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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 23.09.2008
Aktenzeichen: I B 92/08
Rechtsgebiete: AStG i.d.F. bis zur Änderung durch das SEStEG, AStG i.d.F. der Änderungen durch das SEStEG, DBA-Portugal, EG, GG, FGO


Vorschriften:

AStG i.d.F. bis zur Änderung durch das SEStEG vom 7. Dezember 2006 (BGBl I 2006, 2782, berichtigt BGBl I 2007, 68) § 6 Abs. 1
AStG i.d.F. der Änderungen durch das SEStEG vom 7. Dezember 2006 (BGBl I 2006, 2782, berichtigt BGBl I 2007, 68) § 6 Abs. 5
AStG i.d.F. der Änderungen durch das SEStEG vom 7. Dezember 2006 (BGBl I 2006, 2782, berichtigt BGBl I 2007, 68) § 21 Abs. 13 Satz 2
DBA-Portugal Art. 13 Abs. 4
EG Art. 43
GG Art. 20 Abs. 3
FGO § 69 Abs. 3
Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass die sog. Wegzugsteuer nach § 6 Abs. 1 AStG i.d.F. bis zur Änderung durch das SEStEG vom 7. Dezember 2006 (BGBl I 2006, 2782, berichtigt BGBl I 2007, 68) i.V.m. § 6 Abs. 5, § 21 Abs. 13 Satz 2 AStG i.d.F. der Änderungen durch das SEStEG vom 7. Dezember 2006 (BGBl I 2006, 2782, berichtigt BGBl I 2007, 68) weder gegen Gemeinschaftsrecht noch gegen Verfassungsrecht verstößt.
Gründe:

I.

Die Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) sind Eheleute, die im Streitjahr 2004 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Sie verlegten Ende des Streitjahres ihren bisherigen Wohnsitz von Deutschland nach Portugal. Der Antragsteller war zu diesem Zeitpunkt zu über 50 v.H. an zwei inländischen Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH) beteiligt. Im April 2005 wurden die Geschäftsanteile veräußert. Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) besteuerte den Verkehrswert der Anteile im Wegzugszeitpunkt nach Maßgabe von § 6 Abs. 1 des Gesetzes über die Besteuerung bei Auslandsbeziehungen (Außensteuergesetz --AStG--) in der Fassung bis zur Änderung durch das Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften (SEStEG) vom 7. Dezember 2006 (BGBl I 2006, 2782, berichtigt BGBl I 2007, 68) --AStG a.F.-- i.V.m. § 6 Abs. 5, § 21 Abs. 13 Satz 2 AStG in der Fassung der Änderungen durch das Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften (AStG n.F.); er ging dabei davon aus, dass dieser Verkehrswert dem späteren tatsächlichen Veräußerungspreis entsprach.

Die Antragsteller erhoben gegen den hiernach ergangenen Einkommensteuerbescheid vom 18. November 2005 Klage und beantragten zugleich die Aussetzung der Vollziehung (AdV).

Das FA lehnte den AdV-Antrag ab. Der daraufhin beim Finanzgericht (FG) gestellte Antrag gemäß § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) war hingegen erfolgreich. Das FG München gab dem Antrag durch Beschluss vom 4. April 2008 11 V 1815/07 für das Klageverfahren statt (ebenso wie schon zuvor für das Einspruchsverfahren, vgl. FG München, Beschluss vom 3. August 2006 11 V 500/06, Internationales Steuerrecht --IStR-- 2006, 746). Es setzte die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheides für die Dauer des Hauptsacheverfahrens in Höhe von 157 898 € aus und hob die verwirkten Säumniszuschläge zur Einkommensteuer 2004 insoweit auf, als diese auf den ausgesetzten Betrag entfielen.

Das FA beantragt mit seiner dagegen gerichteten und vom FG zugelassenen Beschwerde, den AdV-Antrag abzulehnen.

Die Antragsteller beantragen, die Beschwerde zurückzuweisen.

II.

Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Antragsablehnung.

1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll --u.a. und soweit hier einschlägig-- erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO). Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Steuerbescheides neben für seine Rechtmäßigkeit sprechende Umstände gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen bewirken (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182, seitdem ständige Rechtsprechung). Schon verwirkte Säumniszuschläge (§ 240 der Abgabenordnung) können ab dem Zeitpunkt, ab dem ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides bestanden haben, rückwirkend durch Aufhebung der Vollziehung beseitigt werden.

