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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 26.02.2003
Aktenzeichen: I R 30/02
Rechtsgebiete: AO 1977, EStG, FGO


Vorschriften:

AO 1977 § 34
AO 1977 § 34 Abs. 1
AO 1977 § 37 Abs. 1
AO 1977 § 69 Satz 2
EStG § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
EStG § 44 Abs. 1 Satz 2
EStG § 44 Abs. 1 Satz 3
EStG § 44 Abs. 1 Satz 5
EStG § 44 Abs. 2 Satz 1
EStG § 44 Abs. 2 Satz 2
EStG § 44 Abs. 5 Satz 1
FGO § 118 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die beiden Kläger und Revisionskläger (Kläger) waren alleinige Gesellschafter und Geschäftsführer einer in Konkurs gegangenen GmbH. Sie streiten mit dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) über ihre Inanspruchnahme als Haftende für Kapitalertragsteuer.

Die Gesellschafterversammlung der GmbH hatte am 2. Mai 1994 beschlossen, "den Bilanzgewinn zum 31.12.1992 in voller Höhe auszuschütten. Darüber hinaus soll auch der Bilanzgewinn 1993 in voller Höhe ausgeschüttet werden. Insgesamt soll die jeweils höchstmögliche Ausschüttung für die Jahre 1990 - 1993 erfolgen, wie sie sich im einzelnen aus der in Kürze fertigzustellenden Bilanz 1993 ergibt. Dabei sollen Körperschaftsteuerminderungen dem Ausschüttungsbetrag zugeschlagen werden". Daraufhin wurden am 5. Mai 1994 490 000 DM, am 20. Mai 1994 176 000 DM und am 15. Juni 1994 120 000 DM an die Kläger ausgeschüttet; Kapitalertragsteuer wurde nicht einbehalten. Am 21. Juli 1994 verwies die Gesellschafterversammlung bezüglich der Verwendung des Bilanzgewinns 1993 auf den Gesellschafterbeschluss vom 2. Mai 1994.

Am 29. Juli 1994 gab die GmbH beim FA eine Kapitalertragsteuer-Anmeldung über 192 159,25 DM ab. Es wurden davon jedoch nur 42 000 DM am 12. August 1994 abgeführt. Am selben Tag wurde die Eröffnung des Konkursverfahrens beantragt und am 13. September 1994 dieses eröffnet.

Am 7. November 1995 ergingen gegen die Kläger jeweils Haftungsbescheide gemäß § 69 Satz 1, § 34 der Abgabenordnung (AO 1977) i.V.m. § 44 Abs. 5 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) über die rückständige Kapitalertragsteuer für 1993 von 150 159,25 DM und die darauf entfallenden Säumniszuschläge von 22 515 DM. Die Haftungsschulden wurden in den anschließenden Einspruchsverfahren im Hinblick auf die Säumniszuschläge um 19 513 DM auf 3 002 DM ermäßigt.

Die dagegen gerichtete Klage blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) hat sie mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 1066 abgedruckten Urteil als unbegründet abgewiesen.

Ihre Revision stützen die Kläger auf Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Sie beantragen sinngemäß, das FG-Urteil und die Haftungsbescheide aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist unbegründet.

1. Gemäß § 69 Satz 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO 1977 haften die gesetzlichen Vertreter einer GmbH, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt worden sind. Dabei erstreckt sich die Vertreterhaftung nach § 69 Satz 2 AO 1977 auf die Steuerschuld, aber gleichermaßen auf die Säumniszuschläge (§ 240 AO 1977), die infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Pflichtverletzung nicht erfüllt worden sind (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 22. Februar 1980 VI R 185/79, BFHE 130, 128, BStBl II 1980, 375, m.w.N.).

