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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 07.08.2000
Aktenzeichen: GrS 2/99
Rechtsgebiete: KStG


Vorschriften:

KStG § 8 Abs. 1
EStG § 5 Abs. 1
BUNDESFINANZHOF

Eine Kapitalgesellschaft, die mehrheitlich an einer anderen Kapitalgesellschaft beteiligt ist, kann Dividendenansprüche aus einer zum Bilanzstichtag noch nicht beschlossenen Gewinnverwendung der nachgeschalteten Gesellschaft grundsätzlich nicht aktivieren.

KStG § 8 Abs. 1 EStG § 5 Abs. 1

Beschluss vom 7. August 2000 - GrS 2/99 -

Vorlagebeschluss vom 16. Dezember 1998 I R 50/95 (BFHE 187, 305, BStBl II 1999, 551)


Gründe

A. Anrufungsbeschluss des I. Senats

I. Vorgelegte Rechtsfrage

Der I. Senat hat durch Beschluss vom 16. Dezember 1998 I R 50/95 (BFHE 187, 305, BStBl II 1999, 551) dem Großen Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) nach § 11 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die Rechtsfragen zur Entscheidung vorgelegt:

1. Kann ein Unternehmer, der in seinem Betriebsvermögen eine Mehrheitsbeteiligung an einer Kapitalgesellschaft hält und kraft seiner Stimmenmehrheit diese Gesellschaft beherrscht, seinen Anspruch aus einer nach Ablauf seines Geschäftsjahres beschlossenen Gewinnausschüttung der Gesellschaft in seiner Steuerbilanz zum Ende des betreffenden Geschäftsjahres ("phasengleich") aktivieren?

2. Besteht ggf. die Möglichkeit der phasengleichen Aktivierung allgemein oder nur unter bestimmten Umständen?

Ist sie insbesondere davon abhängig,

- dass im Zeitpunkt der Erstellung der Bilanz des beherrschenden Unternehmens ein Gewinnverwendungsbeschluss oder ein Gewinnverwendungsvorschlag der beherrschten Gesellschaft vorliegt,

- dass die beteiligten Unternehmen einem Konzernabschluss i.S. der §§ 290 ff. des Handelsgesetzbuches (HGB) unterliegen oder

- dass im konkreten Einzelfall bereits am Bilanzstichtag die spätere Ausschüttung wahrscheinlich war?

II. Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH, deren Stammkapital in den Streitjahren 1985 und 1986 zu 100 v.H. von der ... plc, London (M) gehalten wurde. Ihr Wirtschaftsjahr stimmt mit dem Kalenderjahr überein. Die Klägerin hatte im Jahre 1985 letztmalig die Möglichkeit, einen vortragsfähigen Verlust aus dem Jahre 1980 in Höhe von 10 235 009 DM abzuziehen (§ 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes --KStG--, § 10d des Einkommensteuergesetzes --EStG-- i.d.F. vor dem In-Kraft-Treten des Steuerreformgesetzes --StRG 1990-- vom 25. Juli 1988, BGBl I 1093, BStBl I 224, § 52 Abs. 13 c EStG i.d.F. des StRG 1990 vom 25. Juli 1988).

Am 23. Dezember 1985 erwarb die Klägerin mit Wirkung vom gleichen Tage von M 84 v.H. der Aktien an der inländischen ... AG (E-AG) zu einem Kaufpreis von 39 250 000 DM nebst Börsenumsatzsteuer in Höhe von 49 063 DM. M, die die Aktien an der E-AG selbst erst im April/Mai 1985 erworben hatte, stundete der Klägerin den Kaufpreis darlehenshalber. Am 24. Juni 1986 beschloss die Hauptversammlung der E-AG, deren Wirtschaftsjahr ebenfalls mit dem Kalenderjahr übereinstimmte, die Feststellung des Jahresabschlusses zum 31. Dezember 1985. Gleichzeitig wurde beschlossen, je Stammaktie eine Dividende von 29 DM auszuschütten. Für die Klägerin ergab sich hieraus eine Bruttodividende von 5 654 536 DM und eine anrechenbare Körperschaftsteuer in Höhe von 3 180 676 DM. Steuerrechtlich gesehen ist die Bruttodividende um die anrechenbare Körperschaftsteuer zu erhöhen (§ 8 Abs. 1 KStG, § 20 Abs. 1 Nr. 3 EStG), weshalb sich für die Klägerin Einnahmen aus der Beteiligung in Höhe von 8 835 212 DM ergaben.

Der Jahresabschluss der Klägerin auf den 31. Dezember 1985 wurde am 25. Juni 1986 aufgestellt und testiert. In ihm wurde die Dividende der E-AG zuzüglich der anrechenbaren Steuern als Ertrag des Geschäftsjahres 1985 erfasst. Auf dieser Basis ermittelte die Klägerin für den Veranlagungszeitraum 1985 ein Einkommen vor Verlustabzug in Höhe von 10 327 935 DM, so dass sich nach Abzug des aus dem Jahre 1980 vorgetragenen Verlustes ein zu versteuerndes Einkommen von 92 926 DM ergab. Entsprechend erfasste die Klägerin die Dividende nicht in ihrem Jahresabschluss zum 31. Dezember 1986 und in ihrer Körperschaftsteuererklärung 1986. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) folgte dieser Behandlung im Erstbescheid über Körperschaftsteuer 1985, der jedoch gemäß § 164 der Abgabenordnung (AO 1977) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erging.

Nach einer Betriebsprüfung vertrat das FA die Auffassung, der Anspruch auf die Dividende der E-AG sei bei der Klägerin erst nach dem 31. Dezember 1985 entstanden und deshalb erst im Körperschaftsteuerbescheid 1986 zu erfassen. Das FA erließ am 26. April 1991 geänderte Körperschaftsteuerbescheide 1985 und 1986. In dem geänderten Körperschaftsteuerbescheid 1985 wurde ein zu versteuerndes Einkommen von 0 DM und in dem Körperschaftsteuerbescheid 1986 ein solches von 13 803 806 DM angesetzt. Die hiergegen eingelegten Einsprüche und die sich anschließende Klage blieben ohne Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) Münster ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1996, 213, veröffentlicht. Gegen dasselbe legte die Klägerin die vom FG zugelassene Revision ein. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts.

