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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 08.11.2000
Aktenzeichen: I R 10/98
Rechtsgebiete: AO 1977, EStG, EStG 1990, KStG, EStDV, HGB
Vorschriften:
AO 1977 § 237 | |
EStG § 5 Abs. 1 Satz 1 | |
EStG § 15 Abs. 4 | |
EStG 1990 § 51 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b | |
KStG (1984 und 1991) § 10 Nr. 2 | |
EStDV (1986 und 1990) § 74 | |
HGB § 249 Abs. 1 Satz 1 | |
HGB § 252 Abs. 1 Nr. 4 zweiter Halbsatz Bilanzrichtlinie Art. 20 Abs. 1 | |
HGB § 252 Abs. 2 | |
HGB § 252 Abs. 2 Art. 31 Abs. 1 Buchst. c Unterabs. aa |
1. Bei der Aktivierung und Bewertung einer Forderung sind noch nicht entstandene Rückgriffsansprüche nur zu berücksichtigen, soweit sie einem Ausfall der Forderung unmittelbar nachfolgen und nicht bestritten sind.
2. Die zeitliche Begrenzung der Bildung einer Preissteigerungsrücklage durch § 74 Abs. 1 EStDV i.d.F. der 2. VO zur Änderung der EStDV vom 23. Juni 1992 (EStDV 1990) auf Wirtschaftsjahre, die vor dem 1. Januar 1990 enden, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
3. § 15 Abs. 4 EStG ist auch auf Kapitalgesellschaften anwendbar.
4. In den Jahren 1989 bis 1992 konnten Kapitalgesellschaften für ungewisse Verbindlichkeiten zur Entrichtung von Aussetzungszinsen Rückstellungen bilden.
AO 1977 § 237 EStG § 5 Abs. 1 Satz 1, § 15 Abs. 4 EStG 1990 § 51 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b KStG (1984 und 1991) § 10 Nr. 2 EStDV (1986 und 1990) § 74 HGB § 249 Abs. 1 Satz 1, § 252 Abs. 1 Nr. 4 zweiter Halbsatz Bilanzrichtlinie Art. 20 Abs. 1, Abs. 2, Art. 31 Abs. 1 Buchst. c Unterabs. aa
Urteil vom 8. November 2000 - I R 10/98 -
Vorinstanz: FG Münster (EFG 1998, 630)
Gründe
I.
Die Klägerin, Revisionsklägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) --eine GmbH-- betrieb in den Streitjahren 1989 bis 1992 die Herstellung, die Einfuhr und den Vertrieb von Mischfutter, insbesondere Milchaustauschfuttermitteln. Daneben betrieb sie selbst Tiermast mittels Lohnmastverträgen, die sie mit verschiedenen Landwirten abschloss.
Streitig sind folgende Sachverhalte:
1. Forderung auf Magermilchbeihilfe
Die Klägerin verarbeitet ständig Magermilch und Magermilchpulver zu Mischfutter. Gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 1725/79 (VO Nr. 1725/79) der Kommission vom 26. Juli 1979 über die Durchführungsbestimmungen zur Gewährung von Beihilfen für zu Mischfutter verarbeitete Magermilch und für zur Kälberfütterung bestimmtes Magermilchpulver (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. L 199 vom 7. August 1979, S. 1 ff.) erhielt die Klägerin vom Bundesamt für Ernährung und Forstwirtschaft (Bundesamt) Beihilfen für die Verarbeitung von Magermilchpulver zu Futtermilchzwecken und für zu Futterzwecken verarbeitete Magermilch. Den hierauf gerichteten Antrag für die Monate Dezember der Jahre 1991 und 1992 stellte die Klägerin jeweils erst am ersten Werktag des folgenden Januar. Der beantragte Betrag wurde aufgrund vorläufiger Bescheide jeweils im Januar gewährt. Abweichend von ihrer bisherigen Handhabung unterließ die Klägerin zum 31. Dezember 1991 und 1992 die Aktivierung der entsprechenden Beträge. Dem folgte der Beklagte, Revisionsbeklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) nicht.
2. Preissteigerungsrücklage
In ihrer Bilanz zum 31. Dezember 1991 führte die Klägerin unter Hinweis auf § 74 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) 1986 der von ihr gebildeten Preissteigerungsrücklage einen weiteren Betrag zu. Diese Zuführung wurde vom FA unter Berufung auf § 51 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1990 und § 74 EStDV 1990 nicht anerkannt.
