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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 10.11.2004
Aktenzeichen: 7 ABR 12/04
Rechtsgebiete: BetrVG, KSchG


Vorschriften:

BetrVG § 7
BetrVG § 8 Abs. 1
BetrVG § 19 Abs. 1
BetrVG § 19 Abs. 2
BetrVG § 20 Abs. 1
BetrVG § 20 Abs. 2
BetrVG § 24 Nr. 3
BetrVG § 25 Abs. 1
KSchG § 4
Der ordentlich gekündigte Arbeitnehmer bleibt für die Wahl des Betriebsrats nach § 8 Abs. 1 BetrVG wählbar, wenn er eine Kündigungsschutzklage erhoben hat. Das gilt auch dann, wenn die Betriebsratswahl nach Ablauf der Kündigungsfrist durchgeführt und der gekündigte Arbeitnehmer nicht weiterbeschäftigt wird.
BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! BESCHLUSS

7 ABR 12/04

Verkündet am 10. November 2004

In dem Beschlussverfahren

hat der Siebte Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der Beratung vom 10. November 2004 durch den Vizepräsidenten des Bundesarbeitsgerichts Dörner, die Richterin am Bundesarbeitsgericht Gräfl und den Richter am Bundesarbeitsgericht Krasshöfer sowie die ehrenamtlichen Richter Prof. Dr. Zachert und Dr. Koch für Recht erkannt:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 18. November 2003 - 3 TaBV 8/03 - wird zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

Gründe:

A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der Wahl des Betriebsrats vom 14. April 2003 im Freizeitbad W. der antragstellenden Arbeitgeberin.

Mit Aushang vom 16. Januar 2003, unterzeichnet mit "Mitarbeiter des W.", wurden die Arbeitnehmer der Arbeitgeberin zu einer Informationsveranstaltung am 23. Januar 2003 über die geplante Durchführung einer Betriebsratswahl eingeladen. Mit Schreiben vom 21. Januar 2003 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis mit den Arbeitnehmern A., K. und W. ordentlich betriebsbedingt zum 28. Februar 2003. Diese erhoben am 31. Januar 2003 beim Arbeitsgericht Schwerin Kündigungsschutzklage. Sie wurden über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus nicht weiterbeschäftigt.

Die drei gekündigten Arbeitnehmer kandidierten für die Wahl des Betriebsrats und waren auf der am 11. März 2003 veröffentlichten Vorschlagsliste genannt. Mit Schriftsatz vom 12. März 2003 leitete die Arbeitgeberin ein einstweiliges Verfügungsverfahren vor dem Arbeitsgericht Schwerin ein und beantragte ua. festzustellen, dass die drei Arbeitnehmer für die Betriebsratswahl nicht wählbar sind. Der Antrag wurde durch das Arbeitsgericht Schwerin mit Beschluss vom 4. April 2003 zurückgewiesen. Die hiergegen erhobene Beschwerde der Arbeitgeberin wurde vom Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern durch Beschluss vom 10. April 2003 zurückgewiesen.

Die Betriebsratswahl fand am 14. April 2003 statt. Das vom Wahlvorstand am selben Tag bekannt gegebene Wahlergebnis ergab für Frau W. 29 Stimmen, Herrn K. 22 Stimmen und Herrn A. 14 Stimmen. Damit war Frau W. in den Betriebsrat gewählt. Die Arbeitnehmer K. und A. wurden erstes und zweites Ersatzmitglied. Die Arbeitnehmer A. und W. schlossen in den beim Arbeitsgericht Schwerin anhängigen Kündigungsschutzverfahren im Juli und im Oktober 2003 jeweils einen Vergleich, der zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 28. Februar 2003 führte.

Mit der am 17. April 2003 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antragsschrift hat die Arbeitgeberin die Betriebsratswahl angefochten. Sie hat die Auffassung vertreten, die gekündigten Arbeitnehmer seien für den Betriebsrat nicht wählbar gewesen.

Die Arbeitgeberin hat beantragt

die Betriebsratswahl vom 14. April 2003 für unwirksam zu erklären.

Der Betriebsrat hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, gekündigte Arbeitnehmer, die eine Kündigungsschutzklage erhoben hätten, seien für den Betriebsrat weiterhin wählbar. Dies gelte nicht nur für außerordentliche, sondern auch für ordentliche Kündigungen.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die dagegen gerichtete Beschwerde der Arbeitgeberin zurückgewiesen. Diese verfolgt mit der Rechtsbeschwerde ihren Wahlanfechtungsantrag weiter.

B. Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin ist unbegründet. Die in ihrem Betrieb Wi. am 14. April 2003 durchgeführte Betriebsratswahl ist wirksam. Die ordentlich gekündigten Arbeitnehmer A., K. und W. durften für das Amt des Betriebsrats kandidieren. Sie waren nach § 8 BetrVG wählbar. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.

