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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 26.02.2003
Aktenzeichen: I R 26/02
Rechtsgebiete: KStG, AO 1977, FGO, EStG, EStG 1990


Vorschriften:

KStG § 27 Abs. 1
KStG § 54 Abs. 10 a
AO 1977 § 129
AO 1977 § 130
AO 1977 § 130 Abs. 2
AO 1977 § 130 Abs. 2 Nr. 3
AO 1977 § 131
AO 1977 § 131 Abs. 2 Nr. 3
FGO § 118 Abs. 2
EStG § 20 Abs. 1 Nr. 1
EStG § 20 Abs. 1 Nr. 2
EStG § 36
EStG § 36 Abs. 2 Nr. 3
EStG 1990 § 36a Abs. 1 Satz 1
EStG 1990 § 36a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Abrechnungsbescheids.

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die für das Streitjahr (1993) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger war im Streitjahr alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer einer GmbH; die Klägerin erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.

Die Kläger reichten zusammen mit ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr eine Steuerbescheinigung der GmbH ein, die eine Ausschüttung an den Kläger in Höhe von 1 344 000 DM, anrechenbare Körperschaftsteuer in Höhe von 756 000 DM (9/16 des Ausschüttungsbetrags) und anrechenbare Kapitalertragsteuer in Höhe von 336 000 DM auswies. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) erließ am 16. September 1994 einen Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr und rechnete die bescheinigte Körperschaftsteuer und Kapitalertragsteuer auf die Einkommensteuer an.

Die GmbH gab ihrerseits eine Körperschaftsteuererklärung für das Streitjahr ab, in der sie von einer Ausschüttungsbelastung in Höhe von 36 v.H. ausging. Ein Antrag auf Anwendung des alten Körperschaftsteuerrechts gemäß § 54 Abs. 10 a des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) wurde dabei nicht ausdrücklich gestellt; im Zeitpunkt der Abgabe der Steuererklärung durch die GmbH (Januar 1994) stand ein Vordruck für einen solchen Antrag nicht zur Verfügung. Das für die GmbH zuständige FA (FA X) setzte daraufhin im Oktober 1994 die Körperschaftsteuer für die GmbH unter Ansatz einer Ausschüttungsbelastung von 30 v.H. fest, was zu einer Minderung gegenüber dem Wert laut Steuererklärung um 180 000 DM (92 032,54 €) führte. Im Oktober 1997 berichtigte das FA X den Körperschaftsteuerbescheid für die GmbH nach § 129 der Abgabenordnung (AO 1977), indem es nunmehr von einer Ausschüttungsbelastung nach altem Recht ausging. Der Berichtigungsbescheid wurde jedoch auf einen Einspruch der GmbH hin wieder aufgehoben.

Nachdem das FA im März 1998 von der Sachbehandlung durch das FA X erfahren hatte, erließ es im September 1998 gegenüber den Klägern einen Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr, in dessen Abrechnungsteil die angerechnete Körperschaftsteuer auf 3/7 des Ausschüttungsbetrags gemindert wurde. Die Änderung der Abrechnung wurde verfahrensrechtlich auf § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO 1977 gestützt. Die Kläger erhoben gegen die Änderung Einwendungen, woraufhin das FA einen entsprechenden Abrechnungsbescheid erließ. Einspruch und Klage der Kläger gegen diesen Bescheid hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, dass die ursprüngliche Anrechnungsverfügung fehlerhaft gewesen sei. Sie habe zwar nicht nach § 130 AO 1977, jedoch in analoger Anwendung des § 131 Abs. 2 Nr. 3 AO 1977 oder des § 130 Abs. 2 AO 1977 geändert werden dürfen. Der entsprechende Abrechnungsbescheid sei deshalb rechtmäßig. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 876 abgedruckt.

Mit ihrer Revision rügen die Kläger eine Verletzung des § 131 AO 1977. Sie beantragen sinngemäß, das erstinstanzliche Urteil und die Einspruchsentscheidung aufzuheben sowie den angefochtenen Abrechnungsbescheid in der Weise zu ändern, dass der anrechenbare Körperschaftsteuerbetrag um 180 000 DM (92 032,54 €) erhöht wird.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und zur Änderung des angefochtenen Bescheids nach Maßgabe des von den Klägern gestellten Antrags. Der Abrechnungsbescheid ist rechtswidrig; er weist eine zu geringe anzurechnende Körperschaftsteuer aus. Richtigerweise ist --wie von den Klägern begehrt-- die Körperschaftsteuer der GmbH in Höhe von 9/16 der Ausschüttungen auf die Einkommensteuer der Kläger anzurechnen.

