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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 12.06.2002
Aktenzeichen: I B 62/01
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO


Vorschriften:

AO 1977 § 69
AO 1977 § 71
AO 1977 § 35
AO 1977 § 90 Abs. 2
FGO § 116 Abs. 6
FGO § 76 Abs. 1
FGO § 76 Abs. 1 Satz 4
FGO § 143 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war in den Jahren 1994 und 1995 im Inland für eine nunmehr insolvente portugiesische Aktiengesellschaft (C) tätig, die an verschiedenen Orten in Deutschland unter Einsatz ausländischer Arbeitskräfte Bauarbeiten ausführte. Sie hatte in der Nähe von X Büroräume angemietet, in denen u.a. der Schriftverkehr und die Verträge mit den Auftraggebern sowie Aufzeichnungen über Lohnvorschüsse und Arbeitsverträge aufbewahrt wurden.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) vertrat nach einer Steuerfahndungsprüfung bei der C die Auffassung, die C habe im Inland eine Betriebsstätte unterhalten und sei daher unabhängig von der Dauer der einzelnen Bauausführungen verpflichtet gewesen, von den auf die inländischen Bauausführungen entfallenden und überwiegend in Portugal ausgezahlten Löhnen Lohnsteuer einzubehalten, anzumelden und abzuführen. Da die C keine inländische Lohnsteuer angemeldet und abgeführt hatte und Unterlagen über die Höhe und die Empfänger der Löhne von ihr nicht vorgelegt wurden, schätzte das FA die Summen der ausgezahlten Löhne und den Bruttosteuersatz und nahm die C durch Haftungsbescheide für Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag in Anspruch. Gegen die Bescheide legte die C Einsprüche ein, über die noch nicht entschieden wurde.

Außerdem erließ das FA gemäß §§ 69, 71 der Abgabenordnung (AO 1977) gegen den Kläger einen Haftungsbescheid über zunächst ca. ... DM und später insgesamt ca. ... DM, da der Kläger seit April 1994 Geschäftsführer der C gewesen sei und die ihm daher obliegenden steuerlichen Pflichten schuldhaft nicht erfüllt habe. Der Kläger legte Einspruch ein. Im Einspruchsverfahren berechnete das FA aufgrund der vorgelegten Lohnlisten die Haftungsbeträge neu und setzte sie auf insgesamt ca. ... DM herab. Die Haftung des Klägers begründete das FA nunmehr damit, dass der Kläger Verfügungsberechtigter i.S. des § 35 AO 1977 gewesen sei.

Im anschließenden Klageverfahren begehrte der Kläger die ersatzlose Aufhebung des Haftungsbescheides. Er machte u.a. geltend: Er sei nur Bauleiter ohne Entscheidungsbefugnis und daher auch kein Verfügungsberechtigter i.S. des § 35 AO 1977 gewesen. Ihn treffe kein Verschulden i.S. des § 69 AO 1977. Außerdem sei es ermessensfehlerhaft, ihn statt der gesetzlichen Vertreter der C in Anspruch zu nehmen. Eine Lohnsteuerpflicht der C hinsichtlich der an die portugiesischen Arbeitnehmer gezahlten Löhne bestehe nicht, da die C in Deutschland keine Betriebsstätte unterhalten habe.

Im Klageverfahren beantragte der Kläger zum Beweis dafür, dass er nur als Bauleiter ohne Entscheidungsbefugnis tätig gewesen sei, die Vernehmung zahlreicher im In- und Ausland lebender Personen als Zeugen. Das Finanzgericht (FG) teilte den Prozessbevollmächtigten des Klägers daraufhin am 21. September 2000 mit, im Ausland lebende Zeugen würden nicht von Amts wegen geladen, sondern müssten zur Sitzung des FG gestellt werden.

Am 30. März 2001 bestimmte das FG den Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 23. April 2001. Es erließ weder Beweisbeschlüsse noch lud es zu dem Termin Zeugen. In der mündlichen Verhandlung, in der der Kläger keine Zeugen stellte, wiederholte der Kläger für den Fall einer völligen oder teilweisen Abweisung der Klage die in seinen Schriftsätzen vom 5. und 7. September 2001 gestellten Anträge auf Vernehmung der benannten Zeugen. Außerdem beantragte er für den Fall, dass das FG dem Klageantrag nicht voll entsprechen wolle, einen neuen Termin zu bestimmen, zu dem der Kläger die im Ausland lebenden Zeugen mitbringen werde. Dass die im Ausland ansässigen Zeugen nicht bereits zu dem Termin am 23. April 2001 gestellt worden waren, begründete der Prozessbevollmächtigte sinngemäß damit, dass der Berichterstatter des FG ihm vor dem Termin mitgeteilt habe, es sollten zunächst keine Zeugen vernommen werden.

Das FG entschied aufgrund der mündlichen Verhandlung am 23. April 2001 und wies die Klage weitgehend ab. Die Revision ließ es nicht zu.

Mit der Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen Verfahrensmängeln, grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und zur Fortbildung des Rechts sowie der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.

Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten und beantragt, sie zurückzuweisen.

II. Die Beschwerde ist begründet. Das FG-Urteil kann auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel der unzureichenden Sachverhaltsaufklärung (Verstoß gegen § 76 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) beruhen. Der beschließende Senat hält es für prozessökonomisch geboten, gemäß § 116 Abs. 6 FGO das FG-Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes und erneuten Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

1. Das FG verstieß gegen § 76 Abs. 1 FGO, als es dem Kläger keine Gelegenheit bot, in einem weiteren Termin die vom Kläger benannten im Ausland ansässigen drei Zeugen dem FG zu stellen und vernehmen zu lassen. Gemäß § 76 Abs. 1 Satz 4 FGO i.V.m. § 90 Abs. 2 AO 1977 müssen im Ausland ansässige Zeugen zwar vom FG nicht von Amts wegen geladen werden, sondern von dem Beteiligten, der ihre Vernehmung beantragt hat, zur Sitzung des FG gestellt werden (s. Senatsbeschlüsse vom 3. Dezember 1996 I B 8/96, I B 9/96, BFH/NV 1997, 580; vom 26. Oktober 1998 I B 48/97, BFH/NV 1999, 506; vom 27. September 1999 I B 49/98, BFH/NV 2000, 452, m.w.N.). Im Streitfall durfte der Kläger aber trotz des Hinweises des FG vom 21. September 2000 davon ausgehen, dass er die im Ausland ansässigen drei Zeugen noch nicht zur mündlichen Verhandlung am 23. April 2001 stellen müsse. Aufgrund der Mitteilung des Berichterstatters des FG, das FG wolle im Termin am 23. April 2001 zunächst sehen, wie weit man in der Sache ohne Zeugenvernehmung komme, konnte der Kläger davon ausgehen, das FG werde ihm vor einer etwaigen für ihn ungünstigen Entscheidung in der Sache Gelegenheit geben, die drei Zeugen in einem weiteren Termin dem FG zu stellen und vernehmen zu lassen.

2. Die Entscheidung des FG kann auf diesem Verfahrensmangel beruhen. Es besteht die Möglichkeit, dass der Kläger die Zeugen zu einem neuen Termin gestellt hätte und das FG nach ihrer Einvernahme zu dem Ergebnis gelangt wäre, der Kläger hafte wegen seiner eingeschränkten rechtlichen und tatsächlichen Verfügungsbefugnis nicht gemäß § 69 i.V.m. § 35 AO 1977 oder nur in geringerem Umfang als bisher vom FG bejaht.

3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens ist gemäß § 143 Abs. 2 FGO dem FG übertragen worden.



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