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Gericht: Bundesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 10.05.2005
Aktenzeichen: 9 AZN 195/05
Rechtsgebiete: ArbGG
Vorschriften:
ArbGG § 72a Abs. 3 Nr. 3 | |
ArbGG § 72a Abs. 7 |
2. Würde bei Fortsetzung des Beschwerdeverfahrens als Revisionsverfahren (§ 72a Abs. 6 ArbGG) keine Möglichkeit bestehen, die gerügte Verletzung des rechtlichen Gehörs zu heilen, so ist aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung das angefochtene Berufungsurteil aufzuheben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 72a Abs. 7 ArbGG), wenn keine dem Revisionsverfahren vorbehaltene Rechtsfragen ersichtlich sind.
BUNDESARBEITSGERICHT BESCHLUSS
In Sachen
hat der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der Beratung vom 10. Mai 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Düwell, die Richterin am Bundesarbeitsgericht Reinecke, den Richter am Bundesarbeitsgericht Böck sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Starke und Ott beschlossen:
Tenor:
Der Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 8. Dezember 2004 - 4 Sa 479/04 - wird stattgegeben, soweit das Landesarbeitsgericht die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Magdeburg vom 27. Mai 2004 - 10 Ca 4279/03 - hinsichtlich der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung zurückgewiesen hat. Insoweit wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Beschwerde als unzulässig verworfen.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe:
I. Die Parteien haben über die Rechtswirksamkeit einer ordentlichen Kündigung, einer außerordentlichen Kündigung, die Entfernung von zwei Abmahnungen aus der Personalakte des Klägers und einen Anspruch des Klägers auf Überstundenvergütung gestritten. Das Arbeitsgericht hat die ordentliche Kündigung als wirksam beurteilt und die hiergegen erhobene Klage ebenso wie den Zahlungsantrag abgewiesen. Dagegen hat es die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung festgestellt und den Beklagten außerdem verurteilt, die beiden Abmahnungen aus der Personalakte zu entfernen. Das Arbeitsgericht hat über die zwischen den Parteien streitige Tatsache, ob der Kläger nach Erhalt der ordentlichen Kündigung und während attestierter Arbeitsunfähigkeit am 11. November 2003 bei seinem Nachbarn, dem Zeugen B, Dachdeckerarbeiten ausgeführt hat, Beweis durch Vernehmung der vom Beklagten benannten Zeugin L und des vom Kläger benannten Zeugen B erhoben.
Beide Parteien haben gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts Berufung eingelegt. Beide Rechtsmittel sind vom Landesarbeitsgericht zurückgewiesen worden, ohne die Revision zuzulassen.
Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Beklagte die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör.
II. Die Beschwerde ist begründet, soweit das Landesarbeitsgericht die außerordentliche Kündigung des Beklagten als unwirksam beurteilt hat. Im Übrigen ist die Beschwerde unzulässig.
1. Der Beklagte hat entgegen § 72a Abs. 3 Satz 2 ArbGG die uneingeschränkt eingelegte Beschwerde nicht begründet, soweit er sich gegen seine Verurteilung wendet, die Abmahnungen aus der Personalakte des Klägers zu entfernen. Das ist ein Mangel, der zur Unzulässigkeit der Beschwerde führt.
2. Auf die Beschwerde ist das Arbeitsgerichtsgesetz in der seit 1. Januar 2005 geltenden Fassung anzuwenden, da die Begründungsfrist erst nach In-Kraft-Treten des Gesetzes abgelaufen ist (BAG 15. Februar 2005 - 9 AZN 982/04 - zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Anzuwenden ist damit auch § 72a Abs. 3 Nr. 3 ArbGG. Nach dieser Vorschrift kann die Nichtzulassungsbeschwerde auf eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) gestützt werden. Die Beschwerdebegründung muss in einem solchen Fall die Darlegung der Verletzung dieses Anspruchs und deren Entscheidungserheblichkeit enthalten. Insoweit gelten grundsätzlich die Anforderungen, die an eine ordnungsgemäße Verfahrensrüge im Sinne von § 551 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b ZPO gestellt werden (dazu BAG 6. Januar 2004 - 9 AZR 680/02 - AP ArbGG 1979 § 74 Nr. 11 = EzA ZPO 2002 § 551 Nr. 1, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; Bepler RdA 2005, 65). Die Gehörsrüge muss danach die Bezeichnung der Tatsachen enthalten, die den Mangel ergeben, auf den sich die Beschwerde stützen will. Dazu muss regelmäßig auch die Kausalität zwischen Verfahrensmangel und Ergebnis des Berufungsurteils dargelegt werden. Es genügt, wenn der Schluss gerechtfertigt ist, bei richtigem Verfahren hätte das Berufungsgericht möglicherweise anders entschieden.
