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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 22.02.2006
Aktenzeichen: I R 14/05
Rechtsgebiete: DBA-Singapur


Vorschriften:

DBA-Singapur Art. 14 Abs. 1
DBA-Singapur Art. 14 Abs. 2
DBA-Singapur Art. 21
DBA-Singapur Art. 23 Abs. 1 Buchst. a Satz 1
Vergütungen aus Arbeit i.S. von Art. 14 DBA-Singapur "stammen" i.S. von Art. 21 DBA-Singapur aus Deutschland, wenn sie von einem hier ansässigen Arbeitgeber als Vergütung für die Tätigkeit in Singapur gezahlt werden.
Gründe:

I.

Streitig ist der Umfang der inländischen Steuerfreistellung für Arbeitslohn einer von einem inländischen Arbeitgeber nach Singapur entsandten Arbeitnehmerin.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) war im Streitjahr 2001 bei einem inländischen Arbeitgeber angestellt. Vom 1. März bis zum 31. Dezember war sie für ihren Arbeitgeber bei einer Tochtergesellschaft in Singapur tätig. In der Zeit ihrer örtlichen Abwesenheit von Deutschland verblieben die Einrichtungsgegenstände in der eigenen und selbst genutzten Eigentumswohnung im Inland.

Die Klägerin erzielte im Streitjahr Arbeitslohn in Höhe von 171 403 DM. Davon entfiel auf den Zeitraum ab dem 1. März ein Betrag von 154 907 DM. Nach einer Bestätigung des Arbeitgebers vom 29. Oktober 2002 behielt dieser einen Betrag von 48 230 DM ein (Zahlung auf ein inländisches Konto der Klägerin damit nur 106 677 DM), da die Klägerin von der ausländischen Tochtergesellschaft des Arbeitgebers monatlich einen Betrag von umgerechnet 4 823 DM erhielt. Dieser monatliche Betrag von 4 823 DM wurde bei seiner Auszahlung in Singapur versteuert.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) erfasste im Einkommensteuerbescheid steuerpflichtige Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 123 172 DM und nur den in Singapur zugeflossenen Arbeitslohn (48 230 DM) als steuerfreie --und dem Progressionsvorbehalt unterliegende-- Bezüge.

Der Klage auf Herabsetzung der Einkommensteuer gab das Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg durch Urteil vom 11. Januar 2005 14 K 94/03 (veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2005, 1594) statt, indem es den Gesamtbetrag der auf den Zeitraum ab 1. März entfallenden Einnahmen als steuerfreie Bezüge ansetzte.

Mit der Revision rügt das FA eine unzutreffende Anwendung materiellen Rechts.

Das FA beantragt sinngemäß, das Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist begründet. Das Urteil des FG wird aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die bisher getroffenen Feststellungen lassen keine abschließende Entscheidung darüber zu, ob der auf die Beschäftigung im Ausland entfallende und im Inland ausgezahlte Teil des Gehalts der Klägerin in Deutschland steuerpflichtig und nicht nur im Wege des sog. Progressionsvorbehalts zu erfassen ist.

1. Das FG ist zutreffend von der unbeschränkten Steuerpflicht der Klägerin im gesamten Streitjahr ausgegangen. Es hat dazu in tatsächlicher Hinsicht --und den erkennenden Senat bindend (§ 118 Abs. 2 FGO)-- festgestellt, dass die Klägerin ihre Wohnung im Inland während ihres berufsbedingten Auslandsaufenthalts unter Umständen beibehalten hatte, die darauf schließen ließen, dass sie die Wohnung bei sich bietender Gelegenheit wieder benutzen wollte (s. dazu z.B. Senatsurteil vom 19. März 1997 I R 69/96, BFHE 182, 296, BStBl II 1997, 447). Damit ergibt sich die unbeschränkte Steuerpflicht der Klägerin aus § 1 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.V.m. § 8 der Abgabenordnung (AO 1977).

