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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 12.09.2006
Aktenzeichen: I B 27/06
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob Einkünfte des Klägers und Beschwerdegegners (Kläger) nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 11. August 1971 (DBA-Schweiz) in Deutschland besteuert werden dürfen.

Der Kläger wohnt in der Schweiz und ist Geschäftsführer einer Schweizer GmbH (T-GmbH). Diese schloss im Jahr 1998 mit der in Deutschland ansässigen R-AG einen "Rahmenvertrag", nach dem sie die R-AG in bestimmten Fragen beraten sollte. Dabei ging es vor allem um die Restrukturierung einer Tochtergesellschaft der R-AG, der R-GmbH. Die T-GmbH sollte für ihre Tätigkeit ein Honorar von 450 000 DM, bei überdurchschnittlichem Erfolg 500 000 DM erhalten.

Um die Restrukturierung "professionell abzusichern", wurde zudem vereinbart, dass der Kläger selbst die Geschäftsführung der R-GmbH übernehmen sollte. Zu diesem Zweck wurde ein weiterer Vertrag geschlossen, nach dem der Kläger mit Wirkung zum 1. Juli 1998 zum Geschäftsführer der R-GmbH berufen wurde. Eine Vergütung für die Geschäftsführertätigkeit war nicht vorgesehen; der Kläger sollte nur seine Aufwendungen für in diesem Zusammenhang anfallende Dienstreisen und Bewirtungen ersetzt erhalten.

Das Dienstverhältnis sollte zunächst mit Ablauf des 30. Juni 1999 enden. In einer später vereinbarten "Vertragsergänzung" heißt es, dass der Kläger auch bei Nichtverlängerung des "Rahmenvertrags" im Rahmen eines üblichen Geschäftsführervertrags als Geschäftsführer der R-GmbH tätig sein solle. Diese Bestellung war bis zum 30. Juni 2003 vorgesehen. Sowohl der "Rahmenvertrag" als auch der zugehörige Dienstvertrag wurden wiederholt, zuletzt bis zum 30. Juni 2001, verlängert.

Im Mai 2001 trafen die R-AG, die R-GmbH, die T-GmbH und der Kläger eine Vereinbarung des Inhalts, dass sowohl der "Rahmenvertrag" mit der T-GmbH als auch der Dienstvertrag mit dem Kläger mit Wirkung zum 31. März 2001 vorzeitig beendet wurden. In der Vereinbarung heißt es weiter, dass der Geschäftsführer-Anstellungsvertrag aus konzernpolitischen Gründen nicht habe realisiert werden können und dass dem Kläger ersatzweise eine Tätigkeit für die R-AG in Asien in Aussicht gestellt worden sei, zu der es aber ebenfalls nicht kommen werde. Als Entschädigung für die vorzeitige Beendigung des Dienstvertrags und für den nicht mehr umsetzbaren "Asien-Anstellungsvertrag" werde der Kläger 665 958 € erhalten.

Die R-AG behielt von dem hiernach an den Kläger zu zahlenden Betrag Lohnsteuer ein und führte diese an den Beklagten und Beschwerdeführer (Finanzamt --FA--) ab. Die dieserhalb erhobene Klage hatte Erfolg: Das Finanzgericht (FG) verpflichtete das FA, die Lohnsteueranmeldung der R-AG dem Antrag des Klägers entsprechend herabzusetzen. Die Revision gegen sein Urteil ließ das FG nicht zu.

Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde macht das FA geltend, dass die Revision nach § 115 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zuzulassen sei.

Der Kläger ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde kann keinen Erfolg haben. Es kann offen bleiben, ob --wie der Kläger meint-- es schon an der notwendigen Darlegung von Gründen für eine Revisionszulassung (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO) fehlt. Denn jedenfalls sind die vom FA geltend gemachten Zulassungsgründe im Streitfall nicht gegeben.

