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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 23.10.2002
Aktenzeichen: I R 39/01
Rechtsgebiete: FGO, AO 1977, EStG 1990, EStG 1987/1990, EStG 1990/1994


Vorschriften:

FGO § 126a
AO 1977 § 42
AO 1977 § 42 Satz 1
AO 1977 § 42 Abs. 1 Satz 1
EStG 1990 § 44d
EStG 1987/1990 § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
EStG 1987/1990 § 50d Abs. 1 Satz 2
EStG 1990/1994 § 50d Abs. 1 a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Bis Dezember 1986 hielt die A-Ltd. mit Sitz in X/Schottland 99,99 v.H. der Kapitalanteile der deutschen A-GmbH. Mit Wirkung auf November 1986 und mit Übergang des Gewinnbezugsrechts ab Januar 1986 übertrug die A-Ltd. ihre Anteile an der A-GmbH auf die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) und vier Schwestergesellschaften zu je 20 v.H. der Anteile.

Die Klägerin und ihre vier Schwestergesellschaften erhielten die Namen A Nr. 1 - A Nr. 5 -Ltd. Es handelte sich bei allen fünf Gesellschaften um ehemals aktive Gesellschaften, deren Geschäftsbetriebe aber im Zeitpunkt der Reorganisation zum November 1986 ruhten. Das aktive Geschäft der Klägerin ist zum 2. Januar 1979 an eine Drittfirma veräußert worden. Direktor der Klägerin und ihrer vier Schwestergesellschaften war jeweils J.

Aufgrund eines Gewinnverwendungsbeschlusses aus dem Dezember 1989 wurden im Mai 1990 an die Klägerin und ihre vier Schwestergesellschaften jeweils Dividenden in Höhe von 4 500 000 DM von der A-GmbH ausgeschüttet. Diese behielt von der Dividende der Klägerin Kapitalertragsteuer in Höhe von 1 125 000 DM ein und führte diese an das zuständige Finanzamt ab.

Im Juni 1990 beantragte die Klägerin ebenso wie ihre vier Schwestergesellschaften beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Bundesamt für Finanzen --BfF--) die teilweise Freistellung von der Kapitalertragsteuer gemäß § 50d Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1987/1990 i.V.m. Art. VI Abs. 1 Satz 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung (DBA-Großbritannien).

Mit unter Vorbehalt der Nachprüfung stehendem Sammelfreistellungsbescheid vom 5. Oktober 1990 setzte das BfF die Kapitalertragsteuer antragsgemäß von 25 v.H. auf 15 v.H. herab und verfügte die Erstattung der entsprechenden Beträge von jeweils 450 000 DM. Durch Änderungsbescheid vom 15. September 1994 wurden die Freistellungen jedoch versagt und die ausgezahlten Beträge zurückgefordert, da es sich bei der Klägerin und ihren Schwestergesellschaften um zwar ehemals aktive, nunmehr aber funktionslose sog. Briefkastenfirmen handele. Die Aufteilung der Beteiligung der A-Ltd. an der A-GmbH auf diese fünf Gesellschaften sei missbräuchlich i.S. von § 42 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977). Sie diene lediglich dem Zweck, höhere Kapitalertragsteuer-Erstattungen zu erreichen.

Die dagegen gerichtete Klage der Klägerin blieb erfolglos. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 693 abgedruckt.

Ihre Revision stützt die Klägerin auf Verletzung materiellen Rechts.

Sie beantragt, das FG-Urteil und den angefochtenen Änderungsbescheid vom 15. September 1994 aufzuheben.

Das BfF beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Der Senat entscheidet gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch Beschluss. Er hält die Revision einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind vorher davon unterrichtet und gehört worden.

1. Nach § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG 1987/1990 kann der Gläubiger von Kapitalerträgen die völlige oder teilweise Erstattung der einbehaltenen und abgeführten Kapitalertragsteuer verlangen, wenn diese Einkünfte nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung nicht oder nur nach einem unter dem nach § 43a Nr. 1 i.V.m. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG 1987/1990 liegenden Steuersatz von 25 v.H. besteuert werden dürfen.

