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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 17.06.1997
Aktenzeichen: 9 AZR 839/95
Rechtsgebiete: VVG, BGB


Vorschriften:

VVG § 179
VVG § 75
BGB § 242
Leitsätze: 1. Leistungen aus einer Gruppen-Unfallversicherung muß der Arbeitgeber regelmäßig auch dann an den versicherten Arbeitnehmer weiterleiten, wenn nicht er, sondern die ausländische Konzernmutter Versicherungsnehmer ist (Bestätigung und Fortführung von BAG Urteil vom 21. Februar 1990 - 5 AZR 169/89 - AP Nr. 3 zu § 179 VVG).

2. Die mit der Entgeltfortzahlung verbundenen Kosten können vom Arbeitgeber allenfalls aufgrund gesonderter arbeitsrechtlicher Vereinbarung verrechnet werden. Allgemeine Billigkeitserwägungen genügen hierfür auch dann nicht, wenn sich der Unfall des Arbeitnehmers während seiner Freizeit ereignet hat.

Aktenzeichen: 9 AZR 839/95 Bundesarbeitsgericht 9. Senat Urteil vom 17. Juni 1997 - 9 AZR 839/95 -

I. Arbeitsgericht Urteil vom 20. Oktober 1994 Arnsberg - 1 Ca 307/94 -

II. Landesarbeitsgericht Urteil vom 04. Oktober 1995 Hamm - 14 Sa 93/95 -


---------------------------------------------------------------------- Für die Amtliche Sammlung: Nein Für die Fachpresse : Ja Für das Bundesarchiv : Nein ----------------------------------------------------------------------

Entscheidungsstichworte: Gruppen-Unfallversicherung; Verrechnung der Versicherungssum- me mit den Kosten der Entgeltfortzahlung

Gesetz: VVG §§ 179, 75; BGB § 242

9 AZR 839/95 ------------- 14 Sa 93/95 Hamm Im Namen des Volkes! Verkündet am 17. Juni 1997 U r t e i l Klapp, Amtsinspektor als Urkundsbeamter In Sachen der Geschäftsstelle

pp.

hat der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 17. Juni 1997 durch den Richter Düwell als Vorsitzenden, die Richterinnen Reinecke und Schmidt sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Gaber und Prof. Hammer für Recht erkannt:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 4. Oktober 1995 - 14 Sa 93/95 - aufgehoben.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Arnsberg vom 20. Oktober 1994 - 1 Ca 307/94 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

V o n R e c h t s w e g e n !

T a t b e s t a n d :

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, die volle von einer Gruppen-Unfallversicherung an sie ausgezahlte Summe an den klagenden Arbeitnehmer abzuführen.

Der Kläger war vom 1. April 1991 bis zum 31. März 1992 bei der Beklagten als Personalleiter beschäftigt. Aufgrund eines Freizeitunfalls war er ab dem 9. August 1991 für die Dauer von mehr als sechs Wochen arbeitsunfähig. Die durch die Entgeltfortzahlung bedingten Aufwendungen der Beklagten betrugen 9.787,95 DM. Die Haftpflichtversicherung der Unfallbeteiligten erstattete der Beklagten hierauf 4.736,47 DM.

Die Beklagte hat über ihre Konzernmutter in Großbritannien für ihre Mitarbeiter eine Gruppen-Unfallversicherung abgeschlossen. Die an sie ausgezahlte Versicherungssumme von 30.000,00 DM leitete sie in Höhe von 25.263,60 DM an den Kläger weiter. Den Restbetrag verrechnete sie mit dem durch die gegnerische Haftpflichtversicherin nicht abgedeckten Krankheitskosten des Klägers. Eine schriftliche Einwilligung des Klägers in die Aufnahme in die Gruppen-Unfallversicherung lag nicht vor. Er hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei zur Auszahlung der vollen Versicherungssumme verpflichtet. Er hat dementsprechend beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.736,40 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 18. Februar 1994 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat geltend gemacht, die für die Unfallversicherung der Arbeitnehmer maßgebliche Konzernrichtlinie berechtige sie zur Verrechnung der ihr entstandenen Aufwendungen gegen den Anspruch des Arbeitnehmers auf die Versicherungssumme. Denn die Auszahlung stehe danach in ihrem Ermessen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner von dem Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision. Die Beklagte beantragt deren Zurückweisung.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die Revision des Klägers ist begründet.

