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Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 12.04.2000
Aktenzeichen: 5 AZR 704/98
Rechtsgebiete: EFZG, ZPO, MTV
Vorschriften:
EFZG § 4 Abs. 1 Satz 1 idF vom 25. September 1996 | |
ZPO § 139 | |
ZPO § 554 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. b | |
Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Einzelhandel in Bayern vom 2. September 1996 § 16 |
Nach § 16 des Manteltarifvertrages für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Einzelhandel in Bayern vom 2. September 1996 hat ein Beschäftigter bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Fortzahlung seines Entgelts in Höhe von 100 %.
Aktenzeichen: 5 AZR 704/98 Bundesarbeitsgericht 5. Senat Urteil vom 12. April 2000 - 5 AZR 704/98 -
I. Arbeitsgericht Frankfurt (Oder) - 8 Ca 1007/97 - Urteil vom 10. Juli 1997
II. Landesarbeitsgericht Brandenburg - 6 Sa 636/97 - Urteil vom 1. April 1998
5 AZR 704/98 6 Sa 636/97
BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! URTEIL
Verkündet am 12. April 2000
Metze, der Geschäftsstelle
In Sachen
Klägerin, Berufungsklägerin und Revisionsklägerin,
pp.
Beklagte, Berufungsbeklagte und Revisionsbeklagte,
hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 12. April 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Griebeling, die Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Müller-Glöge und Kreft, die ehrenamtlichen Richter Dr. Hann und Mandrossa für Recht erkannt:
Tenor:
1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Brandenburg vom 1. April 1998 - 6 Sa 636/97 - zum Teil aufgehoben. Auf die Berufung der Klägerin wird das Schlußurteil des Arbeitsgerichts Frankfurt/Oder vom 10. Juli 1997 - 8 Ca 1007/97 - zum Teil abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin weitere 144,57 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich aus 113,82 DM brutto ergebenden Nettobetrag seit dem 27. März 1997 sowie weitere 4 % Zinsen aus dem sich aus 30,75 DM brutto ergebenden Nettobetrag seit dem 10. Juli 1997 zu zahlen.
2. Im übrigen wird die Revision der Klägerin zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin zu 8/9 und die Beklagte zu 1/9 zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall; ferner begehrt die Klägerin Überstundenvergütungen.
Die Beklagte ist ein Unternehmen des Einzelhandels mit Sitz in Bayern. Sie betreibt ua. in Frankfurt/Oder eine Filiale. In dieser Filiale ist die Klägerin seit September 1993 auf der Grundlage des am 17. September 1993 vereinbarten Arbeitsvertrages als Verkäuferin beschäftigt. In § 17 des Arbeitsvertrages heißt es:
"Soweit sich aus diesem Vertrag nichts anderes ergibt, finden die Tarifverträge für den bayerischen Einzelhandel in ihrer jeweils geltenden Fassung sowie die Betriebsordnung Anwendung. Der/die Arbeitnehmer(in) bestätigt, daß er/sie von den geltenden Tarifverträgen für den bayerischen Einzelhandel Kenntnis genommen hat; sie stehen jederzeit zur Einsicht zur Verfügung; dies gilt auch für die Betriebsordnung. Die Bestimmungen dieses Vertrages gehen den allgemeinen tariflichen und betrieblichen Bestimmungen vor, soweit diese nicht zwingend sind."
Der Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Einzelhandel in Bayern vom 2. September 1996 enthält in § 16 unter der Überschrift "Arbeitsversäumnis" ua. folgende Regelungen:
"3. In Fällen unverschuldeter, mit Arbeitsunfähigkeit verbundener Krankheit ist dem/der Beschäftigten das Entgelt bis zur Dauer von sechs Wochen, jedoch nicht über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus, zu zahlen. Das gleiche gilt für eine von einem Träger der Sozialversicherung, einer Verwaltungsbehörde der Kriegsopferversorgung oder einem sonstigen Sozialleistungsträger verordnete Heilbehandlung einschließlich der ärztlich verordneten Schonzeit.
