Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 28.06.2007
Aktenzeichen: 6 AZR 873/06
Rechtsgebiete: KSchG


Vorschriften:

KSchG § 4
KSchG § 7
KSchG § 13 Abs. 1
Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis innerhalb der sechsmonatigen Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG außerordentlich, hat der Arbeitnehmer, der die Unwirksamkeit der Kündigung geltend machen will, gem. § 13 Abs. 1 Satz 2, § 4 Satz 1 KSchG innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung Kündigungsschutzklage zu erheben (Aufgabe von BAG 17. August 1972 - 2 AZR 415/71 - BAGE 24, 401).
BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! URTEIL

6 AZR 873/06

Verkündet am 28. Juni 2007

In Sachen

hat der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 28. Juni 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Fischermeier, die Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Armbrüster und Dr. Linck sowie den ehrenamtlichen Richter Dr. Beus und die ehrenamtliche Richterin Stang für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 11. Mai 2006 - 16 Sa 2151/05 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Parteien streiten in der Revision noch über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch die Beklagte und Annahmeverzugsansprüche.

Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 8. November 2004 als Kraftfahrer zu einem Bruttomonatsverdienst iHv. 1.495,00 Euro beschäftigt. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag wurde nicht geschlossen. Nach vorheriger Abmahnung kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 1. März 2005, das dem Kläger noch am selben Tage durch Boten zugeleitet wurde, wegen Arbeitsverweigerung fristlos.

Mit seiner am 31. März 2005 beim Arbeitsgericht eingegangenen und später erweiterten Klage hat der Kläger die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 1. März 2005 und - soweit in der Revision noch von Bedeutung - Vergütungsansprüche für den Monat März 2005 geltend gemacht.

Der Kläger hat beantragt:

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 1. März 2005 nicht fristlos, sondern fristgemäß mit Ablauf des 31. März 2005 aufgelöst worden ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.495,00 Euro brutto zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Kündigung gelte als wirksam, weil der Kläger erst nach Ablauf der Drei-Wochen-Frist Kündigungsschutzklage erhoben habe. Deshalb bestünden auch keine Annahmeverzugsansprüche.

Die Vorinstanzen haben die Klage in dem in der Revision noch anhängigen Umfang abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Revision ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen.

I. Die Revision ist zulässig. Die Revisionsschrift ist ordnungsgemäß unterzeichnet. Die Unterschrift erfüllt die förmlichen Anforderungen des § 130 ZPO. Sie enthält einen individuellen Schriftzug, der sich - ohne lesbar sein zu müssen - als Wiedergabe eines Namens darstellt und die Absicht der vollen Unterschriftsleistung erkennen lässt (zu diesen Anforderungen BAG 30. August 2000 - 5 AZB 17/00 - AP ZPO § 130 Nr. 17 = EzA ZPO § 519 Nr. 11).

II. Die Revision ist nicht begründet. Die Kündigung vom 1. März 2005 gilt gem. § 13 Abs. 1 Satz 2, § 4 Satz 1, § 7 KSchG als wirksam. Der Kläger hat erst nach Ablauf der Drei-Wochen-Frist mit einem beim Arbeitsgericht am 31. März 2005 eingegangenen Schriftsatz Klage erhoben. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger noch nicht die Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG erfüllt hat.

1. Nach der Senatsrechtsprechung gilt die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG auch bei ordentlichen Kündigungen innerhalb der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses. Das ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 4 Satz 1 KSchG, der insoweit keine Einschränkung enthält. Die zum 1. Januar 2004 in Kraft getretene Fassung des § 4 Satz 1 KSchG fordert vom Arbeitnehmer nicht nur, innerhalb der Drei-Wochen-Frist die mangelnde soziale Rechtfertigung geltend zu machen, er hat vielmehr auch innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Kündigungsschutzklage zu erheben, wenn er geltend machen will, die Kündigung sei aus anderen Gründen rechtsunwirksam. Damit werden auch außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes liegende Unwirksamkeitsgründe von der Drei-Wochen-Frist erfasst. Das entspricht dem Zweck der Neuregelung des § 4 Satz 1 KSchG. Nach Ablauf der Drei-Wochen-Frist soll Klarheit darüber herrschen, ob die Kündigung wirksam ist oder nicht. Allein die mangelnde Schriftform kann noch nach Ablauf der Drei-Wochen-Frist geltend gemacht werden, weil § 4 Satz 1 KSchG nur für schriftliche Kündigungen gilt (Senat 9. Februar 2006 - 6 AZR 283/05 - AP KSchG 1969 § 4 Nr. 56 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 73).