I. Der Antrag, der nach § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG anfechtungsberechtigten Arbeitgeberin ist zulässig. Sie hat die Wahl, deren Ergebnis am 14. April 2003 bekannt gemacht wurde, am 17. April 2003 und damit innerhalb der zweiwöchigen Anfechtungsfrist nach § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG fristgerecht angefochten.

II. Der Antrag ist unbegründet.

Nach § 19 Abs. 1 BetrVG kann die Betriebsratswahl angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden ist und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht verändert oder beeinflusst werden konnte. Diese Voraussetzungen liegen wegen der Wahlbewerbung der gekündigten Arbeitnehmer nicht vor. Sie waren wählbar. Deshalb wurde nicht gegen § 8 BetrVG verstoßen. Denn gekündigte Arbeitnehmer verlieren ihre Wählbarkeit wenigstens bis zum rechtskräftigen Abschluss der von ihnen geführten Kündigungsschutzprozesse nicht. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kommt es nicht darauf an, ob sie auch während der Betriebsratswahl tatsächlich weiterbeschäftigt wurden oder nicht.

1. Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 BetrVG sind wählbar alle Wahlberechtigten, die sechs Monate dem Betrieb angehören. Wahlberechtigt sind nach § 7 Satz 1 BetrVG alle Arbeitnehmer des Betriebs. Das sind Arbeitnehmer, die in einem Arbeitsverhältnis zum Betriebsinhaber stehen und in die Betriebsorganisation des Arbeitgebers eingegliedert sind (BAG 10. März 2004 - 7 ABR 49/03 - AP BetrVG 1972 § 7 Nr. 8, zu B I 1 a aa der Gründe). Zu den konstitutiven Merkmalen der Betriebszugehörigkeit gehört damit einerseits ein Arbeitsverhältnis zum Betriebsinhaber, andererseits die tatsächliche Eingliederung des Arbeitnehmers in dessen Betriebsorganisation (BAG 22. März 2000 - 7 ABR 34/98 - BAGE 94, 144 = AP AÜG § 14 Nr. 8 = EzA AÜG § 14 Nr. 4, zu B II 2 a aa der Gründe).

a) Die arbeitsvertraglichen Beziehungen werden bei der ordentlichen Kündigung mit Ablauf der Kündigungsfrist beendet. Die gekündigten Arbeitnehmer sind nicht mehr eingegliedert, sobald sie nach Ablauf der Kündigungsfrist nicht mehr weiterbeschäftigt werden. Sie sind dann nicht wahlberechtigt (BAG 14. Mai 1997 - 7 ABR 26/96 - BAGE 85, 370 = AP BetrVG 1972 § 8 Nr. 6 = EzA BetrVG 1972 § 8 Nr. 8, zu B II 2 der Gründe). Denn das aktive Wahlrecht setzt im Falle der Kündigung des Arbeitnehmers voraus, dass bei ordentlicher Kündigung entweder am Wahltag die Kündigungsfrist noch nicht abgelaufen ist oder nach diesem Termin eine vorläufige Weiterbeschäftigung erfolgt (BAG 15. Januar 1991 - 1 AZR 105/90 - BAGE 67, 35 = AP BPersVG § 4 Nr. 4 = EzA BGB § 611 Beschäftigungspflicht Nr. 50, zu B I 2 a der Gründe).

b) Verliert der Arbeitnehmer sein Wahlrecht, so verliert er zugleich seine Wählbarkeit. Das gilt jedoch dann nicht, wenn ein gekündigter Arbeitnehmer eine Kündigungsschutzklage erhoben hat. Das hat der Senat für die Betriebsratswahl nach Ausspruch einer außerordentlichen fristlosen Kündigung entschieden (14. Mai 1997 - 7 ABR 26/96 - BAGE 85, 370 = AP BetrVG 1972 § 8 Nr. 6 = EzA BetrVG 1972 § 8 Nr. 8, zu B II 2 der Gründe). Für die Wählbarkeit eines ordentlich gekündigten Arbeitnehmers gilt nichts anderes.

aa) Erhebt der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage nach § 4 KSchG, bleibt die rechtswirksame Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die Kündigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens in der Schwebe. Ebenso wenig steht fest, ob seine Eingliederung auf Dauer beendet oder nur unterbrochen wurde. Deshalb gilt ein Arbeitnehmer hinsichtlich der Wählbarkeit solange als betriebszugehörig, als nicht rechtskräftig geklärt ist, ob die ihm gegenüber ausgesprochene Kündigung wirksam war (Fitting BetrVG 22. Aufl. § 8 Nr. 19; ErfK/Eisemann 5. Aufl. § 8 BetrVG Rn. 3; Richardi/Thüsing BetrVG 9. Aufl. § 8 Rn. 14; aA GK-BetrVG/Kreutz 7. Aufl. § 8 Rn. 3; MünchArbR/Joost 2. Aufl. § 304 Rn. 82).

