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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 08.11.2000
Aktenzeichen: I R 1/00
Rechtsgebiete: AO 1977
Vorschriften:
AO 1977 § 189 Satz 3 |
Der Eintritt der sog. Zerlegungssperre gemäß § 189 Satz 3 AO 1977 lässt sich nur durch den eigenen Antrag des übergangenen Steuerberechtigten auf Änderung oder Nachholung der Zerlegung vermeiden. Ein Antrag des Steuerpflichtigen genügt nicht. Ein solcher kann auch nicht über die Grundsätze der öffentlich-rechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag als für den Steuerberechtigten gestellt behandelt werden.
AO 1977 § 189 Satz 3
Urteil vom 8. November 2000 - I R 1/00 -
Vorinstanz: FG Köln (DStRE 2000, 664)
Gründe
I.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine Gemeinde, bei der die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 1, die O, im Februar 1990 ein Transportgewerbe angemeldet hatte und in deren Bereich die O im Streitjahr 1991 eine Betriebsstätte unterhielt. Nach der beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) für dieses Jahr abgegebenen Gewerbesteuererklärung handelte es sich um die einzige Betriebsstätte der O. Der gegen die O erlassene Gewerbesteuermessbescheid stand unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Der Vorbehalt wurde am 24. Februar 1995 aufgehoben. Der Bescheid wurde bestandskräftig.
Erstmals mit der im Mai 1995 eingereichten Gewerbesteuererklärung für 1994 erklärte die O, in 1994 neben der Hauptniederlassung im Gebiet der Klägerin über neun weitere Niederlassungen in anderen Gemeinden verfügt zu haben. Dementsprechend ergingen für 1994 im Oktober 1995 Zerlegungsmitteilungen. Daraufhin erbat eine der betroffenen Gemeinden, die Beigeladene zu 3, Zerlegungsmitteilungen "ab Beginn der Steuerpflicht". Das FA forderte die O auf, auch für die vor 1994 liegenden Jahre Erklärungen zur Zerlegung der einheitlichen Gewerbesteuermessbeträge nachzureichen. Dem kam die O unter dem 15. März 1996 nach; sie erklärte darin für das Streitjahr jeweils weitere Betriebsstätten in den Gebieten der Beigeladenen zu 2 bis 9. Daraufhin ergingen unter dem 24. April 1996 entsprechende Zerlegungsbescheide.
Nachdem sich die Klägerin unter Hinweis auf § 189 Satz 3 der Abgabenordnung (AO 1977) und der darin genannten Antragsfrist gegen diesen Bescheid mit Einspruch gewandt hatte, änderte das FA den Zerlegungsbescheid und wies den festgesetzten Messbetrag --durch Bescheid vom 26. September 1996-- wieder insgesamt der Klägerin zu. Die Änderung wurde den Beigeladenen mitgeteilt.
Gegen den Änderungsbescheid legten nunmehr die Beigeladene zu 1 und einige der beigeladenen Gemeinden Einsprüche ein (die Beigeladene zu 5 am 23. Oktober 1996, die Beigeladene zu 3 am 24. Oktober 1996), von den Beigeladenen zu 3, zu 5 und zu 9 verbunden mit Anträgen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Frist in § 189 Satz 3 AO 1977. Diejenigen Gemeinden, die keine Einsprüche erhoben hatten, wurden vom FA durch Verfügung vom 6. November 1996 gemäß § 360 Abs. 3 AO 1977 zum Verfahren hinzugezogen. Daraufhin erklärte die Beigeladene zu 2 am 14. November 1996, dass sie dem Verfahren beitrete, und die Beigeladene zu 7 am 15. November 1996, dass sie die Hinzuziehung befürworte. Die Beigeladene zu 6 beantragte am 19. November 1996, die Zerlegung erklärungsgemäß durchzuführen. Das FA zerlegte den Gewerbesteuermessbetrag daraufhin im Rahmen der Einspruchsentscheidung wieder, wie in dem ursprünglichen Zerlegungsbescheid vom 24. April 1996, auf die jeweiligen einspruchsführenden und hinzugezogenen Gemeinden.
