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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 21.12.2006
Aktenzeichen: 6 AZR 428/06
Rechtsgebiete: ETV-DP AG


Vorschriften:

ETV-DP AG vom 1. September 2003 § 30 Abs. 2
ETV-DP AG Anhang 2 Teil A Besitz- und Rechtsstand Vergütung Abs. 5
ETV-DP AG Anhang 2 Teil A Besitz- und Rechtsstand Vergütung Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! URTEIL

6 AZR 428/06

Verkündet am 21. Dezember 2006

In Sachen

hat der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 21. Dezember 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Fischermeier, die Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Armbrüster und Creutzfeldt sowie den ehrenamtlichen Richter Klapproth und die ehrenamtliche Richterin Stang für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 30. November 2005 - 7 (3) Sa 516/05 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Der Kläger verlangt von der Beklagten eine tarifliche Besitzstandszulage.

Der Kläger absolvierte in der Zeit vom 1. August 1999 bis zum 30. Juni 2002 eine Berufsausbildung bei der Beklagten und wurde mit Wirkung ab dem 1. Juli 2002 als Angestellter in der Dateneingabe bei der Niederlassung Rentenservice der Beklagten übernommen. Auf das Arbeitsverhältnis finden auf Grund beiderseitiger Tarifbindung die Tarifverträge der Deutschen Post AG Anwendung. Für das Arbeitsverhältnis war zunächst der Tarifvertrag für Angestellte bei der Deutschen Bundespost maßgeblich. Der Kläger war in die VG VI b eingruppiert. Sein monatlicher Bruttomonatsverdienst betrug im August 2003 1.940,82 Euro.

Mit Wirkung zum 1. September 2003 traten der Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der Deutschen Post AG (MTV-DP AG) und der Entgelttarifvertrag für die Arbeitnehmer der Deutschen Post AG (ETV-DP AG) in Kraft. Hierdurch wurde ein neues Vergütungssystem eingeführt. Mit der Überleitung auf den neuen Entgelttarifvertrag wurde der Kläger daraufhin in die Entgeltgruppe 4 Gruppenstufe 3 übergeleitet. Ab September 2003 erzielte der Kläger ein monatliches Bruttoeinkommen in Höhe von 2.007,00 Euro. Wäre es nicht zu dem Abschluss der neuen Tarifverträge gekommen, wäre der Kläger mit Wirkung zum 1. Februar 2004 in die VG V c des Tarifvertrags für Angestellte bei der Deutschen Bundespost höhergruppiert worden. Dies hat die Beklagte dem Kläger in ihrem "Vermerk zur Feststellung des Besitzstandes Vergütung" bestätigt. Dieser Vermerk wurde am 6. August 2003 erstellt und am 7. August 2003 geprüft. Auf Grund dieser fiktiven Höhergruppierung hätte dem Kläger ab dem 1. Februar 2004 eine Vergütung zugestanden, die das dem Kläger ab dem 1. September 2003 gezahlte Bezugsentgelt um 25,44 Euro brutto monatlich überstiegen hätte.

Zum Besitz- bzw. Rechtsstand der Arbeitnehmer bestimmt § 30 ETV-DP AG:

"...

(2) Für Arbeitnehmer, die am 31. August 2003 bereits und am 1. September 2003 noch in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis als Angestellte zur Deutschen Post AG standen und stehen, finden die Regelungen des Anhangs 2 für die Dauer dieses Arbeitsverhältnisses Anwendung."

Im Anhang 2 heißt es:

"...

Teil A

Besitz- und Rechtsstand Vergütung

(1) Der Arbeitnehmer gem. § 30 Abs. 2 (im folgenden Angestellter genannt) erhält für Zeiten mit Anspruch auf Monatsgrundentgelt gemäß § 2 Abs. 1 und Abs. 7 eine Besitzstandszulage "Vergütung" in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen der Bezugsvergütung gemäß Absatz 2 und dem Bezugsentgelt gemäß Absatz 3. Die Besitzstandszulage wird bis zur Aufzehrung gezahlt.

...

(5) ...