bb) Diese Unterscheidung zwischen Wählbarkeit nach § 8 BetrVG und Wahlberechtigung nach § 7 BetrVG bei gekündigten und nicht weiterbeschäftigten Arbeitnehmern folgt aus dem unterschiedlichen Schutzzweck der beiden Normen über das aktive und passive Wahlrecht. Wahlberechtigung und Wählbarkeit unterscheiden sich grundlegend. Zum Zeitpunkt der Wahl muss feststehen, ob der Arbeitnehmer nach § 7 BetrVG wählen darf oder nicht. Die Beteiligung nicht wahlberechtigter Arbeitnehmer kann nicht mehr korrigiert werden. Ebenso wenig kann die Stimmabgabe eines gekündigten Arbeitnehmers nachgeholt werden, sobald rechtskräftig die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung festgestellt wird. Dagegen kann die Wählbarkeit in der Schwebe bleiben. Denn bei ihr wird der Ungewissheit über den Ausgang des Kündigungsschutzverfahrens dadurch Rechnung getragen, dass das Betriebsratsmitglied bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens an der Ausübung seines Amtes verhindert ist. In diesem Fall tritt das Ersatzmitglied nach § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG vorübergehend in das Amt ein (BAG 14. Mai 1997 - 7 ABR 26/96 - BAGE 85, 370 = AP BetrVG 1972 § 8 Nr. 6 = EzA BetrVG 1972 § 8 Nr. 8, zu B II 2 der Gründe). Stellt sich nach der Wahl die Unwirksamkeit der Kündigung heraus, entfällt der Hinderungsgrund. Das gewählte Betriebsratsmitglied kann sein Betriebsratsamt ausüben. Wird dagegen die Kündigungsschutzklage abgewiesen, erlischt die Mitgliedschaft im Betriebsrat nach § 24 Nr. 3 BetrVG. Das Ersatzmitglied rückt endgültig gem. § 25 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nach.

cc) Diese Geschehensinterpretation des Senats sichert den Schutz der Betriebsratswahl vor Behinderung oder Beeinflussung iSd. § 20 Abs. 1 und Abs. 2 BetrVG und darüber hinaus das Anliegen des Betriebsverfassungsgesetzes an der Gewährleistung betrieblicher Mitbestimmung. Sie verhindert die Beeinträchtigung oder das Scheitern einer Wahl durch eine oder mehrere - im Ergebnis unwirksame - Kündigungen oder auch nur eine Einflussnahme auf die Zusammensetzung des Betriebsrats durch die Kündigung unliebsamer Kandidaten (BAG 14. Mai 1997 - 7 ABR 26/96 - BAGE 85, 370 = AP BetrVG 1972 § 8 Nr. 6 = EzA BetrVG 1972 § 8 Nr. 8, zu B II 2 der Gründe). Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin kommt es nicht darauf an, ob im konkreten Fall ein solcher Versuch der Beeinflussung durch Ausspruch von Kündigungen nachgewiesen wird. Das könnte möglicherweise erst durch ein nicht vor Durchführung der Wahl abgeschlossenes Gerichtsverfahren geklärt werden.

dd) Aus demselben Grund ist es nicht gerechtfertigt, die Wählbarkeit von der tatsächlichen Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers während des Kündigungsschutzprozesses abhängig zu machen (so aber GK-BetrVG/Kreutz 7. Aufl. § 8 Rn. 18). Auch hier besteht die Gefahr zahlreicher Einflussmöglichkeiten. So hätte es der Arbeitgeber in der Hand, die Wählbarkeit des Arbeitnehmers herbeizuführen, indem er ihm die tatsächliche Weiterbeschäftigung anbietet, oder sie zu verhindern, indem er die Weiterbeschäftigung verweigert. Ebenso könnte ein bestehender Betriebsrat Einfluss auf die Besetzung des zu wählenden Betriebsrats nehmen. Widerspricht er der ordentlichen Kündigung ordnungsgemäß, würde dies den Weiterbeschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers nach § 102 Abs. 5 BetrVG und damit die Wählbarkeit auslösen.

2. Daran gemessen hat das Landesarbeitsgericht den Antrag der Arbeitgeberin zu Recht zurückgewiesen. Die seit langer Zeit beschäftigten Arbeitnehmer A., K. und W., die alle das 18. Lebensjahr vollendet hatten, waren trotz ordentlicher Kündigung zum 28. Februar 2003 nach Erhebung der Kündigungsschutzklage vom 31. Januar 2003 am 14. April 2003 wählbar.

Ende der Entscheidung

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