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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 07.01.2004
Aktenzeichen: I B 197/03
Rechtsgebiete: AO 1977, EStG, FGO


Vorschriften:

AO 1977 §§ 130 ff.
AO 1977 § 218 Abs. 2
AO 1977 § 240 Abs. 3
EStG § 44 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2
FGO § 69 Abs. 3 Satz 1
FGO § 69 Abs. 2 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) war im Streitjahr 1997 mit 80 v.H. an einer GmbH beteiligt und deren Geschäftsführer. Die GmbH schüttete an den Antragsteller nach den Steuerbescheinigungen am 11. August 1997 für 1995 und am 6. Oktober 1997 für 1996 folgende Dividenden aus:

 1995 DM1996 DM
Dividende145 200,00871 707,00
anrechenbare Körperschaftsteuer62 229,00373 589,00
Einnahmen aus Kapitalvermögen207 429,001 245 296,00
anrechenbare Kapitalertragsteuer36 300,00217 926,40
anrechenbarer Solidaritätszuschlag zur Kapitalertragsteuer2 772,5016 344,48

Am 4. November 1997 beantragte der Antragsteller in seiner Funktion als Geschäftsführer der GmbH, das Konkursverfahren über deren Vermögen wegen Zahlungsunfähigkeit zu eröffnen. Die GmbH teilte dem zuständigen Betriebs-Finanzamt (Betriebs-FA) mit, dass sie die einbehaltene Kapitalertragsteuer für das Streitjahr nicht entrichten könne. Ausweislich der Steuerakten und dem insoweit übereinstimmenden Vorbringen beider Beteiligten erfolgte dies am 14. November 1997.

In seiner Einkommensteuererklärung für 1997 erklärte der Antragsteller entsprechende Einnahmen aus Kapitalvermögen sowie anrechenbare Körperschaftsteuer und Kapitalertragsteuer. Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) rechnete bei Durchführung der Veranlagung die auf die Gewinnausschüttungen für 1995 und 1996 entfallende Kapitalertragsteuer im Ergebnis lediglich in dem von der GmbH tatsächlich abgeführten Umfang von 2 818 DM an. Der Vorbehalt der Nachprüfung des --noch nicht bestandskräftigen-- Einkommensteuerbescheides blieb bestehen.

Der Antragsteller beantragte daraufhin die Erteilung eines Abrechnungsbescheides gemäß § 218 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977), in dem das FA zunächst weiterhin Kapitalertragsteuer nur in dem erwähnten Umfang, in dem dagegen geführten anschließenden Klageverfahren vor dem Finanzgericht (FG) jedoch vollen Umfanges anrechnete. Der Rechtsstreit wurde von den Beteiligten nach Ergehen des Änderungsbescheides vom 13. Januar 2003 in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Bereits durch Bescheid vom 23. Dezember 2002 nahm das FA den Antragsteller gemäß § 44 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) für die einbehaltene, nicht abgeführte Kapitalertragsteuer aus den Ausschüttungen für 1995 und 1996 in Höhe von 251 409 DM in Anspruch. Über den dagegen erhobenen Einspruch ist noch nicht entschieden.

Den zugleich gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung lehnte das FA ab, woraufhin der Antragsteller einen entsprechenden Antrag beim FG stellte. Auch dieser Antrag blieb ohne Erfolg. Die Voraussetzungen des § 44 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 EStG seien erfüllt, weil der Antragsteller die fällige Kapitalertragsteuer für die GmbH nicht unverzüglich an das FA abgeführt habe. Der am 13. Januar 2003 ergangene Abrechnungsbescheid stünde der Inanspruchnahme nicht entgegen.

Dagegen richtet sich die vom FG zugelassene Beschwerde des Antragstellers.

Er beantragt, den FG-Beschluss aufzuheben und die Vollziehung des angefochtenen Bescheides auszusetzen.

Das FA ist dem entgegengetreten. Es beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung. Die Vollziehung des angefochtenen Nachforderungsbescheides vom 23. Dezember 2002 war insoweit auszusetzen, als hierdurch die auf die Gewinnausschüttung für 1996 vom 6. Oktober 1997 entfallende Kapitalertragsteuer nachgefordert wird. Im Übrigen ist der Aussetzungsantrag unbegründet.

1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) soll das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen. Derartige Zweifel sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Steuerbescheids neben für seine Rechtmäßigkeit sprechende Umstände gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182; vom 19. März 1998 VIII B 85/95, BFH/NV 1998, 969). Solche Zweifel sind im Streitfall aufgrund der in diesem Verfahren gebotenen und ausreichenden summarischen Prüfung teilweise gegeben.

a) Allerdings ist dem Antragsteller nicht darin beizupflichten, dass der angefochtene Kapitalertragsteuer-Nachforderungsbescheid wegen des zwischenzeitlich bestandskräftigen Abrechnungsbescheides vom 13. Januar 2003 nicht mehr habe ergehen dürfen: Zum einen erging dieser Abrechnungsbescheid nach Aktenlage ohnehin erst nach Erlass des Nachforderungsbescheides. Zum anderen sind die Inhalte und Regelungsgegenstände des Nachforderungs- und des Abrechnungsbescheides voneinander unabhängig. Der Nachforderungsbescheid ist ein Steuerbescheid, der den Rechtsgrund für den Steueranspruch festlegt. Der Abrechnungsbescheid soll hingegen --nur-- (verbindlich) Klarheit über die im Einzelfall bestrittenen Zahlungsansprüche aus dem Steueranspruch schaffen. Weicht die Abrechnung von dem tatsächlich festgesetzten Steueranspruch ab, so kann dies Anlass geben, den Abrechnungsbescheid ggf. nach Maßgabe der §§ 130 ff. AO 1977 zu berichtigen. Daran, dass aber nur die Beträge abgerechnet werden können, welche durch Steuerbescheid festgesetzt worden sind, ändert dies jedoch nichts.

