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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 25.01.2006
Aktenzeichen: I R 39/05
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO


Vorschriften:

AO 1977 § 160
AO 1977 § 160 Abs. 1
AO 1977 § 160 Abs. 1 Satz 1
FGO § 96 Abs. 1 Satz 1 #
FGO § 126 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) stellt chemisch-pharmazeutische und bio-chemische Produkte her und vertreibt diese. In ihren Jahresabschlüssen für die Streitjahre 1996 bis 1998 machte sie Schuldzinsen in Höhe von jeweils 26 250 DM als Schulden sowie Betriebsausgaben geltend, die sie an die I-AG in der Schweiz gezahlt hatte.

Die Klägerin hatte am 20. April 1995 zunächst mit der M AG unter der gleichen Schweizer Anschrift einen Darlehensvertrag über 250 000 DM zu einem Jahreszinssatz von 10,5 v.H. und einer Laufzeit von 3 Jahren abgeschlossen. Im letzten Absatz dieser Vereinbarung heißt es, das Geld sei der Darlehensgeberin von einem deutschen Privatmann zur Verfügung gestellt worden. Sollte ein zwischen der M AG und dieser Privatperson abgeschlossener Darlehensvertrag vor dessen regulärem Ablauf eine Änderung erfahren, sollten sich die Bedingungen dieses Darlehensvertrags in gleicher Weise ändern. Am 1. Oktober 1995 wurde dann zwischen der I-AG als Darlehensgeberin und der Klägerin ein Vertrag abgeschlossen, der den Vertrag vom 20. April 1995 ersetzen sollte. Die Konditionen blieben unverändert, es fehlte jedoch der Hinweis auf den Geldgeber.

Bei der I-AG soll es sich nach Auskunft des Bundesamtes für Finanzen (BfF) um eine Briefkastenfirma ohne eigenen Geschäftsbetrieb handeln. Da die Klägerin den nach dem Vertrag vom 20. April 1995 als Geldgeber erwähnten deutschen Privatmann nicht benannte, erkannte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) im Anschluss an eine Außenprüfung die geltend gemachten Schuldzinsen gemäß § 160 der Abgabenordnung (AO 1977) nicht als abzugsfähig an.

Im Einspruchsverfahren gegen die geänderten Steuerbescheide legte die Klägerin eine Bescheinigung der Steuerverwaltung Zug vom 21. Januar 2000 vor, nach der die I-AG keine Domizilgesellschaft sei, keinem ermäßigten Bundessteuer- oder Kantonalsteuersatz unterliege und regelmäßig Steuererklärungen abgebe und die Steuern entrichte. Nach Auffassung des BfF war damit jedoch nicht widerlegt, dass es sich um eine Briefkastenfirma handele. In der Schweiz werde jede AG steuerlich geführt. Die Angabe der Steuernummer stelle keinen Nachweis für den Geschäftsbetrieb dar. Die I-AG trage den Domizilvermerk c/o M AG und habe kein eigenes Geschäftsbüro. Die Klägerin reichte daraufhin eine Bestätigung des Herrn P ein, nach der die I-AG ihm und seinem Vater gehöre und der Handelsregisterzusatz auf den Domizilhalter inzwischen gestrichen worden sei.

Das FA hielt in seiner Einspruchsentscheidung gleichwohl an seiner Auffassung fest.

Das Finanzgericht (FG) Köln wies die Klage mit Urteil vom 14. April 2005 13 K 2244/01 ab. Zuvor hatte es die Beteiligten nach Vernehmung des Gesellschafters und Verwaltungsrates der I-AG, Z, in der mündlichen Verhandlung darauf aufmerksam gemacht, dass seines Erachtens zwei Möglichkeiten in Betracht kämen: Nach der ersten Möglichkeit sei die I-AG eine Domizilgesellschaft und es sei die insoweit einschlägige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) anzuwenden, oder es handle sich bei dem Kredit um ein Darlehen, das von der I-AG ohne eigenes Geschäftsinteresse von dem deutschen Privatmann an die Klägerin durchgeleitet worden sei. Nach seiner vorläufigen Überzeugung gehe es davon aus, dass die I-AG zwar keine Domizilgesellschaft sei, aber lediglich als Vermittler eines Darlehens fungiert habe. Dies sei aus den Darlehensverträgen und der Aussage des Zeugen Z abzuleiten. Ferner hatte es die Klägerin nach § 160 AO 1977 vergeblich aufgefordert, den Darlehensgeber der I-AG zu benennen.

