rechtsgebiete: GmbHG, BGB


Vorschriften:

GmbHG § 5 Abs. 1
GmbHG § 13
GmbHG § 64 Abs. 1
BGB § 823 Abs. 2
BGB § 826
Leitsatz:

Die Unterkapitalisierung einer GmbH rechtfertigt für sich allein den Haftungsdurchgriff auf die Gesellschafter nicht (Anschluß an BAG Urteil vom 3. September 1998 - 8 AZR 189/97 -, zur Veröffentlichung vorgesehen und BGH Urteil vom 4. Mai 1977 - BGHZ 68, 312).

Aktenzeichen: 5 AZR 677/97 Bundesarbeitsgericht 5. Senat Urteil vom 10. Februar 1999 - 5 AZR 677/97 -

I. Arbeitsgericht Nürnberg - 8 Ca 11972/93 A - Schlußurteil vom 02. April 1996

II. Landesarbeitsgericht Nürnberg - 4 Sa 509/96 - Urteil vom 24. September 1997


---------------------------------------------------------------------- Für die Amtliche Sammlung: Nein Für die Fachpresse : Ja Für das Bundesarchiv : Nein ----------------------------------------------------------------------

Entscheidungsstichworte: Haftung der Gesellschafter bei Insolvenz der GmbH

Gesetz: GmbHG § 5 Abs. 1, § 13, § 64 Abs. 1; BGB § 823 Abs. 2, § 826

Im Namen des Volkes! Urteil

Clobes, als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In Sachen

pp.

hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 10. Februar 1999 durch den Richter Dr. Reinecke als Vorsitzenden, die Richter Kreft und Bepler sowie die ehrenamtlichen Richter Kessel und Zorn für Recht erkannt:

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 24. September 1997 - 4 Sa 509/96 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 2. April 1996 - 8 Ca 11972/93 A - teilweise abgeändert:

Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

3. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von den Beklagten die Erstattung von gezahltem Konkursausfallgeld.

Der Beklagte zu 1) gründete zusammen mit zwei weiteren Gesellschaftern am 28. Juni 1989 die M GmbH, die auch ins Handelsregister eingetragen wurde. Gegenstand des Unternehmens war unter anderem der Betrieb einer Spenglerei mit Sanitärinstallationen. Das Stammkapital der Gesellschaft betrug 60.000,00 DM; darauf wurden jedoch nur Stammeinlagen in Höhe von insgesamt 31.000,00 DM eingezahlt.

Die beiden anderen Gründungsgesellschafter schieden in den folgenden Jahren aus. Die Beklagte zu 2), Ehefrau des Beklagten zu 1), übernahm mit Wirkung vom 26. August 1991 die Hälfte der Geschäftsanteile der GmbH. Zuletzt war der Beklagte zu 1) alleiniger Geschäftsführer der GmbH.

Mit Beschluß vom 22. Februar 1992 wies das Amtsgericht den Antrag des Beklagten zu 1) auf Konkurseröffnung über das Vermögen der GmbH vom 22. Januar 1992 mangels Masse ab. Ausweislich des Gutachtens des vom Konkursgericht bestellten Gutachters verfügte die Gesellschaft über keinerlei Aktivmasse. Sämtliche Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe waren sicherungsübereignet, ebenso die Betriebs-, Geschäfts- und Maschinenausstattung im Wert von ca. 27.000,00 DM. Dem standen u.a. Verbindlichkeiten mit einer Laufzeit von mindestens vier Jahren in Höhe von etwa 112.000,00 DM und andere Verbindlichkeiten (Lieferanten- und Bankschulden) in Höhe von etwa 180.000,00 DM gegenüber.

Die Klägerin gewährte den vier ehemaligen Arbeitnehmern der GmbH für den Zeitraum vom 1. Dezember 1991 bis 11. Februar 1992 Konkursausfallgeld in Höhe von insgesamt 14.318,07 DM.