3. Verluste aus gewerblicher Tierzucht
Aus der Verwendung eigenen Milchaustauschfutters zur Mast eigener Tiere aufgrund von Lohnmastverträgen mit Landwirten erzielte die Klägerin 1990 Verluste, die sie mit positiven Einkünften aus der Herstellung und dem Vertrieb von Milchaustauschfutter ausglich, da ihrer Meinung nach die Vorschrift des § 15 Abs. 4 Satz 1 EStG auf Kapitalgesellschaften nicht anwendbar ist. Dem folgte das FA nicht. Es minderte aber gemäß § 15 Abs. 4 Satz 2 EStG die Gewinne der Klägerin aus der gewerblichen Tierzucht in den Jahren 1988 und 1989 und stellte den verbleibenden vortragsfähigen Verlust zum 31. Dezember 1990 fest. Der Rücktrag ins Jahr 1988 ist Gegenstand eines anderweitigen Rechtsstreits.
4. Rückstellung für Aussetzungszinsen
Nach einer Betriebsprüfung für die Jahre 1985 bis 1987 erkannte das FA verschiedene Passivpositionen in den Jahresabschlüssen der Klägerin nicht an. Es erließ geänderte Bescheide betreffend Körperschaftsteuer und Gewerbesteuermessbeträge für diese Jahre, deren Vollziehung es in Höhe der streitigen Beträge gemäß § 361 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) aussetzte. Die Klägerin passivierte in ihren Bilanzen in allen Streitjahren eine ungewisse Verpflichtung zur Leistung von Aussetzungszinsen mit jährlichen Zuführungsbeträgen. Das FA erkannte diese Rückstellungen nicht an.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt, soweit die Klägerin die Berücksichtigung der Rückstellung für Aussetzungszinsen begehrte. Im Übrigen wies es die Klage ab. Auf die in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1998, 630 abgedruckten Entscheidungsgründe wird verwiesen.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin hinsichtlich der Streitjahre 1990 bis 1992 Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Sie beantragt die Aufhebung der Vorentscheidung, soweit das FG ihre Klage abgewiesen hat, und die Festsetzung der Körperschaftsteuer 1990 bis 1992 unter Berücksichtigung ihres Klagebegehrens. Auf ihren Antrag sind die während des Revisionsverfahrens geänderten Körperschaftsteuerbescheide vom 3. April 2000 für 1991 und vom 2. März 1998 für 1992 gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Verfahrens geworden.
Das FA beantragt, die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Mit seiner Revision rügt das FA für alle Streitjahre Verletzung von § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) i.V.m. §§ 4 bis 6 EStG. Es beantragt die Aufhebung der Vorentscheidung, soweit das FG die Rückstellung für Aussetzungszinsen anerkannt hat und die Abweisung der Klage.
Die Klägerin beantragt, die Revision des FA zurückzuweisen.
II.
Die --für die Streitjahre 1990 bis 1992 eingelegte-- Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt insoweit zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Die Entscheidung des FG, dass die Ansprüche der Klägerin auf die Magermilchbeihilfe zu aktivieren sind, wird von seinen Feststellungen nicht getragen. Das FG hat jedoch zu Recht entschieden, dass die Klägerin zum 31. Dezember 1991 keine weitere Zuführung zur Preissteigerungsrücklage vornehmen durfte und die Vorschrift des § 15 Abs. 4 EStG auch im Streitfall anwendbar ist.
1. Forderungen auf Magermilchbeihilfe
a) Die Aktivierung einer Forderung richtet sich bei buchführenden Gewerbebetrieben nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG). Gemäß § 252 Abs. 1 Nr. 4 zweiter Halbsatz des Handelsgesetzbuchs (HGB) sind Gewinne (und damit Forderungen) nur zu berücksichtigen, wenn sie am Abschlussstichtag realisiert sind; insoweit wird Art. 31 Abs. 1 Buchst. c Unterabs. aa der 4. Richtlinie des Rates vom 25. Juli 1978 über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen 78/660/EWG (Bilanzrichtlinie, ABlEG Nr. L 222/11) zutreffend umgesetzt. Diese Voraussetzungen liegen vor, wenn eine Forderung entweder rechtlich bereits entstanden ist oder die für die Entstehung wesentlichen wirtschaftlichen Ursachen im abgelaufenen Geschäftsjahr gesetzt worden sind und der Kaufmann mit der künftigen rechtlichen Entstehung des Anspruchs fest rechnen kann (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 9. Februar 1978 IV R 201/74, BFHE 124, 520, BStBl II 1978, 370; vom 6. Dezember 1978 I R 35/78, BFHE 126, 549, BStBl II 1979, 262; vom 12. April 1984 IV R 112/81, BFHE 141, 45, BStBl II 1984, 554; vom 12. Mai 1993 XI R 1/93, BFHE 171, 448, BStBl II 1993, 786).