2. Nichts anderes gilt, wenn der Arbeitgeber innerhalb der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG eine außerordentliche Kündigung erklärt. Die vom Bundesarbeitsgericht zu der bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Fassung des Kündigungsschutzgesetzes vertretene Auffassung, § 1 Abs. 1 und § 14 KSchG regelten den persönlichen Geltungsbereich für den ersten Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes in der Weise, dass § 14 KSchG eine bestimmte Personengruppe, nämlich die Angestellten in leitender Stellung, allgemein ausschließe und § 1 Abs. 1 KSchG für den dann verbleibenden Kreis der Arbeitnehmer nochmals diejenigen ausscheide, die noch nicht länger als sechs Monate beschäftigt seien (BAG 17. August 1972 - 2 AZR 415/71 - BAGE 24, 401; BAG 27. Januar 1955 - 2 AZR 418/54 - BAGE 1, 272; BAG 15. September 1955 - 2 AZR 475/54 - BAGE 2, 194), ist durch die zum 1. Januar 2004 in Kraft getretene Neufassung des Kündigungsschutzgesetzes überholt und wird aufgegeben.

a) § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG verweist für die Geltendmachung der Rechtsunwirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung einschränkungslos auf § 4 Satz 1 und die §§ 5 bis 7 KSchG. Während § 14 Abs. 1 KSchG die dort genannten Personen ausdrücklich aus dem Geltungsbereich der §§ 1 bis 14 KSchG herausnimmt, sieht § 1 Abs. 1 KSchG lediglich vor, dass die Kündigung durch den Arbeitgeber der sozialen Rechtfertigung bedarf, wenn das Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate bestanden hat. Weitergehende Rechtsfolgen in Bezug auf die Kündigungsschutzklage regelt § 1 Abs. 1 KSchG nicht. Durch diese Bestimmung wird - anders als durch § 14 Abs. 1 KSchG - gerade nicht der gesamte erste Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes für unanwendbar erklärt. Da nach der seit dem 1. Januar 2004 geltenden Fassung des Kündigungsschutzgesetzes gemäß § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG auch Arbeitnehmer in sog. Kleinbetrieben die Drei-Wochen-Frist einzuhalten haben (v. Hoyningen-Huene/Linck 14. Aufl. § 23 Rn. 45; KR-Friedrich 8. Aufl. § 4 KSchG Rn. 11a; HaKo-Gallner 2. Aufl. § 4 KSchG Rn. 2b; Richardi DB 2004, 486, 489), gibt es neben § 14 Abs. 1 KSchG keine Vorschrift, die Arbeitnehmer vollständig vom Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes ausschließt.

b) Die Anwendung von § 13 Abs. 1 Satz 2, § 4 Satz 1 KSchG auf außerordentliche Kündigungen innerhalb der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG entspricht dem Zweck der Drei-Wochen-Frist, alsbald Klarheit zu erlangen, ob die Kündigung wirksam ist oder nicht. Es gibt keinen Grund, Arbeitnehmer, die noch nicht die Wartezeit erfüllt haben, von diesem Erfordernis auszunehmen. Im Gegenteil: Fände die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG nicht auch auf außerordentliche Kündigungen innerhalb der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG Anwendung, könnte der kurzzeitig beschäftigte Arbeitnehmer die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung bis zur Grenze der Verwirkung (§ 242 BGB) geltend machen. Damit wären Arbeitnehmer, die innerhalb der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG gekündigt werden, gegenüber den Arbeitnehmern bessergestellt, die schon lange Jahre beschäftigt sind und deshalb gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2, § 4 Satz 1 KSchG innerhalb der Frist von drei Wochen Kündigungsschutzklage erheben müssen, um den Eintritt der Fiktionswirkung des § 7 KSchG zu verhindern. Für diese unterschiedliche Behandlung gibt es keinen sachlichen Grund (ebenso APS/Biebl 2. Aufl. § 13 KSchG Rn. 14; HaKo-Fiebig § 13 Rn. 12; KR-Friedrich § 13 KSchG Rn. 26; v. Hoyningen-Huene/Linck § 4 Rn. 14).

c) Soweit der Senat hiermit von der Rechtsprechung des Zweiten Senats abweicht, liegen die Voraussetzungen für eine Anrufung des Großen Senats nach § 45 Abs. 3 ArbGG nicht vor. Die abweichenden Entscheidungen des Zweiten Senats sind zur alten Gesetzesfassung ergangen und durch die zum 1. Januar 2004 in Kraft getretene Neufassung des Kündigungsschutzgesetzes überholt.

3. Der Kläger hat gegen die ihm am 1. März 2005 zugegangene außerordentliche Kündigung erst nach Ablauf der Drei-Wochen-Frist mit einem am 31. März 2005 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Kündigungsschutzklage erhoben. Die Kündigung gilt deshalb gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2, § 7 KSchG als wirksam. Ob tatsächlich ein Kündigungsgrund vorlag, bedarf deshalb keiner Prüfung mehr. Annahmeverzugsansprüche bestehen wegen der wirksamen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht.

III. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

Ende der Entscheidung

Zurück