Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 15.12.1998
Aktenzeichen: I B 45/98
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO, BGB


Vorschriften:

AO 1977 § 237
AO 1977 § 357 Abs. 3 Satz 1
FGO § 69 Abs. 3
FGO § 69 Abs. 4 Satz 1
FGO § 69 Abs. 2 Satz 2
BGB § 133
BGB § 157
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Die Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) sind Eheleute, die ihren gemeinsamen Wohnsitz im Inland haben. Der Antragsteller ist Prokurist einer Aktiengesellschaft (AG) mit Sitz in Basel (Schweiz). In den Jahren 1991 bis 1995 befand er sich an jeweils über 60 Tagen auf Dienstreisen in Drittstaaten zu Lasten des Betriebs. Weitere Reisetage entfielen auf die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) und die Schweiz. Die Lohneinkünfte dieser Jahre wurden in der Schweiz besteuert.

Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) setzte mit Bescheid vom 15. August 1997 erstmals Einkommensteuervorauszahlungen zum 10. September und 10. Dezember 1997 sowie vierteljährliche Vorauszahlungen ab dem Jahre 1998 fest. Er vertrat die Auffassung, der Antragsteller übe seine Arbeit nicht in der Schweiz aus, soweit er sich für die schweizerische AG auf Reisen in der Bundesrepublik oder in Drittstaaten befinde. Die anteilig auf diese Reisetage voraussichtlich entfallenden Einkünfte seien in die geschätzte Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer einzubeziehen. Zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung berücksichtigte das FA lediglich eine zu erwartende Anrechnung der schweizerischen Steuer nach Maßgabe des Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 11. August 1971 i.d.F. des Protokolls vom 21. Dezember 1992 (DBA-Schweiz 1992; BGBl II 1993, 1886, BStBl I 1993, 927).

Die Antragsteller legten gegen den "Vorauszahlungsbescheid zu ESt etc. für 1997 ... v. 15.08.1997" mit der Begründung Einspruch ein, die Einkünfte des Antragstellers unterlägen in der Bundesrepublik allenfalls dem --mangels anderweitiger Einkünfte nicht zum Tragen kommenden-- Progressionsvorbehalt (Art. 15 Abs. 4, Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d DBA-Schweiz 1992). Gleichzeitig beantragten sie, die Vollziehung des angefochtenen Bescheids auszusetzen.

Das FA lehnte im Verfahren betreffend den "Einspruch gegen den Vorauszahlungsbescheid 1997" die Aussetzung der Vollziehung des "angefochtenen Verwaltungsakts" ab und wiederholte seine bisherige Begründung für die "Anpassung der Vorauszahlungen 1997 ff.". Die Antragsteller beantragten daraufhin beim Finanzgericht (FG), die Vollziehung des Einkommensteuervorauszahlungsbescheids "IV/97 und 1998" auszusetzen, und bezogen in einem nachfolgenden Schriftsatz auch die Vorauszahlung III/1997 in ihren Antrag ein. Das FG lehnte den Antrag ab. Der Beschluß des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1998, 923 veröffentlicht.

Mit ihrer Beschwerde beantragen die Antragsteller, die Vorentscheidung aufzuheben und "die Einkommensteuer-Vorauszahlungen IV/97 und 1998" von der Vollziehung auszusetzen.

Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

II. 1. Die Beschwerde betrifft nicht die zum 10. September 1997 festgesetzte Einkommensteuervorauszahlung. Der Wortlaut der Beschwerdeschrift ist insoweit eindeutig. An diesem müssen sich die steuerlich fachkundig beratenen Antragsteller festhalten lassen, auch wenn die Vorentscheidung teilweise unklare Formulierungen zum Streitgegenstand enthält. Insbesondere läßt sich eine bewußte Beschränkung des Beschwerdeantrags nicht ausschließen. Die Vorauszahlung III/1997 ist möglicherweise bereits geleistet worden. Im Hinblick auf die im Falle eines erfolglosen Rechtsbehelfs festzusetzenden Aussetzungszinsen (§ 237 der Abgabenordnung --AO 1977--) erscheint es nicht von vornherein unwahrscheinlich, daß ein Steuerpflichtiger nur einen Antrag auf Aussetzung, nicht aber auf Aufhebung der Vollziehung stellt.

2. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur teilweisen Aufhebung der Vorentscheidung und zur Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuervorauszahlungsbescheids ab dem 4. Vierteljahr 1997.

a) Der Antrag an das FG, die Vollziehung des Einkommensteuervorauszahlungsbescheids ab dem 3. Vierteljahr 1997 gemäß § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auszusetzen, ist zulässig. Das FA hat den bei ihm gestellten Aussetzungsantrag abgelehnt (§ 69 Abs. 4 Satz 1 FGO). Der Einspruch, der damit verbundene Aussetzungsantrag und die Ablehnung dieses Antrags beziehen sich entgegen der Ansicht des FA auch auf die Festsetzung der Vorauszahlungen für die Jahre ab 1998.

Nach § 357 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 "soll" bei der Einlegung des Einspruchs der Verwaltungsakt bezeichnet werden, gegen den sich der Einspruch richtet. Erforderlich ist, daß sich die Zielrichtung des Begehrens aus der Rechtsbehelfsschrift in der Weise ergibt, daß sich der angesprochene Verwaltungsakt aus dem Inhalt der Rechtsbehelfsschrift entweder selbst ermitteln läßt oder Zweifel oder Unklarheiten am Gewollten durch Rückfragen des FA beseitigt werden können (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 19. Juni 1997 IV R 51/96, BFH/NV 1998, 6). Eine Auslegung der Verfahrenserklärung in entsprechender Anwendung des § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) kann auch außerhalb der Erklärung liegende weitere Umstände berücksichtigen (vgl. zu Prozeßerklärungen BFH-Urteil vom 18. März 1998 II R 41/97, BFH/NV 1998, 1235; BFH-Beschluß vom 29. November 1995 X B 328/94, BFHE 179, 222, BStBl II 1996, 322). Die Auslegung darf aber nicht zur Annahme eines Erklärungsinhalts führen, für den sich in der (verkörperten) Erklärung selbst keine Anhaltspunkte mehr finden lassen (vgl. BFH in BFH/NV 1998, 1235). Ein Einspruch, der nach Wortlaut und Zweck einen eindeutigen Inhalt hat, ist nicht auslegungsbedürftig (vgl. BFH in BFH/NV 1998, 6; BFH-Urteil vom 9. November 1988 I R 202/84, BFH/NV 1989, 616; BFH-Beschluß vom 29. Juli 1992 IV B 44/91, BFH/NV 1993, 2).

Ausgehend von diesen Grundsätzen richtet sich der Einspruch der Antragsteller gegen sämtliche festgesetzten Vorauszahlungen. Die Bezeichnung des angefochtenen Bescheids durch die Antragsteller als "Vorauszahlungsbescheid zu ESt etc. für 1997 ... v. 15.08.1998" läßt nicht den Rückschluß zu, der Rechtsbehelf betreffe nur die Festsetzung der Vorauszahlungen III/1997 und IV/1997. Der Bescheid vom 15. August ist lediglich als "Vorauszahlungsbescheid ..." ohne Jahresangabe überschrieben und setzte im Ergebnis die Vorauszahlungen ab III/1997 fest. Zur Begründung der Festsetzung fügte das FA die "Anlage zum Vorauszahlungsbescheid 1997 ff." bei. Ob bereits diese Bezeichnungen des Verwaltungsakts durch das FA dazu führen, in der Angabe "für 1997" (ohne einen Zusatz "ff.") noch keine Beschränkung des Rechtsbehelfs auf einen Teil der festgesetzten Vorauszahlungen zu sehen, bedarf keiner Entscheidung. Im Streitfall haben die Antragsteller den Einspruch im selben Schriftsatz begründet und dabei sinngemäß auf ihr bisheriges Vorbringen verwiesen, bei zutreffender Auslegung des DBA-Schweiz 1992 seien keine Vorauszahlungen festzusetzen. Zudem ist das FA in dem Vorauszahlungsbescheid für das Jahr 1997 und für die Folgejahre von den gleichen voraussichtlichen Besteuerungsgrundlagen ausgegangen, und zwischen den Beteiligten war ausschließlich die Auslegung des DBA-Schweiz 1992 streitig. Nach diesen ihm bekannten Umständen mußte das FA davon ausgehen, daß die Antragsteller sich mit ihrem Einspruch gegen jedwede Vorauszahlungsfestsetzung wenden wollten.