III. Begründung der Vorlage

Wegen der Begründung der Vorlage wird auf den Beschluss des I. Senats in BFHE 187, 305, BStBl II 1999, 551 Bezug genommen.

IV. Stellungnahmen der Beteiligten

Von den Beteiligten hat nur die Klägerin Stellung genommen.

1. Sie beanstandet die Auslegung des § 176 AO 1977 durch den I. Senat. Dieser habe der Revision schon aus Gründen des Vertrauensschutzes stattgeben müssen.

2. Zu der Auffassung des I. Senats, erst bei der Vorbereitung und der Erstellung des Jahresabschlusses der Klägerin habe zuverlässig festgestellt werden können, welche Dividenden die E-AG ausschütten müsse, um die Verlustvorträge der Klägerin aufzubrauchen, merkt diese an, im angelsächsischen Bereich sei es üblich, Abschlüsse auf Monatsbasis zu erstellen. Diese ermöglichten eine sehr genaue Voraussage des Jahresüberschusses. Dies gelte auch für die deutsche Tochtergesellschaft einer englischen Kapitalgesellschaft. Es sei auch keine Fiktion, dass für einen beherrschenden Gesellschafter die Höhe des später auszuschüttenden Gewinns schon am Bilanzstichtag feststehe. Dafür reiche eine entsprechende Gewinnprognose aus, die z.B. schon aus einem Gewinnvortrag resultieren könne.

3. Zu der Überlegung des I. Senats, das Gebot der phasengleichen Aktivierung einer Dividende bei dem beherrschenden Gesellschafter schlage möglicherweise auf den Minderheitsgesellschafter durch, verweist die Klägerin auf das BFH-Urteil vom 17. November 1998 VIII R 24/98 (BFHE 187, 292, BStBl II 1999, 223). Danach kämen bei Mehrheits- und Minderheitsgesellschaftern unterschiedliche Zuflusszeitpunkte in Betracht. Der Hauptfachausschuss des Instituts der Wirtschaftsprüfer habe sich zu dem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 12. Januar 1998 II ZR 82/93 (WPg 1998, 427) in gleicher Weise geäußert.

4. Soweit der I. Senat die Auffassung vertrete, der Maßgeblichkeitsgrundsatz müsse hinter besonderen steuerlichen Grundsätzen zurücktreten, stehe dem die herrschende Literaturmeinung entgegen (vgl. Herzig/Rieck, Internationales Steuerrecht 1998, 309). Folglich könne der Große Senat des BFH nur nach Anrufung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmS-OGB) von der Rechtsprechung des BGH abweichen (vgl. Hoffmann, Der Betrieb --DB-- 1999, 503; Kempermann, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 1999, 408; Kraft, Deutsches Steuerrecht Entscheidungsdienst --DStRE-- 1999, 256).

5. Der vom I. Senat herausgehobene Grundsatz, es könnten nur klare und im Vorhinein getroffene Vereinbarungen der Besteuerung zugrunde gelegt werden, sei gerade im Umwandlungssteuergesetz (UmwStG) vielfach durchbrochen worden. Es sei nicht ersichtlich, weshalb eine solche Durchbrechung nicht auch durch eine ständige Rechtsprechung erfolgen könne. So sei z.B. das Institut der Betriebsaufspaltung ebenfalls nicht gesetzlich geregelt.

6. Es trage nicht zur Rechtssicherheit bei, wenn eine über Jahre hinweg angewendete Rechtsprechung aufgegeben werde, die erst kürzlich noch vom Oberlandesgericht (OLG) Köln bestätigt worden sei (Urteil vom 20. Juli 1998 5 U 256/93, NZG 1999, 82). Auch gehe der I. Senat nicht auf die Frage ein, wie ein generelles Verbot der phasengleichen Dividendenvereinnahmung mit der in § 103 Abs. 2 des Bewertungsgesetzes (BewG) vom Gesetzgeber getroffenen Wertung in Einklang zu bringen sei. Ausweislich der Gesetzesbegründung in BTDrucks 12/1108 vom 3. September 1991 sei § 103 Abs. 2 BewG nur geschaffen worden, um eine Doppelbesteuerung bei der Aktivierung des Dividendenanspruchs durch einen beherrschenden Gesellschafter ohne vorhandenen Gewinnverwendungsbeschluss der beherrschten Gesellschaft zu vermeiden. Der Gesetzgeber habe also erkannt, dass bei konsequenter Anwendung des Maßgeblichkeitsgrundsatzes und bei Beachtung der Rechtsauffassung des BFH (Beschluss vom 3. Februar 1969 GrS 2/68, BFHE 95, 31, BStBl II 1969, 291) zwar steuerrechtlich eine Aktivierung der Dividende beim Dividendenempfänger zu erfolgen habe, der zur Leistung der Dividende Verpflichtete aber eine entsprechende Verbindlichkeit noch nicht passivieren dürfe. Auch der IV. Senat des BFH sei in seinem Urteil vom 26. November 1998 IV R 52/96 (BFHE 187, 492, BStBl II 1999, 547) auf den Widerspruch zu § 103 Abs. 2 BewG nicht eingegangen.

