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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 04.02.1999
Aktenzeichen: I B 64/97
Rechtsgebiete: AO 1977, BpO(St), FGO, Fördergebietsgesetz


Vorschriften:

AO 1977 § 193 Abs. 1
BpO(St) § 4 Abs. 3
BpO(St) § 4 Abs. 3. Satz 2 2.Alt.
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
Fördergebietsgesetz § 6 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Durch Verwaltungsakt vom 31. Juli 1996 ordnete der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) bei der Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) eine steuerliche Betriebsprüfung für die Jahre 1991 bis einschließlich 1994 (Prüfungszeitraum) an. Die Anordnung ist auf § 193 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützt. Die Prüfung soll sich auf die Umsatz-, Körperschaft- und Gewerbesteuer und die Investitionszulagen erstrecken. Die Erweiterung des Prüfungszeitraums um das Jahr 1991 begründete das FA mit einer Rücklage, die die Klägerin gemäß § 6 Abs. 1 des Fördergebietsgesetzes in Höhe von 100 000 DM in der Bilanz auf den 31. Dezember 1991 gebildet hatte. Die Klägerin legte gegen die Prüfungsanordnung Einspruch ein und machte geltend, die Erweiterung des Prüfungszeitraums sei nicht mit § 4 Abs. 3 der Betriebsprüfungsordnung (Steuer) --BpO(St)-- vereinbar und ermessensfehlerhaft.

Das FA wies den Einspruch zurück und begründete dies sinngemäß wie folgt: Für die Jahre 1992 bis 1994 sei bereits mit der Außenprüfung begonnen worden. Aufgrund der dadurch gewonnenen Erkenntnisse bestehe die nicht nur vage Vermutung, daß die Rücklage nicht für Investitionen gebildet worden sei, mit denen die Klägerin bereits 1991 begonnen habe. Die Rücklage sei daher wahrscheinlich zu Unrecht gebildet worden. Eine Nichtanerkennung der Rücklage führe für den Veranlagungszeitraum 1991 zu einer nicht unerheblichen Steuernachforderung. Dies rechtfertige die Erweiterung des Prüfungszeitraums.

Die Klage führte zur Aufhebung der Prüfungsanordnung und der Einspruchsentscheidung, soweit sie das Jahr 1991 betreffen. Das Finanzgericht (FG) verpflichtete außerdem das FA, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des FG hinsichtlich der Betriebsprüfung für das Jahr 1991 neu zu bescheiden. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1997, 778 veröffentlicht.

Mit der Beschwerde begehrt das FA die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache.

Die Klägerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

II. Die Beschwerde ist begründet. Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Die vom FA aufgezeigte Rechtsfrage, ob § 4 Abs. 3 BpO(St) den Ermessensspielraum der Finanzverwaltung dahingehend einschränkt, daß sich die Prüfung im Erweiterungszeitraum auf die Sachverhalte beschränken muß, die in der Begründung für die Erweiterung des Prüfungszeitraums angegeben sind, hat grundsätzliche Bedeutung. Ihre Klärung ist für die Fortbildung und einheitliche Anwendung des Rechts wesentlich.

a) Die Rechtsfrage stellt sich in allen Fällen, in denen bei Klein- oder Mittelbetrieben der Prüfungszeitraum auf mehr als drei Veranlagungszeiträume erweitert werden soll und die Erweiterung --wie im Streitfall-- mit der Erwartung begründet wird, es sei mit nicht unerheblichen Steuernachforderungen oder Steuererstattungen bzw. -vergütungen zu rechnen (§ 4 Abs. 3 Satz 2 2. Alt. BpO(St)).

Die Erweiterung des Prüfungszeitraums muß substantiiert begründet werden (s. Bundesfinanzhof --BFH--, Urteile vom 10. Februar 1983 IV R 104/79, BFHE 137, 404, BStBl II 1983, 286; vom 1. August 1984 I R 138/80, BFHE 142, 198, BStBl II 1985, 350; vom 23. Juli 1985 VIII R 48/85, BFHE 145, 3, BStBl II 1986, 433; vom 14. September 1993 VIII R 56/92, BFH/NV 1994, 677). Es ist daher stets erforderlich, daß die Finanzbehörde ihre Ermessensentscheidung in Fällen der 2. Alt. des § 4 Abs. 3 Satz 2 BpO(St) mit Tatsachen begründet, aus denen sie die Erwartung nicht unerheblicher Steuernachforderungen oder Steuererstattungen bzw. -vergütungen herleitet. Folgt man der Auffassung des FG, ist es den Finanzbehörden in diesen Fällen in der Regel verwehrt, im Erweiterungszeitraum andere als die in der Begründung der Ermessensentscheidung bezeichneten Sachverhalte zu überprüfen (zustimmend Gosch in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 194 AO 1977 Rz. 169).

b) Die Rechtsfrage ist klärungsbedürftig. Der BFH hat sie bisher nicht --jedenfalls nicht eindeutig-- entschieden.

Der BFH hat zwar in den Urteilen in BFHE 137, 404, BStBl II 1983, 286, in BFHE 145, 3, BStBl II 1986, 433 und in BFH/NV 1994, 677 nicht beanstandet, daß die Prüfung sich im Erweiterungszeitraum auch auf Sachverhalte erstrecken sollte, die nicht in den Begründungen der Ermessensentscheidungen über die Erweiterung des Prüfungszeitraums aufgeführt worden waren. Die Entscheidungen bezogen sich jedoch jeweils auf Konstellationen, in denen die Finanzbehörde ein erweitertes Aufklärungsbedürfnis nicht nur in bezug auf einen einzelnen Vorgang angenommen, sondern die Prüfungserweiterung allgemein mit inzwischen festgestellten Unregelmäßigkeiten begründet hatte. Speziell die im Streitfall bestehende Situation wird von ihnen mithin nicht unmittelbar berührt.

2. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Kostenentscheidung des Revisionsverfahrens vorbehalten.

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