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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 16.06.2004
Aktenzeichen: I B 44/04
Rechtsgebiete: EG, EStG 1997, FGO, AO 1977
Vorschriften:
EG Art. 49 | |
EG Art. 50 | |
EStG 1997 § 50a Abs. 4 | |
EStG 1997 § 50a Abs. 5 | |
EStG 1997 § 50d Abs. 1 | |
EStDV § 73e | |
FGO § 69 Abs. 2 | |
FGO § 69 Abs. 3 | |
AO 1977 § 168 |
Gründe:
I.
Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) --eine in Deutschland (Inland) ansässige natürliche Person-- veranstaltete in den Jahren 1998 bis 2000 (Streitjahre) im Inland Konzerte mit Künstlergruppen, deren Mitglieder in den Vereinigten Staaten von Amerika ansässig waren. Die Leistungen der Künstler wurden dem Antragsteller von einer Kapitalgesellschaft (X) zur Verfügung gestellt, deren Geschäftsleitung und Sitz sich in Österreich befanden und die im Inland keine Betriebsstätte unterhielt. X erhielt vom Antragsteller für die Darbietungen der Künstler Vergütungen, die der Antragsteller ohne einen Steuerabzug gemäß § 50a Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in den in den Streitjahren geltenden Fassungen an X auszahlte. Auch Steueranmeldungen über einen Steuerabzug von den an X gezahlten Vergütungen gab der Antragsteller zunächst nicht ab, da X ihm erklärt hatte, seinerseits seien weder ein Steuerabzug noch Steueranmeldungen und -abführungen erforderlich.
Nachdem das Bundesamt für Finanzen (BfF) im Jahr 2002 Anträge der X auf Erteilung von Freistellungsbescheinigungen (§ 50d EStG) abgelehnt und den Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) hierüber unterrichtet hatte, forderte das FA den Antragsteller auf, die Steueranmeldungen nachzuholen und die angemeldeten Steuern zu zahlen. Der Antragsteller gab daraufhin zwei Steueranmeldungen gemäß § 73e der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) mit dem Datum vom 19. August 2002 (für 4. Quartal 1998 bzw. 1. bis 4. Quartal 1999) sowie eine Steueranmeldung mit dem Datum vom 27. September 2002 (für 2. und 3. Quartal 2000) ab und zahlte die angemeldeten Abzugsteuern. Außerdem legte er innerhalb der Rechtsbehelfsfrist Einsprüche gegen die Steueranmeldungen ein und beantragte gleichzeitig die Aufhebung der Vollziehung der Steueranmeldungen.
Über die Einsprüche wurde bisher nicht entschieden. Die Anträge auf Aufhebung der Vollziehung lehnte das FA mit Verwaltungsakt vom 11. Oktober 2002 ab. Auch der beim Finanzgericht (FG) gestellte Antrag, die Vollziehung der Steueranmeldungen aufzuheben, war erfolglos (Beschluss des FG vom 19. Februar 2004).
Mit der vom FG zugelassenen (§ 128 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) Beschwerde beantragt der Antragsteller, den Beschluss des FG und die Vollziehung der angefochtenen Steueranmeldungen aufzuheben. Außerdem hat der Antragsteller angeregt, dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) die Rechtfragen zur Entscheidung vorzulegen, ob das Steuerabzugverfahren gemäß § 50a Abs. 4 und 5, § 50d Abs. 1 EStG gegen Art. 49 und 50 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft i.d.F. des Amsterdamer Vertrags (EG) verstößt.
II.
Die Beschwerde ist begründet. Der Beschluss des FG und die Vollziehung der angefochtenen Steueranmeldungen waren antragsgemäß aufzuheben. Die Rechtmäßigkeit der Steueranmeldungen --die Verwaltungsakten über Steuerfestsetzungen gleichstehen (s. § 168 Satz 1 der Abgabenordnung; Bundesfinanzhof --BFH--, Beschluss vom 13. August 1997 I B 30/97, BFHE 184, 92, BStBl II 1997, 700; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., 2002, § 69 Rz. 55 "Steueranmeldungen")-- ist ernstlich zweifelhaft i.S. des § 69 Abs. 2 FGO.
1. Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 FGO kann das Gericht auf Antrag die Vollziehung eines angefochtenen und schon vollzogenen Verwaltungsaktes aufheben, soweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen oder --was im Streitfall nicht in Betracht kommt-- seine Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn und soweit bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage aufgrund der präsenten Beweismittel, des unstreitigen Sachverhalts und der gerichtsbekannten Tatsachen erkennbar wird, dass aus gewichtigen Gründen Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen oder Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen besteht und sich bei abschließender Klärung dieser Fragen der Verwaltungsakt als rechtswidrig erweisen könnte (BFH-Beschlüsse vom 25. Juli 1994 I B 241/93, BFH/NV 1995, 334; vom 8. August 2001 I B 40/01, BFH/NV 2001, 1536).
2. Im Streitfall ergibt diese summarische Prüfung:
a) Aus gewichtigen Gründen besteht Unsicherheit hinsichtlich der Beurteilung der Rechtsfrage, ob es mit Art. 49 und 50 EG vereinbar ist, dass die Regelungen in § 50a Abs. 4 und 5 und § 50d Abs. 1 EStG auch auf Vergütungen für künstlerische Darbietungen angewendet werden, die ein im Inland ansässiger Vergütungsschuldner an einen in einem anderen EU-Mitgliedstaat ansässigen Angehörigen eines EU-Mitgliedstaats (s. Art. 17 EG) oder an eine diesem gemäß Art. 48 i.V.m. Art. 55 EG gleichgestellte Gesellschaft zu zahlen hat.
Der beschließende Senat hat durch (den zur Veröffentlichung bestimmten) Beschluss vom 28. April 2004 I R 39/04 dem EuGH mehrere Fragen zur Auslegung des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft i.d.F. vor dem Vertrag von Amsterdam (EGV) vorgelegt, die die Vereinbarkeit des Steuerabzugsverfahrens gemäß § 50a Abs. 4 und 5, § 50d Abs. 1 EStG mit Art. 59 und 60 EGV (jetzt Art. 49 und 50 EG) betreffen. Er hat in dem Beschluss Zweifel daran geäußert, ob es mit dem EGV vereinbar ist, dass § 50a Abs. 4 und 5 und § 50d Abs. 1 EStG auch auf Vergütungen für grenzüberschreitende Dienstleistungen innerhalb der Europäischen Union angewendet werden. Wegen der Gründe dieser Zweifel wird --um Wiederholungen zu vermeiden-- auf den Beschluss vom 28. April 2004 I R 39/03 verwiesen.
b) Die Klärung der dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegten Rechtsfragen kann ergeben, dass die mit Einspruch angefochtenen Steueranmeldungen, denen die Regelungen in § 50a Abs. 4 und 5 und § 50d Abs. 1 EStG zu Grunde liegen, gegen den EGV verstoßen und damit rechtswidrig sind.
3. Die Aufhebung der Vollziehung wird nicht von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht. Es sind keine Umstände erkennbar, die den Schluss rechtfertigen, dass bei einem für den Antragsteller ungünstigen Ausgang der Einspruchsverfahren die Realisierung der streitigen Steueransprüche gefährdet ist. Auch das FA hat nicht vorgetragen, dass die Steueransprüche im Fall einer Aufhebung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung gefährdet wären.
4. Von der vom Antragsteller angeregten Vorlage an den EuGH hat der beschließende Senat in Hinblick auf den Vorlagebeschluss vom 28. April 2004 und die Tatsache abgesehen, dass die beantragte Aufhebung der Vollziehung auch ohne eine weitere Vorlage an den EuGH geboten ist (zur Vorlage gemäß Art. 234 EG in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes s. Ehricke in Streinz, EUV/EGV, 2003, Art. 234 EGV Rz. 37).
Ende der Entscheidung
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