7. Im mehrstufigen Konzern führe eine handelsrechtlich gebotene, jedoch steuerlich unzulässige phasengleiche Aktivierung von Dividenden zu neuen steuerlichen Schwierigkeiten und zu einer effektiven Mehrbelastung. Verfügten die Gesellschafter über den handelsrechtlichen Bilanzgewinn, so sei das steuerliche Ergebnis regelmäßig niedriger mit der Folge, dass eine körperschaftsteuerliche Ausschüttungsbelastung anfalle. Im Ergebnis könne kein Zweifel bestehen (vgl. OLG Köln in NZG 1999, 82, und Hauptfachausschuss, Institut der Wirtschaftsprüfer, a.a.O.), dass eine phasengleiche Aktivierung auch für steuerliche Zwecke als zulässig angesehen werde. Dies zeige nicht zuletzt der Beitrag von Saure in Die steuerliche Betriebsprüfung (StBp) 1998, 131.

B. Entscheidung des Großen Senats zu Verfahrensfragen

I. Mündliche Verhandlung

Der Große Senat entscheidet gemäß § 11 Abs. 7 Satz 2 FGO ohne mündliche Verhandlung, weil eine weitere Förderung der Entscheidung durch eine mündliche Verhandlung nicht zu erwarten ist. Die Vorlagefrage und die unterschiedlichen Auffassungen, die dazu in Rechtsprechung, Schrifttum und Verwaltungsanweisungen vertreten werden, sind im Vorlagebeschluss eingehend dargestellt worden. Die Beteiligten hatten Gelegenheit, zu der Vorlagefrage Stellung zu nehmen.

II. Zulässigkeit der Vorlage

Die Vorlage ist zulässig.

1. Der I. Senat hat den Großen Senat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der vorgelegten Rechtsfrage angerufen. Sie ist für seine Entscheidung in dem anhängigen Revisionsverfahren erheblich. Im Übrigen entscheidet der vorlegende Senat, ob die Anrufung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 17. Juli 1967 GrS 3/66, BFHE 91, 213, BStBl II 1968, 285; vom 28. November 1977 GrS 2-3/77, BFHE 124, 43, BStBl II 1978, 105; vom 9. Juni 1997 GrS 1/94, BFHE 183, 187, BStBl II 1998, 307). Der I. Senat hat hierzu im Vorlagebeschluss Ausführungen gemacht.

2. Der Große Senat kann nicht darüber entscheiden, ob im Streitfall § 176 Abs. 1 Nr. 3 oder Abs. 2 AO 1977 zu Gunsten der Klägerin eingreift. Diese Entscheidung zu treffen, ist ausschließlich Sache des vorlegenden I. Senats. Dieser hat die Rechtsfrage bei der Beschlussfassung über die Vorlage verneint. Daran ist der Große Senat gebunden. Nach § 11 Abs. 7 Satz 1 FGO entscheidet er nur über die ihm vorgelegte Rechtsfrage. Der I. Senat hat aber dem Großen Senat keine Frage zur Auslegung von § 176 Abs. 1 Nr. 3 oder Abs. 2 AO 1977 vorgelegt. Zwar hat der Große Senat die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen zu prüfen. Dies kann aber nicht in der Weise geschehen, dass er über eine materiell-rechtliche Vorfrage anders als der vorlegende I. Senat entscheidet. Eine solche Entscheidung würde zwar das Vorabentscheidungsverfahren beenden, jedoch im Übrigen den I. Senat bei seiner Entscheidung über die Auslegung des § 176 Abs. 1 Nr. 3 oder Abs. 2 AO 1977 in der Sache I R 50/95 nicht binden. Der Große Senat muss deshalb die Zulässigkeit der Vorlagefrage auf der Grundlage der Rechtsauffassung des vorlegenden Senats zu den materiell-rechtlichen Vorfragen prüfen.

C. Entscheidung des Großen Senats über die vorgelegten Rechtsfragen

I. Bisher in der Rechtsprechung und in Schrifttum vertretene Auffassungen

Auf die Darstellung unter III. 1. und III. 2. des Vorlagebeschlusses wird Bezug genommen.

Ergänzend wird auf das BFH-Urteil vom 7. November 1990 I R 68/88 (BFHE 162, 337, BStBl II 1991, 177) verwiesen, in dem der I. Senat bereits Bedenken gegen eine phasengleiche Aktivierung von Dividendenforderungen geltend gemacht hat, ohne über die Rechtsfrage abschließend entscheiden zu müssen. Ferner hat das OLG Köln in NZG 1999, 82 in enger Anlehnung an das Urteil des BGH in WPg 1998, 427 die Möglichkeit einer phasengleichen Aktivierung dem Grunde nach bejaht, auch wenn es die Voraussetzungen in dem entschiedenen Fall als nicht erfüllt angesehen hat. Der BGH hat die eingelegte Revision II ZR 229/98 nicht zur Entscheidung angenommen.

II. Auffassung des Großen Senats

1. Nach § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 und § 5 Abs. 1 EStG ist der Gewinn einer Kapitalgesellschaft der Unterschiedsbetrag zwischen dem Betriebsvermögen am Schluss des Wirtschaftsjahres und dem Betriebsvermögen am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres, vermehrt um verdeckte Gewinnausschüttungen und vermindert um Einlagen. Was "Betriebsvermögen" i.S. der §§ 4 Abs. 1 Satz 1 und 5 Abs. 1 EStG bedeutet, ist gesetzlich nicht ausdrücklich definiert (vgl. Plückebaum in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 4 Rdnr. B 2, B 4; Blümich/Wacker, Einkommensteuergesetz, § 4 Rdnr. 22; Weber-Grellet, Steuerbilanzrecht, München 1996, § 1 Rz. 4). Unter "Vermögen" ist das Eigenkapital als die Differenz zwischen der Summe bzw. dem Saldo aller aktiven und passiven Wirtschaftsgüter zu verstehen (vgl. Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 19. Aufl., § 4 Rz. 42). Bei einer Kapitalgesellschaft besteht das Betriebsvermögen aus allen ihren positiven und negativen Wirtschaftsgütern, die am Bilanzstichtag existent sind. Folglich entscheidet sich die Rechtsfrage, ob eine Kapitalgesellschaft, die am Bilanzstichtag an einer anderen Kapitalgesellschaft beteiligt ist und diese kraft ihrer Stimmenmehrheit beherrscht, einen zivilrechtlich erst durch den Gewinnverwendungsbeschluss nach dem Bilanzstichtag entstehenden Dividendenanspruch schon in ihrer Bilanz zum Bilanzstichtag "phasengleich" aktivieren darf, danach, ob die künftige Dividendenforderung als Wirtschaftsgut bereits mit Ablauf des Bilanzstichtages entstanden war.

