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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 07.04.2005
Aktenzeichen: I B 140/04
Rechtsgebiete: AO 1977, EStG
Vorschriften:
AO 1977 § 191 | |
EStG § 44 |
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Kapitalertragsteuer-Haftungsbescheids.
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist eine GmbH, deren alleinige Gesellschafterin im Streitjahr (1991) eine japanische Kapitalgesellschaft (X-Co.) war. Sie hat ein jeweils zum 31. März endendes abweichendes Wirtschaftsjahr.
Im Jahr 1993 fand bei der Klägerin eine Außenprüfung statt, die sich ausweislich der Prüfungsanordnung u.a. auf die "Kapitalertragsteuer 1988 bis 1991" bezog. Der Prüfer stellte fest, dass es im ersten Quartal 1991 zu verdeckten Gewinnausschüttungen (vGA) der Klägerin in Höhe von 500 000 DM gekommen war, was zwischen den Beteiligten nicht streitig ist. Daraufhin erließ der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) am 16. Januar 1997 einen Haftungsbescheid über "Kapitalertragsteuer 1990 bzw. 1991", der unter Hinweis auf den Prüfungsbericht als "Kapitalertragsteuer 1991" einen Betrag von 166 666 DM ausweist. Der Bescheid trägt den Zusatz, die Festsetzung der Kapitalertragsteuer sei vorläufig i.S. des § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977).
Im Zuge einer weiteren Betriebsprüfung, die sich u.a. auf die "Kapitalertragsteuer 1992 bis 1994" erstreckte, wurde eine tatsächliche Verständigung über anzusetzende vGA getroffen. Danach sollte auf das Wirtschaftsjahr 1991/1992 ein Betrag von 1,5 Mio. DM entfallen, wobei eine zeitanteilige Aufteilung der Kapitalertragsteuer vereinbart wurde. Dem entsprechend erließ das FA am 8. Dezember 1998 einen Haftungsbescheid über Kapitalertragsteuer, in dem es "Kapitalertragsteuer 1991 (01.04. bis 31.12.)" in Höhe von 281 250 DM berücksichtigte.
Die gegen den zweiten Haftungsbescheid gerichtete Klage hat das Finanzgericht (FG) abgewiesen, ohne die Revision gegen sein Urteil zuzulassen. Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin geltend, dass die Revision nach § 115 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zuzulassen sei.
Das FA ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. Eine Zulassung der Revision kann weder wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) noch zum Zweck der Rechtsfortbildung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) erfolgen. Denn die Entscheidung des FG wirft weder eine klärungsbedürftige noch eine nicht hinreichend geregelte Rechtsfrage auf; sie entspricht vielmehr der Gesetzeslage und der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH).
1. Durch diese Rechtsprechung ist einerseits geklärt, dass ein Haftungsbescheid rechtswidrig ist, wenn der ihm zu Grunde liegende Sachverhalt bereits Gegenstand eines bestandskräftig gewordenen und fortbestehenden anderen Haftungsbescheids ist (BFH-Urteil vom 25. Mai 2004 VII R 29/02, BFHE 205, 539, BStBl II 2005, 3). Andererseits hindert ein Haftungsbescheid, der sich auf einen in einem bestimmten Kalenderjahr verwirklichten Sachverhalt bezieht, nicht den Erlass eines weiteren Haftungsbescheids wegen eines demselben Kalenderjahr zuzuordnenden anderen Sachverhalts (BFH-Urteile vom 30. August 1988 VI R 21/85, BFHE 155, 68, BStBl II 1989, 193; vom 21. Juni 1989 VI R 31/86, BFHE 157, 377, BStBl II 1989, 909). Die "Sperrwirkung" eines bestandskräftigen Haftungsbescheids gegenüber einer erneuten Inanspruchnahme des Haftungsschuldners besteht also nur, soweit es um ein und denselben Sachverhalt geht; sie ist in diesem Sinne nicht jahres-, sondern sachverhaltsbezogen (BFH-Urteil vom 8. November 1994 VII R 1/93, BFH/NV 1995, 657, 659, m.w.N.; s. auch Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 23. Aufl., § 42d Rz. 47; Heuermann in Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, § 42d Rz. 138, jeweils zur parallelen Rechtslage bei der Lohnsteuer). Das bedarf keiner weiteren Klärung.