Die von den Antragstellern bei dem FA beantragte Aussetzung der Vollziehung bezog sich auf den angefochtenen Vorauszahlungsbescheid und somit auch auf die festgesetzten Einkommensteuervorauszahlungen für die Jahre ab 1998. Diesen Antrag hat das FA abgelehnt. Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob das FA aufgrund einer unzutreffenden Auslegung des Antrags lediglich eine Entscheidung hinsichtlich der Vorauszahlungen für das Jahr 1997 treffen wollte. Bei der Auslegung eines Verwaltungsakts sind die §§ 133, 157 BGB entsprechend anzuwenden. Dabei kommt es grundsätzlich nicht darauf an, was die Behörde --subjektiv-- mit ihrer Erklärung gewollt hat. Maßgebend ist für die Auslegung vielmehr der objektive Erklärungsinhalt der Regelung, wie ihn der Steuerpflichtige im Zeitpunkt des Zugangs des Verwaltungsakts nach den ihm bekannten Umständen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte (BFH-Urteil vom 18. Februar 1997 VII R 96/95, BFHE 182, 282, BStBl II 1997, 339). Aus der (damaligen) Sicht der Antragsteller hat das FA ihren Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Vorauszahlungsfestsetzungen für die Jahre 1997 und ab 1998 in vollem Umfang abgelehnt.

b) Entgegen der Vorentscheidung ist die Vollziehung des angefochtenen Einkommensteuervorauszahlungsbescheids ab dem 4. Vierteljahr 1997 auszusetzen. Es ist ernstlich zweifelhaft, ob das FA zu Recht das Gehalt des Antragstellers teilweise in die voraussichtliche Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer einbezogen hat.

aa) Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO soll das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen. Derartige Zweifel sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Steuerbescheids neben für seine Rechtmäßigkeit sprechende Umstände gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (vgl. BFH-Beschlüsse vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182; vom 19. März 1998 VIII B 85/95, BFH/NV 1998, 969). Im Streitfall begegnet die dem angefochtenen Vorauszahlungsbescheid zugrundeliegende Auslegung des DBA-Schweiz 1992 erheblichen Bedenken.

bb) Gemäß Art. 15 Abs. 4 Satz 1 DBA-Schweiz 1992 kann --vorbehaltlich des Art. 15a DBA-Schweiz 1992-- eine natürliche Person, die in einem Vertragstaat ansässig ist, aber als Vorstandsmitglied, Direktor, Geschäftsführer oder Prokurist einer in dem anderen Vertragstaat ansässigen Kapitalgesellschaft tätig ist, mit den Einkünften aus dieser Tätigkeit in diesem anderen Staat besteuert werden, sofern ihre Tätigkeit nicht so abgegrenzt ist, daß sie lediglich Aufgaben außerhalb dieses anderen Staates umfaßt. Besteuert dieser andere Vertragstaat diese Einkünfte nicht, so können sie in dem Staat besteuert werden, in dem die natürliche Person ansässig ist (Art. 15 Abs. 4 Satz 2 DBA-Schweiz 1992). Die Bundesrepublik nimmt bei Personen, die in der Bundesrepublik ansässig sind, Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen i.S. des Art. 15 DBA-Schweiz 1992, soweit sie nicht unter Art. 17 DBA-Schweiz 1992 fallen, von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer aus, vorausgesetzt, die Arbeit wird in der Schweiz ausgeübt und dort besteuert (Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d DBA-Schweiz 1992). Soweit aus der Schweiz stammende Einkünfte nicht bereits von der deutschen Besteuerung freizustellen sind, kommt nach Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 DBA-Schweiz 1992 die Anrechnung schweizerischer Steuern in Betracht.

cc) Die Einkünfte des Antragstellers aus seiner Tätigkeit als Prokurist können gemäß Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz 1992 in der Schweiz besteuert werden. Zutreffend hat das FG weiter angenommen, diese Norm regele nach ihrem Wortlaut kein alleiniges Besteuerungsrecht der Schweiz ("kann ... besteuert werden" und nicht "kann nur ... besteuert werden"), schließe also eine Besteuerung der bezeichneten Einkünfte in der Bundesrepublik nicht aus. Die Doppelbesteuerung wird vielmehr lediglich nach Maßgabe des Art. 24 Abs. 1 DBA-Schweiz 1992 vermieden (vgl. Senatsurteil vom 8. April 1992 I R 68/91, BFH/NV 1993, 295; Brandis in Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 15 DBA-Schweiz Rz. 106).

