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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 09.08.2000
Aktenzeichen: I R 36/99
Rechtsgebiete: Richtlinie 69/335, KVStG


Vorschriften:

Richtlinie 69/335 EWG Art. 4
KVStG § 2 Abs. 1 Nr. 4
BUNDESFINANZHOF

Dem EuGH wird folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist es mit Art. 4 der Richtlinie 69/335/EWG betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital vereinbar, die Gewährung eines unverzinslichen Darlehens durch den Gesellschafter an seine Gesellschaft der Gesellschaftsteuer zu unterwerfen, wenn im Zeitpunkt der Darlehensgewährung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter ein Ergebnisabführungsvertrag bestand?

Richtlinie 69/335 EWG Art. 4 KVStG § 2 Abs. 1 Nr. 4

Beschluss vom 9. August 2000 - I R 36/99 -

Vorinstanz: Niedersächsisches FG (EFG 1999, 624)


Gründe

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Gewährung zinsloser Darlehen bei Bestehen eines Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrags der Gesellschaftsteuer unterliegt.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH, deren Gesellschafterinnen im Streitjahr (1990) die P-AG und die W-GmbH waren. Die Gesellschafterinnen hatten sich im Jahr 1986 zwecks einheitlicher Willensbildung bei der Klägerin zu einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) zusammengeschlossen. Zwischen der GbR und der Klägerin bestand ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag, demzufolge die Klägerin in ihrer Geschäftstätigkeit ausschließlich nach dem Willen der GbR handelte. Die Klägerin war verpflichtet, die während der Laufzeit des Vertrags entstehenden Gewinne an die GbR abzuführen. Die GbR hatte sich ihrerseits verpflichtet, jeden während der Laufzeit des Vertrags bei der Klägerin entstehenden Jahresfehlbetrag auszugleichen, soweit dieser nicht aus freien Rücklagen abgedeckt werden konnte.

Im Streitjahr gewährten die Gesellschafterinnen der Klägerin unverzinsliche Darlehen. Für diese Leistung setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) gegen die Klägerin Gesellschaftsteuer fest. Der hiergegen gerichteten Klage hat das Finanzgericht (FG) stattgegeben (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1999, 624).

Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt das FA eine Verletzung des § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c des Kapitalverkehrsteuergesetzes (KVStG). Es beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt Zurückweisung der Revision.

II.

Die Entscheidung über die Revision ist von der Beantwortung der im Tenor genannten Vorlagefrage abhängig. Sofern diese Frage zu bejahen ist, müssen das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen werden. Anderenfalls ist die Revision unbegründet:

1. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 KVStG 1972 unterliegen bestimmte freiwillige Leistungen eines Gesellschafters an eine inländische Kapitalgesellschaft der Gesellschaftsteuer. Zu diesen Leistungen zählt u.a. die Überlassung von Gegenständen an die Gesellschaft zu einer den Wert nicht erreichenden Gegenleistung (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c KVStG 1972). Als hiernach gesellschaftsteuerpflichtige "Überlassung von Gegenständen" ist nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) auch die zinslose Darlehensgewährung durch einen Gesellschafter anzusehen (BFH-Urteile vom 31. Januar 1979 II R 46/77, BFHE 127, 227, BStBl II 1979, 382; vom 8. Mai 1991 I R 110/85, BFH/NV 1992, 195). An dieser Rechtsprechung, deren Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) bestätigt worden ist (Urteil vom 5. Februar 1991 Rs. C-249/89 --Trave Schiffahrts-GmbH & Co. KG--, Slg. 1991 I-266), hält der Senat fest.

Im Streitfall sind die bezeichneten Voraussetzungen für das Vorliegen eines gesellschaftsteuerpflichtigen Vorgangs nach den Feststellungen des FG erfüllt: Die Klägerin ist eine unbeschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaft, und sie hat von ihren Gesellschafterinnen zinslose Darlehen erhalten. Die Hingabe dieser Darlehen erfolgte freiwillig, da eine entsprechende Verpflichtung der Gesellschafterinnen nicht bestand. All dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.

2. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 KVStG 1972 besteht die Gesellschaftsteuerpflicht allerdings nur dann, wenn die Leistung des Gesellschafters geeignet ist, den Wert der Gesellschaftsrechte zu erhöhen. Das Vorliegen dieser Voraussetzung hat das FG im Streitfall im Hinblick auf den Gewinnabführungsvertrag zwischen der Klägerin und der GbR verneint. Dazu hat es sich insbesondere auf das Urteil des EuGH vom 28. März 1990 (Rs. C-38/88 --Waldrich--, Slg. 1990 I-1447) berufen.