2. Der Begriff "Wirtschaftsgut" wurde von der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH) entwickelt (vgl. RFH-Urteil vom 27. März 1928 I A 470/27, RStBl 1928, 260). Er wurde im Jahre 1934 in das EStG übernommen (vgl. Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 9. Aufl., § 4 IV 2 a); er ist eine Zweckschöpfung des Steuerrechts. Allerdings wirkt der Maßgeblichkeitsgrundsatz des § 5 Abs. 1 EStG auch auf den Begriff "Wirtschaftsgut" ein. Danach setzt jedes Wirtschaftsgut voraus, dass es auch nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung auszuweisen ist. Deshalb stimmen die Begriffe "Vermögensgegenstand" und "Wirtschaftsgut" inhaltlich überein (vgl. BFH-Beschlüsse vom 2. März 1970 GrS 1/69, BFHE 98, 360, BStBl II 1970, 382; vom 26. Oktober 1987 GrS 2/86, BFHE 151, 523, BStBl II 1988, 348; seitdem ständige Rechtsprechung). Sie werden durch die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (Bilanzierung) in gleicher Weise geprägt. Dies gilt insbesondere für die Anwendung des Grundsatzes der Einzelbewertung, des Realisationsgrundsatzes, des Stichtagsprinzips und des Vorsichtsprinzips.

3. Die Begriffe "Wirtschaftsgut" und "Vermögensgegenstand" umfassen nicht nur Sachen und Rechte im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), sondern auch tatsächliche Zustände und konkrete Möglichkeiten, d.h. sämtliche Vorteile für den Betrieb, deren Erlangung sich der Kaufmann etwas kosten lässt (vgl. BFH-Urteile vom 22. Februar 1962 IV 58/59 U, BFHE 75, 275, BStBl III 1962, 367; vom 29. April 1965 IV 403/62 U, BFHE 82, 461, BStBl III 1965, 414; BFH-Beschluss vom 16. Februar 1990 III B 90/88, BFHE 160, 364, BStBl II 1990, 794). Sie sind auf der Grundlage einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise auszulegen (vgl. BFH-Urteil vom 12. April 1984 IV R 112/81, BFHE 141, 45, BStBl II 1984, 554). Deshalb ist nicht jeder Vermögenswert ein Wirtschaftsgut (Vermögensgegenstand). Seine Greifbarkeit macht erst das Wirtschaftsgut (Vermögensgegenstand) aus. Er muss als Einzelheit ins Gewicht fallen (vgl. BFH-Urteil vom 18. Juni 1975 I R 24/73, BFHE 116, 474, BStBl II 1975, 809). Es muss sich um eine objektiv werthaltige Position handeln. Das Vorsichtsprinzip verlangt die Berücksichtigung aller Risiken, die hinsichtlich der künftigen Erstarkung zu einer Zivilrechtsposition noch bestehen. Gleichzeitig folgt aus dem Grundsatz der selbständigen Bewertbarkeit, dass ein durch Abspaltung entstehendes Wirtschaftsgut (Vermögensgegenstand) erst dann als solches anzuerkennen ist, wenn es sich zumindest wirtschaftlich bereits verselbständigt (realisiert) hat. Es reicht die bloße Abspaltbarkeit nicht aus.

Deshalb ist die Möglichkeit der Aktivierung einer Dividendenforderung vor Fassung des Gewinnverwendungsbeschlusses im Grundsatz zu verneinen. Die wirtschaftliche Abspaltung (Realisation) einer solchen Dividendenforderung von der ihr zugrunde liegenden Beteiligung kann zeitlich früher nur ausnahmsweise dann und insoweit angenommen werden, als zum Bilanzstichtag ein Bilanzgewinn der Gesellschaft auszuweisen ist, der mindestens ausschüttungsfähige Bilanzgewinn den Gesellschaftern bekannt ist und für diesen Zeitpunkt anhand objektiver Anhaltspunkte nachgewiesen ist, dass die Gesellschafter endgültig entschlossen sind, eine bestimmte Gewinnverwendung künftig zu beschließen. Unter diesen Voraussetzungen ist es denkbar, dass eine Dividendenforderung als Wirtschaftsgut (Vermögensgegenstand) nicht erst mit der Fassung des Gewinnverwendungsbeschlusses, sondern bereits am Bilanzstichtag entsteht. Es liegt im Interesse der Rechtssicherheit, dass diese Prüfung nur an Hand objektiver, nachprüfbarer und nach außen in Erscheinung tretender Kriterien vorgenommen wird. Die Kriterien müssen sich sowohl auf den ausschüttungsfähigen Bilanzgewinn als auch auf die feste Ausschüttungsabsicht der Gesellschafter beziehen. Sie müssen einen sicheren Schluss zulassen und können weder unterstellt noch vermutet werden. Können sie nicht nachgewiesen werden, trägt die objektive Beweislast derjenige, der sich zu seinen Gunsten auf eine phasengleiche Aktivierung beruft.