Die Klägerin ist der Auffassung, die Kapitalausstattung der GmbH sei aufgrund der nicht vollständig eingezahlten Stammeinlagen im Hinblick auf Art und Umfang des Geschäftsbetriebes von vornherein unzureichend gewesen. Der Konkurs sei Folge der Unterkapitalisierung. Dieser Zusammenhang sei für die Beklagten erkennbar gewesen. Aus der in der Konkursakte enthaltenen Forderungsaufstellung der offenen Verbindlichkeiten ergebe sich, daß bereits im Juli 1991 eine Vielzahl offener Rechnungen, insbesondere von Warenlieferanten, aufgelaufen sei und seit Juli 1991 praktisch keine Rechnungen mehr hätten beglichen werden können. Ende 1991 hätten gegenüber der GmbH Forderungen in Höhe von ca. 380.000,00 DM bestanden. Falls für den Zusammenbruch der Gesellschaft noch andere Faktoren eine Rolle gespielt haben sollten, sei dies unerheblich, da jedenfalls die Unterkapitalisierung die entscheidende Ursache für den Zusammenbruch der GmbH gewesen sei. In einem Fall der objektiven Unterkapitalisierung greife das Haftungsprivileg des § 13 Abs. 2 GmbHG nicht. Zum Schutz der Gläubiger sei vielmehr ein Durchgriff auf die Gesellschafter möglich.

Die Beklagten hafteten auch nach § 826 BGB unter dem Gesichtspunkt der Gläubigerbenachteiligung. Der Beklagte zu 1) hafte schließlich auch deshalb, weil er als Geschäftsführer den Antrag auf Konkurseröffnung verspätet gestellt habe. Bei ordnungsgemäßer Überprüfung der Geschäftsvorgänge sei spätestens im Juli 1991 offenkundig gewesen, daß die bereits aufgelaufenen Verbindlichkeiten nicht mehr hätten erfüllt werden können. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte daher der Konkursantrag gestellt werden müssen.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 14.318,07 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 11. Juni 1993 zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie sind der Ansicht, die Voraussetzungen einer Durchgriffshaftung seien nicht gegeben. Die Haftungsbeschränkung des § 13 GmbHG sei von ihnen nicht genutzt worden, um Gläubiger zu schädigen oder zu benachteiligen. Da der eine Gründungsgesellschafter aufgrund seiner vermögenden Verwandtschaft bei den Banken als solventer gegolten habe als der Beklagte zu 1), seien nach dessen Ausscheiden im August 1991 keine weiteren Bankkredite mehr gewährt und der bis dahin funktionierenden GmbH die weiteren Entwicklungsmöglichkeiten genommen worden. Die nicht vollständige Einzahlung der Stammeinlage sei nicht Ursache des Konkurses gewesen.

Von einer Konkursverzögerung könne keine Rede sein. Erst zum Zeitpunkt der Konkursantragstellung habe festgestanden, daß es keine weitere Möglichkeit der Sanierung gebe. Die bis dahin bestehenden Verbindlichkeiten seien weitgehend abgesichert gewesen. Zudem hätten Ende 1991 - unstreitig - Aufträge über 230.000,00 DM und Auftragsoptionen über 1,3 Millionen DM bestanden. Konkreter Anlaß für den Konkursantrag sei gewesen, daß die Vorfinanzierung eines Auftrags über sechs Edelstahltanks im Volumen von 250.000,00 DM nicht gelungen sei. Wäre die Finanzierung gelungen, so wäre die GmbH zu retten gewesen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos. Mit ihrer Revision verfolgen die Beklagten ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Die Klage ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagten auf Erstattung des von ihr gezahlten Konkursausfallgeldes in Höhe von 14.318,07 DM.

I. Die Vorinstanzen haben angenommen, ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagten ergebe sich nach den Grundsätzen der Durchgriffshaftung gemäß §§ 128, 129 HGB analog, § 242 BGB wegen offenbarer materieller Unterkapitalisierung der GmbH. Dieser Beurteilung kann nicht gefolgt werden. Unterkapitalisierung kann ohne das Hinzutreten weiterer Umstände nicht zur Durchgriffshaftung führen.

