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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 15.11.2005
Aktenzeichen: 9 AZR 530/04
Rechtsgebiete: BGB VorruheTV vom 10. Oktober 1996


Vorschriften:

BGB § 242
VorruheTV vom 10. Oktober 1996 § 7 Abs. 1 Buchst. a
VorruheTV vom 10. Oktober 1996 § 8 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! URTEIL

Hinweise des Senats: Bestätigung: Senat 9. September 2003 - 9 AZR 605/02 -, 10. Februar 2004 - 9 AZR 183/03 -

9 AZR 530/04

Verkündet am 15. November 2005

In Sachen

hat der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 15. November 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Düwell, die Richterin am Bundesarbeitsgericht Reinecke, den Richter am Bundesarbeitsgericht Böck sowie die ehrenamtlichen Richter Bruse und Merkle für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 10. September 2003 - 9 Sa 152/03 - aufgehoben.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 17. Januar 2003 - 11 Ca 5035/02 - abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Höhe der von der Beklagten geschuldeten Überbrückungsbeihilfe.

Der 1942 geborene, verheiratete Kläger war bei der Deutschen Bahn AG (DB AG) beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete auf Grund eines Aufhebungsvertrags vom 27. Februar 1997 mit Ablauf des 30. Oktober 1997. Die Beklagte ist auf Grund einer Gesamtrechtsnachfolge in dieses Rechtsverhältnis eingetreten.

Grundlage des Aufhebungsvertrags ist der Tarifvertrag zur Förderung von Altersteilzeitarbeit und Vorruhestand für die Arbeitnehmer der DB AG vom 10. Oktober 1996 (VorruheTV). Als Ausgleich für den betriebsbedingten Verlust des Arbeitsplatzes verpflichtete sich die DB AG zur Zahlung einer Überbrückungsbeihilfe. Hierzu heißt es im Aufhebungsvertrag:

"Als Überbrückungsbeihilfe wird vom ersten Tag nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses längstens bis zum Zeitpunkt des frühestmöglichen Bezugs einer gesetzlichen Rente wegen Alters bzw. der Bewilligung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (Berufsunfähigkeits- bzw. Erwerbsunfähigkeitsrente) ... die Differenz zwischen dem Arbeitslosengeld, der Arbeitslosenhilfe bzw. anderen auf Grund gesetzlicher Bestimmungen gezahlter Entgeltersatzleistungen und

a) 85 v. H. des Nettomonatsentgeltes gem. § 7 Abs. 1 Buchst. a) VorruheTV

...

gezahlt."

In § 7 VorruheTV ist ua. geregelt:

"(1) Als Überbrückungsbeihilfe wird entweder die Differenz zwischen dem Arbeitslosengeld, der Arbeitslosenhilfe bzw. anderen aufgrund gesetzlicher Bestimmungen gezahlter Entgeltersatzleistungen und

a) 85 v.H. des Nettomonatsentgelts (ohne Mehrarbeit) einschließlich der leistungsabhängigen variablen Entgeltbestandteile des letzten vollen Kalendermonats vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses ... gezahlt".

In § 8 Abs. 3 VorruheTV ist ua. bestimmt:

"Bei allgemeinen Erhöhungen des Monatstabellenentgelts sowie bei Angleichungen der Entgelte Ost an West werden die Bestandteile der Überbrückungsbeihilfe (METV, PZÜ und PZÜ-K) entsprechend angepaßt.

Ausführungsbestimmung

Die Berechnung der Überbrückungsbeihilfe (Anpassung) erfolgt nach den im Berechnungsmonat vorliegenden persönlichen und gesetzlichen Verhältnissen (z.B. Teilzeitarbeit, Entgeltgruppe/stufe, Steuerklasse, Beitragssätze zur Renten-, Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung)."

