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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 13.11.1997
Aktenzeichen: 8 AZR 295/95
Rechtsgebiete: BGB, KSchG, Richtlinie 77/187/EWG


Vorschriften:

BGB § 613 a
KSchG § 1
Richtlinie 77/187/EWG
Leitsätze: 1. Eine Funktionsnachfolge allein ist kein Betriebsübergang.

2. Endet ein Reinigungsauftrag und liegen keine greifbaren Anhaltspunkte dafür vor, daß nach der Rechtsprechung des EuGH von der Wahrung der Identität auszugehen ist, weil der neue Auftragnehmer kraft eigenen Willensentschlusses eine organisierte Gesamtheit von Arbeitnehmern übernehmen wird, kann der frühere Auftragnehmer solchen Arbeitnehmern wirksam betriebsbedingt kündigen, für die er keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr hat.

3. Kommt es nach Zugang der Kündigung zu einem Betriebsübergang im Sinne der Rechtsprechung des EuGH, haben die gekündigten Arbeitnehmer, die in der Einheit beschäftigt waren, einen Anspruch gegen den neuen Auftragnehmer, zu unveränderten Arbeitsbedingungen unter Wahrung ihres Besitzstandes eingestellt zu werden.

Aktenzeichen: 8 AZR 295/95 Bundesarbeitsgericht 8. Senat Urteil vom 13. November 1997 - 8 AZR 295/95 -

I. Arbeitsgericht Urteil vom 27. Januar 1994 Paderborn - 1 Ca 877/93 -

II. Landesarbeitsgericht Urteil vom 24. Januar 1995 Hamm - 11 (19) Sa 559/94 -


---------------------------------------------------------------------- Für die Amtliche Sammlung: Ja Für die Fachpresse : Ja Für das Bundesarchiv : Ja ----------------------------------------------------------------------

Entscheidungsstichworte: Betriebsübergang bei erneuter Fremdvergabe eines Reinigungs- auftrags

Gesetz: BGB § 613 a; KSchG § 1; Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14. Februar 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeit- nehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben und Betriebs- teilen

8 AZR 295/95 ------------ 11 (19) Sa 559/94 Hamm Im Namen des Volkes! Verkündet am 13. November 1997 U r t e i l Backes, Reg.-Hauptsekretärin als Urkundsbeamtin In Sachen der Geschäftsstelle

pp.

hat der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 13. November 1997 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ascheid, die Richter Dr. Wittek und Dr. Müller-Glöge sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Scholz und Hennecke für Recht erkannt:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 24. Januar 1995 - 11 (19) Sa 559/94 - aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 27. Januar 1994 - 1 Ca 877/93 - wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

V o n R e c h t s w e g e n !

T a t b e s t a n d :

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung.

Die Klägerin arbeitet seit 1978 als Gebäudereinigerin im S in H . In den Jahren 1978 bis 1984 war sie bei der Firma N beschäftigt, die seinerzeit den Reinigungsauftrag innehatte. Seit 1. Januar 1985 war die Beklagte mit der Reinigung des Krankenhauses beauftragt und Arbeitgeberin der Klägerin. Das Bruttoeinkommen der Klägerin betrug zuletzt monatlich 1.316,64 DM.

Die Beklagte ist ein überörtlich tätiges Reinigungsunternehmen und beschäftigt weit mehr als 1000 Arbeitnehmer. Im S - waren insgesamt 87 Arbeitnehmer der Beklagten tätig. Arbeitsvertraglich war die Klägerin allein für das Reinigungsobjekt S in H eingestellt.

Das S kündigte den mit der Beklagten bestehenden Reinigungsvertrag zum 30. September 1993. Das Krankenhaus vergab den Reinigungsvertrag für die Zeit ab 1. Oktober 1993 an die Firma P . Nach Erhalt der Kündigung des Reinigungsvertrages kündigte die Beklagte ihren im S - beschäftigten Arbeitnehmern. Der Klägerin ging die ordentliche Kündigung vom 1. Juni 1993 zum 30. September 1993 am 14. Juni 1993 zu.