Das FG hat im Streitfall festgestellt, dass der Zahlungsanspruch auf die Beihilfe gemäß Art. 9 Abs. 2 VO Nr. 1725/79 entsteht, wenn der Begünstigte die im entsprechenden Monat zu Mischfutter verarbeitete Menge glaubhaft nachweist und der Analyse- und Kontrollbogen für die Mengen des Vormonats keine Beanstandungen ergeben hat. Ihm ist daher in seiner Beurteilung zu folgen, dass wesentliches Tatbestandsmerkmal für den Beihilfeanspruch die Verarbeitung der Magermilch und des Magermilchpulvers entsprechend der VO Nr. 1725/79 ist. Unbeschadet seiner späteren rechtlichen Entstehung sind mit dieser Verarbeitung somit die wesentlichen wirtschaftlichen Ursachen für den Anspruch auf die Beihilfe gesetzt.
b) Die Feststellungen des FG reichen indessen nicht aus, als weitere Voraussetzung für die Aktivierung der Beihilfeansprüche davon auszugehen, dass die Klägerin mit der künftigen rechtlichen Entstehung der Ansprüche fest rechnen konnte. Denn im Folgemonat (hier: Januar) festgestellte Mängel der Verarbeitung im Vormonat, für den Beihilfe geleistet worden ist (hier: Dezember), führen --auch insoweit nach den Feststellungen des FG-- gemäß Art. 9 Abs. 3 VO Nr. 1725/79 zur nachträglichen Versagung der Beihilfe unter Rückforderung der für diesen Monat geleisteten Zahlungen. Der zunächst lediglich wirtschaftlich entstandene Anspruch ist daher mit diesen Risiken des Wegfalls und der Rückforderung von Zahlungen behaftet; sie sind auch im betreffenden Produktionsmonat begründet. Damit können diese Risiken der Aktivierung des Beihilfeanspruchs (jedenfalls in voller Höhe) entgegenstehen. Davon geht auch das FG aus, wenn es die Möglichkeit der Bildung einer Rückstellung für diese Risiken dem Grunde nach bejaht.
Allerdings verneint das FG die Möglichkeit des Eintritts dieser Risiken mit dem Hinweis darauf, dass die Klägerin, wenn sie von fremden Herstellern bezogenes Magermilchpulver oder bezogene Magermilch verarbeite, bei nicht den Bedingungen der VO Nr. 1725/79 entsprechender Magermilch oder dem nicht entsprechenden Magermilchpulver Rückgriffsansprüche und Schadensersatzansprüche gegen ihre Lieferanten habe. Soweit die Klägerin selbst Magermilch oder Magermilchpulver herstelle, trage sie selbst dafür Sorge, dass die verarbeiteten Materialien den Anforderungen der VO Nr. 1725/79 entsprächen. Ein technisch bedingter Produktionsfehler beim Betrieb der rechnergesteuerten Mischanlage der Klägerin sei praktisch ausgeschlossen.
