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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 29.01.2003
Aktenzeichen: I R 20/02
Rechtsgebiete: AO 1977
Vorschriften:
AO 1977 § 129 | |
AO 1977 § 129 Satz 1 | |
AO 1977 § 164 |
Gründe:
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine AG, nahm in den Jahren 1988 und 1989 sowie im Streitjahr 1990 ausschüttungsbedingte Teilwertabschreibungen auf ihre Beteiligung an einer Organgesellschaft vor. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) hatte zunächst erklärungsgemäß veranlagt und die Abschreibungen nicht beanstandet. Sowohl der Bescheid über den einheitlichen Gewerbesteuermessbetrag 1990 als auch jener über die Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31. Dezember 1990 ergingen am 25. September 1991 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (VdN).
Anlässlich einer bei der Klägerin für den Zeitraum 1987 bis 1990 durchgeführten Außenprüfung vereinbarten die Prüferin, Steueramtsrätin H, und die Klägerin am 3. Dezember 1991, die Frage, ob die gewinnabführungsbedingte Teilwertabschreibung auf die Beteiligung an der Organgesellschaft gewerbesteuerlich hinzuzurechnen sei, im Hinblick auf das seinerzeit noch ausstehende Senatsurteil vom 2. Februar 1994 I R 10/93 (BFHE 173, 426, BStBl II 1994, 768) zunächst offen zu lassen. Die Prüferin erkrankte sodann. Sie fertigte ihren Prüfungsbericht deshalb erst am 7. März 1996 und korrigierte darin die Gewerbeerträge in Einklang mit dem vorgenannten Senatsurteil.
Zwischenzeitlich --im Jahre 1995-- hatte ein anderer Prüfer, Steueramtsrat E, bereits die Anschlussprüfung für die Folgejahre 1991 bis 1993 durchgeführt. Auch er versagte die Teilwertabschreibungen und damit auch den darauf zurückzuführenden Gewerbeverlust in seinem Prüfungszeitraum. Er änderte folglich die Gewerbesteuermessbescheide 1991 bis 1993 und hob jeweils den VdN auf. Zugleich änderte er am 29. November 1995 auch den Gewerbesteuermessbescheid 1990 vom 25. September 1991, indem er in dieses Jahr vorgetragene Gewerbeverluste, die ausschließlich auf den Teilwertabschreibungen beruhten, nicht mehr berücksichtigte. Der VdN wurde auch bezogen auf diesen Bescheid aufgehoben. Den dazu gemachten Erläuterungen zufolge lagen der geänderten Festsetzung die Ergebnisse der durchgeführten Prüfung zugrunde.
Mit Bescheid vom 21. Mai 1996 änderte das FA den Gewerbesteuermessbescheid 1990 auf der Basis des Prüfungsberichts der Prüferin H vom 7. März 1996 erneut. Die Teilwertabschreibung des Streitjahres (1990) wurde nunmehr dem von der Klägerin erklärten Gewerbeertrag durch Erhöhung der Position "Gewerbeertrag der Organgesellschaften" wieder hinzugerechnet. Diese Änderung stützte das FA auf § 129 i.V.m. § 164 der Abgabenordnung (AO 1977). Bei der Aufhebung des VdN durch den Prüfer E sei diesem ein Versehen unterlaufen: Er habe bei Durchführung der Änderung im EDV-Verfahren versehentlich die Kennzahl 10 mit dem Wert 25 (= Änderung gemäß § 164 Abs. 2 AO 1977 und Aufhebung des VdN) statt mit dem Wert 24 (= bloße Änderung gemäß § 164 Abs. 2 AO 1977) eingegeben.
Die dagegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg (Entscheidungen der Finanzgerichte 2003, 10).
Ihre Revision begründet die Klägerin mit Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Sie beantragt, das Urteil des Finanzgerichts (FG) und den angefochtenen Gewerbesteuermessbescheid aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und des angefochtenen Gewerbesteuermessbescheides (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat § 129 AO 1977 unzutreffend angewandt.