1. Nach den Feststellungen des FG, die nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffen und deshalb gemäß § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) im Revisionsverfahren bindend sind, hat das FA im Jahr 1994 gegenüber den Klägern einen Einkommensteuerbescheid erlassen und im Zusammenhang damit Körperschaftsteuer der GmbH angerechnet. Der angerechnete Körperschaftsteuerbetrag belief sich auf 9/16 der von der GmbH bescheinigten Gewinnausschüttungen, was der Angabe in der von der GmbH ausgestellten Steuerbescheinigung entsprach. Die so ausgestaltete Anrechnung war nicht nur --wie das FG zu Recht angenommen hat-- im Zeitpunkt des Ergehens der Anrechnungsverfügung rechtmäßig. Ihre Rechtmäßigkeit besteht weiterhin fort.

a) Nach § 36 Abs. 2 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in seiner bis 1993 geltenden Fassung wird auf die Einkommensteuer u.a. die Körperschaftsteuer einer unbeschränkt steuerpflichtigen Körperschaft in Höhe von 9/16 der Einnahmen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG angerechnet. Diese Regelung war auf diejenige in § 27 Abs. 1 KStG in der seinerzeit geltenden Fassung abgestimmt, nach der die bei der Körperschaft herzustellende Ausschüttungsbelastung sich auf 36 v.H. des Gewinns vor Abzug der Körperschaftsteuer belief.

Durch das Standortsicherungsgesetz (StandOG) vom 13. September 1993 (BGBl I 1993, 1569, BStBl I 1993, 774) wurde die bei Körperschaften herzustellende Ausschüttungsbelastung auf 30 v.H. des Gewinns vor Abzug der Körperschaftsteuer gesenkt (§ 27 Abs. 1 KStG i.d.F. des StandOG). Diese Änderung galt erstmals für Gewinnausschüttungen und sonstige Leistungen, die in dem ersten nach dem 31. Dezember 1993 endenden Wirtschaftsjahr erfolgten (§ 54 Abs. 10 a KStG i.d.F. des StandOG). Ferner wurde --mit einer gleich lautenden Regelung zur zeitlichen Anwendung (§ 52 Abs. 25 a EStG i.d.F. des StandOG)-- § 36 Abs. 2 Nr. 3 EStG dahin geändert, dass die Körperschaftsteuer beim Anteilseigner in Höhe von 3/7 der Einnahmen anzurechnen war (Art. 1 Nr. 12 StandOG).

Das Missbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz (StMBG) vom 21. Dezember 1993 (BGBl I 1993, 2310, BStBl I 1994, 50) hat die genannten Änderungen wiederum modifiziert. § 54 Abs. 10 a KStG wurde um einen Zusatz ergänzt, nach dem in bestimmten Fällen auf Antrag der ausschüttenden Körperschaft die Ausschüttungsbelastung nach denjenigen Vorschriften hergestellt werden sollte, die vor dem In-Kraft-Treten des StandOG gegolten hatten (Art. 8 Nr. 6 Buchst. g StMBG). Zugleich wurde die Regelung zur zeitlichen Anwendung des § 36 EStG entsprechend geändert (Art. 1 Nr. 48 StMBG). Die erstmalige Anwendbarkeit der im StandOG getroffenen Neuregelung war von der Art der Ausschüttung ("offene" Ausschüttung für ein abgelaufenes Wirtschaftsjahr oder andere Ausschüttung) abhängig (vgl. hierzu § 52 Abs. 27 Satz 1 EStG und § 54 Abs. 10 a Satz 1 KStG, jeweils i.d.F. des StMBG). Speziell für die Anrechnung der Körperschaftsteuer gemäß § 36 EStG bestimmte jedoch § 52 Abs. 27 Satz 2 EStG i.d.F. des StMBG, dass für die Veranlagungszeiträume 1993 und 1994 die Neuregelung (Begrenzung der Anrechnung auf 3/7 der Einnahmen) nur dann anzuwenden sein sollte, wenn dieser Wert in einer vorliegenden Steuerbescheinigung ausgewiesen war. Lag eine Steuerbescheinigung mit diesem Inhalt nicht vor, so war mithin die Anrechnung der Körperschaftsteuer nach altem Recht (Ansatz von 9/16 der Einnahmen) durchzuführen.