aa) Soweit das FG von möglichen Rückgriffsansprüchen der Klägerin gegen ihre Lieferanten ausgeht, reichen seine Feststellungen nicht aus, um zur Aktivierungsfähigkeit der Ansprüche auf Beihilfe zu gelangen. Inwieweit Rückgriffsansprüche (über Ausfallversicherungen, Aufrechnungsmöglichkeiten, Garantie- oder sonstige Sicherungsrechte hinaus, vgl. dazu neuerdings etwa BFH-Urteil vom 7. Mai 1998 IV R 24/97, BFH/NV 1998, 1471) allgemein bei der Bilanzierung und Bewertung von Forderungen zu berücksichtigen sind, ist --soweit ersichtlich-- höchstrichterlich zwar noch nicht entschieden. Es liegt aber nahe, dabei auf die zum Ausweis und der Bewertung von Verbindlichkeitsrückstellungen entwickelten Grundsätze zurückzugreifen. Danach ist die Möglichkeit eines Rückgriffs gegen Dritte zwar grundsätzlich zu berücksichtigen; mit am Bilanzstichtag noch nicht entstandenen Rückgriffsansprüchen ist eine Kompensation aber nur möglich, wenn sie der Entstehung oder Erfüllung der Verbindlichkeit zwangsläufig und spiegelbildlich nachfolgen und vollwertig sind, d.h. vom Rückgriffsschuldner, der von zweifelsfreier Bonität sein muss, nicht bestritten werden (BFH-Urteile vom 17. Februar 1993 X R 60/89, BFHE 170, 397, BStBl II 1993, 437; vom 3. August 1993 VIII R 37/92, BFHE 174, 31, BStBl II 1994, 444; vom 8. Februar 1995 I R 72/94, BFHE 176, 575, BStBl II 1995, 412; vom 4. Februar 1999 IV R 54/97, BFHE 187, 418, BStBl II 2000, 139). Eine Anwendung dieser Grundsätze auf die Bilanzierung und Bewertung von Forderungen führt dazu, dass noch nicht entstandene Rückgriffsansprüche nur zu berücksichtigen sind, soweit sie dem Aus- oder Wegfall der Forderung unmittelbar nachfolgen und nicht bestritten sind (vgl. dazu auch Glanegger in Schmidt, Einkommensteuergesetz, 19. Aufl., § 6 Anm. 370; zur Aktivierung bestrittener Forderungen vgl. auch Senatsurteil vom 26. April 1989 I R 147/84, BFHE 157, 121, BStBl II 1991, 213). Dies gilt auch für die vorliegend streitigen Beihilfeansprüche. Von Bewertungseinheiten, die aus sachlogischen Gründen als wirtschaftliche Einheit mit der Folge einer kompensatorischen Bewertung zu behandeln sind (vgl. etwa das Senatsurteil vom 24. Januar 1990 I R 157/85, I R 145/86, BFHE 159, 494, BStBl II 1990, 639), kann im Streitfall nicht ausgegangen werden.
Ob die vom FG genannten Rückgriffsmöglichkeiten (in den jeweiligen Streitjahren in voller Höhe oder teilweise) die bezeichneten Anforderungen erfüllen, ist den Feststellungen des FG nicht zu entnehmen. Zweifelhaft könnte dies insbesondere wegen der von der Klägerin geltend gemachten mangelnden rechtlichen Durchsetzbarkeit sein.
bb) Soweit das FG auf die Verwendung von Grundstoffen verweist, die von der Klägerin selbst hergestellt worden sind, sind seine Feststellungen ebenfalls nicht ausreichend, um das Risiko von Rückforderungen der Beihilfebeträge aufgrund nicht mangelfreier Erzeugnisse auszuschließen. Dazu wäre jedenfalls erforderlich gewesen, festzustellen, ob die Fehlerlosigkeit der Herstellung durch Erfahrungen der Vergangenheit bestätigt worden sind oder aufgrund welcher Umstände oder Maßnahmen davon ausgegangen werden kann, dass die von der Klägerin selbst hergestellten Rohstoffe den Anforderungen der VO Nr. 1725/79 entsprechen.
Im Übrigen wäre auf die Darlegungen der Klägerin im Klageverfahren einzugehen gewesen, wonach die entsprechenden Rohstoffe von der Klägerin nicht selbst hergestellt werden, sich das genannte Risiko daher an der Qualität einer Eingangskontrolle für die bezogenen Rohstoffe ausrichtet.
cc) Soweit das FG letztlich technisch bedingte Produktionsfehler im Bereich der Mischanlage der Klägerin selbst ausschließt, ist sein bloßer Hinweis auf eine dahin gehende Prüfungsbemerkung im Betriebsprüfungsbericht für einen Prüfungszeitraum vor dem streitigen Zeitraum ebenfalls nicht hinreichend.
c) Da die Rechtssache insoweit zur weiteren Aufklärung an das FG zurückzuverweisen ist, kann offen bleiben, ob die von der Klägerin gegen die Feststellungen des FG in diesem Zusammenhang erhobenen Verfahrensrügen zulässig und begründet sind (§ 118 Abs. 2 FGO).