In dem von der tarifvertragschließenden Gewerkschaft nicht unterschriebenen Anwenderhinweis der DB AG zu § 7 Abs. 1 VorruheTV heißt es ua.:

"Eine Änderung der Steuerklasse und/oder Freibeträge durch den Arbeitnehmer im Zeitraum von 12 Monaten vor dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis wird bei der Berechnung der Überbrückungsbeihilfe nicht berücksichtigt, es sei denn, der Arbeitnehmer weist ein berechtigtes Interesse an der von ihm gewählten Steuerklassenwahl und/oder Freibeträge nach.

Wechselt der Arbeitnehmer nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis seine Steuerklasse, wird die Höhe der Überbrückungsbeihilfe neu berechnet und so festgesetzt, daß die Belastung der DB AG unter Einbeziehung des Lohnsteuerabzugs unverändert bleibt."

Zur Zeit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses befand sich der Kläger in der Lohnsteuerklasse III und seine ebenfalls bei der DB AG beschäftigte Ehefrau in der Steuerklasse V. Das zuletzt bezogene Monatsbruttoentgelt des Klägers betrug 3.458,40 DM, das seiner Ehefrau belief sich auf rund 3.800,00 DM.

Ab November 1997 erhielt der Kläger die auf der Grundlage der Lohnsteuerklasse III errechnete Überbrückungsbeihilfe. Mit Wirkung zum 1. Januar 1999 wechselten der Kläger und seine Ehefrau die Lohnsteuerklassen. Er wählte nunmehr Lohnsteuerklasse V, die Ehefrau die Lohnsteuerklasse III. Dadurch erhöhte sich das Nettoentgelt der Ehefrau von 2.301,23 DM auf 2.814,15 DM. Der Kläger erhielt weiterhin Überbrückungsbeihilfe in der bisherigen Höhe.

Mit Schreiben vom 12. Juli 2001 teilte die Beklagte dem Kläger mit, auf Grund der Tariflohnerhöhung zum 1. Januar 2001 habe sie seinen Vorruhestandfall überprüft und dabei den Lohnsteuerklassenwechsel festgestellt. Sie habe daraufhin die Überbrückungsbeihilfe mit Wirkung zum 1. Januar 2001 neu berechnet. Dieser Berechnung legte die Beklagte die bisher gezahlte Überbrückungsbeihilfe zu Grunde, rechnete den sich daraus fiktiv ergebenden Bruttobetrag hoch und ermittelte die sich aus diesem Bruttobetrag ergebende Lohnsteuer nach der Lohnsteuerklasse V. Den Auszahlungsbetrag der Überbrückungsbeihilfe minderte sie entsprechend. Demgegenüber wäre bei weiterer Anwendung der Lohnsteuerklasse III keine Lohnsteuer angefallen. Nach Rücksprache mit der Beklagten änderten der Kläger und seine Ehefrau die Lohnsteuerklassen mit Wirkung zum 1. September 2001 erneut. Beide wählten nunmehr die Lohnsteuerklasse IV. Die Beklagte zahlte dem Kläger weiterhin die um die steuerliche Mehrbelastung - nunmehr bezogen auf die Lohnsteuerklasse IV - geminderte Beihilfe.

Die Beklagte kürzte die Überbrückungsbeihilfe für die Monate Juli und August 2001 um jeweils 1.229,22 DM, für die Monate September bis Dezember 2001 um jeweils 446,28 DM, für die Monate Januar und Februar 2002 um jeweils 231,51 Euro und für die Monate März 2002 bis Oktober 2002 um jeweils 237,93 Euro.

Der Kläger hält die Beklagte nicht für berechtigt, den Auszahlbetrag um ihre steuerliche Mehrbelastung zu mindern. § 7 Abs. 1 Buchst. a VorruheTV enthalte eine sog. originäre Nettolohnabrede. Folglich habe die Beklagte ihn von der auf die Überbrückungsbeihilfe zu zahlenden Lohnsteuer freizustellen.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 3.346,51 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 713,37 Euro netto für die Zeit vom 1. Juni 2002 bis 31. August 2002 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger weitere 475,00 Euro netto für die Zeit vom 1. September bis 31. Oktober 2002 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage.