2. Die unbeschränkte Steuerpflicht erfasst alle Einkünfte der Klägerin und damit auch deren Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG, grundsätzlich unabhängig davon, wo die Arbeit ausgeübt wurde. Die auf den Zeitraum ab dem 1. März entfallenden Einnahmen können jedoch in Deutschland nur nach Maßgabe der Regelungen des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Singapur zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (DBA-Singapur) vom 19. Februar 1972 (BGBl II 1973, 374, BStBl I 1973, 514) der Besteuerung unterworfen werden (zur Möglichkeit der zeitanteiligen Aufteilung des Jahresgehalts z.B. Senatsurteil vom 29. Januar 1986 I R 22/85, BFHE 146, 132, BStBl II 1986, 479; Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, MA Art. 15 Rz. 145).

3. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 DBA-Singapur sieht die Besteuerung von Gehältern und Löhnen im Ansässigkeitsstaat vor. Wird die Arbeit allerdings in dem anderen Vertragsstaat ausgeübt, "so können" nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 DBA-Singapur --soweit nicht Art. 14 Abs. 2 DBA-Singapur wiederum dem Ansässigkeitsstaat den Vorrang gibt-- "die dafür bezogenen Vergütungen in dem anderen Staat besteuert werden".

Im Streitfall ist die Klägerin nach den dem Urteil des FG zugrunde liegenden Feststellungen jedenfalls nach Art. 4 Abs. 2 Buchst. a DBA-Singapur ("Mittelpunkt der Lebensinteressen") abkommensrechtlich als in Deutschland ansässig anzusehen. Da die Anwendung des Art. 14 Abs. 2 DBA-Singapur nicht in Betracht kommt, weil sich die Klägerin länger als 183 Tage während des Kalenderjahres in Singapur aufgehalten hat, können die für die Arbeitsleistung in Singapur ("dafür") bezogenen Vergütungen gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 DBA-Singapur in Singapur besteuert werden. Ein abkommensrechtliches Besteuerungsrecht Singapurs führt gemäß Art. 23 Abs. 1 Buchst. a DBA-Singapur dazu, dass die betreffenden Einkünfte unter Progressionsvorbehalt von der deutschen Besteuerung freigestellt sind.

4. Jedoch könnte im Streitfall Art. 21 DBA-Singapur die Besteuerung des im Inland ausgezahlten Teils der für die Tätigkeit in Singapur geleisteten Vergütung rechtfertigen.

a) Danach kann eine Steuerbefreiung von Einkünften, welche aufgrund einer Bestimmung des Abkommens in jenem Vertragsstaat, aus dem sie stammen, gewährt wird, nur auf den Teil der Einkünfte beansprucht werden, der in den anderen Vertragsstaat überwiesen oder dort bezogen wird. Voraussetzung für diese Einschränkung ist, dass der andere Vertragsstaat diese Einkünfte nach dem dort geltenden Recht (nur) unter Zugrundelegung des Betrages besteuert, der nach dorthin überwiesen oder dort bezogen wird, nicht aber unter Zugrundelegung des Gesamtbetrags der Einkünfte. Hintergrund dieser Regelung ist das sog. Remittance-Base-Prinzip im Steuerrecht Singapurs, wonach in Singapur ansässige oder als ansässig behandelte Personen ausländische Einkünfte in Singapur nur zu versteuern haben, wenn diese nach Singapur überwiesen oder dort empfangen werden (vgl. Dörrfuß in Debatin/Wassermeyer, a.a.O., DBA-Singapur Anh. Rz. 49). Durch Art. 21 DBA-Singapur soll sichergestellt werden, dass eine im Abkommen vorgesehene Entlastung von Quellensteuer im Ursprungsstaat sich nur auf die im Wohnsitzstaat tatsächlich besteuerten Einkünfte erstreckt und eine Nichtbesteuerung von Einkünften ("weiße Einkünfte") ausgeschlossen wird (z.B. Dörrfuß in Debatin/Wassermeyer, a.a.O., DBA-Singapur Art. 21 Rz. 2, 6; Fischer-Zernin, in: Becker/Höppner/Grotherr/Kroppen, DBA, Art. 21 DBA-Singapur Rz. 1 f.; Jap/Hintzen, Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters --AWD-- 1973, 144, 155).