2. Preissteigerungsrücklage
Die Zuführung zur Preissteigerungsrücklage im Wirtschaftsjahr 1991 hat das FG zu Recht nicht berücksichtigt.
a) Nach § 74 Abs. 1 EStDV i.d.F. der Zweiten Verordnung zur Änderung der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV 1990) vom 23. Juni 1992 (BStBl I 1992, 411) ist die Bildung und Erhöhung der Preissteigerungsrücklage nur in den Wirtschaftsjahren zulässig, die vor dem 1. Januar 1990 enden. Für das Streitjahr 1991 ist § 74 Abs. 1 EStDV i.d.F. vom 24. Juli 1986 (§ 74 EStDV 1986) somit nicht mehr anwendbar.
In dieser Änderung des § 74 EStDV ist zwar eine echte Rückwirkung zu erblicken. Eine solche wird von einer Rechtsnorm entfaltet, wenn der Beginn ihres zeitlichen Anwendungsbereichs normativ auf einen Zeitpunkt festgelegt ist, der vor dem Zeitpunkt liegt, zu dem die Norm rechtlich existent, d.h. gültig geworden ist (Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 22. März 1983 2 BvR 475/78, BVerfGE 63, 343, 353; vom 10. November 1988 1 BvR 743/86 u.a., BVerfGE 79, 29; vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200). Dies ist mit ihrer ordnungsmäßigen Verkündung der Fall. Die Rückwirkung des § 74 EStDV 1990 ist jedoch nach den vom BVerfG aufgestellten Grundsätzen zur Rückwirkung von Gesetzen gerechtfertigt; diese Grundsätze gelten auch für die Rückwirkung von Rechtsverordnungen (BVerfG-Beschluss vom 8. Juni 1977 2 BvR 499/74 u.a., BVerfGE 45, 142). Danach ist eine (echte) Rückwirkung u.a. zulässig, wenn die rückwirkende Norm eine unklare Rechtslage beseitigt oder aus sonstigen Gründen ein Vertrauen auf den Fortbestand der bisherigen Regelung nicht begründet war (BVerfG-Beschlüsse vom 25. Mai 1993 1 BvR 1509, 1648/91, BVerfGE 88, 384; vom 19. Dezember 1961 2 BvL 6/59, BVerfGE 13, 261; in BVerfGE 72, 200).
b) Vorliegend kann offen bleiben, ob die angeordnete Rückwirkung, wie das FG meint, bereits aus dem Gesichtspunkt der unklaren Rechtslage gerechtfertigt war. Denn jedenfalls war das Vertrauen der Bürger an einer Fortgeltung des bisherigen Rechts ab dem Zeitpunkt nicht mehr schutzwürdig, in dem aufgrund der vorgegebenen rechtlichen Situation mit einer neuen Regelung gerechnet werden musste (BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 13, 261; in BVerfGE 88, 384). Dies war mit der Verkündung des Steuerreformgesetzes (StRG) 1990 vom 25. Juli 1988 (BGBl I, 1093, 1111, BStBl I, 224, 242) der Fall. Dort wurde § 51 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG als Ermächtigungsnorm für § 74 EStDV in der Form geändert, dass die Möglichkeit der Bildung von Preissteigerungsrücklagen zeitlich auf Wirtschaftsjahre, die vor dem 1. Januar 1990 enden, begrenzt wurde. Mit dieser Anpassung wollte der Gesetzgeber --wegen der durch das StRG 1990 erfolgten Änderung des § 6 Abs. 1 EStG und der Zulassung der Lifo-Methode für die Bewertung des Vorratsvermögens-- auf die Möglichkeit der Bildung einer Preissteigerungsrücklage erkennbar verzichten (BTDrucks 11/2157, 140).