Nach dieser Entscheidung erhöht die Verlustübernahme durch einen Gesellschafter nicht i.S. des Art. 4 Abs. 2 b der Richtlinie 69/335/EWG das Gesellschaftsvermögen der Gesellschaft, wenn sie im Rahmen eines zuvor abgeschlossenen Ergebnisabführungsvertrags erfolgt. Nach Ansicht des FG muss diese Beurteilung gleichermaßen gelten, wenn nach Abschluss eines Ergebnisabführungsvertrags der Gesellschafter der Gesellschaft ein zinsloses Darlehen gewährt. Denn auch in diesem Fall könnten die freiwilligen Gesellschafterleistungen lediglich zu einer Erhöhung desjenigen Gewinns führen, der später ohnehin an den Gesellschafter abzuführen sei. Einer Auslegung des § 2 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 KVStG dahin, dass trotz des bestehenden Gewinnabführungsvertrags die zinslose Darlehensgewährung eine Erhöhung des Wertes der Gesellschafterrechte bewirke, stehe deshalb das genannte Urteil des EuGH entgegen.

3. Der Senat stimmt dem FG darin zu, dass sein Verständnis der EuGH-Entscheidung möglich ist und dass bei einer solchen Deutung der hier zu beurteilende Vorgang nicht der Gesellschaftsteuer unterworfen werden kann. Er hält jedoch die Auslegung der Entscheidung durch das FG nicht für zwingend. Die Ausführungen des EuGH lassen die Möglichkeit offen, dass sie sich ausschließlich auf die dem Ergebnisabführungsvertrag entsprechende Verlustübernahme beziehen und die Behandlung sonstiger Gesellschafterleistungen nicht betreffen:

a) Die seinerzeit gestellte Vorlagefrage ging dahin, ob es gemeinschaftsrechtlich zulässig ist, auf die Übernahme der Verluste einer Kapitalgesellschaft durch den Gesellschafter aufgrund eines Ergebnisabführungsvertrags Gesellschaftsteuer zu erheben. Nur diese Frage hat der EuGH beantwortet. Die hier in Rede stehende Problematik zinsloser Gesellschafterdarlehen ist deshalb nicht unmittelbar Gegenstand seiner Entscheidung.

b) In der Sache wird jene Entscheidung vor allem von der Erwägung getragen, dass die Gesellschaftsteuer ihrer Zielrichtung nach diejenigen Vorgänge erfasst, durch die im Wege der Kapitalzufuhr das Wirtschaftspotential der Gesellschaft gestärkt wird. Das ergibt sich namentlich aus den seinerzeit gestellten Schlussanträgen des Generalanwalts (vgl. hierzu vor allem Nr. 10 der Schlussanträge vom 12. Dezember 1989, Slg. 1990, I-1451), denen der EuGH im Ergebnis gefolgt ist. Das Abstellen auf den Gesichtspunkt der Stärkung der Wirtschaftskraft entspricht auch der Rechtsprechung des anfragenden Senats (Senatsurteil vom 27. März 1991 I R 43/90, BFHE 164, 124, BStBl II 1992, 37, 39, m.w.N.).

c) Der Blick auf diesen Hintergrund der EuGH-Rechtsprechung führt jedoch nicht --wie die Klägerin meint-- zwangsläufig dazu, dass die zur Verlustübernahme entwickelten Regeln auch für die Gewährung zinsloser Gesellschafterdarlehen gelten müssten. Gerade wenn man auf das Kriterium der Kapitalverstärkung bei der empfangenden Gesellschaft abstellt, unterscheiden sich beide Vorgänge in einem wesentlichen Punkt:

Ein Gewinn oder Verlust einer Gesellschaft entsteht, jedenfalls nach deutschem Bilanz- und Steuerrecht, zum Schluss eines Wirtschaftsjahres. Im Laufe des Wirtschaftsjahres eintretende Schwankungen des Gesellschaftsvermögens sind sowohl aus handelsrechtlicher Sicht als auch für die Besteuerung unerheblich. Ebenfalls zum Ende des Wirtschaftsjahres entsteht, wenn die Gesellschaft einen Verlust erzielt und außerdem einen Ergebnisabführungsvertrag abgeschlossen hat, die hieraus resultierende Verlustübernahmeverpflichtung des Gesellschafters. Dies bedeutet, dass bei Bestehen eines solchen Vertrags ein Verlust unmittelbar im Zeitpunkt seiner Entstehung von dem hierzu verpflichteten Gesellschafter übernommen wird. Er kann sich mithin zu keiner Zeit auf das Wirtschaftspotential der Verlust erzielenden Gesellschaft auswirken; durch ihn belastet wird vielmehr von Anfang an nur der ihn übernehmende Gesellschafter.