2. Der Streitfall bietet keine Veranlassung, abschließend auf die Frage einzugehen, wann mehrere Haftungsbescheide ein und denselben haftungsbegründenden Sachverhalt und wann sie eine Mehrzahl solcher Sachverhalte betreffen (vgl. dazu z.B. BFH-Urteil vom 16. Dezember 2003 VII R 77/00, BFHE 204, 391, 402 f.; Klein/Rüsken, Abgabenordnung, 8. Aufl., § 191 Rz. 75). Jedenfalls ist nicht klärungsbedürftig, dass zwei Haftungsbescheide sich auf unterschiedliche Sachverhalte beziehen, wenn die ihnen zu Grunde liegenden Haftungstatbestände zu unterschiedlichen Zeitpunkten verwirklicht worden sind (BFH-Urteil vom 4. Juli 1986 VI R 182/80, BFHE 147, 323, BStBl II 1986, 921). Diese Situation ist im Streitfall gegeben:
a) Nach § 44 Abs. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) entsteht die Kapitalertragsteuer, sobald die Kapitalerträge dem Gläubiger zufließen. Der Schuldner des Kapitalertrags muss in diesem Zeitpunkt den Steuerabzug vornehmen (§ 44 Abs. 1 Satz 3 EStG) und die innerhalb eines Kalendermonats einbehaltene Steuer bis zum 10. des Folgemonats abführen (§ 44 Abs. 1 Satz 5 EStG). Jedenfalls die Verletzung dieser Abführungspflicht führt zur Haftung des Kapitalertragsschuldners nach § 44 Abs. 5 Satz 1 EStG.
Vor diesem Hintergrund verwirklicht der Schuldner bei fortlaufender Verletzung seiner Einbehaltungs- und Abführungspflicht in jedem Kalendermonat erneut einen Haftungstatbestand, der sich jeweils auf die Steuer auf die im Vormonat gezahlten Kapitalerträge bezieht. Daher betreffen mehrere Haftungsbescheide, die die Kapitalertragsteuer für unterschiedliche Kalendermonate zum Gegenstand haben, nicht ein und denselben Haftungstatbestand. Daraus folgt, dass ein für frühere Monate ergangener Kapitalertragsteuer-Haftungsbescheid den Erlass eines die Folgemonate betreffenden Bescheids auch dann nicht hindert, wenn beide Bescheide sich auf im gleichen Kalenderjahr verwirklichte Haftungstatbestände beziehen.
b) Im Streitfall hat das FG den ersten gegenüber der Klägerin ergangenen Haftungsbescheid dahin gewürdigt, dass er sich nur auf die im ersten Quartal des Streitjahres entstandene Kapitalertragsteuer bezog. Diese Würdigung lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Insbesondere durfte das FG zur Auslegung des Bescheids den voraufgegangenen Betriebsprüfungsbericht heranziehen (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 12. März 1985 VII R 194/83, BFH/NV 1986, 317; Güroff in Beermann/Gosch, Steuerliches Verfahrensrecht, § 119 AO 1977 Rz. 5, m.w.N.), auf den nach seinen Feststellungen im Haftungsbescheid verwiesen wurde. Dieser Bericht ließ nach der von der Klägerin nicht beanstandeten Würdigung durch das FG eindeutig erkennen, dass es (nur) um die Folgen der im ersten Quartal vollzogenen vGA ging. Angesichts dessen konnte der an ihn anschließende Bescheid den Erlass des hier in Rede stehenden zweiten Haftungsbescheids, der sich auf die in den Folgemonaten entstandene Kapitalertragsteuer bezieht, nicht hindern. Sonstige Erwägungen, aus denen sich im Zusammenhang mit dem angefochtenen Bescheid eine grundsätzlich bedeutsame Rechtsfrage ableiten ließe, hat die Klägerin nicht vorgebracht.
3. Im Hinblick auf den Vortrag der Klägerin zur Notwendigkeit einer Rechtsfortbildung verzichtet der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO auf eine weitere Begründung.
Ende der Entscheidung
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