b) Das FG hat im Streitfall Art. 21 DBA-Singapur auf die in Rede stehenden Einkünfte der Klägerin aus Arbeit i.S. von Art. 14 DBA-Singapur für nicht anwendbar gehalten, da für die (den Zahlungen auf das inländische Konto entsprechenden) Einnahmen ein abkommensrechtliches Quellenbesteuerungsrecht fehle. Die Einnahmen "stammten" deswegen nicht im Sinne der Vorschrift aus Deutschland. Dem folgt der Senat nicht.

aa) Der Regelungswortlaut des Art. 21 DBA-Singapur lässt nicht ohne weiteres erkennen, welches der Vertragsstaat ist, aus dem die Einkünfte stammen müssen. Die Regelungszusammenhänge belassen jedoch keinen Zweifel daran, dass dies nur Deutschland sein kann, nicht hingegen Singapur als der andere Vertragsstaat. Denn nur Singapur besteuert, beeinflusst durch die englische Besteuerungstradition, nach dem sog. Remittance-Base-Prinzip. Nur in dieser Konstellation ist deswegen denkbar, dass das Besteuerungsrecht an Deutschland als den Ursprungsstaat zurückfällt, weil Singapur von dem ihm abkommensrechtlich zugewiesenen Besteuerungsrecht aufgrund seines innerstaatlichen Steuerrechts keine Anwendung macht. Für den umgekehrten Fall von Einkünften, die aus Singapur stammen, läuft die Vorschrift hingegen leer.

bb) Hiervon ausgehend schränkt die Vorschrift ihren Anwendungsbereich nicht auf solche Einkünfte ein, für welche Singapur das ausschließliche Besteuerungs- und Deutschland allenfalls ein (abkommensrechtliches) Quellenbesteuerungsrecht zusteht. Einbezogen werden vielmehr --vorbehaltlich Zinsen gemäß Art. 11 Abs. 3 DBA-Singapur-- jegliche Einkünfte, die aus Deutschland stammen und dort aufgrund einer Bestimmung dieses Abkommens von der Steuer befreit sind. Das aber können auch Vergütungen aus Arbeit i.S. von Art. 14 DBA-Singapur sein, welche nach dessen Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 im Tätigkeitsstaat, also in Singapur, besteuert werden können und deswegen nach Art. 23 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 DBA-Singapur prinzipiell von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer ausgenommen werden. Die systematische Stellung der abkommensrechtlichen Vorbehaltsklausel im Anschluss an die einzelnen Einkunftsarten, nicht jedoch des Art. 23 DBA-Singapur als sog. Methodenartikel widerspricht dem nicht; Art. 21 DBA-Singapur nimmt vorbehaltlos auf die Steuerbefreiung von Einkünften "auf Grund einer Bestimmung dieses Abkommens" Bezug und schließt damit die Befreiung nach Maßgabe des Methodenartikels ein (ähnlich wie die Parallelregelung in Art. II Abs. 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Irland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung bei den Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuer --DBA-Irland-- vom 17. Oktober 1962, BGBl II 1964, 267, BStBl I 1964, 320, und Art. 3 Abs. 3 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Jamaika zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 8. Oktober 1974, BGBl II 1976, 1195, BStBl I 1976, 408; insoweit aber abweichend von z.B. den Vorbehaltsklauseln gemäß Nr. 2 des Protokolls zum Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Zypern zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen --DBA-Zypern-- vom 9. Mai 1977, BGBl II 1977, 489, BStBl I 1977, 341, sowie gemäß Nr. 1 Buchst. a des Protokolls zum Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Trinidad und Tobago zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und zur Förderung des Internationalen Handels und der internationalen Investitionstätigkeit vom 4. April 1973, BGBl II 1975, 680, BStBl I 1975, 698). Auch der Umstand, dass Deutschland in dieser Konstellation zugleich der Ansässigkeitsstaat des abkommensberechtigten Steuerpflichtigen ist, ist insofern unbeachtlich (vgl. ähnlich zu den Parallelregelungen in Art. II Abs. 2 DBA-Irland sowie der Vorbehaltsklausel gemäß Nr. 2 des Protokolls zum DBA-Zypern: Rosenthal in Debatin/Wassermeyer, a.a.O., DBA-Irland Art. II Rz. 60; Müller, ebenda, DBA-Zypern Art. 2 Rz. 18).