dd) Entgegen der Ansicht des FG ist aber ernstlich zweifelhaft, ob eine Arbeit nicht auch dann gemäß Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d DBA-Schweiz 1992 "in der Schweiz ausgeübt" wird, wenn ein leitender Angestellter i.S. des Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz 1992 sich auf Dienstreisen außerhalb der Schweiz befindet.

In welchem Staat eine unselbständige Tätigkeit ausgeübt wird, richtet sich in der Regel auch bei Prokuristen und anderen leitenden Angestellten nach dem tatsächlichen Tätigkeitsort (Senatsurteil vom 5. Oktober 1994 I R 67/93, BFHE 175, 424, BStBl II 1995, 95; Senatsbeschluß vom 22. Mai 1997 I B 117/96, BFH/NV 1998, 18). Abkommensrechtliche Begriffe sind jedoch eigenständig auszulegen und zu verstehen (vgl. Senatsurteil vom 8. Juli 1998 I R 57/97, BFHE 186, 374, BStBl II 1998, 672). Bei leitenden Angestellten schweizerischer Kapitalgesellschaften sprechen gute Gründe dafür, das Tatbestandsmerkmal "in der Schweiz ausgeübt" in Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d DBA-Schweiz 1992 nicht nach allgemeinen Grundsätzen zu bestimmen, sondern die für diesen Personenkreis in Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz 1992 getroffene Sonderregelung zu berücksichtigen:

Zum DBA-Schweiz 1931/1959 hat der Große Senat des BFH entschieden, die Tätigkeit des Geschäftsführers einer GmbH mit Sitz im Inland werde stets am Sitz der Gesellschaft ausgeübt, wenn der Geschäftsführer seinen Wohnsitz in der Schweiz habe. Maßgebend sei, daß die einheitlich zu beurteilende Leitungstätigkeit erst am Ort des Sitzes der Gesellschaft wirksam werde (Beschluß vom 15. November 1971 GrS 1/71, BFHE 103, 433, BStBl II 1972, 68). Dieser Rechtsprechung wollte der Gesetzgeber durch Art. 15 Abs. 5 DBA-Schweiz 1971 (BGBl II 1972, 1021, BStBl I 1972, 518) --nunmehr Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz 1992-- (nur) im Verhältnis zur Schweiz Geltung verschaffen (Senatsurteil in BFHE 175, 424, BStBl II 1995, 95). Im Ansatz zutreffend hat das FG zwar darauf hingewiesen, daß eine vom Wortlaut abweichende Motivation bei den Abkommensverhandlungen, die im Abkommenstext keinen Niederschlag gefunden hat, für die Auslegung ebenso unbeachtlich ist wie eine darauf beruhende, vom Abkommenstext abweichende Abkommenspraxis (vgl. Senatsurteil vom 22. April 1998 I R 54/96, BFHE 186, 89, BFH/NV 1998, 1290). Vorliegend lassen sich dem Regelungszusammenhang in Art. 15 Abs. 4 (zuvor Abs. 5) DBA-Schweiz 1971/1992 jedoch Anhaltspunkte für die vom Gesetzgeber beabsichtigte Übernahme der Rechtsprechung des Großen Senats des BFH zum DBA-Schweiz 1931/1959 (in BFHE 103, 433, BStBl II 1972, 68) entnehmen. Nach dieser Norm ist der Sitz der Gesellschaft nur im Regelfall für das Besteuerungsrecht entscheidend. Der Gesetzgeber hat das Besteuerungsrecht nicht vollständig vom örtlichen Bezug der jeweiligen Tätigkeit gelöst. Vielmehr gilt die Sonderregelung des Art. 15 Abs. 4 (zuvor Abs. 5) DBA-Schweiz 1971/1992 nicht, wenn die Tätigkeit lediglich (abgegrenzte) Aufgaben außerhalb des Ansässigkeitsstaates der Kapitalgesellschaft umfaßt. Bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Betrachtung deutet dies darauf hin, daß der Ort des Sitzes der Kapitalgesellschaft letztlich nur deshalb für das Besteuerungsrecht maßgebend sein sollte, weil er --abgesehen von der normierten Ausnahme-- nach der Rechtsprechung des Großen Senats (in BFHE 103, 433, BStBl II 1972, 68) den Tätigkeitsort des leitenden Angestellten bestimmte.

