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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 18.07.2007
Aktenzeichen: 5 AZR 848/06
Rechtsgebiete: ZPO, BRAO


Vorschriften:

ZPO § 85 Abs. 2
ZPO § 233
ZPO § 244
ZPO § 249
BRAO § 16
BRAO § 155
Das Verschulden eines Rechtsanwalts, dessen Zulassung zur Rechtsanwaltschaft mit sofortiger Wirkung widerrufen worden ist, kann der von ihm vertretenen Partei nicht gem. § 85 Abs. 2 ZPO zugerechnet werden.
BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! URTEIL

5 AZR 848/06

Verkündet am 18. Juli 2007

In Sachen

hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 18. Juli 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Müller-Glöge, den Richter am Bundesarbeitsgericht Prof. Dr. Mikosch und die Richterin am Bundesarbeitsgericht Dr. Laux sowie die ehrenamtlichen Richter Rehwald und Wolf für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 24. April 2006 - 14 Sa 57/06 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Parteien streiten über restliche Vergütungsansprüche des Klägers und in diesem Zusammenhang über die Zulässigkeit seiner Berufung.

Der Kläger war bis Januar 2005 bei der Beklagten angestellt. Mit seiner im Juni 2005 erhobenen Klage fordert er restliche Vergütung für die Monate Januar bis Juni 2004 in Höhe von 9.543,96 Euro nebst Zinsen. Das Arbeitsgericht hat die Klage am 7. November 2005 abgewiesen. Das Urteil wurde dem damaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers, Rechtsanwalt T, am 26. November 2005 zugestellt. Am 1. Dezember 2005 verfügte die Rechtsanwaltskammer Düsseldorf den Widerruf der Zulassung von Rechtsanwalt T zur Rechtsanwaltschaft und ordnete im überwiegenden öffentlichen Interesse die sofortige Vollziehung der Verfügung an. Gemäß den §§ 16, 155 BRAO kam dem die Wirkung eines vorläufigen Berufsverbots zu. Rechtsanwalt T wurde nicht mehr tätig und unterrichtete den Kläger weder über die Zustellung des erstinstanzlichen Urteils noch über das Berufsausübungsverbot.

Mit Schreiben vom 14. Dezember 2005 übersandte die Gerichtskasse Düsseldorf eine Kostenrechnung an den Kläger. Dieser wandte sich daraufhin an seinen damaligen Prozessbevollmächtigten, den er aber trotz wiederholter Versuche nicht erreichen konnte. Ein Telefonanruf des Klägers am 17. Dezember 2005 auf der Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts ergab, dass am 7. November 2005 ein Urteil ergangen und dem Prozessbevollmächtigten am 26. November 2005 zugestellt worden sei. Von dem Inhalt des Urteils erfuhr der Kläger erst am 4. Januar 2006, nachdem er die Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts am 22. Dezember 2005 telefonisch um Übersendung gebeten und die Geschäftsstelle das Urteil mit Schreiben vom 2. Januar 2006 übersandt hatte.

Am 18. Januar 2006 legten die jetzigen Prozessbevollmächtigten des Klägers Berufung beim Landesarbeitsgericht ein und beantragten zugleich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsfrist.

Der Kläger hat eidesstattlich versichert, er sei davon ausgegangen, dass Rechtsanwalt T ihn, wie anlässlich des Kammertermins am 7. November 2005 vereinbart, über die Zustellung des Urteils unterrichten und im Falle der Klageabweisung Berufung einlegen werde.

Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers unter Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags als unzulässig verworfen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Zahlungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Die Berufung ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts zulässig, da dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsfrist zu gewähren ist. Eine Entscheidung in der Sache selbst ist ausgeschlossen, denn es fehlt an tatsächlichen Feststellungen zu den geltend gemachten Vergütungsansprüchen.

I. Die Berufung des Klägers ist zulässig.

1. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zutreffend erkannt, dass der Kläger die Frist für die Einlegung der Berufung versäumt hat.

a) Gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG beträgt die Frist für die Einlegung der Berufung einen Monat. Sie beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Das am 7. November 2005 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 26. November 2005 in vollständiger Form zugestellt worden. Die Wirksamkeit der Zustellung wird durch den nachfolgenden Widerruf der Anwaltszulassung nebst Berufsausübungsverbot nicht infrage gestellt. Die Berufungsfrist endete deshalb mit Ablauf des 27. Dezember 2005 (§ 222 Abs. 1 und 2 ZPO in Verb. mit § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB). Die Berufung des Klägers ging erst am 18. Januar 2006 beim Landesarbeitsgericht ein.

b) Der Lauf der Berufungsfrist hat nicht am 1. Dezember 2005 gem. § 244 Abs. 1, § 249 Abs. 1 ZPO aufgehört. Das Verfahren ist nicht unterbrochen worden.