1. Die Finanzbehörde kann Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes unterlaufen sind, gemäß § 129 Satz 1 AO 1977 jederzeit berichtigen. Offenbare Unrichtigkeiten in diesem Sinne sind mechanische Fehler, die ebenso mechanisch, d.h. ohne weitere Prüfung, erkannt und berichtigt werden können (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 27. Mai 1998 IV B 151/97, BFH/NV 1998, 1452). Dagegen schließen Fehler bei der Auslegung oder Nichtanwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung oder die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts die Annahme einer offenbaren Unrichtigkeit aus. § 129 AO 1977 ist ferner nicht anwendbar, wenn auch nur die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache in einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler begründet ist oder auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruht (z.B. BFH-Urteile vom 9. Dezember 1998 II R 9/96, BFH/NV 1999, 899; vom 27. März 1987 VI R 63/84, BFH/NV 1987, 480; vom 13. November 1997 V R 138/92, BFH/NV 1998, 419).
2. Die Vorentscheidung entspricht diesen Grundsätzen nicht.
Die Voraussetzungen für eine Berichtigung gemäß § 129 AO 1977 liegen nach den den Senat bindenden (vgl. § 118 Abs. 2 FGO) tatrichterlichen Feststellungen nicht vor. Der dem streitgegenständlichen Änderungsbescheid vorangehende Bescheid vom 29. November 1995 konnte nicht mehr geändert werden, nachdem der Betriebsprüfer E den zuvor bestehenden VdN ausdrücklich aufgehoben hatte. Entgegen der Ansicht des FG ist eine Berichtigung gemäß § 129 AO 1977 ausgeschlossen. Denn es ist jedenfalls nicht "offenbar", dass dem Prüfer E bei der Erstellung des Veranlagungseingabebogens tatsächlich ein nur mechanisches Versehen durch Eingabe der falschen Kennziffer für die Aufhebung des VdN unterlaufen ist.
a) Ein Fehler ist offenbar, wenn er auf der Hand liegt, also durchschaubar, eindeutig oder augenfällig ist (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 17. Februar 1993 X R 47/91, BFH/NV 1993, 638, m.w.N.). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass die Unrichtigkeit aus dem Bescheid selbst erkennbar ist. Maßgebend ist vielmehr, ob der Fehler bei Offenlegung des Sachverhaltes für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich als offenbare Unrichtigkeit erkannt werden kann (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 28. Oktober 1992 II R 111/89, BFH/NV 1993, 637; vom 15. März 1994 XI R 78/92, BFH/NV 1995, 937, jeweils m.w.N.).
Die Feststellung des Vorliegens einer so verstandenen offenbaren Unrichtigkeit im Einzelfall ist Tatfrage. Das FG kann seine Einschätzung der Sachlage in diesem Zusammenhang auch mittels Beweisaufnahme "absichern" und das Beweisergebnis entsprechend würdigen (s. auch BFH-Urteil vom 30. November 1989 IV R 76/88, BFH/NV 1991, 457). "Offenbar" ist ein Fehler jedoch unbeschadet dessen immer nur dann, wenn er als solcher "auf der Hand liegt" und aus sich heraus offen zutage tritt, nicht aber, wenn er erst durch Abfrage subjektiver Einschätzungen seinerzeit Beteiligter ermittelt und damit "offenbart" wird. Etwaige entgegenstehende innere Absichten des beteiligten Verwaltungsbeamten müssen sich sonach in einer irgendwie nach außen tretenden, "offenbaren" Handlungsweise "beim Erlass" (vgl. § 129 AO 1977) des betreffenden Bescheides oder auch "im Vorfeld" der Steuerfestsetzung (vgl. Senatsurteil vom 18. August 1999 I R 93/98, BFH/NV 2000, 539, 540) niederschlagen; spätere Bekundungen des Beamten können dies nur verifizieren (vgl. auch Bundesgerichtshof, Urteil vom 12. Januar 1984 III ZR 95/82, Neue Juristische Wochenschrift 1985, 742; v. Wedelstädt in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 129 AO Rz. 38, m.w.N.; weiter gehend Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 129 AO Tz. 16: "Was erst noch aufgeklärt werden muss, ist nicht offenbar"). Fehlt es daran, so gelten die allgemeinen Beweislastregeln, hier zu Lasten des FA als desjenigen, der sich auf die Unrichtigkeit beruft (Tipke in Tipke/Kruse, a.a.O.; v. Wedelstädt in Beermann, a.a.O., § 129 AO Rz. 51).