Für den Fall, dass der Angestellte zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses ETV und aufgrund der vor diesem Zeitpunkt für ihn anzuwendenden Regelungen der Anlage 2 zum TV Ang/TV Ang-O bezogen auf die im Feststellungsvermerk dokumentierte Bewertung bzw. Tätigkeit noch eine Grundvergütung nach einer höheren Vergütungsgruppe (Erfüllung einer Bewährungszeit und/oder von einem Zeitablauf) erhalten könnte, ist für den Angestellten zum Zeitpunkt der fiktiven Höhergruppierung der Besitzstand gemäß Abs. 1 neu festzusetzen. Die Feststellung der Vergütungsgruppe und des fiktiven Eingruppierungsverlaufs erfolgt in einem Feststellungsvermerk nach den Regelungen der Anlage 6 zu diesem Anhang. Die Sätze 1 und 2 gelten auch, wenn der beamtenbewertete Arbeitsposten des Angestellten nach dem 1. September 2003 fiktiv höherbewertet wird. Eine solche fiktive Höherbewertung des Arbeitspostens ist nur einmal um eine Bewertungsgruppe bezogen auf die am 31. August 2003 im Feststellungsvermerk dokumentierte Bewertung des Arbeitspostens möglich.

..."

In den vorausgegangenen Tarifvertragsverhandlungen wurde in der "Ergebnisniederschrift Nr. 3/2003 über die Tarifvertragsverhandlungen "Neuregelung der Vergütung der Angestellten" mit der ver.di - Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft e.V. am 13. Mai 2003 in Neuss" festgehalten: "...

Die Arbeitgeberseite übergab ein Arbeitspapier (Anlagen 2 bis 7) das den einigungsfähigen Kompromiss darstellt.

Frau R führte durch das Arbeitspapier. Insbesondere erläuterte sie auf Nachfrage der Vertreter der ver.di folgende Punkte:

- Aufzehrung des Besitzstands

Unter dem Begriff Aufzehrung ist zu verstehen, dass in den Fällen, in denen das neue Einkommen das bisherige Einkommen übersteigt, kein Erfordernis für eine Besitzstandszulage mehr besteht. ..."

In der Anlage 6 zur Ergebnisniederschrift Nr. 3/2003 heißt es:

"...

3. Für den Fall, dass der Angestellte zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses ETV und aufgrund der vor diesem Zeitpunkt für ihn anzuwendenden Regelungen der Anlage 2 zum TV Ang/TV Ang-O bezogen auf die im Feststellungsvermerk dokumentierte Bewertung bzw. Tätigkeit noch eine Grundvergütung nach einer höheren Vergütungsgruppe (Erfüllung einer Bewährungszeit und/oder von einem Zeitablauf) erhalten könnte, ist für den Angestellten zum Zeitpunkt der fiktiven Höhergruppierung der Besitzstand gemäß Tz. 1 neu festzusetzen. Die Feststellung der Vergütungsgruppe und des fiktiven Eingruppierungsverlaufs erfolgt in einem Feststellungsvermerk ..."

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er habe gegen die Beklagte einen Anspruch auf Besitz- bzw. Rechtsstandszulage. Unerheblich sei, dass er zunächst keine Zulage erhalten habe. Die Besitzstandszulage sei erst zum Zeitpunkt der fiktiven Höhergruppierung entstanden.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm ab Februar 2004 eine Besitz- bzw. Rechtsstandszulage nach Maßgabe des Anhangs 2 Teil A des Entgelttarifvertrags für die Arbeitnehmer der Deutschen Post AG vom 1. September 2003 zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, der Kläger habe keinen tariflichen Anspruch auf Besitzstandszulage. Ein möglicher Besitzstand des Klägers sei bereits mit Wirkung zum 1. September 2003 aufgezehrt gewesen, da das ab diesem Zeitpunkt gezahlte Arbeitsentgelt (neu) unstreitig höher gewesen sei als die zum bis 31. August 2003 gezahlte Bruttobezugsvergütung (alt). Nach den Tarifbestimmungen könne ein einmal aufgezehrter Besitzstand nicht mehr aufleben. Dies ergebe sich auch aus der Ergebnisniederschrift Nr. 3/2003.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter. Der Kläger beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg. Zu Recht haben die Vorinstanzen der Klage stattgegeben.

Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung einer Besitz- bzw. Rechtsstandszulage ab dem 1. Februar 2004 nach dem ETV-DP AG Anhang 2 Teil A Absätze 1 und 5 in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen der Bezugsvergütung (alt) nach Maßgabe der früheren VG Vc und dem für den Kläger ab dem 1. September 2003 maßgeblichen Bezugsentgelt (neu) der Entgeltgruppe 4 Gruppenstufe 3. Dies ergibt eine Auslegung der Tarifbestimmungen.