Wird das Übergehen eines Beweisantritts gerügt, muss der Beschwerdeführer nach Beweisthema und Beweismittel angeben, zu welchem Punkt das Landesarbeitsgericht eine an sich gebotene Beweisaufnahme unterlassen haben soll. Zugrunde zu legen sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts. Ferner muss grundsätzlich dargelegt werden, dass die Unterlassung der Beweiserhebung kausal für die Entscheidung gewesen ist (BAG 18. Oktober 2000 - 2 AZR 380/99 - BAGE 96, 123; 29. Juli 1992 - 4 AZR 502/91 - BAGE 71, 56; 11. April 1985 - 2 AZR 239/84 - BAGE 49, 39; 13. April 2000 - 2 AZR 173/99 -). Hat das Landesarbeitsgericht dagegen Beweis erhoben, so ist für die Begründetheit der Beschwerde von der Erheblichkeit der Beweistatsachen auszugehen.
3. Das Landesarbeitsgericht hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt.
a) Das Landesarbeitsgericht hat im Termin zur mündlichen Verhandlung am 8. Dezember 2004 nach Beweiserhebung in der Sache abschließend entschieden. Es hat den Zeugen B zu dem Beweisthema "Tätigkeit des Klägers auf seiner Baustelle am 11.11.2003" vernommen. Der Zeuge B war zur Sitzung präsent. Ebenfalls hat es die Ehefrau des Beklagten als Zeugin vernommen und zwar zu der Behauptung, der Zeuge habe mit dem Kläger vor dem Termin vor dem Sitzungssaal über seine Aussage gesprochen. Weiteren Beweis hat das Landesarbeitsgericht nicht erhoben.
b) Dieses Verfahren rügt der Beklagte zu Recht. Das Landesarbeitsgericht hätte seinen Beweisantritt in der Berufungsbegründung zu der Behauptung, der Kläger habe "volle" Dachdeckerarbeit geleistet, nicht übergehen dürfen. Der Zeuge Be war dort mit vollem Namen und ladungsfähiger Anschrift genannt. Das gilt auch für die Zeugin "vom Hörensagen", Frau M.
Der Beklagte war entgegen der Auffassung des Klägers nicht gehalten, die Zeugen zu dem Termin zu "sistieren". Die Terminsvorbereitung obliegt dem Gericht; Zeugen können vorbereitend geladen werden (§ 56 Abs. 1 Nr. 4 ArbGG). Unterbleibt eine solche Anordnung und tritt das Gericht in die nach seiner Rechtsauffassung erforderliche Beweisaufnahme durch Vernehmung präsenter Zeugen ein, ist der Rechtsstreit wegen der nicht erledigten Beweisantritte zu vertagen (§ 227 ZPO).
Anhalte, der Beklagte habe auf die Vernehmung der Zeugen verzichtet, bestehen nicht. Wie er richtig vorträgt, haben die Prozessbevollmächtigten lediglich zu Protokoll erklärt, es sei nicht beabsichtigt, "im heutigen Termin weitere Erklärungen abzugeben".
Hinsichtlich des Ergebnisses des Rechtsstreits kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Landesarbeitsgericht zu einer anderen Überzeugungsbildung gekommen wäre, wenn es den Zeugen Be ebenfalls vernommen hätte. Dessen Vernehmung war nicht entbehrlich. Wie der Beklagte zutreffend rügt, sind die folgenden Ausführungen des Landesarbeitsgerichts nicht nachvollziehbar:
"Andere Zeugen gibt es hinsichtlich der hier in Streit stehenden Tätigkeit des Klägers auf der Baustelle des Zeugen B am 11. November 2003 nicht. Nur dieser und der Kläger waren dort anwesend".
Ob jemand Tätigkeiten als Dachdecker einschließlich des Verlegens von Schweißbahnen verrichtet oder ob er lediglich dabeisteht und "leichte Hilfsarbeiten" ausführt, kann auch von Dritten wahrgenommen werden, die sich nicht unmittelbar auf der Baustelle befinden. Das Übergehen des Beweisantritts verletzt den Beklagten daher in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (dazu vgl. auch BVerfG 26. Oktober 1999 - 2 BvR 1292/96 - AP GG Art. 103 Nr. 63).
III. Der Senat hat von der Möglichkeit des § 72a Abs. 7 ArbGG Gebrauch gemacht und unter Aufhebung des Urteils den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
1. Soweit der Nichtzulassungsbeschwerde stattgegeben ist, wird das Beschwerdeverfahren nach § 72a Abs. 6 ArbGG als Revisionsverfahren fortgeführt. Beruht die Zulassung der Revision durch das Bundesarbeitsgericht auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs, kann nach § 72a Abs. 7 ArbGG das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden. Die Vorschrift dient der Verfahrensbeschleunigung. Die Anwendung dieser Vorschrift bietet sich insbesondere dann an, wenn - wie hier - das Revisionsverfahren keine Möglichkeit bietet, die Gehörsverletzung zu heilen und revisible Rechtsfragen nicht ersichtlich sind (Bepler RdA 2005, 65).
2. So liegt es hier. Ob der Kläger tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt war, ist vom Tatsachengericht aufzuklären. Der Entscheidung des Tatsachengerichts obliegt auch die - je nach Ergebnis der noch zu erhebenden Beweise - nach § 626 BGB gebotene Interessenabwägung.
IV. Der Gebührenwert wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.
Ende der Entscheidung
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