Mit ihrer Klage verfolgte die Klägerin ihr Begehren mit Einschränkungen weiter. Sie akzeptierte nunmehr die Zerlegung des Gewerbesteuermessbetrages auf jene Gemeinden, die beizeiten --innerhalb der Frist gemäß § 110 Abs. 2 AO 1977 nach Eingang der Mitteilungen über die geänderte Zerlegung-- Einsprüche eingelegt und zugleich ausdrücklich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt hatten; diesen Anträgen sei zu entsprechen.
Die Klage blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) hielt die nachgeholte Gewerbesteuerzerlegung für rechtmäßig. Eine solche könne gemäß § 189 Satz 3 AO 1977 auch noch nach Ablauf eines Jahres seit Unanfechtbarkeit des Gewerbesteuermessbescheides erfolgen, wenn die übergangenen Steuerberechtigten die Nachholung vor Ablauf des Jahres beantragten. Ein Antrag in diesem Sinne liege vor, wenn der Steuerpflichtige innerhalb der Jahresfrist erstmalig eine Zerlegungserklärung abgebe; der Steuerpflichtige handele dann in Geschäftsführung ohne Auftrag für die steuerberechtigten Gemeinden. Das Urteil ist in Deutsches Steuerrecht Entscheidungsdienst 2000, 664 abgedruckt.
Die Klägerin rügt mit ihrer Revision Verletzung von § 189 Satz 3 AO 1977.
Sie beantragt sinngemäß, das FG-Urteil aufzuheben und den angefochtenen Bescheid in der Weise zu ändern, dass bei der Zerlegung des gegen die Beigeladene zu 1 für 1991 festgesetzten Gewerbesteuermessbetrages jeweils sie sowie daneben die Beigeladenen zu 3 und 5 berücksichtigt werden.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladenen zu 1 bis 3, zu 5, zu 8 und zu 9 haben keine Anträge gestellt.
Die Beigeladenen zu 4, zu 6 und zu 7 beantragen sinngemäß, die Revision, soweit sie betroffen sind, zurückzuweisen. Die Beigeladenen zu 6 und zu 7 machen geltend, ihr Vorbringen im Einspruchsverfahren sei als Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand anzusehen.
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Klagestattgabe; der einheitliche Gewerbesteuermessbetrag für 1991 ist lediglich auf die Klägerin sowie die Beigeladenen zu 3 und zu 5 zu zerlegen. Der Einbeziehung der übrigen beigeladenen Gemeinden in die Zerlegungen steht § 189 Satz 3 AO 1977 entgegen.
1. Nach § 189 Satz 3 AO 1977 unterbleibt eine Nachholung oder --was im Streitfall nicht in Betracht kommt-- Änderung der Zerlegung, wenn ein Jahr vergangen ist, seitdem der Steuermessbescheid unanfechtbar wurde, es sei denn, dass der übergangene Steuerberechtigte die Nachholung oder Änderung der Zerlegung vor Ablauf des Jahres beantragt hatte. Aufgrund dieser sogenannten Zerlegungssperre ist von einer Zerlegung abzusehen oder bleibt es bei der bisherigen Zerlegung, wenn der Zerlegungsanspruch einer Gemeinde nicht berücksichtigt wurde und die Gemeinde ihren Anspruch nicht bis zum Ablauf der Jahresfrist geltend gemacht hat (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 22. September 1977 IV R 10/73, BFHE 123, 309, BStBl II 1978, 120; vom 17. Februar 1993 I R 19/92, BFHE 171, 304, BStBl II 1993, 679). Die nachträgliche Berücksichtigung eines Zerlegungsanspruchs kann in besonders schwerwiegender Weise auf den Steueranspruch anderer Gemeinden einwirken. Deshalb soll innerhalb eines Jahres nach Bestandskraft des Steuermessbescheids Klarheit bestehen, ob weitere Gemeinden und ggf. welche einen Anteil am einheitlichen Gewerbesteuermessbetrag beanspruchen (vgl. BFH-Urteile vom 24. März 1992 VIII R 33/90, BFHE 168, 350, BStBl II 1992, 869, und in BFHE 171, 304, BStBl II 1993, 679).
