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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 29.06.2000
Aktenzeichen: 6 AZR 900/98
Rechtsgebiete: BAT, TVG


Vorschriften:

BAT § 15 Abs. 6 b
TVG § 1 Auslegung
Leitsätze:

Ein Angestellter des öffentlichen Dienstes, der verpflichtet ist, auf Anordnung seines Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit ein auf Empfang geschaltetes Funktelefon mitzuführen, um auf telefonischen Abruf Arbeit zu leisten, die darin besteht, daß er über dieses Funktelefon Anordnungen trifft oder weiterleitet, leistet während der Dauer dieser Verpflichtung Rufbereitschaft iSd. § 15 Abs. 6 b BAT.

Aktenzeichen: 6 AZR 900/98 Bundesarbeitsgericht 6. Senat Urteil vom 29. Juni 2000 - 6 AZR 900/98 -

I. Arbeitsgericht Kiel - 3 Ca 1270 a/97 - Urteil vom 18. Februar 1998

II. Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein - 4 Sa 318/98 - Urteil vom 15. Oktober 1998


BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! URTEIL

6 AZR 900/98 4 Sa 318/98

Verkündet am 29. Juni 2000

Schneider, der Geschäftsstelle

In Sachen

Kläger, Berufungskläger und Revisionskläger,

pp.

Beklagte, Berufungsbeklagte und Revisionsbeklagte,

hat der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 29. Juni 2000 durch den Vizepräsidenten des Bundesarbeitsgerichts Dr. Peifer, den Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Armbrüster und die Richterin am Bundesarbeitsgericht Gräfl sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Steinhäuser und Stahlheber für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 15. Oktober 1998 - 4 Sa 318/98 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 18. Februar 1998 - ö.D. 3 Ca 1270 a/97 - abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.753,75 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 12. Mai 1997 zu zahlen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Von Rechts wegen !

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger für Zeiten, in denen er außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit über ein Funktelefon erreichbar sein und bei Bedarf telefonisch dienstliche Anordnungen, zB Einsatzentscheidungen, treffen muß, Rufbereitschaftsvergütung zusteht.

Der Kläger ist als Verwaltungsangestellter beim Technischen Hilfswerk (THW) in der Dienststelle des THW-Landesbeauftragten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) Anwendung.

Das THW verpflichtet geeignete entscheidungsbefugte Mitarbeiter des höheren und gehobenen Dienstes, zu denen der Kläger gehört, nach einem im voraus festgelegten Plan außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit erreichbar zu sein. Ursprünglich wurden diese Mitarbeiter telefonisch benachrichtigt. Bis zum 31. Dezember 1995 waren sie zuletzt mit Euro-Signal-Empfängern (sog. "Euro-Piepern") ausgestattet und erhielten für Zeiten, in denen sie außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit über dieses Gerät erreichbar sein mußten, Rufbereitschaftsvergütung. Ab dem 1. Januar 1996 ersetzte die Beklagte die Euro-Pieper durch Funktelefone. Rufbereitschaftsvergütung gewährt sie seitdem nicht mehr.