b) Dem Antragsteller ist auch nicht darin beizupflichten, dass das FA daran gehindert wäre, die nicht abgeführte Kapitalertragsteuer durch einen Steuerbescheid gemäß § 44 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 EStG --als Teil des Steuerabzugsverfahrens (vgl. Seemann in Frotscher, Einkommensteuergesetz, § 44 Rz. 72)-- nachzufordern. Dem steht nicht entgegen, dass der Vergütungsgläubiger zugleich Einkommensteuerschuldner ist (BFH-Urteil vom 23. April 1996 VIII R 30/93, BFHE 181, 7; vgl. zur Trennung beider Verfahren auch Senatsbeschluss vom 26. Februar 2003 I R 30/02, BFH/NV 2003, 1301). c) Die beantragte Aussetzung der Vollziehung ist nach summarischer Prüfung jedoch teilweise zu gewähren, weil ernstliche Zweifel am Vorliegen der Voraussetzungen des § 44 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 EStG bestehen.

aa) Der Gläubiger der Kapitalerträge kann danach nur in Anspruch genommen werden, wenn er weiß, dass der Schuldner der Kapitalerträge die einbehaltene Kapitalertragsteuer nicht vorschriftsmäßig abgeführt hat, und dies dem FA nicht unverzüglich mitteilt. Im Streitfall ist das FG davon ausgegangen, der Antragsteller habe das FA erst am 26. Januar 1998 über die Nichtabführung der Kapitalertragsteuer in Kenntnis gesetzt. Dem hat der Antragsteller widersprochen. Das zuständige Betriebs-FA sei bereits am 14. November 1997 entsprechend informiert worden. Diesen Zeitpunkt legt auch das FA im Streitfall seiner Beschwerdeerwiderung zugrunde. Nach Aktenlage trifft Letzteres zu. Zwar erfolgte die Mitteilung an das Betriebs-FA nicht durch den Antragsteller, sondern durch die GmbH als der Entrichtungssteuerverpflichteten. Nach summarischer Prüfung kann sich dieser Umstand jedoch nicht auswirken, da für die GmbH der Antragsteller tätig wurde. Die Mitteilung ist ihm insofern jedenfalls konkludent auch persönlich --als Vergütungsgläubiger-- zuzurechnen.

bb) Auch unter dieser Voraussetzung kann indessen kein ernstlicher Zweifel daran bestehen, dass die Mitteilung des Antragstellers an das FA über die Nichtabführung der Kapitalertragsteuer, soweit sie sich auf die Gewinnausschüttung für 1995 vom 11. August 1997 bezieht, nicht mehr "unverzüglich" im Sinne dieser Vorschrift, also nicht ohne schuldhaftes Zögern (vgl. § 121 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) erfolgt ist. Das liegt, wie letztlich auch der Antragsteller selbst einräumt, auf der Hand. Denn die bei Auszahlung einbehaltene Kapitalertragsteuer ist bis zum 10. des folgenden Monats an das FA abzuführen (§ 44 Abs. 1 Satz 5 EStG), bezogen auf die Gewinnausschüttung vom 11. August 1997 also spätestens am 10. September 1997. Wenn die Steuerabführung durch die GmbH zu diesem Zeitpunkt ausblieb und der Antragsteller dies wusste, das FA aber dennoch erst am 14. November 1997 hiervon unterrichtete, kann von einer unverzüglichen Mitteilung keine Rede mehr sein.

cc) Für die Ausschüttung für 1996 vom 6. Oktober 1997 liegen die Dinge jedoch anders. Die darauf entfallende Kapitalertragsteuer hätte erst am 10. November 1997 abgeführt werden müssen, unter Einbeziehung der sog. Schonfrist gemäß § 240 Abs. 3 AO 1977 sogar erst am 15. November 1997. Der Antragsteller wusste, dass die GmbH dieser Entrichtungsverpflichtung nicht nachgekommen ist. Da das FA darüber am 14. November 1997 in Kenntnis gesetzt wurde, ist dies "unverzüglich" geschehen. Dass der Antragsteller als Geschäftsführer der GmbH bereits am 4. November 1997 den Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens über deren Vermögen gestellt hatte, kann daran --jedenfalls nach summarischer Prüfung-- nichts ändern. Wurden die ausbezahlten Kapitalerträge --wie im Streitfall-- vom Vergütungsschuldner vorschriftsmäßig gekürzt, kommt eine Inanspruchnahme des Gläubigers für die einbehaltene Kapitalertragsteuer nur nach Maßgabe der in § 44 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 EStG aufgeführten Einschränkungen in Betracht. Das Gesetz entlastet den Gläubiger, wenn er dem FA sein Wissen über die Nichtabführung der Steuer mitteilt. Maßgeblich hierfür ist die Nichtabführung im Zeitpunkt der Nichtabführungspflicht. Das Wissen darum, dass es voraussichtlich nicht zur Abführung kommen wird, reicht nach dem Regelungswortlaut des § 44 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 EStG ("... abgeführt hat ...") nicht aus.

2. Da das FG eine abweichende Rechtsauffassung vertreten hat, war sein Beschluss aufzuheben. Die Vollziehung des angefochtenen Bescheides war in entsprechendem Umfang auszusetzen. Dem FA wird die Berechnung der auszusetzenden (Teil-)Beträge nach Maßgabe der vorstehenden Entscheidungsgründe übertragen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO).

Ende der Entscheidung

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