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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 28.10.1999
Aktenzeichen: I R 35/98
Rechtsgebiete: AO 1977, EStG


Vorschriften:

AO 1977 § 130
AO 1977 § 131
AO 1977 § 173
AO 1977 § 118
AO 1977 § 168
AO 1977 § 130 Abs. 2
AO 1977 §§ 172 ff.
AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 1
AO 1977 § 155 Abs. 1 Satz 3
EStG § 50d
EStG § 50d Abs. 3
EStG § 50a Abs. 4
EStG § 50d Abs. 1 Satz 2
EStG § 50d Abs. 3 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine nach dem Recht des Staates D/USA gegründete, nicht auf Gewinnerzielung gerichtete Kapitalgesellschaft (non-profit-corporation).

Auf Antrag der Klägerin erließ der Beklagte und Revisionskläger (das Bundesamt für Finanzen --BfF--) zunächst einen Bescheid, wonach die an sie in der Zeit vom 1. Juli 1991 bis 30. Juni 1994 gezahlten Vergütungen für die Nutzung des gewerblichen Schutzrechts von der Abzugsteuer befreit sein sollten. Anfang 1993 teilte der steuerliche Berater der Klägerin dem BfF mit, dass die Klägerin "wohl nicht als ansässig im Sinne des DBA-USA gelte, da es sich um einen steuerbefreiten Verein handeln würde, dessen Mitglieder zum Teil im Ausland ansässig seien". Daraufhin hob das BfF die Freistellungsbescheinigung nach weiteren Erörterungen unter Beteiligung des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) unter Berufung auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) mit der Maßgabe auf, dass der Vergütungsschuldner verpflichtet sei, von künftigen Zahlungen den Steuerabzug vorzunehmen. Die Klägerin sei eine nicht auf Gewinnerzielungsabsicht gerichtete Organisation i.S. des Art. 28 Abs. 1 Buchst. f des Doppelbesteuerungsabkommens USA (DBA-USA) und habe den Nachweis, dass die etwaigen Begünstigten, Mitglieder oder Teilhaber der Organisation zu mehr als der Hälfte abkommensberechtigte Personen seien, bislang nicht erbracht.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1998, 927).

Das BfF rügt mit seiner Revision Verletzung des Art. 28 Abs. 1 Buchst. c und f DBA-USA und beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Revision des BfF ist unbegründet (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Dabei kann der erkennende Senat offen lassen, ob den Ausführungen des FG zur Auslegung des Art. 28 Abs. 1 Buchst. c und f DBA-USA zu folgen ist. Der Aufhebungsbescheid ist schon deswegen rechtswidrig, weil Rechtgrundlage für die Aufhebung der Freistellungsbescheinigung nur die §§ 130, 131 AO 1977 --und nicht § 173 AO 1977-- sein können und das BfF das ihm nach diesen Vorschriften eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt hat.

A. 1. Das FG hat im Ergebnis zu Recht die Zulässigkeit der Klage trotz Ablaufs des Freistellungszeitraums (Ablauf 30. Juni 1994; vgl. zum Zeitablauf z.B. Entscheidungen des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 13. Januar 1987, IX R 90/83, BFH/NV 1987, 445; vom 17. Januar 1995 VII R 74/94, BFH/NV 1995, 737) bejaht.

Der Senat hat im Urteil vom 17. April 1996 I R 82/95 (BFHE 180, 365, BStBl II 1996, 608) für einen vergleichbaren Fall den Wegfall des Rechtschutzinteresses verneint, weil der Freistellungsbescheinigung nach § 50d Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht nur für das Steuerabzugsverfahren nach § 50a Abs. 4 EStG, sondern auch für ein mögliches künftiges Nachforderungs- oder Haftungsverfahren rechtliche Bedeutung zukommt.

2. Das Verfahren ist nicht im Hinblick auf das parallel laufende Verfahren nach Art. 28 Abs. 2 DBA-USA auszusetzen. Das Verfahren nach Art. 28 Abs. 2 DBA-USA, das von der Klägerin eingeleitet wurde, setzt nach seinem klaren Wortlaut eine Person voraus, die nach Art. 28 Abs. 1 DBA-USA keinen Anspruch auf Vergünstigung hat. Die Prüfung des Art. 28 Abs. 1 DBA-USA hat damit aus gesetzessystematischen Gründen Vorrang vor der "Billigkeitsmaßnahme" des Art. 28 Abs. 2 DBA-USA.

B. 1. Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Freistellungsbescheinigung vom 21. Januar 1992 kann, ihre Rechtswidrigkeit unterstellt, nur § 130 Abs. 2 AO 1977 sein. Die §§ 172 ff. AO 1977 gelten nicht, weil die Freistellungsbescheinigung nach § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG kein Steuerbescheid i.S. des § 155 Abs. 1 AO ist. Sie ist insbesondere kein Freistellungsbescheid gemäß § 155 Abs. 1 Satz 3 AO 1977.