Zwar ist die Regelung des § 74 EStDV 1986 trotz Änderung der Ermächtigungsnorm zunächst unverändert bestehen geblieben. Da in § 51 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG indessen --wenn auch erstmals-- die Grundsatzentscheidung getroffen wurde, für welche Zeiträume dem Grunde nach eine Preissteigerungsrücklage nicht mehr in Betracht kommen soll, war das Vertrauen des Bürgers auf den Fortbestand der bisherigen Regelung der EStDV nicht mehr schützenswert. Er musste mit der Änderung auch der Rechtsverordnung und damit der Vervollständigung des Regelungssystems zum vorgegebenen Zeitpunkt rechnen. Mit dem dem Bundesrat am 22. Februar 1991 zugeleiteten Entwurf einer Zweiten Verordnung zur Änderung der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (BRDrucks 126/91) hat der Gesetzgeber diese Nachholung mit der erforderlichen Publizität auch begonnen.
Unabhängig von der vorangegangenen Änderung der Ermächtigungsnorm ist daher jedenfalls mit dem Vorliegen dieses Entwurfes der Vertrauensschutz der Bürger in den Fortbestand der alten Regelung des § 74 EStDV 1986 entfallen. Dem --im Gesetzgebungsverfahren-- für den Wegfall eines Vertrauensschutzes erforderlichen Gesetzesbeschluss des Bundestages vor Zuleitung an den Bundesrat (vgl. BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 72, 200, 261 f.; vom 10. März 1971 2 BvL 3/68, BVerfGE 30, 272, 287) entspricht, wenn die Normsetzung dem Verordnungsgeber übertragen ist, der "endgültige" Normenbeschluss (BFH-Beschluss vom 21. Dezember 1992 VII B 128/92, BFHE 169, 486, BStBl II 1993, 201). Er lag mit dem Entwurf vom 22. Februar 1991 vor und wurde mit der entsprechenden Verordnung vom 23. Juni 1992 zu Ende geführt. "Endgültig" bedeutet dabei entgegen der Meinung der Klägerin nicht, dass dieser Entwurf des Beschlusses (unverändert) umgesetzt worden ist. Erforderlich ist lediglich die endgültige Entschließung zur Änderung der Verordnung in dem Sinne, dass der Bereich bloßer Initiativen oder Vorbereitungen normativer Regelungen verlassen worden ist (BFH-Beschluss in BFHE 169, 486, BStBl II 1993, 201).
Vorliegend war bereits dem ersten Entwurf der Zweiten Verordnung zur Änderung der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung vom 22. Februar 1991 die Neuregelung des § 74 EStDV mit dem Ziel der "Anpassung" an die Regelung des § 51 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG i.d.F. des StRG 1990 im Sinne der vorgegebenen zeitlichen Begrenzung seiner Anwendbarkeit zu entnehmen (BRDrucks 126/91, 6, 15). Sowohl die vorgesehene Neuregelung selbst als auch die Begründung sind im Übrigen unverändert in den nachfolgenden Entwurf vom 15. April 1992 übernommen worden (BRDrucks 257/92, 7, 19). Damit war der Vertrauensschutz in die Fortgeltung der bisherigen Regelung --wenn nicht bereits mit der Neuregelung des § 51 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG vom 25. Juli 1988-- spätestens zum 22. Februar 1991 entfallen.
3. Anwendung des § 15 Abs. 4 EStG
Das FG hat im Streitfall auch die Vorschrift des § 15 Abs. 4 EStG zu Recht angewandt. Gemäß § 8 Abs. 1 KStG bestimmt sich, was als Einkommen gilt und wie das Einkommen zu ermitteln ist, nach den Vorschriften des EStG. Der Senat wertet § 15 Abs. 4 EStG als eine Vorschrift, die der Ermittlung des Einkommens dient. Denn die Versagung eines Verlustausgleichs und -abzugs betrifft unmittelbar das zu ermittelnde Einkommen. Das FG hat auch zu Recht darauf hingewiesen, dass sich Einschränkungen der Anwendbarkeit des § 15 Abs. 4 EStG nicht aus der Wesensverschiedenheit von natürlichen Personen, Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften ergeben. Die Tatsache, dass Kapitalgesellschaften nur Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielen, führt nicht dazu, Verluste aus gewerblicher Tierzucht mit den übrigen gewerblichen Betätigungen für ausgleichsfähig zu halten. Dem steht bereits der Wortlaut des § 15 Abs. 4 EStG entgegen, wonach Verluste aus der Tierzucht und der Tierhaltung auch mit "anderen Einkünften aus Gewerbebetrieb" nicht ausgeglichen werden dürfen. Abweichendes kann entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht gelten, soweit sie die Tiermast im Wege der Lohnmast auf Auftragnehmer übertragen hat, die ihrerseits Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft beziehen. Dieser Umstand vermag nichts daran zu ändern, dass die Klägerin selbst gewerbliche Einkünfte erzielt (BFH-Urteil vom 21. September 1995 IV R 96/94, BFHE 179, 66, BStBl II 1996, 85). Dies führt zum Ausgleichs- und Abzugsverbot nach § 15 Abs. 4 EStG.