1. Das FG hat die in Rede stehende Vereinbarung dahin gewürdigt, dass dem Kläger die Abfindung nicht für die vorzeitige Aufgabe seines Amtes als Geschäftsführer der R-GmbH, sondern für den Verzicht auf weitere ihm in Aussicht gestellte entgeltliche Beschäftigungen versprochen worden sei. Es hat dabei vor allem auf die Zusage, den Kläger bei einer vorzeitigen Beendigung des "Rahmenvertrages" gegen Entgelt als Geschäftsführer der R-GmbH zu beschäftigen, und auf den beabsichtigten Einsatz des Klägers in Asien abgehoben. Diese Würdigung ist im vorliegenden Verfahren bindend (§ 118 Abs. 2 FGO).

2. Nach der Rechtsprechung des Senats zählt eine Abfindung, die ein Arbeitnehmer für die vorzeitige Aufgabe seines Arbeitsplatzes von seinem Arbeitgeber erhält, zu den Einkünften aus unselbständiger Arbeit i.S. des Art. 15 Abs. 1 DBA-Schweiz. Eine solche Abfindung wird jedoch, sofern es sich nicht um eine Nachzahlung von Arbeitslohn handelt, nicht "für" die geleistete Arbeit bezogen und unterfällt folglich nicht dem Anwendungsbereich des Art. 15 Abs. 1 Satz 2 DBA-Schweiz. Deshalb darf sie, auch wenn der Arbeitnehmer in der Vergangenheit im anderen Vertragsstaat tätig geworden ist, nach Art. 15 Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz nur vom Ansässigkeitsstaat besteuert werden (Senatsurteil vom 24. Februar 1988 I R 143/84, BFHE 152, 500, BStBl II 1988, 819; ebenso zum DBA-Liberia Senatsurteil vom 10. Juli 1996 I R 83/95, BFHE 181, 155, BStBl II 1997, 341). Diese Beurteilung ist im Schrifttum überwiegend auf Zustimmung gestoßen (z.B. Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 15 MA Rz. 144; Brandis in Debatin/Wassermeyer, a.a.O., Art. 18 DBA-Schweiz Rz. 21; Kempermann in Flick/Wassermeyer/ Kempermann, Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland-Schweiz, Art. 15 Anm. 7). Sie entspricht zudem dem insoweit eindeutigen Wortlaut des Abkommens und bedarf daher keiner erneuten Überprüfung.

3. Die Rechtsprechung zur abkommensrechtlichen Behandlung von Abfindungen bezieht sich zwar unmittelbar nur auf Zahlungen, die der Arbeitnehmer anlässlich der Beendigung eines in der Vergangenheit vollzogenen Arbeitsverhältnisses bezieht. Sie muss aber ebenso eingreifen, wenn es --wie im Streitfall-- um eine Entschädigung dafür geht, dass ein (nur) zugesagtes Arbeitsverhältnis nicht zu Stande kommt. Denn in diesem Fall fehlt es erst recht an einem Zusammenhang zwischen einer "ausgeübten" Arbeit und einer "dafür" gezahlten Vergütung, wie ihn Art. 15 Abs. 1 Satz 2 DBA-Schweiz verlangt. Es ist daher nicht klärungsbedürftig, dass jene Vorschrift auch in einer solchen Situation nicht eingreift und es mithin beim ausschließlichen Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaates (Art. 15 Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz) verbleibt.