Bei Übernahme des Reinigungsauftrags durch die Firma P verteilte diese an alle im S tätigen Mitarbeiter der Beklagten einen Fragebogen, mit dem sich die Firma P nach der bisherigen Beschäftigung und den individuellen Beschäftigungswünschen erkundigte. Die Firma P stellte zum 1. Oktober 1993 insgesamt 75 der früheren Beschäftigten der Beklagten ein. Sie wurden sämtlich in den alten Positionen eingesetzt. Auch die Klägerin nahm den ihr von der Firma P angebotenen Arbeitsvertrag an.

Mit der am 29. Juni 1993 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat die Klägerin geltend gemacht, die Kündigung sei wegen eines Betriebsübergangs ausgesprochen worden und deshalb unwirksam. Die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt.

Die Klägerin hat beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 1. Juni 1993 nicht beendet worden ist.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat geltend gemacht, der Arbeitsplatz der Klägerin sei weggefallen. Sie verfüge über keine andere Beschäftigungsmöglichkeit in H .

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Klägerin festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 1. Juni 1993 nicht beendet worden sei. Mit der zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Zurückweisung der Berufung der Klägerin.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung vom 1. Juni 1993 mit Ablauf des 30. September 1993 aufgelöst worden.

I. Die Kündigung ist nicht sozial ungerechtfertigt im Sinne von § 1 Abs. 1 des anwendbaren Kündigungsschutzgesetzes, denn sie ist, wie bereits das Arbeitsgericht ausgeführt hat, durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, die einer Weiterbeschäftigung der Klägerin im Betrieb der Beklagten entgegenstehen.

Die Klägerin war arbeitsvertraglich allein zur Reinigung im S in H verpflichtet. Diese Beschäftigungsmöglichkeit ist durch den Verlust des Reinigungsauftrages zum 30. September 1993 untergegangen. Eine anderweitige Beschäftigung in H war der Beklagten nicht möglich. Deshalb konnte sie der Klägerin ordentlich betriebsbedingt kündigen.

II. Abweichend von der Auffassung des Berufungsgerichts folgt die Unwirksamkeit der Kündigung auch nicht aus § 613 a Abs. 4 BGB. Die Kündigung ist nicht wegen eines Betriebsübergangs ausgesprochen worden.

1. Wegen eines Betriebsübergangs im Sinne dieser Norm wird eine Kündigung nur dann ausgesprochen, wenn der Betriebsübergang die überwiegende Ursache der Kündigung bildet. Der Betriebsübergang muß der Beweggrund für die Kündigung gewesen sein (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BAG Urteil vom 26. Mai 1983 - 2 AZR 477/81 - BAGE 43, 13 = AP Nr. 34 zu § 613 a BGB). Dabei ist ausschließlich auf die Verhältnisse im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kündigung, also bei Zugang der Kündigung abzustellen (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BAG Urteil vom 27. Februar 1997 - 2 AZR 160/96 - AP Nr. 1 zu § 1 KSchG Wiedereinstellung). Damit kann ein bevorstehender Betriebsübergang nur dann zur Unwirksamkeit der Kündigung gemäß § 613 a Abs. 4 BGB führen, wenn die den Betriebsübergang ausmachenden Tatsachen im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bereits feststehen oder zumindest greifbare Formen angenommen haben (BAG Urteil vom 19. Mai 1988 - 2 AZR 596/87 - BAGE 59, 12 = AP Nr. 75 zu § 613 a BGB).