1. Der normative Teil eines Tarifvertrages ist nach den für die Anwendung von Gesetzen geltenden Regeln auszulegen. Zunächst ist vom Tarifwortlaut auszugehen. Zu ermitteln ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne an dem Buchstaben zu haften. Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnormen zu berücksichtigen, sofern und soweit dieser Wille in den Tarifnormen seinen Niederschlag gefunden hat. Hierzu ist auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen, weil häufig nur aus ihm und nicht aus der einzelnen Tarifnorm auf den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien geschlossen und nur bei Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Sinn und Zweck zutreffend ermittelt werden kann (st. Rspr. des BAG vgl. Senat 28. Mai 1998 - 6 AZR 349/96 - AP BGB § 611 Bühnenengagementsvertrag Nr. 52 = EzA TVG § 4 Bühnen Nr. 5). Bleiben bei entsprechender Auswertung von Tarifwortlaut und Gesamtzusammenhang als den stets und in erster Linie heranzuziehenden Auslegungskriterien im Einzelfall noch Zweifel, so können die Gerichte ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge auf weitere Kriterien zurückgreifen, zB auf die Tarifgeschichte, die praktische Tarifübung und die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrags (vgl. BAG 4. April 2001 - 4 AZR 180/00 - BAGE 97, 271; 21. August 1997 - 5 AZR 517/96 - AP BGB § 616 Nr. 98). Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG 5. Oktober 1999 - 4 AZR 578/98 - AP TVG § 4 Verdienstsicherung Nr. 15 = EzA TVG § 4 Verdienstsicherung Nr. 8).

2. Nach § 30 Abs. 2 ETV-DP AG finden für Arbeitnehmer, die am 31. August 2003 bereits und am 1. September 2003 noch in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis als Angestellte zur Deutschen Post AG standen und stehen, die Regelungen des Anhangs 2 für die Dauer dieses Arbeitsverhältnisses Anwendung. Der Kläger erfüllt diese Voraussetzung. Er ist seit dem 1. Juli 2002 als Angestellter in der Dateneingabe bei der Niederlassung Rentenservice der Beklagten beschäftigt.

3. Der ETV-DP AG Anhang 2 sieht unter dem Teil A eine Besitz- und Rechtsstand Vergütung vor. Nach Teil A Abs. 1 erhält der Arbeitnehmer gemäß § 30 Abs. 2 für Zeiten mit Anspruch auf Monatsgrundentgelt gemäß § 2 Abs. 1 und 7 eine Besitzstandszulage "Vergütung" in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen der Bezugsvergütung gemäß Absatz 2 und dem Bezugsentgelt gemäß Absatz 3. Diese Besitzstandszulage wird bis zur Aufzehrung gezahlt. Zum Zeitpunkt der Umstellung der Vergütungssysteme am 1. September 2003 hatte der Kläger keinen Anspruch auf eine Besitzstandszulage, da zu diesem Zeitpunkt das Bezugsentgelt (neu) in Höhe von 2.007,00 Euro brutto höher war als die bis zum 31. August 2003 maßgebliche Bezugsvergütung (alt) in Höhe von 1.940,82 Euro.

4. Der Anspruch des Klägers folgt aber unmittelbar aus § 30 Abs. 2 ETV-DP AG iVm. Anhang 2 Teil A Abs. 5 Unterabs. 2 dieses Tarifvertrags. Nach dieser Tarifbestimmung ist für den Fall, dass der Angestellte zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses ETV und auf Grund der vor diesem Zeitpunkt für ihn anzuwendenden Regelungen der Anlage 2 zum TV Ang/TV Ang-O bezogen auf die im Feststellungsvermerk dokumentierte Bewertung bzw. Tätigkeit noch eine Grundvergütung nach einer höheren Vergütungsgruppe (Erfüllung einer Bewährungszeit und/oder von einem Zeitablauf) erhalten könnte, für den Angestellten zum Zeitpunkt der fiktiven Höhergruppierung der Besitzstand gemäß ETV-DP AG Anhang 2 Teil A Abs. 1 neu festzusetzen. Die Feststellung der Vergütungsgruppe und des fiktiven Eingruppierungsverlaufs erfolgt in einem Feststellungsvermerk nach den Regelungen der Anlage 6 zu Anhang 2.