2. Derartige ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einkommensteuerbescheides bestehen nicht.

a) Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG a.F. ist bei einer natürlichen Person, die insgesamt mindestens zehn Jahre nach § 1 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) unbeschränkt steuerpflichtig war und deren unbeschränkte Steuerpflicht durch Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts endet, auf Anteile i.S. des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG im Zeitpunkt der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht § 17 EStG auch ohne Veräußerung anzuwenden, wenn im Übrigen für die Anteile zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen jener Vorschrift erfüllt sind. Die Voraussetzungen dieser sog. Wegzugsteuer sind im Streitfall erfüllt: Der Antragsteller ist im Streitjahr nach Portugal weggezogen, er ist damit aus seiner inländischen unbeschränkten Steuerpflicht ausgeschieden. Er war im Wegzugszeitpunkt i.S. von § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG an den beiden inländischen Kapitalgesellschaften beteiligt. Das ist unter den Beteiligten unstreitig.

b) Allerdings wird geltend gemacht, § 6 AStG a.F. verstoße gegen die gemeinschaftsrechtlich verbürgte Niederlassungsfreiheit (Art. 43 des Vertrages von Amsterdam zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft --EG--, sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- 1997 Nr. C-340, 1); die Vorschrift bleibe deswegen infolge des gemeinschaftsrechtlichen Anwendungsvorrangs innerhalb der Europäischen Gemeinschaft unanwendbar (z.B. Wöhrle/ Schelle/Gross, AStG, § 6 Rz 8 ff.; Strunk/Kaminski in Strunk/ Kaminski/Köhler, AStG/DBA, § 6 AStG aF Rz 20; Wassermeyer, GmbH-Rundschau 2004, 613; Schindler, IStR 2004, 300, 310; Schnitger, Betriebs-Berater 2004, 804, 808; Kleinert/Probst, Der Betrieb 2004, 673; Ismer/Reimer/Rust, Europäisches Wirtschafts- & Steuerrecht 2004, 207, 217; Rehfeld, Die Vereinbarkeit des Außensteuergesetzes mit den Grundfreiheiten des EG-Vertrags, 2008, S. 170 ff., jeweils m.w.N.). Die --letztlich einhellig vertretene-- Rechtsauffassung stützt sich auf die Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 11. März 2004 Rs. C-9/02 "de Lasteyrie du Saillant" (IStR 2004, 236) und vom 7. September 2006 Rs. C-470/04 "N" (IStR 2006, 702).

Der Gesetzgeber hat diesen Vorwurf ersichtlich geteilt (vgl. BTDrucks 16/2710 dort zu Art. 7 Nr. 1). Denn er hat, um ihm entgegenzutreten, den Grundtatbestand des Besteuerungszugriffs durch § 6 Abs. 1 AStG a.F. durch das SEStEG für den Fall des Wegzugs innerhalb der Europäischen Union (EU) um eine Reihe von Vorschriften ergänzt, vor allem um § 6 Abs. 5 Satz 1 bis 3 AStG n.F. Danach bleibt es zwar bei der Festsetzung der Steuer beim Wegzug; die Steuer wird jedoch für Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der EU oder eines anderen Staates, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum anwendbar ist, und bei Wegzug des Steuerpflichtigen in einen dieser Staaten --im Grundsatz zeitlich unbegrenzt-- zinslos gestundet. Diese ergänzende Regelung ist gemäß § 21 Abs. 13 Satz 2 AStG n.F. auf alle noch nicht bestandskräftigen Veranlagungen --und damit auch auf den Streitfall-- anzuwenden.

c) Die zinslose Stundung ohne Sicherheitsleistung in § 6 Abs. 5 Satz 1 AStG n.F. bewirkt, dass die zusätzliche Steuer zwar im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung des Steuerpflichtigen festgesetzt wird, eine tatsächliche Belastung indes (zunächst) nicht eintritt. Es entspricht deswegen allgemeiner Ansicht, dass die nunmehrige Regelungslage prinzipiell und unbeschadet von Einzelfragen der gesetzlichen Ausgestaltung gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen genügt (vgl. z.B. Schönfeld in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, Außensteuerrecht, § 6 AStG Rz 26; Rehfeld, a.a.O., S. 197 ff.). Der Senat schließt sich dieser Auffassung nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes genügenden summarischen Prüfung an. Die dagegen gerichteten Einwendungen der Vorinstanz entkräften diese Auffassung nicht.