a) Als alleinige Geschäftsführer der GmbH gehörten die Kläger zu dem in § 34 Abs. 1 AO 1977 genannten Personenkreis (§ 35 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung --GmbHG--). Damit waren sie verpflichtet, im Zeitpunkt des Entstehens der Kapitalertragsteuer den Steuerabzug vorzunehmen (§ 44 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Satz 2 EStG) sowie bis zum 10. Tag nach Ablauf eines jeden Voranmeldungszeitraumes (Kalendermonat) für die Anmeldung und Abführung der von der GmbH einbehaltenen Kapitalertragsteuer an das FA zu sorgen (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 und 2, § 44 Abs. 1 Satz 5 EStG). Die Kläger sind diesen Verpflichtungen nicht ordnungsgemäß nachgekommen. Weder haben sie die Kapitalertragsteuer bei Ausschüttung der Gewinne einbehalten noch haben sie die Steuererklärung, in der die Summe der im Kapitalertragsteuer-Anmeldungszeitraum einbehaltenen und abzuführenden Kapitalertragsteuer der GmbH anzugeben war, fristgerecht abgegeben. Sie haben die (verspätet angemeldete) Steuer von 192 159,25 DM auch nicht vollen Umfanges an das FA abgeführt; tatsächlich abgeführt wurde lediglich ein Teilbetrag von 42 000 DM.

aa) Nach § 44 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG hat der Schuldner die Kapitalertragsteuer für die Gläubiger einzubehalten. Aus § 44 Abs. 1 Satz 2 EStG ergibt sich dazu ergänzend, dass der Tatbestand, an den § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG die Steuerabzugspflicht knüpft, mit dem Zufluss der Kapitalerträge dem Gläubiger zusammenfällt. Dieser Zeitpunkt ist nach § 44 Abs. 2 Satz 1 EStG bei Gewinnanteilen, deren Ausschüttung von einer Körperschaft beschlossen wird, der Tag, der im Beschluss als Tag der Auszahlung bestimmt worden ist. Ist die Ausschüttung nur festgesetzt, ohne dass über den Zeitpunkt der Auszahlung ein Beschluss gefasst worden ist, so gilt als Zeitpunkt des Zufließens der Tag nach der Beschlussfassung (§ 44 Abs. 2 Satz 2 EStG).

bb) Im Streitfall ist der Gewinnausschüttungsbeschluss, der zu den in Rede stehenden Ausschüttungen geführt hat, nach der Feststellung des FG, die als solche von den Klägern nicht angegriffen worden ist, von der Gesellschafterversammlung der GmbH am 2. Mai 1994 gefasst worden. Ein Fälligkeitstermin wurde darin nicht bestimmt. Folglich greift die in § 44 Abs. 2 Satz 2 EStG enthaltene Fälligkeitsfiktion. Die Kapitalertragsteuer hätte nach Maßgabe des § 44 Abs. 1 Satz 5 EStG bereits zum 10. Juni 1994, nicht aber erst zum 10. August 1994 angemeldet und abgeführt werden müssen.

Dass der Gesellschafterbeschluss vom 2. Mai 1994 keine betragliche Festlegung der hiernach für die Jahre 1990 bis 1993 auszuschüttenden Beträge enthielt und die abschließende Festlegung dieser Beträge von den noch fertigzustellenden Jahresabschlüssen für diese Jahre abhängig gewesen sein mag, ändert an dieser Rechtsfolge im Grundsatz nichts. § 44 Abs. 2 Satz 2 EStG verlangt weder, dass der Beschluss über die Gewinnverteilung der Kapitalgesellschaft ein endgültiger ist, noch dass er gesellschaftsrechtlichen Anforderungen genügt. Deshalb bleibt der Zeitpunkt, in welchem die Kapitalertragsteuer entsteht und anzumelden ist, auch unberührt davon, ob die Ausschüttungsempfänger später mit Rückforderungsansprüchen rechnen müssen, weil die Ausschüttungen möglicherweise gegen die Kapitalerhaltungsvorschriften verstoßen (§§ 30, 31 GmbHG; vgl. Senatsurteile vom 5. September 2001 I R 60, 61/00, BFH/NV 2002, 222; vom 7. November 2001 I R 11/01, BFH/NV 2002, 540; vom 30. Juli 1997 I R 11/96, BFH/NV 1998, 308). Insofern war der Beschluss vom 2. Mai 1994 für den Einbehalt der Kapitalertragsteuer ausschlaggebend, nicht aber der nachfolgende --bestätigende-- Beschluss vom 21. Juli 1994.