4. Es ist aus tatsächlichen Gründen schwer vorstellbar, dass ein fremder Kaufmann sich schon am Bilanzstichtag den Erwerb der zivilrechtlich noch nicht entstandenen Forderung etwas kosten lassen würde. Am Bilanzstichtag besteht regelmäßig bezüglich der zivilrechtlichen Entstehung der Dividendenforderung noch keine gesicherte Position. Dies gilt selbst dann, wenn ein Gesellschafter zu 100 v.H. an einer Kapitalgesellschaft beteiligt ist. In diesem Fall kann der mindestens ausschüttungsfähige Bilanzgewinn als Folge der nach dem Bilanzstichtag noch auszuübenden Bilanzierungswahlrechte (z.B. anzuwendende Methode für Absetzung für Abnutzung --AfA--, Inanspruchnahme von Sonderabschreibungen, Zuweisungen an Unterstützungskassen) Änderungen erfahren und deshalb am Bilanzstichtag unbestimmt sein. Vielfach wird unsicher sein, ob der Gesellschafter noch am Bilanzstichtag von der Höhe des mindestens ausschüttungsfähigen Bilanzgewinns Kenntnis erlangte. Die Frage, ob der Gesellschafter bei unterstellter Kenntnis schon am Bilanzstichtag zu einem bestimmten Beschluss über die Gewinnverwendung endgültig entschlossen war, ist eine innere Tatsache, die praktisch nicht bewiesen werden kann und die ihn vor allem nicht daran hindert, nach dem Bilanzstichtag seine Absichten zu ändern. Auf derartige Unsicherheiten würde sich aber ein Erwerber der künftig erst entstehenden Dividendenforderung nicht einlassen. Er würde die Dividendenforderung noch als unselbständigen Teil der Beteiligung behandeln und lediglich ein Entgelt für diese zahlen. Es darf auch einem Alleingesellschafter nicht das Recht abgesprochen werden, erst nach dem Bilanzstichtag abschließend über eine künftig zu beschließende Gewinnverwendung zu entscheiden. Deshalb kann eine Ausschüttungsabsicht des Gesellschafters weder unterstellt noch vermutet werden. Aus dem Gesagten folgt, dass von äußerst seltenen Ausnahmefällen abgesehen die wirtschaftliche Realisation einer Dividendenforderung schon zum Bilanzstichtag noch nicht angenommen werden kann. Dies entspricht der bilanziellen Behandlung bei der ausschüttenden Gesellschaft, die zum Bilanzstichtag noch keine Ausschüttungsverbindlichkeit (= Fremdkapital) ausweisen darf (vgl. Küting/B. Hayn in Küting/Weber, Handelsgesetzbuch, § 272 Rz. 259; Budde/Raff in Beck'scher Bilanzkommentar, § 268 Rz. 7; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Aktiengesellschaft, § 268 Rz. 24).

5. Der Große Senat folgt nicht der von Kammann (Stichtagsprinzip und zukunftsorientierte Bilanzierung, Köln 1988, 202) und Kessler (DB 1997, 1, und StuB 1999, 257) vertretenen Auffassung, wonach bei der wirtschaftlichen Entstehung von Forderungen darauf abzustellen ist, ob die zur Entstehung eines vollwirksamen Rechts noch fehlenden Umstände ausschließlich innerhalb oder auch außerhalb der Einflusssphäre des Bilanzierenden stehen. Auf die Einflusssphäre des Bilanzierenden könnte es nur dann ankommen, wenn den am Bilanzstichtag zur Vollrechtserstarkung noch fehlenden und in der Einflusssphäre des Bilanzierenden liegenden Umständen kein besonderes eigenständiges, wirtschaftliches Gewicht zukäme, d.h. wenn alle Beteiligten von der Vollrechtserstarkung schon am Bilanzstichtag sicher ausgingen. Die im Bezug auf die künftige Gewinnverwendung am Bilanzstichtag tatsächlich bestehende Situation ist jedoch in der Regel eine wesentlich andere. Sie ist unsicher und mit keinem Anwartschaftsrecht vergleichbar, das allein durch Zeitablauf oder durch ein von vornherein vertraglich vereinbartes Verhalten zu einem Vollrecht erstarkt. Selbst wenn der mindestens ausschüttungsfähige Bilanzgewinn zum Bilanzstichtag bekannt sein sollte, so fehlt regelmäßig noch die Meinungsbildung der Gesellschafter darüber, ob der Bilanzgewinn (teilweise) ausgeschüttet werden soll. Diese Meinungsbildung ist so wesentlicher Bestandteil der wirtschaftlichen Entstehung einer Dividendenforderung, dass sie nicht nur als werterhellend, sondern als wertbegründend behandelt werden muss (vgl. Henssler, Juristenzeitung --JZ-- 1998, 701, 708). Soweit sich deshalb die Meinungsbildung der Gesellschafter betreffend die Gewinnverwendung erst nach dem Bilanzstichtag vollzieht, kann eine wirtschaftlich zum Bilanzstichtag entstandene Dividendenforderung noch nicht angenommen werden. Die Tatsache, dass der Allein- oder beherrschende Gesellschafter in besonderer Weise auf den künftigen Gewinnverwendungsbeschluss Einfluss nimmt, besagt nichts darüber, dass derselbe schon zum Bilanzstichtag gefasst wäre. Der Allein- oder Mehrheitsgesellschafter kann sich aufgrund von Empfehlungen seiner Berater oder der Geschäftsleitung nach dem Bilanzstichtag noch anders entscheiden. Der Mehrheitsgesellschafter kann dabei sehr wohl auch die Interessen der Minderheitsgesellschafter in seine Entscheidung einbeziehen. Nicht zulässig wäre es, mittels einer "Sphärentheorie" eine wahlrechtsähnliche Gestaltungsmöglichkeit des Bilanzierenden zu begründen. Dies wäre jedoch der Fall, wenn der Allein- oder beherrschende Gesellschafter stets phasengleich aktivieren könnte, jedoch nicht muss, weil er die "zwangsweise" Aktivierung durch verspätete Bilanzerstellung bei der Tochtergesellschaft wieder verhindern könnte. Eine derartige Gestaltungsmöglichkeit setzt eine gesetzliche Rechtsgrundlage voraus.