1. Nach § 13 Abs. 1 GmbHG ist die GmbH juristische Person. Gemäß § 13 Abs. 2 GmbHG haftet den Gläubigern einer GmbH für Verbindlichkeiten der Gesellschaft nur das Gesellschaftsvermögen. Eine persönliche Haftung der Gesellschafter für Verbindlichkeiten der Gesellschaft scheidet danach grundsätzlich aus. Ausnahmsweise ist ein unmittelbarer Durchgriff auf die hinter der juristischen Person stehenden Gesellschafter aber dann zulässig, wenn schwerwiegende Gesichtspunkte aus Treu und Glauben dies erfordern, also Rechtsmißbrauch vorliegt. Dabei ist ein objektiver Maßstab anzulegen (BGH Urteil vom 4. Mai 1977 - VIII ZR 298/75 - BGHZ 68, 312, 315 = NJW 1977, 1449; BSG Urteil vom 1. Februar 1996 - 2 RU 7/95 - NJW-RR 1997, 94; BAG Urteil vom 3. September 1998 - 8 AZR 189/97 - zur Veröffentlichung vorgesehen).

2. In der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte hat die bloße Unterkapitalisierung bisher in keinem Fall zur Bejahung einer Durchgriffshaftung geführt.

a) Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 4. Mai 1977 (aaO) eine Durchgriffshaftung in Fällen bloßer Unterkapitalisierung abgelehnt. Dem hat sich der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts in seinem Urteil vom 3. September 1998 (- 8 AZR 189/87 - zur Veröffentlichung vorgesehen) angeschlossen (ebenso Baumbach/Hueck, GmbHG, 16. Aufl., § 5 Rz 6; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 3. Aufl., S. 247 ff.). Das Bundessozialgericht hat in seinen Entscheidungen vom 7. Dezember 1983 (- 7 RAr 20/82 - BSGE 56, 76 = NJW 1984, 2117, 2119) und 1. Februar 1996 (aaO) zwar ausgeführt, es müsse eine gewisse Relation zwischen dem nach Art und Umfang der beabsichtigten oder der tatsächlichen Geschäftstätigkeit bestehenden Finanzbedarf und dem haftenden Eigenkapital gewährleistet sein; letztlich hat es aber dahinstehen lassen, ob eine bloße Unterkapitalisierung einen Haftungsdurchgriff begründen könne, was ein Teil der Literatur jedenfalls für den Fall einer qualifizierten Unterkapitalisierung annimmt (vgl. z. B. Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 14. Aufl., § 13 Rz 12; Hachenburg/Ulmer, GmbHG, 8. Aufl., Anh. § 30 Rz 55). Eine qualifizierte Unterkapitalisierung soll dann vorliegen, wenn die finanzielle Ausstattung der Gesellschaft eindeutig und für Insider klar erkennbar unzureichend ist und einen Mißerfolg zu Lasten der Gläubiger bei normalem Geschäftsverlauf mit hoher Wahrscheinlichkeit erwarten läßt.

In seinem Urteil vom 7. Dezember 1983 (aaO) hat das Bundessozialgericht den Haftungsdurchgriff gegen den GmbH-Gesellschafter in einem Fall bejaht, in dem zu der Unterkapitalisierung weitere Umstände traten, die für die Erfüllung des Mißbrauchstatbestandes sprachen. Sie lagen darin, daß der Gesellschafter mit der Gründung immer neuer Gesellschaften und deren Abwicklung ("GmbH-Staffette") allein den Gesellschaftsgläubigern das Risiko der gesamten geschäftlichen Unternehmungen dieser Gesellschaften überbürdete und sich die GmbH Eingliederungsbeihilfen der Bundesanstalt zur Schaffung von Dauerarbeitsplätzen auszahlen ließ, obwohl die Gesellschaft kurz vor dem Zusammenbruch stand und der Zweck der Leistungen nach Lage der Dinge keinesfalls mehr erreichbar war.

b) Der erkennende Senat ist mit dem Bundesgerichtshof und dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts der Auffassung, daß Unterkapitalisierung für sich allein nicht zur Durchgriffshaftung der GmbH-Gesellschafter führen kann. Gegen einen Durchgriff bei bloßer Unterkapitalisierung spricht zum einen die Unklarheit des Begriffes und seiner tatsächlichen Voraussetzungen, zum anderen der Umstand, daß der Gesetzgeber davon abgesehen hat, eine Mindestkapitalausstattung der GmbH vorzuschreiben. Auch der Umstand, daß nur ein Teil des Stammkapitals eingezahlt wurde, führt nicht zur Durchgriffshaftung.