Ausgehend von der vorgenannten, ernsthaft in Betracht zu ziehenden Auslegung des Art. 15 Abs. 4 (zuvor Abs. 5) DBA-Schweiz 1971/1992 könnte es geboten sein, diese Norm bei der Auslegung des Art. 24 Abs. 1 DBA-Schweiz 1971/1992 zu berücksichtigen. Zwar wären die Vertragstaaten nicht gehindert gewesen, für die Regelung des Besteuerungsrechts von einem anders definierten Tätigkeitsort auszugehen als für die Bestimmung der Methode zur Vermeidung der Doppelbesteuerung. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte im Vertragstext und ohne erkennbare Gründe für eine derartige Differenzierung liegt es aber näher, ein einheitliches Verständnis des Tätigkeitsorts leitender Angestellter von Kapitalgesellschaften im DBA-Schweiz 1971/1992 anzunehmen und auch für das Tatbestandsmerkmal "in der Schweiz ausgeübt" in Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d DBA-Schweiz 1971/1992 in der Regel auf den Sitz der Kapitalgesellschaft abzustellen. Dies hätte zur Folge, daß die der schweizerischen Besteuerung unterliegenden (und in der Schweiz tatsächlich besteuerten) Einkünfte aus einer Tätigkeit als leitender Angestellter i.S. des Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz 1992 stets in vollem Umfang --unabhängig vom tatsächlichen Tätigkeitsort-- unter Progressionsvorbehalt freizustellen wären.

Von der Anwendung der Freistellungsmethode auf sämtliche Einkünfte i.S. des Art. 15 Abs. 4 (zuvor Abs. 5) DBA-Schweiz 1971/1992 geht im Ergebnis auch die bislang herrschende Meinung aus (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 1993, 295; FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19. Februar 1988 3 K 257/85, EFG 1988, 403; Geiger/Hartmann/Alscher, Internationales Steuerrecht --IStR-- 1994, 9, 15; Flick/Wassermeyer/Wingert, Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland-Schweiz, Art. 15 Anm. 83; wohl auch Vogelgesang und Grotherr in Becker/Höppner/Grotherr/Kroppen, DBA-Kommentar, DBA-Schweiz Art. 15 Rz. 17, Art. 24 Rz. 27; ebenso die Verwaltungspraxis bis zum Veranlagungszeitraum 1995, vgl. Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 7. Juli 1997, BStBl I 1997, 723; a.A. möglicherweise Da., IStR 1994, 496 und Flick/Wassermeyer/Wingert, a.a.O., Art. 24 Anm. 145). Die demgegenüber nunmehr vom BMF in BStBl I 1997, 723 vertretene Auffassung, bei Einkünften leitender Angestellter von schweizerischen Kapitalgesellschaften aus Inlands- und Drittstaaten könne eine Doppelbesteuerung nur durch die Anrechnung der schweizerischen Steuer vermieden werden, knüpft anscheinend an den tatsächlichen Tätigkeitsort i.S. der Senatsentscheidung in BFHE 175, 424, BStBl II 1995, 95 zum DBA-Kanada an, begegnet aber im Hinblick auf die Sonderregelung in Art. 15 Abs. 4 (zuvor Abs. 5) DBA-Schweiz 1971/1992 den dargestellten Bedenken (ebenso Brandis, a.a.O., Art. 15 DBA-Schweiz Rz. 106 und die vom BMF in BStBl I 1997, 723 mitgeteilte Stellungnahme der schweizerischen Steuerverwaltung). Die abschließende Klärung der Streitfrage muß dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

4. Die Vorentscheidung entspricht nicht den vorgenannten Grundsätzen und war deshalb aufzuheben. Die Vollziehung des angefochtenen Einkommensteuervorauszahlungsbescheids ist ab dem 4. Vierteljahr 1997 gemäß § 69 Abs. 3 FGO auszusetzen.

Ende der Entscheidung

Zurück