Allerdings setzt der Steuerabzug die Kenntnis des Ausschüttungsbetrages voraus. Im Streitfall war dies betreffend des für 1993 auszuschüttenden Bilanzgewinns im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Gewinnausschüttung am 2. Mai 1994 möglicherweise noch nicht der Fall; nach den Darlegungen der Kläger wurde der Jahresabschluss 1993 erst am 21. Juli 1994 festgestellt. Ob dies eine Abweichung von der Fälligkeitsfiktion des § 44 Abs. 2 Satz 2 EStG rechtfertigt, kann im Streitfall jedoch dahinstehen. Denn selbst wenn man eine solche Abweichung unterstellt, bliebe es hinsichtlich der Ausschüttungen vom 5. und 20. Mai 1994 dabei, dass diese zum 10. Juni 1994 anzumelden waren. Allenfalls hinsichtlich der Ausschüttung vom 15. Juni 1994 könnte sich daraus eine Verschiebung des Anmeldungs- und Abführungszeitpunktes zum 10. Juli 1994 ergeben, was sich im Streitfall jedoch nicht auswirken würde, da die GmbH nach dem eigenen Vorbringen der Kläger zu diesem Zeitpunkt jedenfalls noch zahlungsfähig war.

b) Für die danach feststehenden Pflichtverletzungen haften die Kläger nach Maßgabe des § 69 i.V.m. § 34 Abs. 1, § 37 Abs. 1 AO 1977) an Stelle der in Konkurs gefallenen GmbH (vgl. § 44 Abs. 5 Satz 1 EStG), soweit infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Verpflichtung zur Begleichung dieser Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis die Ansprüche nicht erfüllt worden sind (vgl. BFH-Urteile vom 24. Februar 1987 VII R 4/84, BFHE 149, 125, BStBl II 1987, 363, und vom 26. Juli 1988 VII R 83/87, BFHE 153, 512, BStBl II 1988, 859, 860).

aa) Hierzu hat das FG festgestellt, dass die GmbH noch am 10. August 1994 zahlungsfähig gewesen sei. So habe der Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass die beiden Geschäftskonten der GmbH Guthaben ausgewiesen hätten und dass die Kontokorrentkredite nicht ausgeschöpft gewesen seien. Gleichwohl habe die GmbH am 12. August 1994 lediglich das Guthaben eines Geschäftskontos zur teilweisen Tilgung der Kapitalertragsteuer eingesetzt.

bb) Diese tatrichterliche Ausgangslage ist vom Senat als bindend zugrunde zu legen (vgl. § 118 Abs. 2 FGO). Der Kläger bestreitet zwar, eine entsprechende Äußerung in der mündlichen Verhandlung vor dem FG abgegeben zu haben. Eine solche träfe auch inhaltlich nicht zu. Das FG habe den Sachverhalt deshalb aufklären müssen. Zumindest wäre es jedenfalls Sache des Gerichts gewesen, ihn auf die Bedeutung der Zahlungsfähigkeit der GmbH in der Zeit zwischen Anmeldung und Fälligkeit der Kapitalertragsteuer hinzuweisen, damit er das Seine zur weiteren Sachaufklärung hätte beitragen können.