Demgegenüber besteht, wenn die Gesellschaft ein zinsloses Darlehen erhält, der ihr hieraus erwachsende Zinsvorteil vom Zeitpunkt der Darlehensgewährung an. Von diesem Zeitpunkt an kann nämlich die Gesellschaft das ihr überlassene Kapital nutzen, wodurch ihr Wirtschaftspotential gestärkt wird. Sie muss zwar einen hierauf beruhenden Mehrgewinn, wenn ein Ergebnisabführungsvertrag besteht, später an ihren Gesellschafter abführen. Diese Abführungspflicht setzt jedoch erst am Ende des Wirtschaftsjahres --also u.U. geraume Zeit nach der Darlehensgewährung-- ein. Jedenfalls für die Zwischenzeit bleibt es bei der Stärkung der Wirtschaftskraft der darlehensempfangenden Gesellschaft. Würde der Ergebnisabführungsvertrag in der Folge aufgehoben, so könnte ihr der entstehende Vorteil --ganz oder teilweise-- sogar endgültig erhalten bleiben.

Vor diesem Hintergrund verbietet sich nach Einschätzung des Senats die Annahme, dass die Entscheidung des EuGH zur Verlustübernahme ohne weiteres auf die hier zu beurteilende Problematik übertragen werden kann. Vielmehr könnte es sachgerecht sein, eine differenzierende Handhabung darauf zu stützen, dass es im Fall der zinslosen Darlehensgewährung --anders als bei der vertraglich vereinbarten Verlustübernahme-- bei der Gesellschaft zu einem temporären Zuwachs an Wirtschaftskraft kommt. Das FA weist insoweit zu Recht darauf hin, dass es zweifelhaft erscheint, ob der zunächst eintretende wirtschaftliche Vorteil aus gesellschaftsteuerrechtlicher Sicht mit der später einsetzenden Gewinnabführungsverpflichtung saldiert werden kann. Diese Problematik stellt sich bei der bloßen Verlustübernahme nicht, weshalb es gerade dem gedanklichen Ausgangspunkt der bisherigen EuGH-Rechtsprechung entsprechen könnte, beide Fallgestaltungen für den Bereich der Gesellschaftsteuer unterschiedlich zu behandeln.

d) Ein Abstellen auf die zeitliche Verschiebung zwischen Darlehensgewährung einerseits und Gewinnabführung andererseits würde zudem zum einen der Möglichkeit Rechnung tragen, dass der Gewinnabführungsvertrag in der Zeit zwischen der Darlehensgewährung und dem Ende des Wirtschaftsjahres endet und dann eine Abführung des von der Gesellschaft erzielten Mehrgewinns gar nicht mehr erfolgt. Zum anderen würde sie insoweit der Stellungnahme der Kommission und des Generalanwalts im Verfahren Waldrich entsprechen, als beide für den Fall des nachträglich abgeschlossenen Ergebnisabführungsvertrags angenommen haben, dass ein solcher den durch die Verlustübernahme eingetretenen wirtschaftlichen Vorteil nicht ungeschehen machen kann. Das zeitliche Moment könnte nur dann von vornherein keine Rolle spielen, wenn bei Bestehen eines Gewinnabführungsvertrags Gesellschaft und Gesellschafter als wirtschaftliche Einheit zu betrachten wären und unter diesem Gesichtspunkt der Vorteil der Gesellschaft mit dem Nachteil des Gesellschafters saldiert werden müsste. Eine solche Sachbehandlung ist dem Gesellschaftsteuerrecht jedoch fremd und bislang auch vom EuGH nicht in Betracht gezogen worden.

4. Im Ergebnis hält der Senat deshalb die Frage, ob die Gewährung zinsloser Gesellschafterdarlehen aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht auch bei Bestehen eines Ergebnisabführungsvertrags als gesellschaftsteuerpflichtiger Vorgang behandelt werden kann, für klärungsbedürftig. Er legt deshalb gemäß § 234 Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft diese Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vor. Zugleich setzt er bis zur Entscheidung des EuGH über die Vorlagefrage das Revisionsverfahren aus.

Ende der Entscheidung

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