Letztlich kann aus der mangelnden Anwendbarkeit des § 15 Abs. 4 EStG im Rahmen der Gewerbesteuer nichts Gegenteiliges hergeleitet werden. § 7 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) verweist auf die Gewinnermittlung, § 8 Abs. 1 KStG hingegen auf die Bestimmungen zur Ermittlung des steuerlichen Einkommens.
III.
Die --für alle Streitjahre eingelegte-- Revision des FA ist insoweit begründet, als die von der Klägerin begehrte Berichtigung des Ansatzes der Forderungen der Klägerin auf Magermilchbeihilfe infolge des Bilanzenzusammenhangs (in den Streitjahren 1991 und 1992) zu Gewinnerhöhungen führen kann. Insoweit führt auch die Revision des FA zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Im Übrigen war die Revision des FA als unbegründet zurückzuweisen. Das FG hat zu Recht entschieden, dass die Klägerin für die ungewisse Verpflichtung zur Entrichtung von Aussetzungszinsen Rückstellungen mit jährlichen Zuführungsbeträgen bilden konnte.
1. Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG i.V.m. § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB hat die Klägerin für ungewisse Verbindlichkeiten Rückstellungen zu bilden; auch insoweit wurde Art. 20 Abs. 1 der Bilanzrichtlinie zutreffend umgesetzt.
Voraussetzung für die Bildung einer derartigen Rückstellung ist das Bestehen oder hinreichend wahrscheinliche Entstehen einer Verbindlichkeit, die Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme des Steuerpflichtigen und dass der zurückgestellte Aufwand vor dem jeweiligen Bilanzstichtag wirtschaftlich verursacht ist (BFH-Urteile vom 16. Februar 1996 I R 73/95, BFHE 180, 110, BStBl II 1996, 592; vom 10. Dezember 1992 XI R 34/91, BFHE 170, 149, BStBl II 1994, 158; vom 19. Oktober 1993 VIII R 14/92, BFHE 172, 456, BStBl II 1993, 891).
Die von der Klägerin der Rückstellung zugrunde gelegte Zinsverbindlichkeit entsteht gemäß § 237 Abs. 1 AO 1977, falls die Anfechtungsklage und die Einsprüche gegen die Körperschaftsteuerbescheide und die Gewerbesteuermessbescheide 1985 bis 1987 --gleich aus welchem Grund (BFH-Urteil vom 27. November 1991 X R 103/89, BFHE 166, 311, BStBl II 1992, 319)-- endgültig keinen Erfolg haben. Demzufolge handelt es sich bei der Zinsverbindlichkeit um eine dem Grunde nach ungewisse Verbindlichkeit, deren Entstehen vom Erfolg oder Misserfolg der Anfechtungsklage und der Einsprüche abhängig ist. Ihre Höhe ist vom Umfang des Misserfolges und dem Zeitablauf (§ 237 Abs. 2 AO 1977) abhängig.
2. Eine in der Steuerbilanz zurückzustellende Verbindlichkeit muss allerdings auf die Erbringung von Aufwendungen gerichtet sein, die bei ihrem Anfall den Gewinn mindern (vgl. BFH-Urteile vom 14. Juli 1966 IV R 68/66, BFHE 86, 584, BStBl III 1966, 585; vom 24. November 1983 IV R 22/81, BFHE 139, 544, BStBl II 1984, 301; vom 9. Juni 1999 I R 64/97, BFHE 189, 75, BStBl II 1999, 656). Dies trifft nach den für die Streitjahre jeweils geltenden Fassungen des § 10 Nr. 2 KStG (1984 und 1991) für Zinsen zur Körperschaftsteuer einschließlich der Aussetzungszinsen i.S. des § 237 AO 1977 zu.
