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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 07.12.2005
Aktenzeichen: I R 123/04
Rechtsgebiete: AO 1977, EStG, KStG
Vorschriften:
AO 1977 § 163 | |
EStG § 5 Abs. 1 | |
EStG § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 | |
KStG § 8 Abs. 1 |
Gründe:
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt in der Rechtsform einer Genossenschaft ein Agrarunternehmen, das ca. 2000 ha gepachtetes und in ihrem Eigentum stehendes Land bewirtschaftet. Den überwiegenden Teil ihrer Erlöse erzielt sie aus der landwirtschaftlichen Tätigkeit, insbesondere aus der Milcherzeugung und aus der Tierproduktion. Daneben übt sie auch nicht landwirtschaftliche Tätigkeiten aus (z.B. Lohnarbeiten im landwirtschaftlichen und nicht landwirtschaftlichen Bereich, Leistungen an Beregnungsgesellschaften, Getreideeinlagerung, Dieselverkauf an Landwirte, sowie einen Reparaturbetrieb für Rübenroder).
Die Klägerin verzichtete in den Jahresabschlüssen ab dem 30. Juni 1996 unter Berufung auf Abschn. 29 Satz 2 und 3 der Körperschaftsteuer-Richtlinien 1995 (KStR 1995) i.V.m. R 131 Abs. 2 Satz 3 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR 1999) auf die Aktivierung des Feldinventars.
Nach einer Außenprüfung kam der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) zu der Überzeugung, der Klägerin stünde das Aktivierungswahlrecht für das Feldinventar nicht zu, weil die Voraussetzungen des Abschn. 29 Satz 3 KStR 1995 nicht erfüllt seien. Ihre Tätigkeit beschränke sich nicht auf die Land- und Forstwirtschaft. Nach dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 31. Oktober 1995 (BStBl I 1995, 703) sei ein Betrieb nicht mehr auf die Land- und Forstwirtschaft beschränkt, wenn er Wirtschaftsgüter überlasse oder Dienstleistungen erbringe, und hieraus Einnahmen von mehr als 100 000 DM für Leistungen an Landwirte bzw. 20 000 DM für Leistungen an Nichtlandwirte erziele.
Das FA aktivierte das Feldinventar zum 30. Juni 1999.
Das Sächsische Finanzgericht (FG) teilte die Auffassung des FA, dass die Voraussetzungen eines Aktivierungswahlrechts nach Abschn. 29 KStR 1995 i.V.m. R 131 Abs. 2 EStR 1999 nicht vorlägen, und wies die Klage gegen die hiernach ergangenen Steuerbescheide mit Urteil vom 10. November 2004 7 K 2087/03 ab. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2005, 1960 veröffentlicht.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung materiellen Rechts.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und das FA zu verpflichten, die angefochtenen Bescheide dahin gehend zu ändern, dass die Körperschaftsteuer für den Veranlagungszeitraum 1999 auf 511 890,95 € festgesetzt wird und die dementsprechenden Folgeänderungen vorgenommen werden.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II. 1. Die Revision ist zulässig. Die Klägerin rügt eine fehlerhafte Anwendung des Abschn. 29 Satz 2 und 3 KStR 1995 i.V.m. R 131 Abs. 2 Satz 3 EStR 1999. Da eine Revision nur auf eine Verletzung von Bundesrecht gestützt werden kann (§ 118 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), versteht der Senat das Begehren der Klägerin dahin, dass sie eine Verletzung des § 163 der Abgabenordnung (AO 1977) i.V.m. Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) rügt.
2. Die Revision ist aber unbegründet. Sie ist daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
a) Die Entscheidung über die abweichende Festsetzung aus Billigkeitsgründen ist in einem eigenständigen Verfahren zu verfolgen, kann aber mit der Steuerfestsetzung verbunden werden (§ 163 Satz 3 AO 1977). Geschieht dies, sind zwei Rechtsbehelfe gegeben: Der Einspruch gegen die Steuerfestsetzung und der Einspruch gegen die abweichende Steuerfestsetzung bzw. deren Ablehnung. Wird gegen äußerlich miteinander verbundene Entscheidungen über eine abweichende Festsetzung und die Steuerfestsetzung nur ein Einspruch eingelegt, muss durch Auslegung der Einspruchsbegründung ermittelt werden, gegen welchen der beiden Verwaltungsakte der Einspruch gerichtet ist. Dabei ist der Rechtsbehelfsantrag so auszulegen, dass er dem Ziel und den Belangen des Steuerpflichtigen am besten entspricht (Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 163 AO Tz. 28, und Tipke, ebenda, § 357 AO Tz. 6; Cöster in Pahlke/ Koenig, Abgabenordnung, § 163 Tz. 53).