b) Vor diesem Hintergrund kann zwar eine Unrichtigkeit, welche auf die Eintragung einer falschen Kennziffer in den Eingabewertbogen zurückzuführen ist, eine offenbare i.S. des § 129 AO 1977 sein (vgl. Brockmeyer in Klein, Abgabenordnung, 7. Aufl., § 129 Anm. 7, mit Rechtsprechungsnachweisen). Es muss aber auch in diesem Fall praktisch ausgeschlossen sein, dass es sich um einen Rechts- oder Tatsachenirrtum handelt (vgl. Brockmeyer in Klein, a.a.O.). So liegen die Dinge nach den vom FG getroffenen Feststellungen im Streitfall jedoch nicht; dessen abweichende Schlussfolgerung ist nicht tragfähig.
Gegen eine derartige Annahme spricht, dass der Änderungsbescheid vom 29. November 1996 ausdrücklich durch den Hinweis auf "die Ergebnisse der bei Ihnen durchgeführten Prüfung" erläutert worden ist. Das deutet auf den Willen zu einer abschließenden Veranlagung hin. Dass sich dieser Wille nur auf die Prüfungsergebnisse der Folgejahre erstrecken sollte, lässt sich jedenfalls dem Bescheid nicht entnehmen. Dagegen ließe sich anführen, dass die am 11. Dezember 1995 veranlagten Änderungsbescheide über die Gewerbesteuermessbeträge für die Folgejahre 1991 und 1992 in den dort gegebenen Erläuterungen jeweils den zusätzlichen Hinweis "... siehe Prüfungsbericht vom 20.10.1995 ..." enthielten. Dass es eher ungewöhnlich sein mag, wenn der Prüfer eines Folgezeitraumes den Steuerbescheid eines vorangehenden Zeitraumes ändert, steht dem nicht entgegen. Auch ob der veranlagende Prüfer dazu innerbehördlich befugt und zuständig ist, ist insofern unbeachtlich.
Gegen die Annahme einer offenbaren Unrichtigkeit spricht aber vor allem, dass zumindest die ernsthafte Möglichkeit eines dem Prüfer E unterlaufenen Rechtsirrtums über die Hinzurechnung der vorgenommen ausschüttungsbedingten Teilwertabschreibung auf die Organschaftsbeteiligung nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann. Wie ein Vergleich der Bescheide vom 29. November 1995 und vom 21. Mai 1996 zeigt, war es durchaus denkbar, dass er über diese Rechtsfrage für das Vorjahr trotz des zwischenzeitlichen Ergehens des Senatsurteils in BFHE 173, 426, BStBl II 1994, 768 irrte und die Hinzurechnung infolgedessen insoweit unterließ. Wie aufgezeigt, genügt eine derartige nicht nur theoretische Möglichkeit des Rechtsirrtums, um eine offenbare Unrichtigkeit i.S. des § 129 AO 1977 auszuschließen.
Die nachfolgende dienstliche Äußerung des Betriebsprüfers E und seine bestätigende Aussage als Zeuge im Klageverfahren sind in Anbetracht dessen ebenso wenig geeignet, diese Sachverhaltsumstände zu widerlegen, wie die Würdigung dieser Äußerungen durch das FG. Die danach geschilderten Absichten und Abläufe mögen plausibel und nachvollziehbar und der Zeuge mag glaubhaft sein. Sie erfolgten jedoch im Nachhinein und schließen einen anderweitigen Verlauf nach den tatsächlichen Gegebenheiten beim Erlass des Änderungsbescheides nicht aus. Eine "offenbare" Unrichtigkeit i.S. des § 129 AO 1977 liegt damit nicht vor.
3. Die von der Vorinstanz vertretene Auffassung weicht von jener des Senats ab. Ihr Urteil sowie der angefochtene Änderungsbescheid vom 21. Mai 1996 waren aufzuheben.
Ende der Entscheidung
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