Beide Einwendungen sind indes schon im materiell-rechtlichen Ausgangspunkt nicht geeignet, die Bindung an die tatrichterliche Feststellung und Schlussfolgerung zu lösen. Sie gehen von der Annahme aus, dass die rückständige Kapitalertragsteuer erst mit dem am 21. Juli 1994 gefassten Gesellschafterbeschluss oder sogar erst der nachfolgenden Steueranmeldung am 29. Juli 1994 entstanden und deshalb erst am 10. August 1994 anzumelden gewesen sei. Diese Annahme ist jedoch, wie unter 1.a ausgeführt, falsch. Auf die Frage, ob die GmbH in dem Zeitraum zwischen dem 29. Juli und dem 10. oder auch dem 12. August 1994 unerwartet illiquide geworden ist und welche Bedeutung diesem Umstand für die Inanspruchnahme als Haftende beizumessen wäre, kam es deshalb im Ergebnis nicht an. Die Kläger behaupten nicht, die GmbH sei bereits am 10. Juni oder 10. Juli 1994 nur eingeschränkt zahlungsfähig gewesen. Erst recht behaupten sie nicht, dass die GmbH auch dann bereits am 10. Juni oder 10. Juli 1994 nicht mehr voll zahlungsfähig gewesen wäre, wenn sie die Kapitalertragsteuer ordnungsgemäß einbehalten hätten. Der Senat hat keine Veranlassung, die Richtigkeit dieses Vorbringens in Zweifel zu ziehen.

cc) Davon ausgehend ist den Klägern die Verletzung der steuerlichen Pflichten nach § 44 Abs. 1 Satz 5 EStG als grob fahrlässig vorzuhalten. Ein etwaiger Rechtsirrtum über die Relevanz der durch den Beschluss vom 2. Mai 1994 ausgelösten Fiktion des Zuflusszeitpunktes für das Entstehen der Kapitalertragsteuer würde daran in Anbetracht der eindeutigen Gesetzeslage nichts ändern. Das gilt auch dann, wenn sie zu ihrer unrichtigen Annahme --wie von ihnen vorgebracht-- tatsächlich dadurch bewogen worden sein sollten, dass die damaligen steuerlichen Berater der GmbH sie auf das Entstehen der Kapitalertragsteuer infolge des Gesellschafterbeschlusses vom 2. Mai 1994 nicht besonders hingewiesen hätten. Auch das Unterlassen eines solchen Hinweises würde die insoweit eigenverantwortlichen Kläger nicht entlasten. Ob es sich anders verhielte, wenn sie ersichtlich und ausdrücklich über die Rechtslage falsch beraten worden wären, kann offen bleiben. Eine solche Falschberatung wird auch von den Klägern nicht behauptet.

c) Schließlich war das FA nicht deswegen gehindert, die Kläger haftbar zu machen, weil diese zugleich Gläubiger der betreffenden Kapitalerträge waren und sie diese Erträge infolgedessen ohnehin im Wege ihrer Veranlagung zur Einkommensteuer für das Streitjahr versteuern mussten. Die Haftung für die dem Schuldner der Kapitalerträge --hier der GmbH-- obliegenden Entrichtungssteuerschuld steht als selbständige Form der Inanspruchnahme neben der eigentlichen Steuerschuld, was nicht zuletzt daraus ersichtlich wird, dass die Haftung sich --und so auch im Streitfall-- auch auf etwaige Säumniszuschläge erstreckt (vgl. BFH-Urteile vom 15. April 1987 VII R 160/83, BFHE 149, 505, BStBl II 1988, 167; vom 14. Dezember 1988 VII R 107/86, BFH/NV 1989, 549, jeweils für Lohnsteuersachverhalte). Soweit der Senat in der Vergangenheit eine andere Auffassung vertreten hat (Urteil vom 3. Juli 1968 I 191/65, BFHE 93, 373, BStBl II 1969, 4, zur Kapitalertragsteuer), hält er hieran nicht länger fest.

2. Sind die Haftungsbescheide demnach dem Grunde nach zu Recht ergangen, ist zugleich auch die Haftungshöhe nicht zu beanstanden. Eine Einschränkung der Haftung nach Maßgabe des Grundsatzes der quotalen Tilgung (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 14. Juli 1987 VII R 188/82, BFHE 150, 312, BStBl II 1988, 172; vom 6. März 2001 VII R 17/00, BFH/NV 2001, 1100; BFH-Beschluss vom 20. Februar 2001 VII B 111/00, BFH/NV 2001, 1097) kam nicht in Betracht, da die GmbH bei Fälligkeit der Steuer noch voll zahlungsfähig war.

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