Entscheidungsgründe:

I. Die Revision ist begründet.

Die Klage ist unbegründet. Die Beklagte hat den Anspruch des Klägers auf Überbrückungsbeihilfe nach § 7 Abs. 1 Buchst. a VorruheTV in Verbindung mit dem Aufhebungsvertrag für den streitbefangenen Zeitraum erfüllt. Die Beklagte hat zu Recht die Höhe der Überbrückungsbeihilfe auf der Grundlage der Lohnsteuerklasse III berechnet und die Überbrückungsbeihilfe um die an das Finanzamt auf der Grundlage der Lohnsteuerklassen V und IV abgeführten Beträge gemindert.

1. Das Landesarbeitsgericht ist dem Kläger folgend vom Wortlaut des § 7 Abs. 1 Buchst. a VorruheTV ausgegangen. Danach hat der Arbeitnehmer Anspruch auf die Differenz zwischen den Lohnersatzleistungen und 85 vH des Nettomonatsentgelts des letzten vollen Kalendermonats vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Nettomonatsentgelt ist der Betrag, der von dem vereinbarten Entgelt iSv. § 611 Abs. 1 BGB nach Abzug der vom Arbeitgeber einzubehaltenden und abzuführenden Steuern und Sozialabgaben dem Arbeitnehmer zufließt. Welche Steuermerkmale der Arbeitgeber zu berücksichtigen hat, ergibt sich aus den Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte. Von dem sich danach ergebenden Betrag hat der Arbeitgeber 85 vH abzüglich der Lohnersatzleistungen zu zahlen (vgl. Senat 9. September 2003 - 9 AZR 605/02 - BAGE 107, 264).

Folgerichtig ist das Landesarbeitsgericht zur Auffassung gelangt, mit dem Begriff "85 v.H. des Nettomonatsentgelts" werde der Auszahlungsbetrag garantiert und der Arbeitgeber habe zusätzlich den sich aus einem Wechsel in eine ungünstigere Steuerklasse mit einem höheren Steuersatz ergebenden Mehrbetrag zu übernehmen.

So ist die tarifliche Vorschrift jedoch nicht zu verstehen. Das hat der Senat bereits entschieden (10. Februar 2004 - 9 AZR 183/03 - AP TVG § 1 Vorruhestand Nr. 31). Die Tarifvertragsparteien haben keine "Nettolohnabrede" in der Weise vereinbart, dass die Beihilfe den sich ändernden jeweiligen Verhältnissen stets anzupassen wäre. Die Verpflichtung der Beklagten, den Arbeitnehmer von der Lohnsteuerschuld freizustellen, bezieht sich nur auf die Lohnsteuern, die bei Zugrundelegung der tariflich für die Bemessung der Übergangsbeihilfe maßgeblichen Lohnsteuerklasse anfallen würden. Mehrbelastungen, die infolge des Wechsels der in dem - für die Berechnung maßgeblichen - letzten Beschäftigungsmonat gewählten Lohnsteuerklasse entstehen, hat die Beklagte nicht zu tragen.

Das ergibt die Auslegung des § 7 Abs. 1 Buchst. a VorruheTV aus dem Gesamtzusammenhang. Nach § 8 Abs. 3 VorruheTV und der hierzu von den Tarifvertragsparteien vereinbarten Ausführungsbestimmung nimmt der Vorruheständler an allgemeinen Tariflohnerhöhungen teil. Dieses Ziel wird durch eine Anpassung der Bemessungsgrundlage erreicht. Die Höhe der Überbrückungsbeihilfe bestimmt sich dann nicht mehr nach dem Ausgangswert - dem Bruttomonatsentgelt des letzten Beschäftigungsmonats - sondern nach dem nunmehr gültigen Bruttomonatsentgelt, das der Arbeitnehmer bei Fortbestand des Arbeitsverhältnisses erhalten hätte. Die gleichzeitige Festschreibung der - für die Ermittlung des sich aus dem angepassten Bruttomonatsentgelt ergebenden Nettobezugs bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses - maßgeblichen Steuermerkmale zeigt, dass diese nach dem Willen der Tarifvertragsparteien statisch sein sollen. Spätere Veränderungen sollen ausdrücklich unbeachtlich sein.

