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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 29.11.2005
Aktenzeichen: I B 196/04
Rechtsgebiete: EStG, FGO


Vorschriften:

EStG § 49
EStG § 50a
EStG § 50a Abs. 4
FGO § 74
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist eine niederländische Kapitalgesellschaft. Sie schloss mit der deutschen C-GmbH einen Vertrag, in dem sie sich verpflichtete, im Zusammenhang mit der Tournee einer Künstlergruppe (X) an die C-GmbH bestimmte Leistungen zu erbringen. Dafür sollte sie von der C-GmbH eine Garantiesumme, einen weiteren Betrag für Zusatzkonzerte und eine Beteiligung an den Einnahmen erhalten.

Im Jahr 1998 beantragte die Klägerin beim Beklagten und Beschwerdegegner (Bundesamt für Finanzen --BfF--) im Hinblick auf die von der C-GmbH gezahlten und noch zu zahlenden Vergütungen eine Freistellung von der Abzugsteuer gemäß § 50a Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Diesen Antrag lehnte das BfF ab. Dagegen erhob die Klägerin nach erfolglosem Einspruchsverfahren eine Klage, mit der sie im Wesentlichen geltend machte, dass die genannten Vergütungen nicht der beschränkten Steuerpflicht und also nicht der Abzugsteuer unterlägen. Parallel zu diesem Klageverfahren führt die Klägerin ein weiteres Verfahren gegen das BfF, in dem sie sich gegen die von der C-GmbH eingereichte Anmeldung der Abzugsteuer für das II. Quartal 1998 wendet; dieses Verfahren, das beim Bundesfinanzhof (BFH) unter dem Aktenzeichen I R 19/04 anhängig ist, wurde mit Beschluss vom 21. Dezember 2004 ausgesetzt.

Im Verlauf des Klageverfahrens wegen Freistellung wies das Finanzgericht (FG) die Beteiligten darauf hin, dass der BFH wiederholt Zweifel an der Vereinbarkeit des Steuerabzugs nach § 50a EStG mit Gemeinschaftsrecht geäußert und deshalb den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) angerufen habe (BFH-Beschlüsse vom 28. April 2004 I R 39/04, BFHE 206, 120, BStBl II 2004, 878; vom 16. Juni 2004 I B 44/04, BFHE 206, 284, BStBl II 2004, 882). Zugleich teilte es mit, dass eine Aussetzung des Klageverfahrens bis zur Entscheidung des EuGH in jenem Verfahren in Betracht komme. Nachdem sich dazu nur das BfF, nicht aber die Klägerin geäußert hatte, setzte das FG das Verfahren bis zur Entscheidung des EuGH über das Vorabentscheidungsersuchen des BFH aus. Zur Begründung führte es sinngemäß aus, das beim EuGH anhängige Verfahren sei vorgreiflich i.S. des § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO), da die zu erwartende Entscheidung des EuGH "über die Frage der europarechtlichen Zulässigkeit des § 50a EStG ... unmittelbare Auswirkungen auf das vorliegende Verfahren" habe.

Mit ihrer Beschwerde rügt die Klägerin eine Verletzung des § 74 FGO. Sie beantragt, den Beschluss des FG aufzuheben.

Das BfF beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

II. Die Beschwerde ist unbegründet. Das FG hat das Klageverfahren im Ergebnis zu Recht ausgesetzt.

1. Nach § 74 FGO kann ein FG die Aussetzung eines bei ihm anhängigen Verfahrens anordnen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist. Eine "Abhängigkeit" in diesem Sinne liegt nicht nur dann vor, wenn die in dem anderen Verfahren zu treffende Entscheidung für das auszusetzende Verfahren bindend ist. Es genügt vielmehr, dass der Ausgang des anderen Verfahrens irgendeinen rechtlichen Einfluss auf das auszusetzende Verfahren hat (Senatsbeschluss vom 18. Juli 1990 I R 12/90, BFHE 161, 409, BStBl II 1990, 986; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 74 Rz. 2, m.w.N.).

2. Auf dieser Grundlage kann ein finanzgerichtliches Verfahren u.a. dann ausgesetzt werden, wenn in ihm Rechtsfragen zu beantworten sind, die dem EuGH zur Vorabentscheidung vorliegen (BFH-Beschlüsse vom 27. April 1995 V B 22/95, BFH/NV 1996, 48; vom 22. Januar 2003 V B 122/02, BFH/NV 2003, 645; Stöcker in Beermann/Gosch, Steuerliches Verfahrensrecht, § 74 FGO Rz. 34; Thürmer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 74 FGO Rz. 93, m.w.N.). Eine solche Situation ist im Streitfall gegeben: Der EuGH wird bei der Entscheidung über das Vorabentscheidungsersuchen des beschließenden Senats (Beschluss in BFHE 206, 120, BStBl II 2004, 878) u.a. darüber befinden müssen, ob der in § 50a Abs. 4 EStG angeordnete Steuerabzug mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist (Rs. C-290/04, "Scorpio"). Verneint er diese Frage, so kann dies dazu führen, dass die Klägerin im Klageverfahren vor dem FG Erfolg haben wird; denn dann müsste --bis zu einer dem Gesetzgeber vorbehaltenen Änderung des § 50a EStG-- ein mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbarer Zustand ggf. durch eine antragsgemäße Freistellung von der Abzugsteuer herbeigeführt werden. Damit aber ist die ausstehende EuGH-Entscheidung für den Ausgang des beim FG anhängigen Verfahrens i.S. des § 74 FGO vorgreiflich.

3. Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin ihr Klagebegehren zunächst auf die Erwägung gestützt hat, ihre Leistungen an die C-GmbH führten nicht zu inländischen Einkünften i.S. des § 49 EStG. Zwar müsste, wenn diese Annahme zuträfe, nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 19. November 2003 I R 22/02, BFHE 205, 37, 45 f., BStBl II 2004, 560, 563 f.) die Klage schon mangels Passivlegitimation des BfF abgewiesen werden; auf die Beantwortung der gemeinschaftsrechtlichen Vorfrage käme es dann möglicherweise nicht an. Jedoch verlangt § 74 FGO nicht, dass die Entscheidung des auszusetzenden Rechtsstreits nur (noch) von dem Ausgang des anderen Verfahrens abhängt; es genügt vielmehr, dass sie unter bestimmten Umständen von dessen Ergebnis beeinflusst werden kann. Das folgt nicht zuletzt daraus, dass § 74 FGO vor allem der Verfahrensökonomie dient; diese Zielrichtung würde verfehlt, wenn die Gerichte im Vorfeld einer Verfahrensaussetzung zunächst alle nicht dem anderen Verfahren vorbehaltenen Punkte abschließend beurteilen und dabei ggf. schwierigen Sach- oder Rechtsfragen nachgehen müssten, die sich --je nach dem Ausgang des anderen Verfahrens-- später unter Umständen als unerheblich erweisen. Aus vergleichbaren Überlegungen heraus hat der Senat auch das bei ihm anhängige Verfahren I R 19/04 ausgesetzt; es ist weder unzulässig noch ermessensfehlerhaft, wenn das FG im Streitfall ebenso verfahren ist.

Ende der Entscheidung

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