2. a) Im Streitfall ist unstreitig, dass die Beigeladenen --abgesehen von jener zu 3-- die Jahresfrist nicht eingehalten haben; sie haben es versäumt, binnen eines Jahres nach Unanfechtbarkeit des Bescheides vom 24. Februar 1995 ihre Einbeziehung in die Zerlegungen zu beantragen. Die Unanfechtbarkeit dieses Bescheides war insoweit gemäß § 189 Satz 3 AO 1977 fristauslösend; durch sie entfiel der dem Gewerbesteuermessbescheid zunächst beigefügte Nachprüfungsvorbehalt (vgl. Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 189 AO Tz. 4).
b) Der Umstand, dass die Beigeladene zu 1 auf Veranlassung des FA noch vor Ablauf dieser Jahresfrist entsprechende Angaben über Betriebsstätten in den Gemeindegebieten der bislang bei der Zerlegung übergangenen Gemeinden gemacht hat, ändert daran nichts. Insbesondere kommt insoweit kein Tätigwerden im Wege der Geschäftsführung ohne Auftrag für diese Gemeinden in Betracht.
Der Regelungswortlaut des § 189 Satz 3 AO 1977 ist eindeutig: Eine Nachholung der Zerlegung setzt danach einen entsprechenden Antrag des übergangenen Steuerberechtigten voraus. Der Antrag des Steuerpflichtigen nützt also nichts. Ein solcher Antrag kann auch nicht in einen solchen des betreffenden Steuerberechtigten umgedeutet werden, ebenso wenig wirkt er als für den Steuerberechtigten gestellt. Eine Geschäftsführung ohne Auftrag würde insoweit gerade an dem Fehlen der --öffentlich-rechtlichen-- Berechtigung des Steuerpflichtigen scheitern, den Antrag gemäß § 189 Satz 3 AO 1977 stellen zu können (vgl. dazu und zur öffentlich-rechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag allgemein Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 2, 6. Aufl., § 55 Rz. 10 f., 15). Der Steuerberechtigte muss folglich binnen der Jahresfrist selbst dafür Sorge tragen, bei der Zerlegung berücksichtigt zu werden. Die Steuererklärung, ein entsprechender Antrag des Steuerpflichtigen oder dessen Einspruch gegen einen bisherigen Zerlegungsbescheid können für die Finanzbehörde lediglich als Hinweis aufgefasst werden, innerhalb der Jahresfrist von Amts wegen tätig zu werden und den Zerlegungsbescheid zu ändern oder eine Zerlegung nachzuholen (vgl. § 189 Satz 1 AO 1977), ggf. auch, die betroffene Gemeinde zu veranlassen, einen eigenen Antrag zu stellen (Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 189 AO Rz. 3; Tipke in Tipke/Kruse, a.a.O., § 189 AO Tz. 2; Schwarz, Abgabenordnung, § 189 Rz. 8; Glier, Grundsteuer, § 22 Anm. 8, S. 11; Schmieszek in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 189 AO Rz. 2 einerseits, Rz. 4 andererseits).
Das entspricht dem Regelungszweck des § 189 Satz 3 AO 1977, es --vorbehaltlich eines zulässigen und begründeten Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand-- bei der Zerlegung zu belassen oder keine Zerlegung mehr vorzunehmen, wenn bis zum Ablauf der Jahresfrist seitens einer anderen Gemeinde kein (weiterer) Zerlegungsanspruch geltend gemacht wird. Hierdurch wird für die bisher durch eine Zuteilung oder Zerlegung begünstigte Gemeinde oder begünstigten Gemeinden Planungssicherheit für das Steueraufkommen gewährleistet (vgl. Hofmeister in Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, 16. Aufl., § 28 GewStG Rz. 25). Der Umstand, dass die Behörde bei Streit darüber, welchem Steuerberechtigten der Steuermessbetrag in voller Höhe zusteht, im Rahmen des Zuteilungsverfahrens gemäß § 190 Satz 1 AO 1977 auf Antrag eines beliebigen Verfahrensbeteiligten, also auch eines solchen des Steuerpflichtigen (vgl. § 186 Nr. 1 AO 1977), tätig werden muss, führt zu keinem anderen Ergebnis. Bei dem Zerlegungs- und dem Zuteilungsverfahren handelt es sich um jeweils selbständige Verwaltungsverfahren, die sich strukturell zwar ähneln, aber dennoch voneinander unterscheiden. Besteht zwischen mehreren Gemeinden oder auch zwischen dem Steuerpflichtigen und derjenigen Gemeinde (vgl. Tipke, a.a.O., § 190 AO 1977 Tz. 1), die auf den Steuermessbetrag Ansprüche erhebt, Streit über die Steuerberechtigung, so kann die Finanzbehörde --anders als im Zerlegungsverfahren-- nicht von Amts wegen tätig werden. Ohne das Recht, einen eigenen Zuteilungsantrag zu stellen, hätte der Steuerpflichtige also nur die Möglichkeit, bei der u.U. übergangenen Gemeinde einen solchen Antrag anzuregen. § 190 AO 1977 zielt ersichtlich darauf ab, durch das eigene Antragsrecht des Steuerpflichtigen insoweit etwaigen Verfahrensnachteilen vorzubeugen. Beim Zerlegungsverfahren, das ein amtswegiges Vorgehen des FA vorsieht, bedarf es dessen nicht.