I. Der Kläger hat einen Anspruch auf Auskehr der vollen Versicherungssumme.

1. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend von der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ausgegangen. Danach muß ein Arbeitgeber, der die Gesundheit seiner Arbeitnehmer gegen Unfälle versichert, die erhaltene Versicherungssumme regelmäßig an den geschädigten Arbeitnehmer weiterleiten, wenn die Versicherung ohne dessen schriftliche Einwilligung geschlossen wurde (zuletzt BAG Urteil vom 21. Februar 1990 - 5 AZR 169/89 - AP Nr. 3 zu § 179 VVG). Denn nach § 179 Abs. 2 VVG gilt eine Versicherung gegen Unfälle, die einem anderen zustoßen, "im Zweifel als für Rechnung des anderen genommen". Für diesen Fall verweist § 179 Abs. 2 Satz 2 VVG auf §§ 75 ff. VVG. Die Rechte aus der Versicherung stehen damit der versicherten Person zu. Der Versicherungsnehmer ist dann nur formeller Träger der Versicherungsrechte. Soweit ihm die Versicherungssumme zufließt, hat er in der Art eines gesetzlichen Treuhänders das empfangene Geld an die versicherte Person auszukehren. Mit dieser gesetzlichen Regelung soll jeder Anreiz zur Spekulation mit der Gesundheit eines Dritten hinter dessen Rücken verhindert werden. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die versicherte Person schriftlich in den Versicherungsabschluß eingewilligt hat.

2. Diese Grundsätze gelten auch hier. Der Kläger hat in die Aufnahme in die Gruppenunfallversicherung nicht schriftlich eingewilligt. Da das Arbeitsverhältnis der Parteien deutschem Arbeitsrecht unterliegt, sind auch die zum Schutz der versicherten Person bestehenden nationalen versicherungsrechtlichen Bestimmungen für die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien maßgeblich. Es ist deshalb unerheblich, daß wohl nicht die Beklagte, sondern die Konzernmutter Versicherungsnehmer ist und die Beklagte keinen eigenen versicherungsrechtlichen Anspruch erworben hatte.

3. Die Beklagte ist nicht berechtigt, einen Teil der Versicherungssumme mit ihren unfallbedingten Aufwendungen zu verrechnen.

a) Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, eine Anrechnungsbefugnis könne sich aus betrieblicher Übung ergeben. Es hat hierzu das "Handbuch Policen" herangezogen und als Konzernrichtlinie bewertet. Danach stehe die Auszahlung der Versicherungsleistung im Ermessen der Konzerngesellschaft. Da die Beklagte lediglich ihren eigenen Schaden abgedeckt habe, entspreche ihr Vorgehen billigem Ermessen im Sinne von § 315 Abs. 3 BGB. Jedenfalls müsse der Kläger den Abzug nach Treu und Glauben hinnehmen. Denn die Beklagte dürfe bei der Abwicklung des Versicherungsfalles ihre eigenen anzuerkennenden Interessen verfolgen. Diese lägen in den erheblichen, nicht einkalkulierbaren Kosten, die mit der Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall verbunden seien. Demgegenüber habe der Kläger ohne eigenes Zutun für seinen Freizeitunfall einen unvorhergesehenen Vermögensvorteil erlangt.

b) Zwar ist das zwischen den Parteien bestehende Innenverhältnis maßgeblich dafür, unter welchen Voraussetzungen der Arbeitgeber die an ihn ausgezahlte Versicherungssumme für eigene Zwecke verwenden kann. Aber entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts besteht für eine Anrechungsbefugnis keine Rechtsgrundlage.

aa) Die Berechtigung der Beklagten ergibt sich nicht aus betrieblicher Übung. Hierunter ist die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers zu verstehen, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle unter den vom Arbeitgeber bestimmten Voraussetzungen eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer eingeräumt werden. Aus diesem als Willenserklärung zu wertenden Verhalten des Arbeitgebers, das von den Arbeitnehmern stillschweigend angenommen wird (§ 151 BGB), erwachsen vertragliche Ansprüche auf üblich gewordene Leistungen.

Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts rechtfertigen keinen Schluß auf das Bestehen einer betrieblichen Übung. Denn es fehlt an den hierzu erforderlichen tatsächlichen Feststellungen darüber, daß die Konzernbedingungen den Arbeitnehmern gegenüber offengelegt und von der Beklagten praktiziert worden sind.

bb) Allgemeine Billigkeitserwägungen begründen keine Verrechnungsbefugnis. Der Arbeitgeber kann sein Risiko der Entgeltfortzahlung mit Hilfe der für die Arbeitnehmer abgeschlossenen Gruppen-Unfallversicherung allenfalls dadurch abdecken, daß er den Versicherungsabschluß offenlegt und die Auszahlungsbedingungen regelt.

(1) Das Bundesarbeitsgericht hat für den vom Arbeitgeber zu zahlenden Zuschuß nach § 1 ArbeiterkrankheitsG vom 26. Juni 1957 bereits entschieden, der Arbeitgeber könne die ihm durch die Krankenvergütung entstandenen Kosten nicht auf die Versicherungssumme anrechnen (Urteil vom 18. Februar 1971 - 5 AZR 318/70 - AP Nr. 2 zu § 179 VVG). Hieran ist auch für den Geltungsbereich des § 616 BGB festzuhalten.

(2) Der Unfall eines Arbeitnehmers ist regelmäßig mit seinem krankheitsbedingten Ausfall und damit mit Entgeltfortzahlung des Arbeitgebers verbunden. Die Minderung der Versicherungssumme um die dem Arbeitgeber entstandenen Kosten widmet die Fremdversicherung zumindest teilweise in eine Eigenversicherung des Arbeitgebers um. Die Versicherung wird zweckentfremdet. Zur Höhe des Arbeitsentgelts und den Kosten des Arbeitgebers, steht die Höhe der Versicherungssumme in keiner Beziehung. Sie wird vielmehr ausschließlich von dem Ausmaß der erlittenen Körperbeschädigung bestimmt und ist damit Ausgleich für persönliches Unglück. Die Kürzung der Versicherungssumme um die Kosten der Entgeltfortzahlung ist damit nicht vereinbar.

(3) An dieser Beurteilung ändert der von dem Landesarbeitsgericht betonte Umstand des Freizeitunfalls und des dem Kläger zugeflossenen Vermögensvorteils nichts. Die Beklagte muß sich an der in Kenntnis der Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung getroffenen Vorentscheidung festhalten lassen, sowohl Freizeit - wie auch Arbeitsunfälle gleichermaßen zu versichern. Da die Unfallversicherung als Summenversicherung nicht dem Ersatz eines materiellen Schadens dient, verbieten sich Erwägungen, der Arbeitnehmer sei um die Versicherungssumme bereichert oder müsse nach Treu und Glauben zugunsten des Arbeitgebers einen Vorteilsausgleich hinnehmen.

(4) Das Landesarbeitsgericht hat sich für seine Auffassung auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs berufen. Danach darf der Versicherungsnehmer bei der Abwicklung des Versicherungsfalls eigene, anerkennenswerte wirtschaftliche Interessen berücksichtigen (BGHZ 64, 260, 265; BGH Urteil vom 13. Januar 1981 - VI ZR 180/79 - VersR 1981, 447). Diese Rechtsprechung betrifft nur den Sonderfall der Kraftfahrzeug-Insassen-Unfallversicherung. Sie trägt dem Umstand Rechnung, daß der Kraftfahrzeughalter sich und nahe Angehörige vor Schadenersatzansprüchen von Insassen schützen will. Sie berücksichtigt außerdem die Gleichartigkeit der versicherungsrechtlichen Ansprüche aus Haftpflicht- und Unfallversicherung. Beide Gesichtspunkte haben für die hier umstrittenen Leistungen aus einer Freizeitunfallversicherung keine Bedeutung.

Der Abschluß einer Gruppen-Unfallversicherung läßt regelmäßig keinen eigenen Sicherungszweck des Arbeitgebers erkennen, sondern lediglich Fürsorge oder Vorsorge für den Arbeitnehmer. Zwischen dem Halter eines Kraftfahrzeugs und den Insassen bestehen anders als beim Arbeitsverhältnis regelmäßig keine vertraglichen Beziehungen, sondern es ist eher zufällig, ob und wer Versicherter der Fremdversicherung ist.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Düwell Schmidt Reinecke Hammer Gaber Gaber

Ende der Entscheidung

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