Damit wollten die Tarifvertragsparteien erkennbar einerseits den Lebensstandard des Arbeitnehmers sichern, wie er zum Zeitpunkt seines Ausscheidens bestand, und andererseits die Kosten des Vorruhestandes für den Arbeitgeber kalkulierbar machen. Hierzu war es notwendig, spätere, von ihm nicht beeinflussbare Änderungen in den persönlichen Verhältnissen des Arbeitnehmers von der Bemessung der Überbrückungsbeihilfe auszunehmen. Kraft ausdrücklicher Regelung gehörte dazu auch die im Bemessungsmonat anzuwendende Lohnsteuerklasse. Lediglich das Bruttomonatsentgelt soll allgemeinen Erhöhungen des Monatstabellenentgelts angepasst werden, die Berechnungsgrundlagen sollen dagegen statisch bleiben.

Ansonsten käme es zu einem für die Arbeitgeberin unkalkulierbaren Risiko.

Welche Steuern abzuführen sind, bemisst sich allein nach den auf der Lohnsteuerkarte eingetragenen Merkmalen. Bei einem Wechsel der Lohnsteuerklasse, der zu einer höheren steuerlichen Belastung der steuerpflichtigen Überbrückungsbeihilfe führt, hätte sie die Überbrückungsbeihilfe in bisheriger Höhe zu zahlen und müsste außerdem nach § 38 Abs. 1 EStG an den Fiskus den steuerlichen Mehrbetrag entrichten. Für den Arbeitnehmer ergäbe sich dagegen der günstige Effekt, dass ihm monatlich zunächst der garantierte Betrag zuflösse. Zusätzlich kämen ihm die von der Arbeitgeberin getragenen Steuern zugute. Da Ehepaare zwischen den Lohnsteuerklassen nur bei gemeinsamer Veranlagung wählen können und in diesem Fall zwingend eine Erklärung zur Feststellung der auf das Ehegatteneinkommen bezogenen Einkommensteuer abzugeben ist, hätte der Fiskus die von der Arbeitgeberin abgeführten Steuern auf die sich insgesamt ergebende Steuerschuld anzurechnen und dem steuerpflichtigen Vorruheständler und seinem Ehegatten überschießende Beträge im Rahmen der Steuerfestsetzung zu erstatten. Dafür, dass die Tarifvertragsparteien eine derartige Begünstigung gewollt haben, hat der Kläger nichts vorgebracht.

2. Die Beklagte ist auch nicht aus Gründen des Einzelfalls verpflichtet, zu Gunsten des Klägers auf die Abwälzung der steuerlichen Mehrbelastung zu verzichten.

Der Kläger meint, die Beklagte müsse sich daran festhalten lassen, dass sie die Überbrückungsbeihilfe trotz des bereits zum 1. Januar 1999 vollzogenen Lohnsteuerklassenwechsels nicht gemindert habe, sondern erstmals - rückwirkend zum 1. Januar 2001 - ab Juli 2001.

Es gibt indessen keinen Rechtssatz, der einer Vertragspartei verwehrt, eine als unrichtig erkannte Behandlung einer Vertragsbestimmung zu korrigieren. Schranken ergeben sich regelmäßig allein aus Verfall- oder Verjährungsfristen. Auch der Grundsatz des widersprüchlichen Verhaltens als Ausfluss von Treu und Glauben (§ 242 BGB) greift nur ein, wenn die andere Vertragspartei auf Grund besonderer Umstände auf eine Beibehaltung der bisherigen Berechnungspraxis vertrauen durfte. Solche Umstände hat der Kläger weder dargetan noch sind sie ersichtlich.

II. Der Kläger hat als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Ende der Entscheidung

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