Bereits im Zeitpunkt der Umstellung der Vergütungssysteme zum 1. September 2003 stand fest, dass der Kläger mit Wirkung zum 1. Februar 2004 eine Höhergruppierung in die VG Vc zu erwarten gehabt hätte, wenn es bei der alten Vergütungssystematik geblieben wäre. Dies ist dem Kläger von der Beklagten in dem "Vermerk zur Feststellung des Besitzstandes Vergütung", erstellt am 6. August 2003 und geprüft am 7. August 2003, ausdrücklich bestätigt worden. Nach dem unmissverständlichen Wortlaut der Tarifbestimmung ist in Bezug auf die Besitzstandszulage für den Angestellten zum Zeitpunkt der fiktiven Höhergruppierung der Besitzstand gemäß Anhang 2 Teil A Abs. 1 neu festzusetzen. Die Neufestsetzung zum 1. Februar 2004 ergab unter Berücksichtigung der zu diesem Zeitpunkt fiktiv erfolgten Höhergruppierung der Bezugsvergütung (alt) eine Differenz zu Lasten des Klägers, die durch die Besitzstandszulage auszugleichen ist. Der Wortlaut der tariflichen Regelung über den Anspruch auf Neufestsetzung des Besitzstandes zum Zeitpunkt einer fiktiven Höhergruppierung, wie er sich aus Anhang 2 Teil A Abs. 5 Unterabs. 2 Satz 1 ergibt, ist eindeutig und - wie das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen hat - auch nicht auslegungsfähig im Sinne der Rechtsauffassung der Beklagten. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht darauf hingewiesen, dass die Tarifbestimmung für den Anspruch auf Neufestsetzung des Besitzstandes nicht danach unterscheidet, ob der Angestellte in dem Zeitraum zwischen dem 1. September 2003 und dem Zeitpunkt der fiktiven Höhergruppierung ebenfalls bereits die Zahlung einer Besitzstandszulage beanspruchen konnte oder ob dies - wie vorliegend - zunächst noch nicht der Fall war. Für die gegenteilige Rechtsauffassung der Beklagten findet sich im Wortlaut der Tarifbestimmung von Teil A Abs. 5 Unterabs. 2 Satz 1 keine Grundlage.

5. Zu Recht haben die Vorinstanzen auch darauf hingewiesen, dass diese vom Wortlaut ausgehende Auslegung auch dem im Tarifvertrag zum Ausdruck gekommenen Willen der Tarifvertragsparteien und dem Sinn und Zweck der tariflichen Vorschrift entspricht. Mit den Besitz- und Rechtsstandsregelungen wollten die Tarifvertragsparteien erreichen, dass kein Arbeitnehmer mit der Einführung des neuen Vergütungssystems schlechter gestellt wird als bei weiterer Anwendung des alten Vergütungssystems. Zur Erreichung dieses Ziels haben sie den Besitzstand der Arbeitnehmer umfassend gesichert. Sie haben den Arbeitnehmern nicht nur den Status zum Zeitpunkt der Einführung des neuen Vergütungssystems am 1. September 2003 gesichert, sondern darüber hinaus auch noch die fiktive Entwicklung der Vergütung des Arbeitnehmers nach dem alten Tarifvertrag. Der erkennbare Sinn und Zweck der Regelung in ETV-DP AG Anhang 2 Teil A Abs. 5 Unterabs. 2 besteht darin, nicht nur solche durch die Änderung des Vergütungssystems entstehende Nachteile in der Entgelthöhe durch eine Besitzstandszulage auszugleichen, die im Zeitpunkt der Umstellung der Systeme am 1. September 2003 sofort entstanden waren, sondern auch solche, die erst zu einem späteren Zeitpunkt eingetreten sind, wenn sie dem Grunde, dem Zeitpunkt und der Höhe nach bereits zum Zeitpunkt der Umstellung des Vergütungssystems feststanden. Dies ist vorliegend gegeben. Wie aus dem Feststellungsvermerk der Beklagten vom 6./7. August 2003 hervorgeht, stand bereits mit Einführung des neuen Vergütungssystems am 1. September 2003 fest, dass der Kläger bei Beibehaltung des alten Vergütungssystems zum 1. Februar 2004 Anspruch auf eine höhere Vergütung gehabt hätte, die die dann mit der Einführung des neuen Vergütungssystems gültige Entgelthöhe überstiegen hätte.

6. Diesem Auslegungsergebnis kann auch nicht die Ansicht der Beklagten entgegengesetzt werden, dass die Besitzstandszulage des Klägers im Zeitpunkt der fiktiven Höhergruppierung zum 1. Februar 2004 bereits "aufgezehrt" iSv. ETV-DP AG Anhang 2 Teil A Abs. 1 Satz 2 gewesen sei und dass eine aufgezehrte Besitzstandszulage nicht habe neu entstehen können.