2. Im Zeitpunkt des Zugangs der streitgegenständlichen Kündigung am 14. Juni 1993 lagen weder die Voraussetzungen eines Betriebsübergangs von der Beklagten auf die Firma P bereits vor, noch hatten sie greifbare Formen angenommen, denn entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts erfüllt allein eine Funktionsnachfolge nicht die Voraussetzungen eines Betriebsübergangs im Sinne von § 613 a BGB (vgl. dazu nur den Vorlagebeschluß des erkennenden Senats vom 21. März 1996 - 8 AZR 156/95 - AP Nr. 10 zu EWG-Richtlinie Nr. 77/187 mit der Zusammenfassung der früheren Rechtsprechung des BAG). Diese Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist mit den europarechtlichen Vorgaben der Richtlinie 77/187 vereinbar. Dies hat der EuGH mit Urteil vom 11. März 1997 (- Rs C-13/95 - DB 1997, 628) bestätigt. Wie der EuGH unter Nr. 15 der Entscheidungsgründe ausführt, darf eine Einheit im Sinne der Richtlinie nicht als bloße Tätigkeit verstanden werden.

Für den Fall des Wechsels eines Reinigungsauftrages hat der EuGH unter Nr. 16 der Entscheidungsgründe ausdrücklich hinzugefügt, daß der bloße Verlust eines Auftrags an einen Mitbewerber für sich genommen keinen Übergang im Sinne der Richtlinie darstellt.

Damit entspricht die Entscheidung des EuGH der im Vorlagebeschluß des Senats wiedergegebenen früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts.

3. Soweit der EuGH abweichend von der früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts für Branchen, in denen es im wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, in einer organisierten Gesamtheit von Arbeitnehmern, die durch eine gemeinsame Tätigkeit dauerhaft verbunden sind, eine übernahmefähige wirtschaftliche Einheit gesehen hat (vgl. Nr. 21 der Entscheidungsgründe), die im Falle ihrer Übernahme einen Betriebsübergang darstellen kann, hat sich der erkennende Senat dieser Rechtsprechung des EuGH bereits mit Urteil vom 22. Mai 1997 (- 8 AZR 101/96 - ZIP 1997, 1555, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt) angeschlossen. Hieran ist festzuhalten. Gleichwohl folgt hieraus nicht, daß im Zeitpunkt der Kündigung die tatsächlichen Voraussetzungen des Betriebsübergangs bereits vorgelegen oder greifbare Formen angenommen hätten.

a) Ausgehend von dem Schlußantrag des Generalanwalts La Pergola in Sachen Rs C-13/95 vom 15. Oktober 1996 sowie den vom EuGH im Urteil vom 11. März 1997 (aaO) mitgeteilten Stellungnahmen des Vereinigten Königreiches und der Kommission der EG ist im Rahmen der Auslegung des Tatbestandsmerkmals "durch Rechtsgeschäft" im Sinne von § 613 a Abs. 1 BGB anzunehmen, daß in Branchen, in denen es im wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, die Übernahme einer organisierten Gesamtheit von Arbeitnehmern einen Betriebs- oder Betriebsteilübergang darstellt, wenn der neue Auftragnehmer aufgrund eigenen Willensentschlusses diese durch ihre gemeinsame Tätigkeit verbundenen Arbeitnehmer übernommen hat, weil sie in der Lage sind, den Neuauftrag wie bisher auszuführen.

b) Diese Voraussetzungen dürften im vorliegenden Fall gegeben sein, was aber keiner abschließenden Beurteilung bedarf, denn die willentliche Übernahme der zur Erledigung des Reinigungsauftrags S eingesetzten Hauptbelegschaft der Beklagten durch die Firma P hatte zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der streitgegenständlichen Kündigung am 14. Juni 1993 noch keine greifbaren Formen angenommen. Vielmehr wurden die Fragebogen seitens der Firma P erst bei Übernahme des Reinigungsauftrags an die Beschäftigten ausgegeben und die neuen Arbeitsverträge erst danach abgeschlossen.