6. Auch das Gebot, wertaufhellende Tatsachen zu berücksichtigen, die erst nach dem Bilanzstichtag bekannt werden (Stichtagsprinzip), rechtfertigt keine andere Beurteilung. Dies gilt unabhängig davon, ob man das Wertaufhellungsprinzip in einer subjektiven oder in einer objektiven Konzeption versteht (vgl. dazu Moxter, Phasengleiche Aktivierung von Gewinnansprüchen, Gedächtnisschrift Knobbe-Keuk, Köln 1997, S. 487 ff., 496 ff.). Die Entscheidungen, die erforderlich sind, um aus dem Jahresüberschuss den Bilanzgewinn zu entwickeln, fallen regelmäßig erst nach dem Bilanzstichtag. Selbst wenn man diese wertaufhellend auf den Bilanzstichtag zurückbezieht, folgt aus dem Bilanzgewinn noch keine entsprechende Gewinnverwendung. Vielmehr setzt die Gewinnverwendung die zusätzliche Entscheidung der Gesellschafter voraus, den Bilanzgewinn (teilweise) ausschütten zu wollen. Diese Entscheidung wird typischerweise erst nach dem Bilanzstichtag getroffen. Auf die Ausführungen unter II. 5. wird Bezug genommen. Zivilrechtlich entsteht die Dividendenforderung erst mit der Fassung des Gewinnverwendungsbeschlusses (vgl. BGH-Urteile vom 24. Januar 1957 II ZR 208/55, BGHZ 23, 150, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1957, 588; vom 12. Januar 1998 II ZR 82/93, BGHZ 137, 378; BGH-Beschluss vom 21. Juli 1994 II ZR 82/93, DB 1994, 1868). Auch auf der Grundlage einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise ist die "gesicherte Absicht" der Gesellschafter, einen bestimmten Teil des ausschüttungsfähigen Bilanzgewinns ausschütten zu wollen, ein so wesentlicher Faktor für die Entstehung des Wirtschaftsgutes "Dividendenforderung", dass selbst auf der Grundlage einer objektiven Konzeption des Wertaufhellungsprinzips (noch) kein Wirtschaftsgut (Vermögensgegenstand) angenommen werden kann, wenn zum Bilanzstichtag keine "sichere" Ausschüttungsabsicht objektiv erkennbar besteht. Deshalb lassen sich unter dem Gesichtspunkt der Wertaufhellung weder aus einem später unterbreiteten Gewinnverwendungsvorschlag noch aus einer später beschlossenen Gewinnverwendung Rückschlüsse auf ein bereits zum Bilanzstichtag entstandenes Wirtschaftsgut bzw. einen Vermögensgegenstand "Dividendenforderung" ziehen (vgl. Neu, Betriebs-Berater --BB-- 1995, 399, 401). Es gibt keinen Erfahrungssatz dahin gehend, dass Gesellschafter schon am Bilanzstichtag entschlossen sind, einem später erst unterbreiteten Gewinnverwendungsvorschlag zu folgen oder dass der spätere Gewinnverwendungsbeschluss stets den Willen der Gesellschafter am vorangegangenen Bilanzstichtag widerspiegelt. Auch in tatsächlicher Hinsicht entsteht wegen des zu beachtenden Imparitätsprinzips regelmäßig erst mit der Fassung des Gewinnverwendungsbeschlusses die hinreichend gesicherte Position, die die Voraussetzungen des Wirtschaftsgutsbegriffes erfüllt. Es kann auch nicht darauf ankommen, ob der Jahresabschluss der Tochtergesellschaft vor dem der Muttergesellschaft oder umgekehrt aufgestellt oder festgestellt wird. Der Große Senat folgt in dieser Frage nicht der Rechtsauffassung des X. Senats in dessen Urteil vom 8. März 1989 X R 9/86 (BFHE 156, 443, BStBl II 1989, 714).

7. Diesen Überlegungen steht der "true and fair view"-Grundsatz nicht entgegen. Der BGH spricht diesen Grundsatz in seinem Urteil vom 3. November 1975 II ZR 67/73 (BGHZ 65, 230) mit der Formulierung "verbesserte Einsicht in die wirtschaftlichen Verhältnisse des Mutterunternehmens" an. Es kann dahinstehen, ob dieser Grundsatz schon innerhalb des bis zum 31. Dezember 1985 geltenden deutschen Steuerbilanzrechts Anwendung findet, ob er als Generalnorm des deutschen Steuerbilanzrechts zu verstehen ist und wie sich bejahendenfalls das Konkurrenzverhältnis zu anderen Grundsätzen ordnungsmäßiger Bilanzierung darstellt (vgl. Weber-Grellet, a.a.O., § 5 Rz. 4; Groh, DStR 1998, 813). Der "true and fair view"-Grundsatz bedeutet keine Aufgabe des Realisationsgrundsatzes und des Vorsichtsprinzips. Er ergänzt beide Grundsätze, macht sie jedoch weder überflüssig, noch verkehrt er sie in ihr Gegenteil. Er zwingt steuerrechtlich weder zu einer phasengleichen Aktivierung von Dividendenforderungen als Wirtschaftsgut (Vermögensgegenstand) noch zu einer Zuschreibung auf dem Beteiligungskonto nur deshalb, weil ein gedachter Erwerber des Unternehmens des Gesellschafters für die Beteiligung an der (ausschüttenden) Tochtergesellschaft mit Rücksicht auf den von ihr erzielten bzw. erwarteten Gewinn einen über dem Buchwert liegenden Teilwert zu zahlen bereit wäre. Das Prinzip der Redlichkeit ist nicht tangiert, wenn Gewinne erst in ihrem Realisationszeitpunkt ausgewiesen werden. Das Abstellen auf den Realisationszeitpunkt führt auch nicht dazu, dass ein den tatsächlichen Verhältnissen nicht entsprechendes Bild der Vermögenslage gegeben würde. Die nicht-phasengleiche Aktivierung bedeutet vielmehr nur, dass am Bilanzstichtag ein Wirtschaftsgut bzw. Vermögensgegenstand "Dividendenforderung" noch nicht entstanden ist und dass die in dem Wirtschaftsgut bzw. Vermögensgegenstand "Beteiligung" potentiell enthaltenen stillen Reserven mangels Realisierung noch nicht ausgewiesen werden dürfen. Der Große Senat kommt insoweit allein unter steuerrechtlichen Gesichtspunkten zu einem anderen Ergebnis als der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) in dessen Urteil vom 27. Juni 1996 C-234/94 (Slg. 1996, 3133, i.d.F. des Urteilsberichtigungsbeschlusses vom 10. Juli 1997, Slg. 1997, I-XXXIII), der sich indes nur zu der auch in Deutschland ab dem 1. Januar 1987 geltenden Handelsrechtslage geäußert hat.

