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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 27.03.2001
Aktenzeichen: I B 25/00
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO, ZPO


Vorschriften:

AO 1977 § 160
FGO § 46 Abs. 1
FGO § 51 Abs. 1 Satz 1
ZPO § 42 Abs. 1
ZPO § 42 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Bei der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) wurde für die Jahre 1994 bis 1996 eine Außenprüfung durchgeführt. Der Prüfer gelangte zu der Erkenntnis, Scheckzahlungen der Klägerin in Höhe von ... DM seien nicht auf Konten der Rechnungsausstellerin, einer Firma K-GmbH, vielmehr über diverse, als Geldwaschkonten bekannte Drittkonten eingelöst worden. Dies wurde in einem "1. Zwischenbericht" vom 22. Mai 1998 festgehalten; zugleich wurde ein Strafverfahren eingeleitet.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) schloss sich dem Prüfer an, versagte den Betriebsausgabenabzug gemäß § 160 der Abgabenordnung (AO 1977) und erließ am 25. Juni 1998 und am 2. September 1998 entsprechende Steuerbescheide.

Dagegen wandte sich die Klägerin mit Einsprüchen vom 24. Juli 1998, über die zwischenzeitlich --am 22. August 2000-- entschieden wurde.

Im April 1999 erhob sie beim Finanzgericht (FG) Untätigkeitsklagen gemäß § 46 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Sachen wurden Richter am Finanzgericht L (RiFG L) als Einzelrichter zugewiesen. Dieser führte --nach Verfahrensverbindung-- am 24. August 1999 eine mündliche Verhandlung durch, aufgrund derer die Sache nach Erörterung des Sach- und Streitstandes vertagt wurde.

Im Anschluss an die mündliche Verhandlung nahm die Klägerin Akteneinsicht, woraufhin sie RiFG L als befangen ablehnte. RiFG L habe in der mündlichen Verhandlung versucht, sie unter Hinweis auf die Unzulässigkeit der Untätigkeitsklagen zu deren Rücknahme zu bewegen, weil das FA wegen teilweise bereits durchgeführter, teilweise noch ausstehender Ermittlungshandlungen aus angeblich zureichendem Grund bislang nicht über die Einsprüche entschieden habe. Die Erkenntnisse, die sie durch die zwischenzeitliche Einsichtnahme in die Akten, vor allem in das sog. "Fallheft", gewonnen habe, zeigten jedoch, dass dies nicht zutreffe: Das FA habe keine einschlägigen Ermittlungsmaßnahmen ergriffen. Die Untätigkeitsklagen seien zulässig. Ein Richter, der der unrechtmäßigen Handlungsweise der Finanzbehörden keinen Einhalt gebiete, sondern diese Vorgehensweise dadurch decke, dass er Tatsachen nicht zur Kenntnis nehme und durch eine formelle "Notbremse" zu korrigieren suche, sei voreingenommen.

Das FG hat die Ablehnungsanträge --ohne Mitwirkung von RiFG L, aber nach dessen dienstlicher Äußerung-- als unbegründet abgelehnt. Ein Richter, der eine Klage für unzulässig halte, dürfe grundsätzlich deren Rücknahme anregen. Es sei nicht erkennbar, dass RiFG L wider besseres Wissen gehandelt habe, zumal seine Rechtsauffassung über die Unzulässigkeit der Untätigkeitsklagen jedenfalls für den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 24. August 1999 zutreffe.

Dagegen richtet sich die Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat.

Das FA hat sich nicht geäußert.

II. 1. Die Ablehnungsgesuche gegen RiFG L sind statthaft. Die Klägerin hat ihr Rügerecht insbesondere nicht deshalb verloren, weil sie sich auf die mündlichen Verhandlungen eingelassen hat, ohne den Ablehnungsgrund geltend zu machen (vgl. § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 43 der Zivilprozeßordnung --ZPO--). Die Gründe, die sie zur Ablehnung des Richters bewogen haben, sind ihr nach Lage der Dinge erst infolge der Akteneinsicht, die sie im Anschluss an die mündliche Verhandlung genommen hat, bekannt geworden.