Die Klägerin hat danach ihr Begehren im zutreffenden Verfahren verfolgt. Sie hat mit Abgabe ihrer Steuererklärungen für das Streitjahr, in dem sie unter Berufung auf Abschn. 29 Satz 2 und 3 KStR 1995 i.V.m. R 131 Abs. 2 Satz 3 EStR 1999 auf eine Aktivierung der Feldbestände verzichtet hat, konkludent eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen beantragt (§ 163 AO 1977). Dem Antrag hat das FA in den unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO 1977) stehenden Bescheiden zunächst entsprochen. Nachdem diese Handhabung während der Betriebsprüfung streitig geworden war, änderte das FA die Steuerfestsetzungen für das Streitjahr und lehnte damit den Antrag der Klägerin ab. Ausschließlicher Gegenstand des Einspruchs- wie des Klageverfahrens war die Frage, ob der Klägerin das "Aktivierungswahlrecht" nach Abschn. 29 Satz 2 und 3 KStR 1995 i.V.m. R 131 Abs. 2 Satz 3 EStR 1999 zusteht, das Landwirten --so der ausdrückliche Wortlaut von R 131 Abs. 2 Satz 3 EStR 1999-- aus Billigkeitsgründen gewährt wird. Es ist daher davon auszugehen, dass Gegenstand des Einspruchs- und Klageverfahrens allein die von der Klägerin erstrebte abweichende Festsetzung der Steuer aus Billigkeitsgründen ist, auch wenn im Einspruchsschreiben sowie im angefochtenen Urteil die Steuerfestsetzungen genannt sind und die Klägerin mit ihrer Klage ein Anfechtungs-, nicht aber ein Verpflichtungsbegehren formuliert hat (Loose in Tipke/Kruse, a.a.O., § 163 AO Tz. 28 f.). Ihr Begehren ist entsprechend zu verstehen.
b) Das Feldinventar gehört bei der Klägerin zum Betriebsvermögen i.S. des § 5 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.V.m. § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG), das nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 EStG grundsätzlich mit den Anschaffungs- oder Herstellungskosten anzusetzen ist (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 6. April 2000 IV R 38/99, BFHE 191, 527, BStBl II 2000, 422 zu einem Betrieb der Land- und Forstwirtschaft). Abweichend vom Zivilrecht handelt es sich steuerrechtlich bei den Feldbeständen (Feldinventar und stehende Ernte) nicht um Bestandteile des Grund und Bodens, sondern um selbständige, bewertungsfähige Wirtschaftsgüter, die als Umlaufvermögen zu aktivieren sind (BFH-Urteil vom 30. Januar 1986 IV R 130/84, BFHE 146, 72, BStBl II 1986, 399).
c) Die Finanzverwaltung räumt aber den Land- und Forstwirten das "Wahlrecht" ein, auf die Aktivierung ihrer Feldbestände zu verzichten (R 131 Abs. 2 Satz 3 EStR 1999). Diese Möglichkeit billigt sie gemäß Abschn. 29 Satz 2 und 3 KStR 1995 auch Körperschaften zu, bei denen alle Einkünfte als Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu behandeln sind (§ 8 Abs. 2 KStG). Voraussetzung hierfür ist, dass sich der Betrieb der Körperschaft auf die Land- und Forstwirtschaft beschränkt oder der land- und forstwirtschaftliche Betrieb als organisatorisch verselbständigter Betriebsteil (Teilbetrieb) geführt wird.
d) Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH führen allgemeine Verwaltungsanweisungen, die --wie im Streitfall-- eine Billigkeitsregelung zum Inhalt haben, aus Gründen der Gleichbehandlung zu einer Selbstbindung der Verwaltung. Den Finanzbehörden ist es danach verwehrt, in Einzelfällen, die offensichtlich von der Verwaltungsanweisung gedeckt werden, deren Anwendung ohne triftige Gründe im Rahmen des ihnen prinzipiell eingeräumten Ermessens (vgl. § 163 Satz 1 AO 1977) abzulehnen. Der Steuerpflichtige hat vielmehr einen auch vor den Steuergerichten zu beachtenden Rechtsanspruch darauf, nach Maßgabe der allgemeinen Verwaltungsanweisungen besteuert zu werden, es sei denn, die Billigkeitsregelung verlässt den gesetzlich vorgesehenen Rahmen (BFH-Urteile vom 23. April 1991 VIII R 61/87, BFHE 164, 422, BStBl II 1991, 752; vom 19. Mai 2004 III R 29/03, BFHE 206, 253, BStBl II 2005, 77, jeweils m.w.N.). Allgemeine Verwaltungsanweisungen dürfen allerdings nicht in gleicher Weise wie Gesetze ausgelegt werden. Maßgeblich ist insofern nicht, wie das FG eine solche Verwaltungsanweisung versteht, sondern wie die Verwaltung sie verstanden hat und verstanden wissen wollte. Das FG darf daher Verwaltungsanweisungen nicht selbst auslegen, sondern nur darauf überprüfen, ob die Auslegung durch die Behörde möglich ist (vgl. BFH-Urteil vom 13. Februar 2005 V R 35/03, BFHE 208, 398, BStBl II 2005, 460, m.w.N.). Im Übrigen können die Steuergerichte nur unterbinden, dass die Finanzverwaltung in Einzelfällen, die von der Verwaltungsanweisung gedeckt werden, willkürlich, also ohne zwingende Sachgründe, von der Verwaltungsanweisung abweicht.