Die Vorinstanz teilt zwar die Ansicht, dass die nunmehrige Ausgestaltung der Wegzugsteuer im Grundsatz gemeinschaftsrechtskonform ist. Es bleibe den Mitgliedstaaten prinzipiell vorbehalten, eine Wegzugsteuer zu erheben und die stillen Reserven im Zusammenhang mit dem Wegzug zu erfassen. Dies sei jedoch gemeinschaftsrechtlich nur dann unbedenklich, wenn sichergestellt sei, dass es dadurch zu keiner Doppelbesteuerung komme. Das sei nicht der Fall, wenn in dem konkret anzuwendenden Doppelbesteuerungsabkommen kein entsprechender Vorbehalt zugunsten des Wegzugsstaates enthalten sei. Denn dann finde uneingeschränkt Art. 13 Abs. 5 des Musterabkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung --OECDMustAbk-- Anwendung, wonach Gewinne aus der Veräußerung des in den Absätzen 1, 2 und 3 nicht genannten Vermögens --und damit auch von Anteilen i.S. von § 17 EStG-- nur in dem Staat besteuert werden könne, in dem der Veräußerer ansässig sei. So verhalte es sich auch im Streitfall bei Art. 13 Abs. 4 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Portugiesischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 15. Juli 1980 (BGBl II 1982, 130) --DBA-Portugal--, der Art. 13 Abs. 5 OECDMustAbk nachgebildet sei; entsprechende Vorbehalte zur steuerlichen Erfassung im Wegzugszeitpunkt vorhandener stiller Reserven in Deutschland seien in diesem Abkommen von den Vertragstaaten nicht vereinbart worden.

Der Auffassung des FG kann nach summarischer Prüfung nicht beigepflichtet werden. Der EuGH geht in seinem Urteil in IStR 2006, 702 für die mit § 6 AStG n.F. vergleichbare niederländische Regelung ersichtlich davon aus, dass es den Mitgliedstaaten in Ermangelung gemeinschaftsrechtlicher Vereinheitlichungs- oder Harmonisierungsmaßnahmen freistehe, insbesondere zur Beseitigung der Doppelbesteuerung die Kriterien für die Aufteilung ihrer Steuerhoheit vertraglich oder einseitig festzulegen (Tz. 44 des Urteils, dort m.w.N.). In dieser Hinsicht sei es, so fährt der EuGH (in Tz. 45) fort, "für die Mitgliedstaaten nicht sachfremd, sich an der internationalen Praxis und den von der (...) OECD erarbeiteten Musterabkommen zu orientieren". Der EuGH verweist sodann (Tz. 46) auf den erwähnten Art. 13 Abs. 5 OECDMustAbk, wonach Gewinne aus der Veräußerung von Vermögensgegenständen in dem Staat der Steuer unterliegen, in dem der Veräußerer ansässig ist. Es entspreche diesem --mit einem zeitlichen Element, nämlich dem Aufenthalt im Inland während der Entstehung des steuerpflichtigen Gewinns, verbundenen-- Grundsatz der steuerlichen Territorialität, dass die streitigen nationalen Bestimmungen die Beitreibung der beim Wegzug des betreffenden Steuerpflichtigen festgesetzten und bis zur tatsächlichen Veräußerung der Anteile gestundeten Steuer auf den in den Niederlanden angefallenen Wertzuwachs vorsehen. Der EuGH sieht den Territorialitätsgrundsatz, wie er in Art. 13 Abs. 5 OECDMustAbk niedergelegt ist, aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht also als hinreichend an, um die Besteuerung des Wertzuwachses im Wegzugsstaat zu ermöglichen.