cc) Allerdings müssen die betreffenden Einkünfte aus Deutschland "stammen". Im Schrifttum wird teilweise vertreten, dies sei im Rahmen von Abkommensregelungen nur dann der Fall, wenn die Einkünfte in dem betreffenden Vertragsstaat erwirtschaftet werden. Für Einkünfte aus nichtselbständiger bzw. unselbständiger Arbeit i.S. von Art. 15 des OECD-Musterabkommens 1977/2003 zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sei dies grundsätzlich der Tätigkeitsstaat, da die Tätigkeit dort physisch ausgeübt werde und der Tätigkeitsstaat die hierfür notwendige Infrastruktur zur Verfügung stelle (Wischermann, Internationales Steuerrecht 2002, 688, 692 f.).

Der erkennende Senat hat im Urteil vom 29. November 2000 I R 102/99 (BFHE 194, 69, BStBl II 2001, 195) den Begriff des Stammens in der Nr. 2 des Protokolls zum DBA-Zypern (als Parallelregelung zu Art. 21 DBA-Singapur) demgegenüber normspezifisch im Sinne des (formalen) Zahlungstransfers und orientiert an dem Zahlungsort verstanden. Einkünfte stammen danach aus Deutschland als maßgeblichem Vertragsstaat, wenn sie in Deutschland von einem hier ansässigen Arbeitgeber gezahlt werden (zustimmend Mössner, Recht der Internationalen Wirtschaft 2002, 433, 437). Er hält an dieser Rechtsprechung für Art. 21 DBA-Singapur fest. Ein davon abweichendes wirtschaftliches Regelungsverständnis findet im Abkommenstext keine Stütze, verträgt sich nicht mit dem Remittance-Base-Prinzip und zöge dem Regelungszweck zuwiderlaufend Besteuerungslücken nach sich, die es gerade zu vermeiden gilt.

5. Die Vorinstanz hat ihrer Entscheidung eine andere Rechtsauffassung zugrunde gelegt. Sie ist aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat zu der nach singapurischem Recht zu beantwortenden Frage, ob i.S. des Art. 21 DBA-Singapur "nach dem in dem anderen Vertragsstaat geltenden Recht diese Einkünfte unter Zugrundelegung des Betrages besteuert werden, der in den anderen Staat überwiesen oder dort bezogen wird, nicht aber unter Zugrundelegung des Gesamtbetrags der Einkünfte" (s. auch das Senatsurteil vom 12. November 1986 I R 38/83, BFHE 148, 289, BStBl II 1987, 377) --von seinem Rechtsstandpunkt aus zu Recht-- keine Feststellungen getroffen. Es erhält durch die Zurückverweisung Gelegenheit, Feststellungen (§ 155 FGO i.V.m. § 293 Satz 1 der Zivilprozessordnung) dazu, ob die in Deutschland ausgezahlten Einnahmen aus Gründen einer Besteuerung nach dem sogenannten Remittance-Base-Prinzip oder wegen fehlender Deklaration in Singapur nicht besteuert wurden, nachzuholen.

Ende der Entscheidung

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