a) Das Landesarbeitsgericht weist zu Recht darauf hin, dass die von der Beklagten vorgenommene Auslegung des Begriffs der "Aufzehrung" durchgreifenden Bedenken begegnet. Der Hinweis des Landesarbeitsgerichts ist zutreffend, dass der Begriff "Aufzehrung" gleichbedeutend ist mit "verbrauchen". Es kann aber nur etwas verbraucht werden, was vorher tatsächlich vorhanden war. Ein vor dem 1. Februar 2004 nicht bestehender Anspruch des Klägers auf Zahlung einer Besitzstandszulage kann auch nicht verbraucht oder "aufgezehrt" worden sein. Der Besitzstand war vorliegend nicht bereits aufgezehrt, wie die Beklagte unzutreffend annimmt, sondern ist erst zum Zeitpunkt der fiktiven Höhergruppierung entstanden. Daher konnte er auch erst ab diesem Zeitpunkt aufgezehrt werden.

b) Darüber hinaus berücksichtigt die Rechtsansicht der Beklagten nicht den Gesamtzusammenhang der Tarifbestimmungen. Nach dem Gesamtzusammenhang der Tarifbestimmungen des ETV-DP AG Anhang 2 Teil A ist davon auszugehen, dass in Absatz 5 Sonderfälle und Ausnahmetatbestände zu Absatz 1 geregelt sind. Für den Fall, dass der Arbeitnehmer nach Absatz 1 keinen Anspruch auf die Besitzstandszulage hat, kann sich ein Anspruch des Arbeitnehmers auf die Besitzstandszulage unter den in Absatz 5 geregelten Voraussetzungen ergeben. Dies ist vorliegend der Fall.

c) Diesem Ergebnis stehen auch nicht die von der Beklagten herangezogenen schriftlichen Äußerungen der Tarifvertragsparteien in der Ergebnisniederschrift Nr. 3/2003 entgegen. Diese zu berücksichtigen, begegnet schon Bedenken, weil eine Auslegung nach Wortlaut, Sinn und Zweck und Gesamtzusammenhang einer Tarifbestimmung bereits ein eindeutiges Ergebnis zeigt und damit auf weitere Auslegungshilfen wie Niederschriften der Tarifvertragsparteien grundsätzlich nicht mehr zurückgegriffen werden kann. Die von der Beklagten herangezogene schriftliche Äußerung bezieht sich iÜ ohnehin nur auf den Begriff der "Aufzehrung des Besitzstandes" iSv. ETV-DP AG Anhang 2 Teil A Abs. 1 und kann für die Ausnahmevorschrift des Absatzes 5 nicht herangezogen werden. Darüber hinaus haben die Tarifvertragsparteien in der Anlage 6 zu der Ergebnisniederschrift Nr. 3/2003, wie vom Kläger vorgelegt, unter Ziff. 3 die Berücksichtigung einer fiktiven Höhergruppierung bei dem Anspruch auf Besitzstandszulage bereits skizziert, wie sie auch Gegenstand der Tarifbestimmung in ETV-DP AG Anhang 2 Teil A Absatz 5 Unterabs. 2 geworden ist.

7. Zu Recht hat auch das Arbeitsgericht bereits darauf hingewiesen, dass entgegen der Rechtsansicht der Beklagten nicht zu erwarten ist, dass bei der vorgenommenen Auslegung des Tarifvertrages immer wieder das "Hineinwachsen" in eine Besitzstandszulage erfolgen wird. Nach der tariflichen Regelung in ETV-DP AG Anhang 2 Teil A Abs. 5 Unterabs. 2 kommt der Sonderfall einer nachträglichen Neufestsetzung des Besitzstandes und damit auch des Anspruchs auf Besitzstandszulage nur dann in Betracht, wenn bereits im Zeitpunkt des Inkrafttretens des ETV-DP AG feststand, dass und wann eine fiktive Höhergruppierung eintreten würde und dieser Tatbestand in dem von der Beklagten anlässlich der Einführung eines neuen Vergütungssystems erstellten sog. Feststellungsvermerk bestätigt wurde. Auch im vorliegenden Sonderfall der Neufestsetzung des Besitzstandes unter der Voraussetzung einer fiktiven Höhergruppierung wird die Zulage auf künftige Tariflohnerhöhungen angerechnet. Mit diesen Regelungen haben die Tarifvertragsparteien den Schutz des "fiktiven Besitzstandes" der Arbeitnehmer begrenzt. Im Anschluss an die vorgenommene Neufestsetzung greift der in ETV-DP AG Anhang 2 Teil A Abs. 1 Satz 1 vorgesehene Aufzehrungsprozess ein.

Damit werden die Arbeitnehmer, die bei der Umstellung der Vergütungssysteme ab dem 1. September 2003 durchgehend eine Besitzstandszulage erhalten haben, als auch die Arbeitnehmer, die diese Besitzstandszulage erst später erhielten, durch Aufzehrung den Anspruch künftig verlieren.

Ende der Entscheidung

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