4. Über die Frist gemäß Ziffer 3 hinaus erhält der/die Beschäftigte, der/die dem Betrieb länger als 5 Jahre angehört, einmal im Kalenderjahr eine Beihilfe in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen den Barleistungen der Sozialversicherung und dem Nettoentgelt nach folgender Staffelung:
Nach 5jähriger ununterbrochener Betriebszugehörigkeit bis zu einem Monat,
nach 8jähriger ununterbrochener Betriebszugehörigkeit bis zu drei Monaten,
nach 10jähriger ununterbrochener Betriebszugehörigkeit bis zu fünf Monaten.
5. Bei einem/einer Beschäftigten, der/die keine Barleistungen aus der Sozialversicherung bezieht, ist für die Berechnung des Unterschiedsbetrages der Krankengeldsatz der zuständigen Krankenkasse maßgebend.
Bei Provisionsempfängern und -empfängerinnen errechnet sich das Nettogehalt aus dem monatlichen Durchschnittsgesamtnettobezug eines Jahres oder der kürzeren vorangegangenen Beschäftigungszeit.
Auf die Beihilfe können Leistungen angerechnet werden, die vom Betrieb oder auf Veranlassung des Betriebes durch Dritte an den Beschäftigten/die Beschäftigte aus Anlaß längerer Krankheit über 6 Wochen hinaus gezahlt werden.
6. Im übrigen gelten die gesetzlichen Bestimmungen."
Für den Einzelhandel im Bundesland Brandenburg gilt der seit dem 31. März 1995 allgemeinverbindliche Manteltarifvertrag vom 31. Mai 1994.
Im Oktober 1996 und im Mai 1997 fehlte die Klägerin wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Für diese Tage zahlte die Beklagte ein um 20 % gekürztes anteiliges Gehalt. Die Klägerin fordert Nachzahlung der Gehaltsdifferenzen in unstreitiger Höhe für Oktober 1996 von 113,82 DM brutto und für Mai 1997 von 30,75 DM brutto. Mit der im März 1997 erhobenen und im Juli 1997 erweiterten Klage begehrt die Klägerin darüber hinaus Zahlung von Überstundenvergütungen. Die Klägerin hat behauptet, insgesamt 45 Überstunden in den Monaten November 1995, Februar 1996 und März 1996 geleistet zu haben. Diese Stunden seien nicht vergütet worden. Ferner sei für sechs Stunden aus November 1995, 8,5 Stunden aus März 1996 sowie 18 Stunden aus Juli 1996 ein Zuschlag in Höhe von 25 % und für 41 Stunden aus Juli 1996 ein Zuschlag in Höhe von 40 % zu zahlen. Die Notwendigkeit der Überstunden folge aus den vorgegebenen Ladenöffnungszeiten.
Die Klägerin hat, soweit in der Revisionsinstanz noch erheblich, beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin
1. 1.097,96 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 22. November 1996 auf den sich aus 610,31 DM brutto ergebenden Nettobetrag sowie 4 % Zinsen seit dem 27. März 1997 auf den sich aus 487,65 DM ergebenden Nettobetrag zu zahlen;
2. weitere 30,75 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 10. Juli 1997 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat die Leistung der geltend gemachten Überstunden, deren Anordnung und deren Notwendigkeit bestritten.
Das Arbeitsgericht hat die Klage hinsichtlich der noch rechtshängigen Teile als unbegründet abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihre Zahlungsansprüche weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist zum Teil begründet.
I. Die Beklagte schuldet der Klägerin Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für Oktober 1996 und Mai 1997 in rechnerisch unstreitiger Höhe von 144,57 DM brutto (113,82 DM und 30,75 DM) nebst jeweils 4 % Verzugszinsen aus dem Nettobetrag. Der Anspruch der Klägerin folgt aus dem einzelvertraglich in Bezug genommenen Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Einzelhandel in Bayern vom 2. September 1996.