Der Kläger war in der Zeit von Januar 1996 bis März 1997 mehrfach monatlich in dieses Alarmsystem einbezogen. Dafür begehrt er Rufbereitschaftsvergütung in unstreitiger Höhe von 4.753,75 DM.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, für Zeiten, in denen er außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit über ein Funktelefon erreichbar sein müsse, stehe ihm nach § 15 Abs. 6 b BAT Rufbereitschaftsvergütung zu. Es sei kein Unterschied, ob er mittels Euro-Piepers oder über Funktelefon alarmiert werde. Auch die Verpflichtung, über ein Funktelefon erreichbar zu sein, stelle einen erheblichen Eingriff in die Freizeitgestaltung dar. Daß er dem Arbeitgeber seinen Aufenthaltsort nicht anzeigen müsse und sich bei Abruf nicht zu einem bestimmten Arbeitsort begeben müsse, sondern seine Arbeitsleistung telefonisch erbringen könne, hindere die Annahme von Rufbereitschaft nicht. Entscheidend sei, daß er zum Zwecke der Arbeitsaufnahme erreichbar sein müsse.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.753,75 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich ergebenden Nettobetrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, die Heranziehung über Funktelefon sei keine Rufbereitschaft im tariflichen Sinne. Der Kläger unterliege keinen Beschränkungen hinsichtlich eines Aufenthaltsortes und müsse somit einen solchen dem Arbeitgeber auch nicht anzeigen. Während der Kläger bei Abruf über einen Euro-Pieper je nach Art des Einsatzes die Dienststelle habe aufsuchen müssen, um die weiteren Dienstgeschäfte wahrzunehmen, könne er dies jetzt von seinem jeweiligen Aufenthaltsort aus mit dem Handy erledigen. Es sei ihm auch möglich, sich an Orten aufzuhalten, an denen die Benutzung eines Funktelefons nicht möglich oder nicht erwünscht sei. In diesem Fall bestehe lediglich die Verpflichtung, eine Rufweiterleitung auf einen Kollegen vorzunehmen. Allein das Mitführen eines empfangsbereiten Funktelefons stelle keine Belastung dar, die die tarifliche Rufbereitschaftsvergütung rechtfertige.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Der Klage war unter Aufhebung des Berufungsurteils und Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils stattzugeben.

I. Das Landesarbeitsgericht hat die tariflichen Voraussetzungen eines Anspruchs auf Rufbereitschaftsvergütung verneint. Es hat angenommen, diese Vergütung diene dazu, die mit der Rufbereitschaft verbundenen Erschwernisse auszugleichen. Dabei trage der Arbeitnehmer die Last der ständigen Mitteilung der Erreichbarkeit, er müsse sich in einer gewissen räumlichen Nähe zum Einsatzort bzw. Dienstsitz aufhalten und bereit und in der Lage sein, diesen ggf. auch aufzusuchen. Derartigen Einschränkungen in der Freizeitgestaltung unterliege der Kläger nicht. Er sei nicht verpflichtet, dem Arbeitgeber seinen jeweiligen Aufenthaltsort anzuzeigen. Außerdem müsse er nicht in der Lage sein, innerhalb angemessener Zeit einen Einsatzort zu erreichen, vielmehr könne er die von ihm geforderte Arbeitsleistung per Telefon an dem Ort erbringen, an dem er sich gerade befinde. Die mit der Verpflichtung zur Erreichbarkeit über ein Funktelefon verbundene Unbequemlichkeit rechtfertige die Zahlung von Rufbereitschaftsvergütung nicht.

II. Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts steht dem Kläger für Zeiten, in denen er außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit über Funktelefon erreichbar sein mußte, Rufbereitschaftsvergütung nach § 15 Abs. 6 b BAT zu.

Nach Unterabs. 1 dieser Bestimmung liegt Rufbereitschaft vor, wenn der Angestellte verpflichtet ist, sich auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer dem Arbeitgeber anzuzeigenden Stelle aufzuhalten, um auf Abruf die Arbeit aufzunehmen. Die vom THW angeordnete Abrufbarkeit über Funktelefon erfüllt diese Voraussetzungen.