Der Rechtsanwalt wird zwar durch ein gegen ihn verhängtes Berufsausübungsverbot unfähig, die Vertretung der Partei fortzuführen. Die Wirksamkeit von gleichwohl vorgenommenen anwaltlichen Rechtshandlungen (§ 155 Abs. 5 BRAO) ändert daran nichts (BGH 29. März 1990 - III ZB 39/89 -BGHZ 111, 104, 106; Hüßtege in Thomas/Putzo ZPO 28. Aufl. § 244 Rn. 12; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 65. Aufl. § 244 Rn. 5, 9; Zöller/ Greger ZPO 26. Aufl. § 244 Rn. 3; Musielak/Stadler ZPO 5. Aufl. § 244 Rn. 3; Stein/Jonas/Roth ZPO 22. Aufl. § 244 Rn. 7; Feuerich/Weyland BRAO 6. Aufl. § 155 Rn. 2). Doch kann eine Unterbrechung durch Anwaltsverlust nur in einem Anwaltsprozess (§ 244 Abs. 1, § 78 ZPO) eintreten. Ein Anwaltsprozess lag nicht vor. Vor dem Arbeitsgericht besteht kein Vertretungszwang (§ 11 Abs. 1 ArbGG). Das arbeitsgerichtliche Verfahren erster Instanz war am 1. Dezember 2005 noch nicht abgeschlossen, da das Urteil des Arbeitsgerichts zwar zugestellt war, die Berufungsfrist aber noch lief und die Berufung noch nicht eingelegt war. Der Rechtszug endet erst mit Einlegung des Rechtsmittels oder Eintritt der formellen Rechtskraft (BAG 18. März 1976 - 3 AZR 161/75 - BAGE 28, 46, 50 ff.; BGH 23. September 1976 - GmS OGB 1/76 - BAGE 28, 46, 53 f.; BGH 1. Februar 1995 - VIII ZB 53/94 - NJW 1995, 1095, 1096; Hüßtege in Thomas/Putzo § 244 Rn. 4; Zöller/Greger § 244 Rn. 2; Musielak/Stadler § 244 Rn. 2; Stein/Jonas/Roth § 244 Rn. 3). Besteht Vertretungszwang lediglich im Berufungsverfahren, tritt die Unterbrechung deshalb nur ein, wenn beim Wegfall des Anwalts bereits Berufung eingelegt war. Es kommt nicht darauf an, ob der Rechtsanwalt schon als Prozessbevollmächtigter für die Berufungsinstanz bestellt war (BGH 18. September 1991 - XII ZB 51/91 - FamRZ 1992, 48, 49; Zöller/Greger § 244 Rn. 1). Eine analoge Anwendung des § 244 ZPO auf den Parteiprozess scheidet aus, weil die Partei anstelle des Anwalts selbst handeln kann. Das gilt auch, wenn der nächste Schritt die Beauftragung eines postulationsfähigen Vertreters zwecks Einlegung der Berufung oder die Berufungseinlegung selbst ist. Bei Fristversäumung ist die Partei dann auf die Wiedereinsetzung nach den §§ 233 ff. ZPO angewiesen.

2. Das Landesarbeitsgericht hat die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Unrecht versagt.

a) Der Wiedereinsetzungsantrag ist statthaft (§§ 233, 517 ZPO) und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere hat der Kläger die Wiedereinsetzung am 18. Januar 2006 und damit innerhalb von zwei Wochen ab der am 4. Januar 2006 erlangten Kenntnis von der Fristversäumung beantragt (§ 234 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 ZPO) sowie die Förmlichkeiten des § 236 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO eingehalten.

b) Der Wiedereinsetzungsantrag ist begründet. Den Kläger trifft an der Fristversäumung weder ein eigenes Verschulden noch ist ihm ein fremdes Verschulden zuzurechnen (§ 233 ZPO).

aa) Das Landesarbeitsgericht hat ein Verschulden des prozessbevollmächtigten Rechtsanwalts T angenommen, das gem. § 85 Abs. 2 ZPO dem Verschulden des Klägers gleichstehe. Dem vermag der Senat nicht zu folgen.

§ 85 Abs. 2 ZPO setzt eine wirksame Vollmacht oder die Genehmigung des vollmachtlosen Handelns (§ 89 Abs. 2 ZPO) voraus (vgl. nur Hüßtege in Thomas/Putzo § 85 Rn. 9; Stein/Jonas/Bork § 85 Rn. 12, jeweils mwN). Ob der Verlust der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft die dem Rechtsanwalt erteilte Vollmacht entfallen lässt, ist umstritten (vgl. BGH 26. Januar 2006 - III ZB 63/05 - BGHZ 166, 117, 123). Der Bundesgerichtshof neigt dazu, den Fortbestand der Prozessvollmacht zu verneinen. Es bestehe ein Bedürfnis, die Mandanten vor ungeeigneten Rechtsvertretern zu schützen. Dementsprechend sei auch die zur Ausführung einer nach dem Rechtsberatungsgesetz unzulässigen Rechtsbesorgung erteilte Vollmacht nichtig (BGH 26. Januar 2006 - III ZB 63/05 - BGHZ 166, 117, 123 f. mwN). Im Falle des wirksam gewordenen Berufsausübungsverbots gilt Entsprechendes. Daran ändert § 155 Abs. 5 BRAO nichts, der die Wirksamkeit verbotswidriger Handlungen bestimmt (vgl. Henssler/Prütting/Dittmann BRAO 2. Aufl. § 155 Rn. 7; Feuerich/Weyland § 155 Rn. 9 ff.; Kleine-Cosack BRAO 4. Aufl. § 155 Rn. 3 f.). Es handelt sich hierbei um eine Ausnahmebestimmung im Interesse der Rechtssicherheit, derer es überhaupt nicht bedürfte, ginge das Gesetz vom Fortbestand der Vollmacht aus. Dies folgt auch aus § 244 ZPO, der nach einhelliger Auffassung auf das Berufsausübungsverbot Anwendung findet. Einer abschließenden Entscheidung dieser Rechtsfrage bedarf es nicht, denn Rechtsanwalt T war seit dem 1. Dezember 2005 keine Person mehr, deren Verschulden der Partei gem. § 85 Abs. 2 ZPO zugerechnet wird.