2. Die Gesuche sind jedoch unbegründet und vom FG im Ergebnis zu Recht abgelehnt worden.

Ein Richter kann gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 42 Abs. 1 und 2 ZPO wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn dieser seine Meinung, die Klage werde keinen Erfolg haben, in einer Weise äußert, die dem Kläger Grund für die Befürchtung gibt, der Richter werde Gegengründen nicht mehr aufgeschlossen gegenüberstehen. So kann es sich gerade auch dann verhalten, wenn ein Richter mit eindeutiger Gewissheit von der Unzulässigkeit der Klage ausgeht (vgl. z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555; vom 9. Dezember 1987 III B 40/86, BFH/NV 1988, 251; vom 29. April 1988 VI B 47/87, BFH/NV 1988, 794; vom 20. Oktober 1997 V B 80/97, BFH/NV 1998, 592). So liegen die Dinge im Streitfall jedoch nicht.

Nach den Darlegungen der Klägerin, die durch die dienstliche Äußerung von RiFG L bestätigt wird, ist dieser in der mündlichen Verhandlung zwar davon ausgegangen, die Untätigkeitsklagen seien unzulässig. Er hat der Klägerin deshalb geraten, die Klagen zurückzunehmen. Diese Rechtsansicht beruhte nach der unwidersprochenen Äußerung des Richters auf der Annahme, das FA habe einen zureichenden Grund, weshalb es bis dahin noch nicht über die Einsprüche entschieden habe. Zum einen sei das Außenprüfungsverfahren gegen die Klägerin nicht abgeschlossen. Zum anderen habe das FA, wie sich aus dem "Fallheft" ergebe, weitere Handlungen ausgeführt, um den Empfänger der Scheckzahlungen zu ermitteln. Darüber sei die Klägerin informiert worden. Dass diese Ermittlungen bei einem Dritten, der Firma K-GmbH, durchgeführt worden seien, sei unbeachtlich.

Das FG hat diese Rechtsauffassung in dem angefochtenen Beschluss ausdrücklich bestätigt. Die Klägerin ist hingegen anderer Auffassung. Für das Befangenheitsgesuch kommt es jedoch weder auf die Richtigkeit des einen noch des anderen an. Diese Fragen müssen ggf. der eigentlichen Sachentscheidung überlassen bleiben; sie sind nicht Gegenstand dieses Verfahrens und dürfen in diesem auch nicht vorweggenommen werden. Im Streitfall ist allein von Bedeutung, ob das Verhalten des Richters Anlass für die Annahme gibt, er stünde den Beteiligten nicht unvoreingenommen gegenüber. Dafür ist indes nichts vorgebracht worden.

Dass ein Richter während einer mündlichen Verhandlung seine Rechtsauffassung --ungeachtet dessen, ob dieser zu folgen ist oder nicht-- klar äußert, ist nicht nur unschädlich, vielmehr in einem offenen Rechtsgespräch mit den Beteiligten erwünscht (vgl. BFH-Beschlüsse in BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555; in BFH/NV 1988, 251; in BFH/NV 1998, 592). Es ist auch sachgerecht, wenn er --nicht zuletzt aus Kostengründen-- die Rücknahme einer Klage anregt, die er für unzulässig hält. Das ist schon deswegen unumgänglich, weil er andernfalls nicht seiner Prozessförderungspflicht nachkommen könnte (BFH-Beschluss in BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555). Er darf dies nur nicht in einer Art und Weise tun, die befürchten lässt, dass er das weitere Verfahren nicht nur vorläufig, sondern endgültig beurteilen werde (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1988, 794; in BFH/NV 1998, 592). Für eine solche Befürchtung besteht bei RiFG L nach Prüfung der Aktenlage und des Vorbringens der Klägerin kein Anlass. Daran, dass er die Sache nach Durchführung der mündlichen Verhandlung auf Wunsch der Klägerin vertagt hat, um dieser Gelegenheit zu weiteren Nachweisen zu geben, erweist sich im Gegenteil, dass er seine Auffassung zur Zulässigkeit der Klagen nicht unter allen Umständen durchsetzen wollte.

Abgesehen davon dürfte die Frage der Zulässigkeit der Untätigkeitsklagen mittlerweile nach Ergehen der Einspruchsentscheidung ohnehin hinfällig sein.



Ende der Entscheidung

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