e) Die Klägerin hat hiernach keinen aus Art. 3 Abs. 1 GG ableitbaren Rechtsanspruch darauf, wie ein Betrieb behandelt zu werden, der ausschließlich land- und forstwirtschaftliche Tätigkeiten ausübt.
aa) Die Verwaltung geht offenbar davon aus, dass es land- und forstwirtschaftliche Betriebe erheblich belastet, ihre Feldbestände zu erfassen und zu bewerten. Dies kann eine Billigkeitsregelung i.S. des § 163 AO 1977 rechtfertigen, wenn die steuerlichen Auswirkungen aus der unterlassenen Aktivierung gering sind. Gewerbebetriebe kraft Rechtsform, die neben der Landwirtschaft ohne organisatorische Trennung auch gewerbliche Tätigkeiten entfalten, bedürfen ihrer Meinung nach dagegen keiner Entlastung.
bb) Von der Klägerin wird nicht in Abrede gestellt, dass sie neben landwirtschaftlichen auch gewerbliche Tätigkeiten ausübt, die sie nicht in organisatorisch verselbständigten Betriebsteilen (Teilbetriebe) führt. Gleichwohl ist sie der Auffassung, ihre Tätigkeit beschränke sich auf die Land- und Forstwirtschaft, weil ihre Umsätze aus der gewerblichen Tätigkeit mit Ausnahme eines Jahres jeweils 5 v.H. der gesamten Umsätze eines Jahres nicht überschritten.
Ob dieser Vortrag, der vom FA bestritten wird, zutrifft, kann dahingestellt bleiben. Denn nach dem für die Auslegung von Verwaltungsvorschriften maßgebenden Willen der Verwaltung soll die Billigkeitsregelung für Körperschaften, die kraft ihrer Rechtsform ausschließlich gewerbliche Einkünfte erzielen, in Anlehnung an R 135 Abs. 9 und 10 EStR 1999 nur eingreifen, wenn die nicht der Landwirtschaft zuzurechnenden Leistungen 100 000 DM bei Leistungen an Landwirte bzw. 20 000 DM bei Leistungen an Nichtlandwirte nicht überschreiten.
Diese Grenzen sind ein sachgerechtes Kriterium für die Entscheidung, ob eine Tätigkeit sich ausschließlich auf die Land- und Forstwirtschaft beschränkt. Ausgehend vom Wortlaut des Abschn. 29 Satz 3 KStR 1995 könnte auch jedwede nicht landwirtschaftliche Tätigkeit, sofern sie wirtschaftlich nicht von völlig untergeordneter Bedeutung ist, der Anwendung der Billigkeitsregelung entgegenstehen.
Die Klägerin hat nach ihren eigenen Angaben in den Wirtschaftsjahren 1995/96 bis 1998/99 Betriebseinnahmen aus nicht landwirtschaftlicher Tätigkeit von rd. 380 000 DM bis 536 000 DM erzielt, so dass sie nicht unter die Billigkeitsregelung fällt.
cc) Die Klägerin wird dadurch nicht gegenüber Personengesellschaften benachteiligt. Die Verwaltung behandelt auch Personengesellschaften insgesamt als Gewerbebetrieb, wenn sie höhere als die in R 135 Abs. 9 und 10 EStR 1999 genannten Betriebseinnahmen erzielen. Soweit die Verwaltung bei natürlichen Personen, die eine teils gewerbliche und teils land- und forstwirtschaftliche Betätigung entfalten, beide Betriebe als getrennt beurteilt, wenn eine zufällige, vorübergehende wirtschaftliche Verbindung zwischen ihnen besteht, die ohne Nachteil für diese Betriebe gelöst werden kann (R 135 Abs. 1 Satz 4 EStR 1999), liegt dies darin begründet, dass natürliche Personen Einkünfte unterschiedlicher Einkunftsarten erzielen können, die Klägerin dagegen kraft ihrer Rechtsform nur gewerbliche Einkünfte. Es ist ihr aber möglich, die Voraussetzungen für die Billigkeitsregelung durch organisatorische Ausgliederung der gewerblichen Tätigkeiten in Teilbetriebe zu schaffen.
f) Weitere Gründe, weshalb die Aktivierung ihres Feldinventars unbillig i.S. des § 163 AO 1977 sein soll, sind von der Klägerin weder dargetan noch sonst ersichtlich.
Ende der Entscheidung
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