a) Durch einen Freistellungsbescheid wird verbindlich und endgültig festgestellt, dass ein Steuerpflichtiger keine Steuer schuldet. Inhalt der Freistellungsbescheinigung nach § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG ist hingegen nur die Feststellung, dass der Vergütungsschuldner berechtigt ist, den von § 50a Abs. 4 EStG vorgeschriebenen Steuerabzug zu unterlassen. Darauf beschränkt sich ihre Rechtsfolge. Mit der Freistellungsbescheinigung nach § 50d Abs. 3 EStG wird daher nicht (abschließend) über die Steuerpflicht des beschränkt steuerpflichtigen Vergütungsgläubigers entschieden (Blümich/Wied, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, § 50d EStG Rdnr. 27; Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 18. Aufl., § 50d Rdnr. 19; Ramackers in Littmann/Bitz/Hellwig, Das Einkommensteuerrecht, § 50d EStG Rdnr. 50; Hey, Recht der Internationalen Wirtschaft --RIW/AWD-- 1996, 355; Grützner, Internationale Wirtschaftsbriefe --IWB-- Fach 3, Gruppe 3, S. 925, 936; a.A. Grams, Internationales Steuerrecht --IStR-- 1996, 509; Kumpf in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, § 50d EStG Rdnr. 50; Nieland in Lademann, Einkommensteuergesetz, § 50d Rdnr. 114). Dementsprechend muss der Schuldner der Vergütung gemäß § 73e Satz 3 i.V.m. Satz 2 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) eine Steueranmeldung auch dann abgeben, wenn der Steuerabzug aufgrund eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung nicht oder nicht in voller Höhe vorzunehmen ist. Diese Steueranmeldung steht nach § 168 AO 1977 einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Eine Steuerfestsetzung nach Erlass eines Freistellungsbescheides i.S. des § 155 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 wäre systemwidrig.

b) Einer Gleichstellung von Freistellungsbescheinigung und Freistellungsbescheid widerspricht auch die Tatsache, dass die Freistellungsbescheinigung (im Regelfall) zukunftsorientiert ist. So wurde im Streitfall die Freiststellungsbescheinigung am 21. Januar 1992 erteilt und galt bis zum 30. Juni 1994. Im Zeitpunkt der Erteilung der Freistellungsbescheinigung konnte schon aus tatsächlichen Gründen nicht über die künftige Abkommensberechtigung nach Art. 28 Abs. 1 DBA-USA und damit auch nicht über eine künftige Steuerfreistellung der Klägerin entschieden werden (vgl. z.B. Art. 28 Abs. 1 Buchst. f DBA-USA: Maßgeblichkeit des künftigen Mitgliederbestandes; vgl. auch "spätere Vergütungen" in Art. 17 Abs. 2 DBA-USA). Dass nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats über Erstattungsansprüche nach § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG durch Erlass eines Freistellungsbescheides zu entscheiden ist (vgl. Urteil vom 13. November 1985 I R 275/82, BFHE 145, 202, BStBl II 1986, 193; s. auch Grams, IStR 1996, 509), sagt zur Rechtsnatur der außerhalb des Erstattungsverfahrens erteilten Freistellungsbescheinigung nichts aus. Verfahrensrechtlich werden Freistellungsbescheinigung und Erstattungsbescheid in zwei von einander unabhängigen Verfahren erteilt. So kann der Vergütungsgläubiger auch unter Verzicht auf Freistellung vom Steuerabzug unmittelbar die Erstattung der einbehaltenen Steuern beantragen.

2. Ist somit eine Freistellungsbescheinigung, die im Rahmen des Verfahrens gemäß § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG erteilt wird, kein Steuerbescheid, so ist sie gleichwohl Verwaltungsakt i.S. des § 118 AO 1977 mit der Rechtsfolge, dass bis zum 31. Dezember 1995 gegen die Aufhebung der Freistellungsbescheinigung nicht der Einspruch, sondern die Beschwerde gegeben war (§ 349 AO 1977 a.F.). Die im Streitfall am 27. Oktober 1994 vom BfF erlassene Einspruchsentscheidung ist folglich rechtswidrig, weil über die Beschwerde die nächsthöhere Behörde, also das BMF, hätte entscheiden müssen (§ 368 Abs. 2 AO 1977 a.F.). Gleichwohl ist die Einspruchsentscheidung nicht aufzuheben, da aufgrund der nunmehr geltenden Rechtslage keine Beschwerdeentscheidung mehr ergehen könnte (Art. 97 § 18 Abs. 3 Satz 2 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung --EGAO 1977--; BFH-Urteil vom 21. Mai 1997 I R 38/96, BFH/NV 1997, 904, m.w.N.).

3. Da die Freistellungsbescheinigung ein begünstigender Verwaltungsakt ist, kann sie --ihre Rechtswidrigkeit unterstellt-- nur unter den in § 130 Abs. 2 AO 1977 genannten Voraussetzungen aufgehoben werden. Sollten diese erfüllt sein, weil die Klägerin nicht abkommensberechtigt i.S. des Art. 28 Abs. 1 DBA-USA war, so hat das BfF über die Rücknahme nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden (vgl. § 130 Abs. 1 AO 1977: "kann"; § 5 AO 1977; BFH-Urteil vom 26. März 1991 VII R 15/89, BFHE 164, 215, BStBl II 1991, 552; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 130 AO Tz. 9; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 102 Rdnr. 4). Da das BfF seine Entscheidung über die Aufhebung der Freistellungsbescheinigung auf § 173 AO 1977 gestützt hat, diese Norm aber keine Ermessensausübung zulässt, muss davon ausgegangen werden, dass die Behörde im Streitfall überhaupt keine Ermessensentscheidung getroffen hat (sog. Ermessensunterschreitung; vgl. z.B. Tipke/Kruse, a.a.O., § 5 AO Tz. 20, m.w.N.). Aus diesem Grund ist der angefochtene Aufhebungsbescheid ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig. Ein Fall der Ermessensreduzierung auf Null liegt nicht vor.



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