8. Aus der Tatsache, dass es handelsrechtliche Ansatz- und Bewertungswahlrechte gibt, die mit Einschränkungen auch steuerrechtlich zu beachten sind, folgt nichts anderes. Die genannten Wahlrechte setzen einerseits eine vom Gesetzgeber vorgegebene Rechtsgrundlage und andererseits die (zweifelsfreie) Existenz eines Vermögensgegenstandes (Wirtschaftsgutes) voraus. Ob die einschlägigen Normen des Handelsrechts tatsächlich ein Wahlrecht zu Gunsten eines bilanzierenden Gesellschafters enthalten, eine Dividendenforderung als Vermögensgegenstand auszuweisen oder nicht auszuweisen, bedarf letztlich keiner Entscheidung. Ein etwaiges handelsrechtliches Wahlrecht, einen Nicht-Vermögensgegenstand als Vermögensgegenstand anzusetzen, wäre in der Sache eine Bilanzierungshilfe (vgl. Knobbe-Keuk, Die AG 1979, 293, 302; dies., Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 9. Aufl., § 5 VII 2 a bb), die steuerrechtlich keine Berücksichtigung findet. Steuerrechtlich gesehen gibt es damit kein Wahlrecht, einen Nicht-Vermögensgegenstand erfolgswirksam wie ein Wirtschaftsgut (Vermögensgegenstand) anzusetzen. Deshalb finden auch die Grundsätze aus BFHE 95, 31, BStBl II 1969, 291 keine Anwendung. Statt dessen ist nach den allgemeinen Voraussetzungen des Wirtschaftsguts- und Vermögensgegenstandbegriffes darüber zu entscheiden, ob ein solches anzusetzen ist oder nicht.

9. Im Streitfall kann auch nicht aus dem Umstand, dass die Klägerin die Beteiligung an der E-AG am 23. Dezember 1985 von der M im Zweifel in der Absicht erwarb, ihren Verlustvortrag durch phasengleiche Aktivierung eines Wirtschaftsgutes bzw. Vermögensgegenstandes "Dividendenforderung" ausnutzen zu können, auf dessen Entstehung zum Bilanzstichtag rückgeschlossen werden. Die entsprechende Argumentation würde vielmehr die Frage aufwerfen, ob ein Wirtschaftsgut bzw. Vermögensgegenstand "Dividendenforderung" nicht schon zum 23. Dezember 1985 mit der Folge anzunehmen wäre, dass die von der Klägerin gezahlten Anschaffungskosten auf die Beteiligung und die "Dividendenforderung" aufzuteilen wären. Die Klägerin müsste dann den tatsächlichen Dividendenzufluss mit der aktivierten Dividendenforderung verrechnen, ohne insoweit einen Gewinn ausweisen zu können. Die aufgezeigte Konsequenz macht deutlich, dass bei phasengleicher Aktivierung von Dividendenforderungen die Entstehung eines entsprechenden Wirtschaftsgutes (Vermögensgegenstand) nicht ohne weiteres erst mit Ablauf des Bilanzstichtages anzunehmen ist, auch wenn man daran zweifeln kann, ob der Erwerber einer Beteiligung beim Erwerb derselben stets Kenntnis von dem zum nächsten Bilanzstichtag ausschüttungsfähigen Bilanzgewinn hat. Dennoch wäre sowohl bei Beteiligungsübertragungen als auch in Fällen abweichender Wirtschaftsjahre im Grundsatz die Entstehung des Wirtschaftsgutes bzw. Vermögensgegenstandes "Dividendenforderung" auf einen Zeitpunkt vor Ablauf des Wirtschaftsjahres zu prüfen. Das vorher Gesagte gilt jedoch nur für den Fall phasengleicher Aktivierung.

10. Die vom Großen Senat nunmehr getroffene Entscheidung steht in keinem Widerspruch zur heutigen Fassung des § 103 Abs. 2 BewG. § 103 Abs. 2 wurde durch das Steueränderungsgesetz 1992 (StÄndG 1992) vom 25. Februar 1993 (BGBl I 1992, 297, BStBl I 1992, 146) in das BewG eingefügt. Die Vorschrift ist erstmals zum 1. Januar 1993 anzuwenden (§ 124 Abs. 1 BewG i.d.F. des StÄndG 1992). Sie hat für den Streitfall schon aus Gründen des Anwendungszeitraums keine Geltung. Im Übrigen hat der Gesetzgeber in § 103 Abs. 2 BewG nicht geregelt, dass Dividendenforderungen von einem beherrschenden Gesellschafter phasengleich aktiviert werden müssen. Die Vorschrift sieht lediglich zu Gunsten der ausschüttenden Gesellschaft den Abzug eines Schuldpostens für den Fall vor, dass der beherrschende Gesellschafter seinen Anspruch auf einen Gewinnanteil gegen die Gesellschaft (zulässigerweise) als Aktivposten ausweist. Sie ordnet selbst aber nicht an, dass und ggf. unter welchen Voraussetzungen ein Dividendenanspruch als Aktivposten anzusetzen ist. Nach der nunmehr vom Großen Senat getroffenen Entscheidung ist eine phasengleiche Aktivierung von Dividendenforderungen in Ausnahmefällen nicht völlig ausgeschlossen.