aa) Der Begriff der materiellen Unterkapitalisierung ist unklar; im GmbH-Gesetz findet er sich nicht. Der Bundesgerichtshof versteht darunter die im Verhältnis zum angestrebten Geschäftszweck unzureichende Ausstattung mit Stammkapital (BGH Urteil vom 4. Mai 1977, aaO). In der Literatur wird zur Ermittlung einer Unterkapitalisierung überwiegend auf das Verhältnis des Stammkapitals zum Geschäftsumfang der Gesellschaft abgestellt (vgl. Kahler, BB 1985, 1429, 1430, m.w.N.; Scholz/Emmerich, GmbHG, 8. Aufl., § 13 Rz 82). Nach Ulmer (in Hachenberg/Ulmer, GmbHG, 8. Aufl., Anh. § 30 Rz 16) ist eine Gesellschaft unterkapitalisiert, wenn das Eigenkapitel nicht ausreicht, um den nach Art und Umfang der angestrebten oder tatsächlichen Geschäftstätigkeit unter Berücksichtigung der Finanzierungsmethoden bestehenden, nicht durch Kredite Dritter zu deckenden mittel- oder langfristigen Finanzbedarf zu befriedigen.

Der Gesetzgeber hat keine Regelung zur Durchgriffshaftung wegen Unterkapitalisierung geschaffen. Er hatte sich ursprünglich darauf beschränkt, die Höhe des Stammkapitals festzusetzen und bestimmte Voraussetzungen für die Anmeldung der GmbH zum Handelsregister aufzustellen (§§ 5, 7 GmbHG). Er hat durch Gesetz vom 4. Juli 1980 (BGBl. I, S. 836) besondere Regelungen zur Behandlung von Gesellschafterdarlehn im Insolvenzverfahren getroffen (§§ 32 a f. GmbHG) und das Mindestkapital heraufgesetzt. Eine Regelung, die das Stammkapital an den Gesellschaftszweck oder den Geschäftsumfang koppelt, hat er nicht getroffen. Es gibt damit keine gesetzliche Bestimmung, die eine Mindestkapitalausstattung vorschreibt.

Es erscheint auch zweifelhaft, ob sich ein objektiver Maßstab finden läßt, an dem eine Unterkapitalisierung der Gesellschaft für den Gesellschaftszweck oder den Geschäftsumfang zweifelsfrei gemessen werden kann. Ein Haftungsdurchgriff wäre - wenn überhaupt - nur dann gerechtfertigt, wenn der Gesellschafter die Unterkapitalisierung erkennen kann. Nicht jeder Gesellschafter einer GmbH verfügt aber über vertiefte betriebswirtschaftliche Kenntnisse, um vorab das erforderliche Stammkapital bestimmen zu können.

bb) Auch der Umstand, daß das Stammkapital nicht vollständig eingezahlt ist, reicht für die Annahme einer Durchgriffshaftung nicht aus. Nach § 7 Abs. 2 GmbHG darf zwar die Anmeldung nur erfolgen, wenn ein bestimmter Teil als Stammeinlage eingezahlt wurde. Das Gesetz sieht aber für den Fall, daß darüber hinausgehende Einzahlungen auf Stammeinlagen nicht erfolgen, keine Sanktionen vor. Die Gläubiger haben allerdings die Möglichkeit, die Forderung der GmbH gegen die Gesellschafter auf Einzahlung der noch nicht erbrachten Stammeinlage zu pfänden und sich überweisen zu lassen.

c) Im Streitfall liegen auch keine anderen Umstände vor, die im Zusammenhang mit einer möglichen Unterkapitalisierung zur Durchgriffshaftung der Beklagten führen würden.

II. Entgegen der Ansicht der Klägerin scheidet auch eine Haftung der Beklagten nach § 826 BGB wegen Gläubigerbenachteiligung aus.