3. Die erforderliche Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme aus einer Verbindlichkeit wird in der Rechtsprechung mit der Formel umschrieben, dass mehr Gründe für als gegen das Entstehen der in Rede stehenden Verbindlichkeit und die künftige Inanspruchnahme des Steuerpflichtigen sprechen müssen (BFH-Urteile vom 1. August 1984 I R 88/80, BFHE 142, 226, BStBl II 1985, 44; vom 2. Oktober 1992 III R 54/91, BFHE 169, 423, BStBl II 1993, 153; vom 6. Dezember 1995 I R 14/95, BFHE 180, 258, BStBl II 1996, 406). Ob diese Voraussetzungen vorliegen, bestimmt sich vorliegend nach den Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage und der steuerrechtlichen Beurteilung der ausgesetzten Steuerforderungen, zu denen die Aussetzungszinsen gemäß § 3 Abs. 3 AO 1977 Nebenleistungen sind. Zur zugrunde liegenden Steuerschuld besteht allerdings insoweit ein Zusammenhang, als die Aussetzungszinsen zwangsläufig mit der Entscheidung über die Steuerschuld verbunden sind; somit besteht sowohl für die Festsetzung der Aussetzungszinsen als auch den Bestand der von der Vollziehung ausgesetzten Steuerschuld der gleiche Grad an Wahrscheinlichkeit. Da der Ausgang eines Rechtsstreits indessen regelmäßig unsicher ist, besteht für eine Inanspruchnahme im Falle des Unterliegens eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (BFH-Urteile vom 27. November 1997 IV R 95/96, BFHE 185, 160, BStBl II 1998, 375; in BFHE 180, 258, BStBl II 1996, 406). Dem steht die Tatsache der Aussetzung der Vollziehung der Steuerschuld nicht entgegen. Voraussetzung für die Gewährung von Aussetzung der Vollziehung eines angefochtenen Steuerbescheids ist nach § 361 Abs. 2 AO 1977 bzw. § 69 Abs. 2 FGO lediglich, dass ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen. Nach der Rechtsprechung des BFH sind diese Voraussetzungen bereits dann gegeben, wenn neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen auch gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken; dabei brauchen die für die mangelnde Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheids sprechenden Bedenken ausdrücklich nicht zu überwiegen. Wie die Klägerin zu Recht ausführt, folgt hieraus, dass die Voraussetzungen für die Aussetzung der Vollziehung eines angefochtenen Steuerbescheids einerseits und die Voraussetzungen für die Rückstellungsfähigkeit der auf die bestrittene Steuerverbindlichkeit entfallenden Aussetzungszinsen nicht miteinander unvereinbar sind. Aus der gewährten Aussetzung der Vollziehung eines Steuerbescheids folgt nämlich nicht, dass mehr Gründe gegen als für dessen Rechtmäßigkeit (und damit den Anfall von Aussetzungszinsen) sprechen.
4. Da die Aussetzungszinsen bei Anfall für die am jeweiligen Bilanzstichtag zurückliegenden Zeiträume erhoben werden (§ 237 Abs. 2 AO 1977), sind die entsprechenden Aufwendungen vor dem jeweiligen Bilanzstichtag wirtschaftlich verursacht worden.
5. Verbindlichkeiten als auch Rückstellungen sind nach § 253 Abs. 1 Satz 2 HGB, § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG grundsätzlich mit dem Nennwert oder dem Teilwert anzusetzen (BFH-Urteile vom 22. November 1988 VIII R 62/85, BFHE 155, 322, BStBl II 1989, 359; in BFHE 170, 397, BStBl II 1993, 437). Gründe für eine abweichende Bewertung sind im Streitfall nicht ersichtlich.
IV.
Die Rechtssache wird an das FG zurückverwiesen, damit es die für die Beurteilung der Aktivierbarkeit der Forderungen der Klägerin auf Magermilchbeihilfe (oben II. 1.) erforderlichen Feststellungen trifft und auf deren Grundlage erneut entscheidet. Dem FG wird die Entscheidung über die Kosten des gesamten Verfahrens übertragen (§ 143 Abs. 2 FGO). Dies ist auch bei teilweiser Zurückverweisung der Sache möglich (vgl. BFH-Urteil vom 13. Februar 1980 I R 178/78, BFHE 130, 48, BStBl II 1980, 386, unter III. der Gründe, m.w.N.).
Ende der Entscheidung
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