Mit ihrer vom FG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die angefochtenen Bescheide dahin gehend zu ändern, dass die Zinszahlungen an die I-AG steuermindernd zu berücksichtigen sind.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist unbegründet. Sie ist daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Die Entscheidung des FG, die geltend gemachten Schuldzinsen an die I-AG in den Streitjahren gemäß § 160 Abs. 1 AO 1977 nicht zum Betriebsausgaben- bzw. Schuldabzug (§ 4 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes i.V.m. § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes, § 7 des Gewerbesteuergesetzes, §§ 98a, 103 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes) zuzulassen, ist nicht zu beanstanden.

1. Gemäß § 160 Abs. 1 AO 1977 sind u.a. Schulden und Betriebsausgaben steuerlich regelmäßig nicht zu berücksichtigen, wenn der Steuerpflichtige dem Verlangen der Finanzbehörde nicht nachkommt, die Gläubiger oder die Empfänger genau zu benennen. Zweck des § 160 Abs. 1 AO 1977 ist es, Steuerausfälle zu verhindern. Es soll sichergestellt werden, dass nicht nur steuermindernde Ausgaben beim Steuerpflichtigen, sondern auch die damit korrespondierenden Einnahmen beim Geschäftspartner erfasst werden (Senatsurteil vom 25. Februar 2004 I R 31/03, BFHE 205, 5, BStBl II 2004, 582).

2. Die Prüfung der rechtmäßigen Anwendung des § 160 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 vollzieht sich in zwei Schritten. Zunächst ist zu prüfen, ob sich das Benennungsverlangen des FA im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens (§ 5 AO 1977) gehalten hat, insbesondere, ob keine Angaben gefordert wurden, deren Beschaffung für den Steuerpflichtigen unzumutbar war. Sodann ist zu entscheiden, ob im Falle der nicht ordnungsgemäßen Empfängerbenennung die vom FA angesetzte steuerliche Folge pflichtgemäßem Ermessen entspricht (Senatsurteil vom 1. April 2003 I R 28/02, BFHE 202, 196).

3. § 160 AO 1977 gilt nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO auch im gerichtlichen Verfahren. Das FG kann daher nach seinem Ermessen den Kläger auffordern, den tatsächlichen Gläubiger bzw. Zahlungsempfänger von Schulden, Betriebsausgaben und dergleichen zu benennen und für den Fall, dass dieser der Aufforderung nicht nachkommt, entscheiden, ob und ggf. in welcher Höhe Betriebsausgaben nicht zu berücksichtigen sind (vgl. Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 96 FGO Tz. 55 ff.; BFH-Urteil vom 4. April 1996 IV R 55/94, BFH/NV 1996, 801).

4. Empfänger i.S. des § 160 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 ist derjenige, dem der in den Betriebsausgaben enthaltene wirtschaftliche Wert vom Steuerpflichtigen übertragen wurde und bei dem er sich demzufolge steuerlich auswirkt (z.B. Senatsurteil in BFHE 202, 196). Ist eine natürliche oder juristische Person, die die Zahlungen des Steuerpflichtigen entgegennahm, lediglich zwischengeschaltet, weil sie entweder mangels eigener wirtschaftlicher Betätigung die vertraglich bedungenen Leistungen gar nicht erbringen konnte oder weil sie aus anderen Gründen die ihr erteilten Aufträge und die empfangenen Gelder an Dritte weiterleitete, so ist sie nicht Empfänger i.S. des § 160 Abs. 1 Satz 1 AO 1977, so dass die hinter ihr stehenden Personen, an die die Gelder letztlich gelangt sind, zu benennen sind (Senatsurteil vom 10. November 1998 I R 108/97, BFHE 187, 211, BStBl II 1999, 121, m.w.N.).