Das steht in Einklang mit dem allseits vertretenen Abkommensverständnis: Danach ist ein unilateraler Zugriff des jeweiligen Wegzugsstaates auf Wertzuwächse, die bis zum Wegzug innerhalb seines Territoriums entstanden sind, zwar als Besteuerung eines Veräußerungsgewinns i.S. von Art. 13 OECDMustAbk aufzufassen und unterfällt dementsprechend dessen Regelungsbereich und nicht dem des Art. 21 OECDMustAbk. Art. 13 Abs. 5 OECDMustAbk belässt jedoch gleichwohl Raum für eine derartige Wegzugsteuer; die Vorschrift ermöglicht den unilateralen Zugriff des jeweiligen Wegzugsstaates auf die beschriebenen Wertzuwächse (vgl. z.B. Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, a.a.O., § 6 AStG Rz 23; Rehfeld, a.a.O., S. 160 ff., und die dort gegebenen weiteren Nachweise; s. auch Senatsbeschluss vom 17. Dezember 1997 I B 108/97, BFHE 185, 30, BStBl II 1998, 558; Reimer in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., Art. 13 Rz 202 ff.). Von dieser Möglichkeit hat der deutsche Gesetzgeber mit § 6 Abs. 1 AStG a.F./n.F. Gebrauch gemacht. Die Regelung sichert den entsprechenden Steuerzugriff in der letzten juristischen Sekunde der unbeschränkten Steuerpflicht des Wegziehenden. Das ergibt sich mit der notwendigen Klarheit aus den Regelungszusammenhängen.

Allerdings verknüpft § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG a.F. die Rechtsfolge des § 17 EStG --insoweit missverständlich-- mit dem "Zeitpunkt der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht". Das könnte den Schluss erlauben, der Steuerzugriff unterfalle nicht --mehr-- der unbeschränkten Steuerpflicht, vielmehr erfolge er --als deren erster Akt-- nach Eintritt der beschränkten Steuerpflicht. Ausschlaggebend ist indes die gesetzliche Eingangsformulierung des § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG a.F., die auf die zukünftige Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht infolge des Wegzugs abstellt. Dadurch wird der eigentliche Regelungswille hinreichend verdeutlicht. Der "Zeitpunkt der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht" steht verkürzend für den durch den Wegzug ausgelösten, jedoch noch nicht abschließend verwirklichten Austritt aus der unbeschränkten Steuerpflicht, also für das "Beenden" als tatsächlichen Vorgang, und darf nicht ohne weiteres als das (dadurch bewirkte, aber erst unmittelbar nachfolgende) "Ende" der unbeschränkten Steuerpflicht identifiziert werden. So gesehen setzt der Steuerzugriff letztmals an der unbeschränkten Steuerpflicht des Wegziehenden an. Die dagegen gerichteten, insbesondere von Wassermeyer (in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, a.a.O., § 6 AStG Rz 32; dem folgend Rehfeld, a.a.O., S. 166) geäußerten Zweifel überzeugen nicht.

Dass die so verstandene Regelungslage in der Konsequenz eine tatsächliche (juristische) Doppelbesteuerung nach sich ziehen kann, wenn auch der Zuzugsstaat --bei einer dortigen Begründung der unbeschränkten Steuerpflicht-- im (späteren) Realisationsfall Anspruch auf jene Wertzuwächse erhebt, die noch im Wegzugsstaat aufgelaufen sind, bedingt keinen abermaligen Gemeinschaftsrechtsverstoß. Diese Doppelbesteuerung kann bilateral beseitigt werden. Geschieht dies --wie zwischen Deutschland und Portugal-- nicht oder allenfalls über die Möglichkeit eines zwischenstaatlichen Verständigungsverfahrens, so ist es letzten Endes Sache des Zuzugsstaates, eine drohende Doppelbesteuerung mittels einer Anrechnung der im Wegzugsstaat erhobenen Wegzugsteuer zu vermeiden. Dieses Verständnis legt ersichtlich auch der EuGH zugrunde, wenn er bei gegenwärtigem Stand der gemeinschaftsrechtlichen Harmonisierung von der Befugnis der Mitgliedstaaten ausgeht, die Kriterien für die Aufteilung der Steuerhoheiten vertraglich oder einseitig festzulegen.