4. Der Streitfall weist die Besonderheit auf, dass die dem Kläger in Aussicht gestellte Tätigkeit als Geschäftsführer der R-GmbH abkommensrechtlich Art. 15 Abs. 4 Satz 1 DBA-Schweiz unterfällt. Danach können die Einkünfte bestimmter leitender Angestellter einer Kapitalgesellschaft von demjenigen Vertragsstaat besteuert werden, in dem die Gesellschaft ansässig (Art. 4 DBA-Schweiz) ist; das gilt abweichend von der in Art. 15 Abs. 1 DBA-Schweiz niedergelegten Regel auch insoweit, als der Angestellte tatsächlich nicht in jenem Staat tätig wird (Brandis in Debatin/Wassermeyer, a.a.O., Art. 15 DBA-Schweiz Rz. 100, m.w.N.). Daraus lässt sich aber nicht ableiten, dass ein auf Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz gründendes Besteuerungsrecht auch dann Platz greift, wenn es gar nicht zu einem Arbeitsverhältnis gekommen ist. Denn zum einen begrenzt Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz das dort bestimmte Besteuerungsrecht auf Einkünfte "aus dieser Tätigkeit"; er setzt mithin, nicht anders als Art. 15 Abs. 1 Satz 2 DBA-Schweiz, die Ausübung einer Tätigkeit und den Zusammenhang der Einkünfte mit dieser Tätigkeit voraus. Zum anderen geht die Vorschrift historisch auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zurück, nach der Organe einer Kapitalgesellschaft ihre Tätigkeit generell am Sitz der Gesellschaft ausüben (BFH-Beschluss vom 15. November 1971 GrS 1/71, BFHE 103, 433, BStBl II 1972, 68); das steht der Annahme entgegen, dass im Hinblick auf das Erfordernis einer "Tätigkeit" und der Bedeutung des Tätigkeitsortes Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz grundsätzlich anderen Regeln folgt als Art. 15 Abs. 1 DBA-Schweiz. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist deshalb nicht klärungsbedürftig, dass das DBA-Schweiz für die im Streitfall vorliegende Gestaltung nur ein Besteuerungsrecht desjenigen Staates vorsieht, in dem der (verhinderte) Arbeitnehmer ansässig ist.

5. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache lässt sich im Streitfall schließlich nicht daraus ableiten, dass die Finanzverwaltung der Rechtsprechung des Senats zur Besteuerung von Arbeitnehmer-Abfindungen speziell für den Bereich des DBA-Schweiz bislang nicht uneingeschränkt folgt und sich dazu auf eine Verständigungsvereinbarung mit der Eidgenössischen Steuerverwaltung beruft. In diesem Zusammenhang kommt es nicht auf die vom FA aufgeworfene Frage nach der Wirkkraft von Verständigungsvereinbarungen an, weshalb diese Frage --unabhängig von ihrer Klärungsbedürftigkeit-- im Streitfall nicht klärungsfähig ist. Denn das Scheiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF), auf das sich der einschlägige Vortrag des FA bezieht (BMF-Schreiben vom 20. Mai 1997, BStBl I 1997, 560), erfasst die vorliegend zu beurteilende Gestaltung nicht.

In jenem Schreiben heißt es, soweit hier von Interesse, dass "der frühere Tätigkeitsstaat" das Besteuerungsrecht für "Lohn- oder Gehaltsnachzahlungen oder Tantiemen aus dem früheren Arbeitsverhältnis" sowie im Hinblick auf Abfindungen "für das vorzeitige Ausscheiden aus dem Dienst" habe. Bei wechselnden Tätigkeitsorten sei die Abfindung "zeitanteilig entsprechend der Besteuerungszuordnung der Vergütungen aufzuteilen" (BMF-Schreiben in BStBl I 1997, 560). Alle diese Formulierungen verdeutlichen, dass die in dem Schreiben wiedergegebene Verständigungsvereinbarung nur Abfindungen für die Beendigung eines bestehenden Arbeitsverhältnisses im Blick hat. Eine Bestimmung zu Abfindungen dafür, dass es nicht zu einem Arbeitsverhältnis gekommen ist, haben die Vertragsparteien hingegen augenscheinlich nicht treffen wollen; das ist auch nahe liegend, da es in einem solchen Fall regelmäßig an einem Tätigkeitsort und damit an einem Bedürfnis zur Regelung der Besteuerungszuständigkeit fehlt. Anhaltspunkte dafür, dass die Verständigungsvereinbarung dennoch über ihren Wortlaut hinaus auch diesen Fall erfassen soll, sind weder vom FA aufgezeigt worden noch sonst erkennbar. Angesichts dessen könnte selbst dann, wenn man die an die Vereinbarung anknüpfende Verwaltungspraxis für sachlich zutreffend halten wollte, dies keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache begründen.

Ende der Entscheidung

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