3. a) Ebenso wenig hilft es den Beigeladenen zu 6 und zu 7, dass sie bis zum Ablauf der Jahresfrist gemäß § 110 Abs. 3 AO 1977 gegenüber dem FA zu erkennen gegeben haben, steuerberechtigt zu sein, nachdem sie zu den laufenden Einspruchsverfahren gemäß § 360 Abs. 3 AO 1977 hinzugezogen worden waren. Dabei kann dahinstehen, ob und inwieweit diese Äußerungen als noch fristgerechte Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand angesehen werden können, die innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses (vgl. § 110 Abs. 2 Satz 1 AO 1977) geltend gemacht wurden. Dahinstehen kann auch, ob die betreffenden Gemeinden tatsächlich ohne Verschulden keine Kenntnis von ihrer Steuerberechtigung hatten, oder ob für sie nicht hinreichend Anlass bestand, sich im November 1995 nach Erhalt der Zerlegungsmitteilungen für 1994 kundig zu machen und ggf. --wie dies in der Folgezeit seitens des FA und auch der Beigeladenen zu 3 geschehen ist-- auch für die Vorjahre von sich aus tätig zu werden. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kam schon deswegen nicht in Betracht, weil es an den Begründungserfordernissen gemäß § 110 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 fehlte. Danach sind die Tatsachen zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Dem werden die im Rahmen des behördlichen Hinzuziehungsverfahrens abgegebenen Äußerungen nicht gerecht. Die Beigeladene zu 6 hat am 19. November 1996 lediglich beantragt, die Zerlegung erklärungsgemäß durchzuführen. Die Beigeladene zu 7 hat am 15. November 1996 ihre Hinzuziehung befürwortet. Das Vorbringen im Revisionsverfahren ändert daran nichts; die erforderliche Glaubhaftmachung der Tatsachen konnte nach Abschluss des Klageverfahrens vor dem FG nicht mehr nachgeholt werden.
b) Soweit die Klägerin ihr Klage- und Revisionsbegehren im Hinblick auf die Beigeladenen zu 3 und zu 5, die ausdrückliche Wiedereinsetzungsanträge gestellt haben, eingeschränkt hat, braucht nicht geprüft zu werden, ob diese Anträge den gesetzlichen Anforderungen entsprachen; der Senat ist gehindert, über das Prozessbegehren hinauszugehen.
4. Die Rechtsauffassung der Vorinstanz weicht von jener des Senats ab. Ihr Urteil war aufzuheben. Der gegen die O für das Streitjahr festgesetzte Gewerbesteuermessbetrag ist anderweitig zu zerlegen. Dem FA wird aufgegeben, die Zerlegungsanteile nach Maßgabe der Gründe dieser Entscheidung zu errechnen und sodann festzusetzen (§ 100 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 135 Abs. 1 und Abs. 3, 139 Abs. 3 FGO. Die Beigeladenen zu 6 und zu 7 sind an den Kosten zu beteiligen, weil sie sich nicht nur dem Antrag des FA angeschlossen (vgl. dazu BFH-Urteil vom 23. Januar 1985 II R 2/83, BFHE 143, 119, BStBl II 1985, 368), vielmehr zugleich ein eigenes Begehren auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand geltend gemacht und dieses Begehren auch im Klage- und Revisionsverfahren weiterverfolgt haben. Damit haben sie ein eigenes Kostenrisiko getragen.
Ende der Entscheidung
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