1. Gemäß § 826 BGB ist derjenige, der in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Der Bundesgerichtshof hat einen solchen Ersatzanspruch insbesondere in Fällen angenommen, in denen die Gesellschafter einer GmbH die Gesellschaft so ausgestaltet hatten, daß Nachteile aus der Geschäftstätigkeit notwendig die Gläubiger der Gesellschaft treffen mußten (vgl. BGH Urteil vom 30. November 1978 - II ZR 204/76 - NJW 1979, 2104; BGH Urteil vom 25. April 1988 - II ZR 175/87 - NJW-RR 1988, 1181; BGH Urteil vom 16. März 1992 - II ZR 152/91 - WM 1992, 735, 736; ähnlich im Ergebnis BSG Urteil vom 7. Dezember 1983 - 7 RAr 20/82 - BSGE 56, 76 = NJW 1984, 2117). Für die Annahme eines Schädigungsvorsatzes genügt es, wenn sich nach den äußeren Umständen die Möglichkeit einer Schädigung der Gläubiger geradezu aufdrängen mußte (vgl. BGH Urteil vom 30. November 1978, aaO).

2. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die Beklagten haben die Gläubiger nicht vorsätzlich benachteiligt.

Der Gesellschaftsvertrag war nicht so gestaltet, daß die GmbH lediglich die Verbindlichkeiten aus den Geschäften tragen sollte, während die Gewinnchancen bei den Gesellschaftern lagen. Das Stammkapitel der Gesellschaft war entgegen der Ansicht der Klägerin für den in § 2 der Satzung festgelegten Unternehmensgegenstand nicht offensichtlich zu gering bemessen. Es sollten im wesentlichen handwerkliche Leistungen erbracht werden, die nicht schon als solche eine größere Kapitalausstattung erforderten. Auch die tatsächliche Geschäftstätigkeit erforderte nicht von vornherein ein größeres Stammkapital.

Die Gesellschaft hat auch nicht ihr Vermögen oder Teile davon auf die Beklagten, ihre einzigen Gesellschafter, übertragen. Zudem hat der Beklagte zu 1) unwidersprochen vorgetragen, daß er im Jahre 1991 selbst vier Mal auf eine Gehaltszahlung zugunsten der Gesellschaft verzichtet hat. Ferner läßt sich der Akte entnehmen, daß die Beklagten keinen persönlichen Vorteil aus dem Untergang der GmbH gezogen haben, sondern durch ihn selbst finanziell ruiniert sind.

III. Entgegen der Ansicht der Klägerin haftet der Beklagte zu 1) auch nicht als Geschäftsführer der GmbH wegen Konkursverschleppung gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 64 Abs. 1 GmbHG für die von ihr geltend gemachte Forderung.

1. Nach § 64 Abs. 1 GmbHG ist der Geschäftsführer einer GmbH verpflichtet, die Eröffnung des Konkurs- bzw. Insolvenzverfahrens zu beantragen, wenn die Gesellschaft zahlungsunfähig wird oder das Vermögen der Gesellschaft die Schulden nicht mehr deckt. Der Antrag ist ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung der Gesellschaft zu stellen. § 64 Abs. 1 GmbHG ist ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der Gesellschaftsgläubiger, unabhängig davon, ob sie ihre Gläubigerstellung vor oder nach der Konkursreife erworben haben (allgemeine Meinung, vgl. z. B. BAG Urteil vom 24. September 1974 - 3 AZR 589/73 - AP Nr. 1 zu § 13 GmbHG, zu III 3 der Gründe und BGH Urteil vom 6. Juni 1994 - II ZR 292/91 - NJW 1994, 2220, 2222).

Subjektive Haftungsvoraussetzung ist, daß der Geschäftsführer die rechtzeitige Antragstellung schuldhaft unterlassen hat. Dabei genügt Fahrlässigkeit. Liegen die Haftungsvoraussetzungen vor, so haftet der Geschäftsführer den Gläubigern, die ihre Forderung gegen die GmbH nach dem Zeitpunkt erworben haben, zu dem Konkursantrag hätte gestellt werden müssen (sog. Neugläubiger), auf den vollen - nicht durch den Quotenschaden begrenzten - Schaden, der ihnen dadurch entstanden ist, daß sie in Rechtsbeziehungen zu einer überschuldeten oder zahlungsunfähigen GmbH getreten sind (vgl. BGH Urteil vom 6. Juni 1994, aaO).