§ 85 Abs. 2 ZPO ist eine nur für den Prozess geltende, auf dessen besonderen Verhältnissen und Bedürfnissen beruhende Sondervorschrift. Sie soll gewährleisten, dass die Partei, die ihren Rechtsstreit durch einen Vertreter führen lässt, in jeder Weise so behandelt wird, als wenn sie den Prozess selbst geführt hätte. Der Umstand, dass der Partei gestattet ist, sich eines Prozessbevollmächtigten zu bedienen, darf nicht das Prozessrisiko zu Lasten des Gegners vergrößern. Das in Rede stehende Verschulden hat den Charakter eines Verschuldens gegen sich selbst nach dem Maßstab der für die Prozessführung jeweils zu fordernden Sorgfalt (BGH 21. Mai 1951 - IV ZR 11/51 - BGHZ 2, 205, 206 f.; Stein/Jonas/Bork § 85 Rn. 8).

Der Wegfall des prozessbevollmächtigten Rechtsanwalts auf Grund eines Berufsausübungsverbots schließt danach den Tatbestand des § 85 Abs. 2 ZPO aus. Es geht nicht um die von § 85 Abs. 2 ZPO umfassten Handlungen oder Unterlassungen hinsichtlich einer ordnungsgemäßen Prozessführung. Vielmehr darf der Anwalt aus Gründen der Gefahrenabwehr überhaupt nicht mehr für die Partei tätig werden (§ 155 Abs. 2 und 4 BRAO). Im Anwaltsprozess wird die Partei durch die Unterbrechungswirkung der §§ 244, 249 ZPO geschützt, ohne dass es auf die Gründe für den Wegfall des Anwalts ankommt. Eine Anwendung des § 85 Abs. 2 ZPO ist damit nicht vereinbar. Im Parteiprozess gilt nichts anderes. Lediglich der Unterbrechung bedarf es nicht, weil die Partei selbst handeln kann. Eine Zurechnung der Gründe für das Berufsausübungsverbot (vgl. § 14, § 16 Abs. 1, 6 und 7 BRAO) würde den Rahmen des § 85 Abs. 2 ZPO sprengen und den Schutzzweck der §§ 244, 249 ZPO, 155, 156 Abs. 2 BRAO in sein Gegenteil verkehren.

bb) Den Kläger trifft an der Versäumung der Berufungsfrist kein eigenes Verschulden.

Bis zum Erhalt der Gerichtskostenrechnung Mitte Dezember 2005 durfte der Kläger davon ausgehen, dass Rechtsanwalt T ihn über die Zustellung eines Urteils unterrichten werde und dass noch keine Berufungsfrist zu laufen begonnen habe.

Der Kläger handelte dann sachgerecht, indem er seinen Prozessbevollmächtigten zu erreichen versuchte und sich an die Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts wandte. Nachdem er am 17. Dezember 2005 von der drei Wochen zurückliegenden Zustellung eines Urteils an seinen Prozessbevollmächtigten erfahren hatte, diesen aber nicht erreichen konnte, musste er auch in Kenntnis der Kostenrechnung nicht sofort anderweitigen anwaltlichen Rechtsrat einholen. Ihm ist nicht vorzuwerfen, dass er das Arbeitsgericht am 22. Dezember 2005 - und damit noch unverzüglich - telefonisch zunächst um Übersendung des Urteils bat, um den Sachstand selbst festzustellen. Der Kläger musste auch jetzt noch nicht davon ausgehen, dass die Klage insgesamt abgewiesen worden war, die Berufungsfrist kurz vor ihrem Ablauf stand und er sich trotz der Beauftragung eines Rechtsanwalts selbst um die rechtzeitige Berufungseinlegung zu kümmern hatte. Schon angesichts der bevorstehenden Feiertage durfte er bis zum Eingang des Urteils am 4. Januar 2006 abwarten. Zu diesem Zeitpunkt war die Berufungsfrist bereits abgelaufen.

3. Im Übrigen bestehen keine Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufung.

II. Der Senat kann über die zulässige Beruffung des Klägers nicht selbst entscheiden, da das Landesarbeitsgericht keine Feststellungen zum Sachverhältnis getroffen hat (§ 563 Abs. 3 ZPO).

Ende der Entscheidung

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