1. Die einzelvertragliche Bezugnahme auf den Manteltarifvertrag Bayern ist hinsichtlich der Entgeltfortzahlung wirksam. Der Manteltarifvertrag für den Einzelhandel im Bundesland Brandenburg bindet zwar die Vertragsparteien kraft der Allgemeinverbindlicherklärung, doch hindert dies die Vertragsparteien nicht, durch einzelvertragliche Bezugnahme auf einen anderen Tarifvertrag eine im Vergleich zum allgemeinverbindlichen Tarifvertrag günstigere Regelung zur Entgeltfortzahlung als Arbeitsvertragsinhalt zu vereinbaren. Damit gelten die Bestimmungen des Manteltarifvertrages für den Einzelhandel in Bayern über die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall als Arbeitsvertragsinhalt zwischen den Parteien.
2. Nach § 16 Nr. 3 dieses Manteltarifvertrages ist in Fällen unverschuldeter, mit Arbeitsunfähigkeit verbundener Krankheit dem/der Beschäftigten "das Entgelt bis zur Dauer von sechs Wochen, jedoch nicht über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus, zu zahlen". Diese Bestimmung enthält eine konstitutive Regelung zur Höhe der Entgeltfortzahlung. Der Wortlaut entspricht einer vollständigen Anspruchsgrundlage. § 16 Nr. 3 enthält mehr als eine Bezugnahme auf die gesetzlichen Bestimmungen der Entgeltfortzahlung. Dies wird durch den Zusammenhang mit dem in Nr. 4 und 5 geregelten Anspruch der Beschäftigten auf Zahlung einer Beihilfe in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen den Barleistungen der Sozialversicherung und dem Nettoentgelt bekräftigt. Diese Zuschußregelung ist ihrerseits eigenständig, weil sie einen über die gesetzliche Bestimmung hinausgehenden Anspruch schafft. Sie bezweckt, länger beschäftigte Arbeitnehmer auch nach Ablauf der Sechs-Wochen-Frist für einen bestimmten Zeitraum finanziell (etwa) so zu stellen, wie innerhalb der Sechs-Wochen-Frist. Damit verdeutlicht der systematische Zusammenhang von § 16 Nr. 3 mit Nr. 4 und 5, daß den Beschäftigten des bayerischen Einzelhandels bereits für die ersten sechs Wochen der Arbeitsunfähigkeit ein voller Vergütungsanspruch gewährleistet wird (vgl. zu anderen vollständig formulierten Regelungen der Entgeltfortzahlung mit einer Zuschußzahlung: BAG 16. Juni 1998 - 5 AZR 638/97 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 212; BAG 16. Juni 1999 - 5 AZR 284/98 - zur Veröffentlichung vorgesehen). Diese Auslegung wird zudem durch § 16 Nr. 6 bestätigt. Danach gelten "im übrigen die gesetzlichen Bestimmungen". Damit betont der Manteltarifvertrag die Eigenständigkeit der vorangestellten Bestimmungen.
II. Die Vorinstanzen haben die Klage hinsichtlich der geforderten Überstundenvergütungen zu Recht als unbegründet abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe nicht nachvollziehbar dargetan, daß sie die behaupteten Überstunden tatsächlich geleistet habe und diese notwendig gewesen seien. Aus ihrem Sachvortrag ergebe sich nicht widerspruchsfrei, daß überhaupt Überstunden angefallen und zu vergüten seien. Ebensowenig habe sie den Anspruch auf Zahlung von Mehrarbeitszuschlägen nachvollziehbar dargetan. Ihr Sachvortrag sei widersprüchlich und unvollständig.
1. Die von der Revision gegen das Berufungsurteil vorgebrachten Verfahrensrügen sind unzulässig.
a) Die Rüge mangelnder Sachaufklärung und Verletzung der richterlichen Aufklärungspflicht gem. § 139 ZPO ist unzulässig. Gem. § 554 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. b ZPO muß die Revisionsbegründung, wenn die Revision darauf gestützt wird, daß das Gesetz in Bezug auf das Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen enthalten, die den Mangel ergeben. Rügt der Revisionskläger die Verletzung des richterlichen Fragerechts und der Aufklärungspflicht, hat er anzugeben, was er auf einen entsprechenden Hinweis vorgebracht hätte. Dabei ist der unterbliebene Vortrag vollständig nachzuholen (BAG 5. Juli 1979 - 3 AZR 197/78 - AP BGB § 242 Ruhegehalt - Unterstützungskassen Nr. 9; MünchKommZPO/Walchshöfer § 554 Rn. 22; Stein/Jonas/Grunsky ZPO 21. Aufl. § 554 Rn. 13). Die Revisionsbegründung bezeichnet nicht den Sachvortrag, den die Klägerin nach einem entsprechenden Hinweis gehalten hätte.