c) Der nach Zugang der Kündigung eingetretene Betriebsübergang konnte die einmal gegebene Wirksamkeit der Kündigung nicht mehr beseitigen, vielmehr begründete er einen Anspruch der Klägerin auf Fortsetzung ihres Arbeitsverhältnisses zu unveränderten Bedingungen mit der Firma P . Diese Rechtsfolge ergibt sich aus einer richtlinienkonformen Auslegung des § 613 a Abs. 1 BGB.

aa) Der Zweite Senat hat bereits mit Urteil vom 27. Februar 1997 (aaO) entschieden, daß dem Arbeitnehmer ein Anspruch auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zusteht, wenn im Zeitraum zwischen Ausspruch einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung und dem Kündigungstermin ein bei Ausspruch der Kündigung noch nicht abzusehender Betriebsübergang stattfindet.

bb) Für den Fall einer durch die willentliche Übernahme der Hauptbelegschaft und nicht durch die Übernahme materieller und/oder immaterialler Betriebsmittel begründeten Übernahme des Betriebes oder Betriebsteiles ist diese Rechtsprechung dahingehend zu ergänzen, daß eine im Anschluß an den Wechsel der beauftragten Unternehmen erfolgende willentliche Übernahme der Hauptbelegschaft den Fortsetzungsanspruch der Arbeitnehmer auslöst. Während die vom bisherigen Auftragnehmer nicht gekündigten Arbeitsverhältnisse kraft Gesetzes (§ 613 a Abs. 1 BGB) auf den Auftragsnachfolger übergehen, wenn dieser die Hauptbelegschaft willentlich übernimmt, haben die gekündigten Arbeitnehmer einen Anspruch auf Abschluß eines Arbeitsvertrages zu unveränderten Arbeitsbedingungen und unter Wahrung ihres Besitzstandes. Es kann vorliegend als nicht entscheidungserheblich dahingestellt bleiben, ob dieser Anspruch auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses aus Gründen der Rechtssicherheit unverzüglich nach Kenntniserlangung von den den Betriebsübergang ausmachenden tatsächlichen Umständen geltend zu machen ist.

cc) Diese Auslegung des § 613 a BGB folgt den vom EuGH mit Urteil vom 14. November 1996 (- Rs C-305/94 - AP Nr. 12 zu EWG-Richtlinie Nr. 77/187) aufgezeigten Grundsätzen. Der Übergang der Arbeitsverhältnisse auf den Betriebserwerber tritt auch in diesen Fällen "ipso jure" ein und ist nicht von einem Willensentschluß des Betriebsübernehmers abhängig. Der Willensentschluß des Übernehmers betrifft allein die Voraussetzungen des Betriebsübergangs selbst und nicht die Rechtsfolgen des Betriebsübergangs. Ebenso wie es dem Übernehmer freisteht, ob er materielle und/oder immaterielle Betriebsmittel des Veräußerers übernimmt und damit einen Betriebsübergang auslöst, steht es dem Auftragsnachfolger frei, ob er willentlich die Hauptbelegschaft des früheren Auftragnehmers übernimmt oder nicht. Entscheidet er sich für die Übernahme der Hauptbelegschaft, gehen alle ungekündigten Arbeitsverhältnisse der im Betrieb oder Betriebsteil beschäftigten Arbeitnehmer des früheren Auftragnehmers auf ihn über bzw. löst er damit den Fortsetzungsanspruch der entlassenen Arbeitnehmer aus. Ob diese so berechtigten Arbeitnehmer von ihrem Anspruch auf Fortsetzung der Beschäftigung Gebrauch machen, unterliegt allein ihrer rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit (vgl. hierzu EuGH Urteil vom 16. Dezember 1992 - 1 Rs C-132/91, 138/91, 139/91 - AP Nr. 97 zu § 613 a BGB).

III. Weitere mögliche Unwirksamkeitsgründe der streitgegenständlichen Kündigung sind nicht ersichtlich.

IV. Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Ascheid Dr. Wittek Müller-Glöge Scholz Hennecke nnecke

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