So verhält es sich im Grundsatz im Streitfall nach Maßgabe von Art. VI Abs. 1 DBA-Großbritannien: Dividenden, die eine in Deutschland ansässige Gesellschaft an eine in Großbritannien ansässige Gesellschaft zahlt, können danach zwar in Deutschland besteuert werden. Die Steuer darf indes 15 v.H. des Bruttoertrages der Dividende nicht übersteigen, wenn diese in Großbritannien steuerpflichtig ist. Dieser Höchststeuersatz von 15 v.H. erhöht sich gemäß Art. VI Abs. 2 DBA-Großbritannien auf 20 v.H., vorausgesetzt --erstens-- bei der in Großbritannien ansässigen Gesellschaft handelt es sich um eine solche, der mindestens 25 v.H. der stimmberechtigten Anteile der ausschüttenden deutschen Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar gehören, und --zweitens-- der Körperschaftsteuersatz der Bundesrepublik Deutschland für ausgeschüttete Gewinne ist niedriger als für nichtausgeschüttete Gewinne und der Unterschied zwischen diesen beiden Sätzen beträgt mindestens 20 v.H., jedoch weniger als 28 v.H. Da die Klägerin zu weniger als 25 v.H. an der A-GmbH beteiligt war, kommt diese Einschränkung in Art. VI Abs. 2 DBA-Großbritannien, deren Voraussetzungen im Hinblick auf die Steuersatzdifferenz im Übrigen erfüllt sind (vgl. einerseits § 23 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes --KStG-- in der für das Streitjahr maßgeblichen Fassung: 56 v.H., andererseits § 27 Abs. 1 KStG: 36 v.H.), im Streitfall allerdings nicht zum Tragen.

2. Die für den streitgegenständlichen Zeitraum 1989 beantragte Ermäßigung des Steuerabzugs auf danach 15 v.H. gemäß Art. VI Abs. 1 Satz 2 DBA-Großbritannien scheitert jedoch daran, dass es sich bei der Klägerin um eine letztlich funktionslose sog. Basisgesellschaft handelt. Da sie als solche die Steuererstattung wegen § 42 AO 1977 insgesamt nicht beanspruchen kann, kommt es auf die zwischen den Beteiligten streitige Rechtsfrage danach, wie sich die von den fünf britischen Schwestergesellschaften verwirklichte sog. Quintettbeteiligung an der A-GmbH steuerlich auswirkt, im Ergebnis nicht an (vgl. dazu Senatsurteile vom 19. Februar 1975 I R 26/73, BFHE 115, 327, BStBl II 1975, 584, und vom 13. September 1972 I R 130/70, BFHE 107, 158, BStBl II 1973, 57).

a) Nach § 42 (Abs. 1) Satz 1 AO 1977 kann durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Ein Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten in diesem Sinne liegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) vor, wenn eine rechtliche Gestaltung gewählt wird, die zur Erreichung des erstrebten wirtschaftlichen Ziels unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche außersteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist (vgl. z.B. Senatsurteil vom 19. August 1999 I R 77/96, BFHE 189, 342, BStBl II 2001, 43, m.w.N.). § 42 AO 1977 erfasst auch beschränkt Steuerpflichtige. Im Einzelnen wird auf das Senatsurteil vom 29. Oktober 1997 I R 35/96 (BFHE 184, 476, BStBl II 1998, 235) verwiesen. Der Senat hat dadurch seine frühere Rechtsprechung, der ggf. etwas anderes entnommen werden konnte (vgl. Senatsurteil vom 29. Oktober 1981 I R 89/80, BFHE 134, 245, BStBl II 1982, 150, sog. Monaco-Urteil), ausdrücklich aufgegeben. Unter vergleichbaren Voraussetzungen und mit im Ergebnis vergleichbarer Zielsetzung schließt --mit erstmaliger Anwendung vom Veranlagungszeitraum 1994 an, im Streitfall sonach noch nicht-- § 50d Abs. 1 a EStG 1990 i.d.F. des Gesetzes zur Bekämpfung des Missbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts (Missbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz --StMBG--) vom 21. Dezember 1993 (BGBl I 1993, 2310, BStBl I 1994, 50) --EStG 1990/1994-- den Anspruch einer ausländischen Gesellschaft auf Steuerbefreiung oder -ermäßigung nach § 44d EStG 1990 oder nach einem Doppelbesteuerungsabkommen aus, soweit Personen an ihr beteiligt sind, denen die Steuerentlastung nicht zustünde, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten, und für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen und sie keine eigene Wirtschaftstätigkeit entfaltet (vgl. dazu Senatsurteil vom 20. März 2002 I R 38/00, BFH/NV 2002, 1202).

b) Die Voraussetzungen der rechtsmissbräuchlichen Gestaltung i.S. von § 42 (Abs. 1) Satz 1 AO 1977 sind vom FG im Streitfall zu Recht bejaht worden.

Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. Senatsurteile vom 29. Januar 1975 I R 135/70, BFHE 115, 107, BStBl II 1975, 553; vom 5. März 1986 I R 201/82, BFHE 146, 158, BStBl II 1986, 496; vom 10. Juni 1992 I R 105/89, BFHE 168, 279, BStBl II 1992, 1029; vom 23. Oktober 1992 I R 40/89, BFHE 166, 323, BStBl II 1992, 1026; vom 19. Januar 2000 I R 94/97, BFHE 191, 257, BStBl II 2001, 222, und I R 117/97, BFH/NV 2000, 824; BFH-Urteile vom 29. Juli 1976 VIII R 142/73, BFHE 120, 116, BStBl II 1977, 263; vom 9. Dezember 1980 VIII R 11/77, BFHE 132, 198, BStBl II 1981, 339) erfüllt die Zwischenschaltung von Basisgesellschaften in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft im niedrig besteuernden Ausland den Tatbestand des Rechtsmissbrauchs, wenn für ihre Zwischenschaltung in bestimmte Rechtsgestaltungen wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen. Werden im Inland erzielte Einnahmen zur Vermeidung inländischer Steuer durch eine ausländische Kapitalgesellschaft "durchgeleitet", gilt dies auch dann, wenn es sich bei dem Sitzstaat der ausländischen Kapitalgesellschaft nicht um ein Niedrigbesteuerungsland handelt (Senatsurteile in BFHE 184, 476, BStBl II 1998, 235, und in BFH/NV 2002, 1202). Diese Rechtsprechung ist Ausdruck des Grundsatzes, dass das Steuerrecht die gewählte zivilrechtliche Gestaltung respektiert. Dies gilt jedoch nicht für solche Gestaltungen, die im Ergebnis der Manipulation dienen.

Bei der Klägerin handelt es sich nach den den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG (vgl. § 118 Abs. 2 FGO) seit 1979 um eine sog. Domizilgesellschaft ohne eigenes Personal, ohne eigene Geschäftsräume und ohne eigene Geschäftsausstattung. Ihre Geschäftsführung oblag dem "Mehrfachgeschäftsführer" der vier gleichfalls an der A-GmbH beteiligten konzernverbundenen Schwestergesellschaften. Diese tatsächliche Gestaltung rechtfertigt die Vermutung, dass ihre Zwischenschaltung lediglich formaler Natur ist. Beachtliche wirtschaftliche Gründe, die diese Vermutung entkräften und widerlegen könnten, sind nicht ersichtlich oder dargetan. Insbesondere gelingt dies nicht mit dem Hinweis auf die unternehmerische Freiheit, die Konzernstruktur so zu gestalten, wie dies wirtschaftlich und steuerlich optimal erscheine. Diese Freiheit wird nicht beschnitten. Dennoch bedarf es für die steuerrechtliche Zuordnung von Einkünften eines substantiell existenten Zuordnungssubjekts, woran es aber fehlt, wenn das vorhandene Rechtssubjekt nur aus dem formalen Rechtskleid einer Kapitalgesellschaft besteht. Im Übrigen bedarf es im Anwendungsbereich von § 42 AO 1977 bei Zwischenschaltung einer funktionslosen ausländischen Kapitalgesellschaft keines konkreten Nachweises, dass mit Blick auf eine inländische Steuerersparnis eine Steuerumgehung beabsichtigt gewesen ist.

Ebenso wenig ist erkennbar oder dargetan, dass die Klägerin eine eigene wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet hätte. Das bloße Halten der Beteiligung an der inländischen A-GmbH ohne weitere geschäftsleitende Funktionen erfüllt die Anforderungen, die an eine solche Tätigkeit zu stellen sind, nicht. Dass sie früher --vor 1979-- einer aktiven Betätigung nachgegangen ist, ist insoweit unbeachtlich. Es kann für die Frage danach, ob eine wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet wird, keinen Unterschied machen, ob die betreffende Kapitalgesellschaft seit ihrer Errichtung funktionslos ist oder aber, ob sie zunächst eine aktive Tätigkeit ausübt, diese sodann einstellt und fortan nur noch als "Gesellschaftsmantel" existiert.

3. Aus diesen tatsächlichen Gegebenheiten folgt zugleich, dass die Klägerin nicht nur die Steuerermäßigung gemäß Art. VI Abs. 1 Satz 2, sondern gleichermaßen jene gemäß Art. VI Abs. 2 DBA-Großbritannien nicht beanspruchen kann: Die ausgeschütteten Dividenden sind steuerlich von vornherein der Gesellschafterin der Klägerin, nicht aber dieser zuzurechnen (§ 42 Satz 2 AO 1977). § 50d Abs. 1 a EStG 1990/1994 ändert daran schon deshalb nichts, weil diese Vorschrift im Streitjahr noch nicht anzuwenden war. Im Übrigen zielte sie auch nicht darauf ab, den Geltungsbereich des § 42 AO 1977 einzuschränken (vgl. im Einzelnen Senatsurteile in BFHE 184, 476, BStBl II 1998, 235, 237; in BFH/NV 2002, 1202).

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