Während ihrer Dauer ist der Kläger durch die Anordnung seines Arbeitgebers in der Bestimmung seines Aufenthalts beschränkt. Er ist verpflichtet, Aufenthaltsorte zu wählen, an denen er über ein von ihm ständig betriebs- und empfangsbereit zu haltendes Funktelefon erreicht werden kann. Dazu gehört, daß er sich von dem Funktelefon nicht außer Hörweite entfernt und Orte meidet, an denen Funktelefone nicht betrieben werden können oder dürfen. Um diesen Zustand zu beenden, hat er eine Rufumleitung zu einem Kollegen vorzunehmen, der seinerseits abrufbereit sein muß. Diese Form der angeordneten Bereitschaft eines Angestellten erfüllt den Tarifbegriff der Rufbereitschaft. Zwar ist der Kläger nicht verpflichtet, sich während der Dauer der Anordnung an einem bestimmten, dem Arbeitgeber anzuzeigenden Ort aufzuhalten, noch muß er im Bedarfsfall den Betrieb oder einen sonstigen Einsatzort aufsuchen, um dort die Arbeit aufzunehmen, sondern kann die Arbeitsleistung erbringen, indem er von seinem Standort aus das Notwendige fernmündlich veranlaßt. Beides hindert die Annahme von Rufbereitschaft jedoch nicht. Dies ergibt die Auslegung des Tarifvertrags.

1. Nach Sinn und Zweck der tariflichen Regelung soll die Rufbereitschaft, ebenso wie der Bereitschaftsdienst gemäß § 15 Abs. 6 a BAT, dem Arbeitgeber ermöglichen, den Angestellten auch außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit bei Bedarf zur Arbeitsleistung zu verpflichten. Anders als bei Bereitschaftsdienst kann der Angestellte bei Rufbereitschaft seinen Aufenthaltsort selbst bestimmen. Er muß diesen Ort so wählen, daß er die Arbeit auf Abruf aufnehmen kann, und muß ihn dem Arbeitgeber anzeigen (BAG 19. Dezember 1991 - 6 AZR 592/89 - AP BMT-G II § 67 Nr. 1 = EzA BGB § 611 Arbeitsbereitschaft Nr. 1; Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese BAT Stand Juni 2000 § 15 Erl. 19 a; Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr BAT Stand Juni 2000 § 15 Rn. 55; Jobs/Zimmer ZTR 1995, 483). Ist - wie hier - die jederzeitige Erreichbarkeit durch ein vom Arbeitgeber zur Verfügung gestelltes und vom Arbeitnehmer empfangsbereit zu haltendes Funktelefon sichergestellt, besteht für den Aufenthalt an einem bestimmten Ort kein Bedürfnis, soweit es um den Abruf des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber geht. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts schließt dies Rufbereitschaft im Tarifsinne nicht aus. Wäre die hier streitige Arbeitgebermaßnahme nicht als Anordnung von Rufbereitschaft anzusehen, bestünde für diese Form der Heranziehung keine Rechtsgrundlage, weil der Angestellte mangels tarifvertraglicher oder arbeitsvertraglicher Vereinbarung außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit weder zur Arbeit noch zur Arbeitsbereitschaft verpflichtet ist. Dieses Ergebnis widerspräche dem Zweck der tariflichen Regelung. Es soll durch die in § 15 Abs. 6 b BAT vereinbarte Möglichkeit der Rufbereitschaft gerade vermieden werden.

2. Rufbereitschaft ist nicht deshalb zu verneinen, weil der Kläger abweichend vom Tarifwortlaut dem Arbeitgeber seinen jeweiligen Aufenthaltsort nicht anzeigen muß. Die Kenntnis vom Aufenthaltsort des Angestellten benötigt der Arbeitgeber nur, wenn sie erforderlich ist, um den Angestellten erreichen zu können. Dieses Interesse entfällt, wenn der Angestellte - wie hier- über ein vom Arbeitgeber zur Verfügung gestelltes Funktelefon jederzeit angerufen werden kann. Nach Sinn und Zweck der tariflichen Regelung liegt daher auch in einem solchen Fall Rufbereitschaft vor.