Im Übrigen stellt die Wegzugsteuer, wie sie in § 6 Abs. 1 AStG a.F. i.V.m. § 6 Abs. 2 bis 7 AStG n.F. niedergelegt ist, nach den vom EuGH im Urteil in IStR 2006, 702 gegebenen Vorgaben eine verhältnismäßige Beschränkung der gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten dar. Indem § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG i.d.F. des SEStEG für den korrespondierenden Zuzugsfall auf den Zuzugszeitpunkt und der dadurch ausgelösten Begründung der unbeschränkten Steuerpflicht zwischenzeitlich an die Stelle der Anschaffungskosten den Wert setzt, den der Wegzugsstaat bei der Berechnung der der Steuer nach § 6 AStG vergleichbaren Steuer angesetzt hat (sog. step-up), genügt die Regelungslage zugleich den Erfordernissen einer (innerstaatlichen) Stimmigkeit (Kohärenz) des Belastungseingriffs, wie sie insbesondere in den Schlussanträgen der Generalanwältin Kokott vom 30. März 2006 in jener Rechtssache C-470/04 "N" verlangt worden sind (dort Tz. 108).

d) § 6 Abs. 1 AStG a.F. i.V.m. § 6 Abs. 5, § 21 Abs. 13 Satz 2 AStG n.F. wirkt nicht in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise zurück und steht den Rechtsstaatserfordernissen des Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) nicht entgegen. Das gilt unbeschadet der Antwort auf die Frage, ob § 6 Abs. 1 AStG a.F. ohne die späteren Modifikationen durch § 6 Abs. 2 bis 7 AStG n.F. tatsächlich gegen Gemeinschaftsrecht verstößt. Denn auch wenn das zu bejahen wäre, wäre ein solcher Gemeinschaftsrechtsverstoß infolge der rückwirkend gewährten zins- und voraussetzungslosen Stundung nach § 6 Abs. 5 Satz 1 AStG n.F. geheilt.

Es ist zwar richtig, dass der Steuerpflichtige damit einer Belastung ausgesetzt wird, deren Rechtsgrundlage aus Gründen des vorrangigen Gemeinschaftsrechts --bei unterstellter Gemeinschaftsrechtswidrigkeit-- zunächst unanwendbar gewesen ist; die Anwendungssperre wäre erst entfallen, nachdem der Gesetzgeber einen gemeinschaftsrechtskonformen Zustand hergestellt hat. Nach der vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur Frage der Verfassungsmäßigkeit rückwirkender Gesetze entwickelten Systematik verletzt eine steuerbegründende oder steuererhöhende Norm in der Regel rechtsstaatliche Grundsätze, wenn sie für Veranlagungszeiträume gelten soll, die im Zeitpunkt ihrer Verkündung bereits abgeschlossen waren ("echte" Rückwirkung, "Rückbewirkung von Rechtsfolgen", vgl. etwa BVerfG-Beschlüsse vom 3. Dezember 1997 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67, 78; vom 5. Februar 2002 2 BvR 305/93, BVerfGE 105, 17, 40). Dem Grundgesetz lässt sich indes ein generelles Rückwirkungsverbot für Gesetze nicht entnehmen. Ein solches Verbot ergibt sich aus Art. 103 Abs. 2 GG lediglich für den Bereich des Strafrechts. Im Übrigen wird der Erlass rückwirkender belastender Gesetze zwar durch das Rechtsstaatsprinzip begrenzt, zu dessen wesentlichen Elementen die Rechtssicherheit gehört. Rechtssicherheit bedeutet für den Staatsbürger Vertrauensschutz. In diesem Vertrauen wird der Bürger enttäuscht, wenn der Gesetzgeber an bereits abgeschlossene Tatbestände nachträglich ungünstigere Folgen knüpft als diejenigen, von denen der Bürger bei seinen Dispositionen ausgehen durfte (vgl. zu alledem m.w.N. z.B. Senatsurteil vom 14. März 2006 I R 1/04, BFHE 213, 38, BStBl II 2006, 549). Eine Enttäuschung dieses Vertrauens ist nach der Rechtsprechung des BVerfG gleichwohl gerechtfertigt, wenn das Vertrauen nicht schutzwürdig war, weil mit der Neuregelung gerechnet werden musste, wenn das geltende Recht unklar und verworren war, wenn das Vertrauen einer ungültigen Rechtsnorm galt oder wenn zwingende Gründe des gemeinen Wohls die Rückwirkung rechtfertigen (BVerfG-Urteil vom 19. Dezember 1961 2 BvL 6/59, BVerfGE 13, 261, 271; BFH-Urteile vom 10. Juli 1986 IV R 12/81, BFHE 147, 63, BStBl II 1986, 811; vom 8. Juni 2000 IV R 37/99, BFHE 193, 85, 91, BStBl II 2001, 162).