11. Der Große Senat muss nicht über die Frage entscheiden, ob die phasengleiche Aktivierung von Dividendenforderungen davon abhängig ist, dass die beteiligten Unternehmen einem Konzernabschluss i.S. der §§ 290 ff. HGB unterliegen. Diese Frage ist für die von dem vorlegenden I. Senat zu treffende Entscheidung unerheblich, weil kein Anhaltspunkt dafür vorhanden ist, dass die Klägerin als inländisches Mutterunternehmen einen solchen Konzernabschluss aufstellen muss oder dass der von einem anderen inländischen Mutterunternehmen aufzustellende Konzernabschluss Auswirkungen auf die steuerliche Behandlung der Klägerin haben könnte.

12. Der Große Senat entscheidet die ihm vorgelegten Rechtsfragen zwar nur für den Bilanzstichtag 31. Dezember 1985. Er geht dennoch davon aus, dass die in dieser Entscheidung entwickelten Rechtsgrundsätze für spätere Bilanzstichtage gleichermaßen Anwendung finden.

13. Die vom Großen Senat getroffene Entscheidung zwingt weder zur Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art. 234 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft --EGV-- (n.F.) beim EuGH noch zu einer Anrufung des GmS-OGB.

a) Die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art. 234 EGV (n.F.) scheitert schon daran, dass die Vorlagefragen nur für den Bilanzstichtag 31. Dezember 1985 zu beantworten waren. Damals war das Bilanzrichtlinien-Gesetz (BiRiLiG) vom 19. Dezember 1985 (BGBl I 1985, 2355) noch nicht allgemein anzuwenden (Art. 23 Abs. 1 Satz 1 des Einführungsgesetzes zum Handelsgesetzbuch --EGHGB--). Zwar sieht Art. 23 Abs. 1 Satz 2 EGHGB die Möglichkeit vor, die neuen Vorschriften insgesamt freiwillig auf ein vor dem 1. Januar 1987 beginnendes Geschäftsjahr anzuwenden. Im Streitfall besteht jedoch kein Anhaltspunkt für die Anwendung dieser Vorschriften durch die Klägerin. Deshalb betrifft die vom Großen Senat getroffene Entscheidung nur die Rechtslage vor In-Kraft-Treten des BiRiLiG vom 19. Dezember 1985. Entsprechend berührt sie nicht die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe der Gemeinschaft (Art. 234 Abs. 1 Buchst. b EGV n.F.).

b) Der Große Senat weicht mit der getroffenen Entscheidung von dem Urteil des BGH in BGHZ 65, 230 insoweit ab, als er das dort "mindestens" angenommene handelsrechtliche Wahlrecht, Dividendenforderungen als Vermögensgegenstand phasengleich zu aktivieren, als bloße Bilanzierungshilfe ansieht (vgl. oben C. II. 8.). Aus dieser Divergenz folgt jedoch keine Vorlagepflicht an den GmS-OGB. Die Divergenz ist für den Großen Senat letztlich nicht entscheidungserheblich. Der BGH konnte zu der von ihm in BGHZ 65, 230 vertretenen Rechtsauffassung nur gelangen, indem er zur Auslegung des Begriffes "Vermögensgegenstand" nach dem Bilanzstichtag liegende Ereignisse wie Inhalt und Reihenfolge von Jahresabschlussfeststellungen und Gewinnverwendungsbeschlüssen auf den Bilanzstichtag zurückbezog und das Wertaufhellungsprinzip entsprechend extensiv auslegte. Insoweit folgen aber Handels- und Steuerrecht unterschiedlichen Sachgesetzlichkeiten. Das Handelsrecht wird wesentlich von Gläubigerschutzinteressen beeinflusst, die in den Fällen der hier interessierenden Art einer extensiven Auslegung des Wertaufhellungsprinzips nicht entgegenstehen. Das Steuerrecht ist dagegen öffentliches, d.h. in seinem Kern zwingendes Recht. Es wird wesentlich von dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gleichheit der Besteuerung geprägt. Deshalb können Grund und Höhe der Besteuerung --von gesetzlich normierten Ausnahmen abgesehen-- nicht vom Willen des Steuerpflichtigen abhängig gemacht werden (vgl. BFH-Urteil vom 20. Januar 1999 I R 32/98, BFHE 188, 24, BStBl II 1999, 369). Dies ist aber der Fall, wenn die Anwendung des handelsrechtlichen Wertaufhellungsprinzips einem beherrschenden Unternehmen Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet, die einem gesetzlich nicht vorgesehenen Wahlrecht, einen Nicht-Vermögensgegenstand als Wirtschaftsgut zu behandeln, gleichkommen.

Eine Abweichung von dem BGH-Urteil in BGHZ 137, 378 scheidet aus, weil die Frage der phasengleichen Aktivierung von Dividendenforderungen für die dortige Entscheidung des BGH nicht erheblich war.

III. Entscheidung des Großen Senats

Der Große Senat entscheidet die vorgelegten Rechtsfragen wie folgt:

Eine Kapitalgesellschaft, die am 31. Dezember 1985 an einer anderen Kapitalgesellschaft unmittelbar beteiligt ist und diese kraft ihrer Stimmenmehrheit beherrscht, kann ihren Dividendenanspruch aus einer nach dem 31. Dezember 1985 noch zu beschließenden Gewinnverwendung der nachgeschalteten Gesellschaft grundsätzlich nicht in ihrer Steuerbilanz zum 31. Dezember 1985 ("phasengleich") aktivieren.

Ende der Entscheidung

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