3. Die Rufbereitschaft wird entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Kläger sich bei Abruf nicht in den Betrieb begeben muß, um die Arbeit aufzunehmen, sondern die Arbeit leistet, indem er von seinem Standort aus das Notwendige fernmündlich veranlaßt, zB Einsatzaufträge erteilt, Anordnungen trifft oder Anweisungen weiterleitet. Dem Wortlaut des § 15 Abs. 6 b BAT ist nicht zu entnehmen, daß zwischen Abruf und Arbeitsaufnahme eine Ortsveränderung des Angestellten liegen muß. Maßgeblich ist nur, daß die Arbeit auf Abruf aufgenommen werden kann. Wo und wie dies zu geschehen hat, bestimmt der Tarifvertrag nicht. Rufbereitschaft liegt deshalb auch vor, wenn die Arbeit an dem Ort geleistet werden kann, an dem der Angestellte sich gerade befindet, wenn dies also, wie hier, nach der Art der geschuldeten Tätigkeit möglich ist und nicht voraussetzt, daß Betriebsräume oder ein sonst für die Arbeitsleistung erforderlicher Platz aufgesucht werden müssen.

Für diese Auslegung spricht auch die Regelung in § 15 Abs. 6 b Unterabs. 3 BAT. Nach ihr wird für angefallene Arbeit einschließlich einer "etwaigen" Wegezeit neben der Rufbereitschaftsvergütung die Überstundenvergütung gezahlt. Daraus folgt, daß ein Weg zwischen dem Ort des Abrufs und dem des Einsatzes für den Tarifbegriff der Rufbereitschaft nicht konstitutiv ist.

4. Dieses Auslegungsergebnis wird auch vom Ausnahmecharakter der Tarifregelung gefordert. Eine Heranziehung des Angestellten außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit stellt einen Eingriff in die Freizeitgestaltung dar, den die Tarifvertragsparteien als nicht mehr vom Tarifgehalt abgedeckt und daher gesondert vergütungspflichtig ansehen. Dieser Eingriff ist durch den Fortschritt der Technik nicht entfallen.

Zwar mögen Angestellte wie der Kläger, die mit Funktelefonen ausgestattet sind und ihre Arbeitsleistung im Bedarfsfall über dieses Telefon erbringen können, hinsichtlich ihrer Freizeitgestaltung häufig geringeren Einschränkungen unterliegen als Angestellte, die die Arbeit im Bedarfsfall im Betrieb oder an einem anderen Einsatzort aufnehmen müssen. Sie können sich auch an weiter entfernten Orten aufhalten, sofern sie nur erreichbar und in der Lage sind, die Tätigkeit aufzunehmen. Dies führt aber nicht dazu, daß in Fällen dieser Art Rufbereitschaft im Tarifsinne zu verneinen wäre. Mangels entsprechender Anhaltspunkte in der tariflichen Regelung kann nicht angenommen werden, daß ein solcher Eingriff des Arbeitgebers in die Freizeit des Arbeitnehmers abweichend von dem in §§ 611, 612 BGB zum Ausdruck kommenden Grundsatz ohne Vergütung zulässig sein soll.

Zuzugeben ist der Beklagten, daß die moderne Kommunikationstechnik die Ausübung von Rufbereitschaft erheblich erleichtert hat und Angestellte dadurch häufig geringeren Beschränkungen unterliegen als Angestellte, die Rufbereitschaft in der herkömmlichen Weise leisten, die der Tarifwortlaut in erster Linie im Auge hat. Dies ist jedoch für die Frage, ob Rufbereitschaft im Tarifsinne vorliegt, unerheblich. Es ist Sache der Tarifvertragsparteien zu entscheiden, ob von ihnen vereinbarte Arbeitsbedingungen wegen des technischen Fortschritts und damit einhergehender Arbeitserleichterungen geändert werden müssen. Da die Tarifvertragsparteien eine solche Änderung bisher nicht vorgenommen haben, steht dem Kläger für die Dauer der Abrufbarkeit über Funktelefon die in § 15 Abs. 6 b Unterabs. 2 BAT festgelegte, der Höhe nach unstreitige Rufbereitschaftsvergütung zu.

5. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.



Ende der Entscheidung

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