So verhält es sich nach Lage der Dinge im Streitfall: Selbst wenn der Antragsteller bei seinem Wegzug nach Portugal davon ausgegangen sein sollte, infolge des von ihm angenommenen Gemeinschaftsrechtsverstoßes keiner Wegzugsteuer nach § 6 AStG a.F. ausgesetzt zu sein, so wäre sein Vertrauen in diese Annahme doch nicht schützenswert. Sein Vertrauen hätte der Beibehaltung einer nicht anwendbaren, gemeinschaftsrechtswidrigen Norm gegolten. Dem Gesetzgeber muss es möglich sein, rückwirkend einen gemeinschaftsrechtskonformen Rechtszustand herzustellen. Unter den vorliegend zu beurteilenden Gegebenheiten kommt hinzu, dass die Finanzverwaltung (durch Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen --BMF-- vom 8. Juni 2005, BStBl I 2005, 714) unmittelbar auf das Vertragsverletzungsverfahren, das von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art. 226 EG gegen die Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf die Gemeinschaftsrechtmäßigkeit § 6 AStG a.F. eingeleitet worden war, hin reagiert und im Billigkeitswege eine zinslose Stundung der nach § 6 Abs. 1 AStG a.F. (gegenüber den Antragstellern am 18. November 2005) festgesetzten Steuer eingeräumt hatte. Indem der Gesetzgeber diese ursprüngliche Verwaltungspraxis bestätigt und in eine gesetzliche Regelung umgesetzt hat, entsprach er gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen. Dies geschah zum Vorteil des Steuerpflichtigen, der bei seinem Wegzug aufgrund der Regelungslage jederzeit mit einer --wenn auch ggf. gemeinschaftsrechtswidrigen-- Inanspruchnahme rechnen musste, und kann kein schützenswertes Vertrauen zerstört haben (im Ergebnis ebenso FG Düsseldorf, Urteil vom 14. November 2007 9 K 1270/04 E, Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 361; anders Ettinger, IStR 2006, 747, 756).

e) Gleichermaßen stellt die Herstellung eines nunmehr europarechtskonformen Rechtszustands durch rückwirkende "Reparatur" der ursprünglichen Regelung nicht ihrerseits einen Gemeinschaftsrechtsverstoß dar. Zwar darf der "Marktbürger" in der Durchsetzung seiner Rechte nicht frustriert werden. Es gilt der Grundsatz der Effektivität, welcher verlangt, dass die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werden dürfen (sog. Effektivitätsgrundsatz, vgl. z.B. EuGH-Urteil vom 6. Dezember 2001 Rs. C-472/99 "Clean Car Autoservice GmbH", EuGHE I 2001, 9687, Tz. 28, und die dort angeführte Rechtsprechung). So verhält es sich unter den Gegebenheiten des Streitfalls aber gerade nicht: Dem Antragsteller wird fortan nicht länger eine gemeinschaftsrechtswidrige, sondern eine gemeinschaftsrechtskonforme und mildere Belastung auferlegt. Der Gesetzgeber hat die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass das Gemeinschaftsrecht effektiv durchgesetzt wird. Das Vertrauen in einen gemeinschaftsrechtswidrigen Zustand lässt sich dem ebenso wenig entgegensetzen wie im Verfassungsrecht. Auch die Effektivität des gegen den angefochtenen Steuerbescheid angestrengten Rechtsbehelfsverfahrens wird nicht in Frage gestellt, die Wegzugsbesteuerung war bereits zum Zeitpunkt der Steuerfestsetzung und der Einleitung des dagegen gerichteten Einspruchs infolge der dargestellten Verwaltungspraxis in entsprechender Weise gemeinschaftsrechtskonform ausgestaltet.

3. Da die Vorinstanz ihrer Entscheidung ein abweichendes Rechtsverständnis zugrunde gelegt hat, war diese Entscheidung aufzuheben. Der Antrag auf AdV ist abzulehnen.

Ende der Entscheidung

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