Der Geschäftsführer hat die Entscheidung darüber, ob er die Konkurseröffnung beantragen muß, mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsführers zu treffen. Als solcher ist er verpflichtet, die wirtschaftliche Lage des Unternehmens laufend zu beobachten. Bei Anzeichen einer Krise wird er sich durch Aufstellung eines Vermögensstatus einen Überblick über den Vermögensstand verschaffen müssen. Stellt sich dabei eine rechnerische Überschuldung heraus, muß er prüfen, ob sich für das Unternehmen eine positive Fortbestehensprognose stellt. Gibt es begründete Anhaltspunkte, die eine solche Prognose rechtfertigen, so kann das Unternehmen weiter betrieben werden. Hierbei ist dem Geschäftsführer ein gewisser Beurteilungsspielraum zuzubilligen; vor allem kommt es nicht auf nachträgliche Erkenntnisse, sondern auf die damalige Sicht eines ordentlichen Geschäftsführers an. Notfalls muß sich der Geschäftsführer fachkundig beraten lassen (BGH Urteil vom 6. Juni 1994, aaO). Den Beweis für das Vorliegen der objektiven Voraussetzungen der Konkursantragspflicht hat grundsätzlich der Gläubiger zu erbringen. Steht fest, daß die Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt rechnerisch überschuldet war, so ist es allerdings Sache des Geschäftsführers, die Umstände darzulegen, die es aus damaliger Sicht rechtfertigten, das Unternehmen trotzdem fortzuführen (BGH, aaO).

2. Die Klägerin hat ihrer Darlegungslast nicht genügt. Für die Annahme, der Beklagte zu 1) sei verpflichtet gewesen, bereits vor dem 22. Januar 1992 die Eröffnung des Konkursverfahrens zu beantragen, reicht ihr Vortrag nicht aus.

Die Klägerin hat selbst nicht behauptet, daß die GmbH bereits im Jahre 1991 zahlungsunfähig gewesen sei. Insoweit hat sie zwar vorgetragen, seit Juli 1991 hätten praktisch keine Rechnungen mehr beglichen werden können. Die GmbH hat aber zumindest bis Ende November 1991 die Löhne ihrer Arbeitnehmer gezahlt und die Sozialversicherungsbeiträge abgeführt.

Aus dem Vortrag der Klägerin ergibt sich auch nicht, daß die GmbH bereits im Juli 1991 rechnerisch überschuldet war. Aus der Tatsache, daß zu diesem Zeitpunkt der Betrag der Forderungen gegen die GmbH den Betrag der erbrachten Stammeinlagen überstieg, kann für die Vermögenssituation nichts hergeleitet werden, da damit keine Aussage über die vorhandenen Aktiva verbunden ist. Aussagefähiges Zahlenmaterial über die Vermögenssituation im Juli 1991 liegt nicht vor. Die Klägerin hat sich auf die Behauptung beschränkt, daß die bereits zu diesem Zeitpunkt aufgelaufenen Verbindlichkeiten offenkundig nicht mehr hätten erfüllt werden können und noch weiter auflaufende Verbindlichkeiten gänzlich unerfüllbar gewesen seien. Die Beklagten haben dies bestritten und darauf verwiesen, es sei seinerzeit noch erhebliches Inventar vorhanden gewesen, das der GmbH gehört habe. Angesichts dieses Vorbringens ist der Vortrag der Klägerin für die Annahme einer Überschuldung nicht hinreichend substantiiert.

Zudem verletzt der Geschäftsführer seine Antragspflicht nach § 64 Abs. 1 GmbHG dann nicht, wenn sich für das Unternehmen eine positive Fortbestehensprognose stellt. Dafür, daß eine solche Prognose zumindest vertretbar war, spricht das unbestrittene Vorbringen der Beklagten, es hätten Ende 1991 Aufträge über 230.000,00 DM und Auftragsoptionen über ca. 1,3 Millionen DM für das Folgejahr bestanden.

3. Schließlich ist ein Anspruch gegen den Beklagten zu 1) nach § 823 Abs. 2 BGB, § 64 Abs. 1 GmbHG auch deshalb nicht gegeben, weil die Bundesanstalt für Arbeit als Leistungsträgerin der Verpflichtung zur Zahlung von Konkursausfallgeld nicht in den Schutzbereich des § 64 Abs. 1 GmbHG fällt (BGH Urteil vom 26. Juni 1989 - II ZR 289/88 - BGHZ 108, 134).

Ende der Entscheidung

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