b) Im Streitfall war hiernach die von der GmbH gezahlte Körperschaftsteuer mit 9/16 der Einnahmen i.S. des § 20 Abs. 1 Nrn. 1 oder 2 EStG anzurechnen. Eine (verminderte) Anrechnung nach Maßgabe des neuen Rechts (3/7 der Einnahmen) wäre nur bei Vorliegen einer entsprechenden Steuerbescheinigung der GmbH zulässig gewesen. Eine solche lag aber nach den Feststellungen des FG nicht vor. Die von der GmbH ausgestellte Bescheinigung wies den Anrechnungsbetrag vielmehr mit 9/16 der Ausschüttung aus. Dass sie später geändert und nunmehr ein Betrag von 3/7 der Einnahmen als anrechenbar bescheinigt worden wäre, hat das FG nicht festgestellt. Angesichts dessen entspricht die Anrechnung von 9/16 der Einnahmen aus heutiger Sicht weiterhin der Sach- und Rechtslage.

2. Eine abweichende Beurteilung ergibt sich nicht aus § 36a Abs. 1 Satz 1 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung (EStG 1990), nach der bei beherrschenden Gesellschaftern die Anrechnung von Körperschaftsteuer unter bestimmten Voraussetzungen auf die von der Gesellschaft gezahlte Steuer begrenzt ist. Zwar war nach den Feststellungen des FG der Kläger Alleingesellschafter der GmbH, so dass ein Beherrschungsverhältnis i.S. des § 36a Abs. 1 Satz 1 EStG 1990 im Streitfall vorlag. Doch greift die Vorschrift schon deshalb nicht ein, weil sie nur diejenige Körperschaftsteuer für nicht anrechenbar erklärt, derentwegen Vollstreckungsmaßnahmen eingeleitet worden sind. Der Beginn der Vollstreckung gegenüber der ausschüttenden Gesellschaft ist eine notwendige Bedingung des Anrechnungsausschlusses gegenüber dem Gesellschafter (Senatsurteile vom 21. Juli 1999 I R 141/97, BFHE 190, 100, BStBl II 1999, 832; vom 27. März 2001 I R 66/00, BFHE 195, 249, BFH/NV 2001, 1171). An dieser Bedingung fehlt es im Streitfall, in dem es um die Anrechnung von Körperschaftsteuer geht, die gegenüber der GmbH --möglicherweise zu Unrecht-- nicht festgesetzt worden ist. Eine solche Gestaltung wird von § 36a EStG 1990 nicht erfasst.

3. Im vorliegenden Verfahren muss nicht die vom FG erörterte Frage behandelt werden, unter welchen Voraussetzungen eine zunächst rechtmäßige und später rechtswidrig gewordene Anrechnungsverfügung zurückgenommen oder widerrufen werden kann. Ebenso besteht keine Veranlassung, auf den Meinungsstreit darüber einzugehen, ob Anrechnungsverfügungen im Verfahren wegen eines nachfolgenden Abrechnungsbescheids Bindungswirkung entfalten oder nicht (vgl. hierzu Senatsurteil vom 27. Juni 2001 I R 65/00, BFH/NV 2001, 1528, m.w.N.). Denn unabhängig hiervon muss ein Abrechnungsbescheid sich jedenfalls dann an der materiellen Rechtslage orientieren, wenn diese dem Inhalt einer voraufgegangenen Anrechnungsverfügung entspricht. Das ist die im Streitfall gegebene Situation.

4. Im Ergebnis ist der angefochtene Abrechnungsbescheid mithin rechtswidrig. Er war antragsgemäß dahin zu ändern, dass Körperschaftsteuer in der von den Klägern begehrten Höhe angerechnet wird. Das abweichende Urteil des FG und die Einspruchsentscheidung des FA waren aufzuheben.

Ende der Entscheidung

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