b) Die Rüge unterbliebener Beweiserhebung ist gleichfalls unzulässig. Wird mit der Verfahrensrüge geltend gemacht, das Berufungsgericht habe einen Beweisantritt übergangen, ist diese Rüge nur zulässig, wenn die Revisionsbegründung das Beweisthema wiedergibt, die Angabe der Schriftsatz- oder Protokollstellen enthält, mit der der Beweis in der Berufungsinstanz angetreten worden ist, und darlegt, welches Ergebnis die Beweisaufnahme voraussichtlich gehabt hätte und weshalb das angefochtene Urteil auf dem Verfahrensfehler beruhen kann (BAG 9. Februar 1968 - 3 AZR 419/66 - AP ZPO § 554 Nr. 13; BAG 22. Mai 1997 - 8 AZR 103/96 - JURIS). Dem genügt die Revisionsbegründung nicht, denn sie bezeichnet weder das Beweisthema noch das voraussichtliche Ergebnis der Beweisaufnahme. Die Revisionsbegründung enthält keine Ausführungen dazu, was eine Vernehmung der Arbeitskollegin G als Zeugin ergeben hätte. Zudem berücksichtigt die Revisionsbegründung nicht, daß das Landesarbeitsgericht allein zulässigen Beweisantritten nachzugehen hatte. Wird ein Beweis angetreten, bei dem es an der Bestimmtheit der zu beweisenden Tatsachen fehlt und sollen durch die beabsichtigte Beweiserhebung erst die Grundlagen für substantiierte Tatsachenbehauptungen gewonnen werden, ist dieser Beweisantritt unzulässig und unbeachtlich (BAG 28. Mai 1998 - 6 AZR 618/98 - AP TV Ang Bundespost § 16 Nr. 6). Gem. § 373 ZPO muß die beweispflichtige Partei diejenigen Tatsachen bezeichnen, zu denen der Zeuge vernommen werden soll. Tatsachen sind konkrete, nach Zeit und Raum bestimmte, der Vergangenheit oder der Gegenwart angehörige Geschehnisse oder Zustände. Entsprechen die unter Beweis gestellten Tatsachenbehauptungen nicht diesen Anforderungen, hat die Beweiserhebung aufgrund dieses unzulässigen Ausforschungsbeweisantritts zu unterbleiben (BAG 15. Dezember 1999 - 5 AZR 566/98 - zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).
2. Die Rüge der Klägerin, das Berufungsgericht sei von unzutreffenden und überzogenen Anforderungen an die notwendige Substantiierung ausgegangen, ist unzutreffend. Das Berufungsgericht hat in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG 25. November 1993 - 2 AZR 517/93 - AP KSchG 1969 § 14 Nr. 3) den Rechtssatz aufgestellt: "Der Arbeitnehmer, der im Prozeß von seinem Arbeitgeber die Bezahlung von Überstunden fordert, muß, zumal wenn zwischen der Geltendmachung und der behaupteten Leistung ein längerer Zeitraum liegt, beim Bestreiten der Überstunden im einzelnen darlegen, an welchen Tagen und zu welchen Tageszeiten er über die übliche Arbeitszeit hinaus tätig geworden ist. Er muß ferner eindeutig vortragen, ob die Überstunden vom Arbeitgeber angeordnet oder zur Erledigung der ihm obliegenden Arbeiten notwendig oder vom Arbeitgeber gebilligt oder geduldet worden sind". Diesem Rechtssatz ist das Berufungsgericht bei der Würdigung des zum Teil verworrenen und unübersichtlichen Sachvortrags der Klägerin gefolgt. Ein Rechtsfehler des angefochtenen Urteils ist nicht ersichtlich.
Ende der Entscheidung
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