Die Aufforderung des FG an den Steuerpflichtigen, den Empfänger zu benennen, ist in diesen Fällen dann zumutbar, wenn für den Steuerpflichtigen bei vernünftiger Beurteilung der Umstände erkennbar gewesen war, dass die angebotenen Leistungen nicht von seinem Vertragspartner erbracht wurden und daher aus diesem Grund von der Einschaltung inländischer Leistungsträger auszugehen ist. In diesem Fall ist das Benennensverlangen auch dann ermessensgerecht, wenn der Steuerpflichtige den Empfänger nicht bezeichnen kann, weil ihm bei Vertragsabschluss dessen Name und Anschrift unbekannt waren (Senatsurteil in BFHE 187, 211, BStBl II 1999, 121). Dies gilt umso mehr für Auslandssachverhalte, in denen der Steuerpflichtige in erhöhtem Maße zur Erbringung von Nachweisen und Vorlage von Beweismitteln verpflichtet ist (§ 76 Abs. 1 Satz 4 FGO i.V.m. § 90 Abs. 2 AO 1977).

5. Das FG ist nach der Beweisaufnahme davon ausgegangen, dass die I-AG in den Streitjahren zwar keine bloße Domizilgesellschaft gewesen, aber gleichwohl lediglich zwischengeschaltet worden sei. Eigentlicher Darlehensgeber sei ein deutscher Privatmann gewesen. Das FG ist zu dieser Überzeugung durch die Vernehmung des Gesellschafters und Verwaltungsrates der I-AG gekommen. Dieser hatte u.a. ausgesagt, dass das Geld von einem deutschen Privatmann gekommen sei, für den er treuhänderisch tätig sei, dessen Namen er aber nicht offen legen wolle. Die I-AG habe die Zinsen erhalten und sie an den Darlehensgeber gezahlt.

Der hieraus gezogene Schluss des FG, eigentlicher Darlehensgeber sei der deutsche Privatmann gewesen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Er ist möglich, widerspricht weder Denkgesetzen noch Erfahrungssätzen und ist daher im Revisionsverfahren bindend (§ 118 Abs. 2 FGO). Das FG musste auch nicht dem Beweisantrag der Klägerin entsprechen, den Zeugen erneut zu vernehmen. Nach Auffassung des FG hatte sich dieser bei seiner Vernehmung bereits zu der Frage, ob die I-AG der Klägerin ein eigenes Darlehen gewährt oder lediglich ein fremdes Darlehen über sich weitergeleitet hatte, eindeutig erklärt, so dass es keiner weiteren Einvernahme mehr bedurfte. Ob das Prozessgericht einen bereits gehörten Zeugen erneut vernimmt, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen (§ 82 FGO i.V.m. § 398 der Zivilprozessordnung --ZPO--). Umstände, die eine wiederholte Vernehmung als geboten erscheinen lassen, sind nicht ersichtlich oder dargetan. Dass die Beweisaufnahme ursprünglich allein der Frage gedient hat, zu ermitteln, ob es sich bei der I-AG um eine bloße Domizilgesellschaft gehandelt habe, erforderte keine erneute Vernehmung. Dieses Beweisthema umfasste angesichts des Streitgegenstandes auch die Frage, ob die I-AG selbst Darlehensgeberin war oder für dritte Personen handelte. Darüber hinaus gibt es keinen Grundsatz, dass eine Zeugenaussage nur soweit verwertet werden kann, als das im Beweisbeschluss genannte Beweisthema reicht.

6. Das FG hat die Klägerin auch ermessensfehlerfrei aufgefordert, den hinter der I-AG stehenden Darlehensgeber zu benennen. Das Auskunftsverlangen an die Klägerin war zumutbar.

Für die Klägerin war aufgrund der ungewöhnlichen Umstände des Vertragsschlusses und der -durchführung erkennbar oder jedenfalls nahe liegend, dass eigentlicher Darlehensgeber nicht die I-AG war. Der zunächst mit der M AG geschlossene Vertrag wies auf einen deutschen Privatmann als Geldgeber der AG hin. Die Klausel, dass sich die vertraglichen Bedingungen ändern sollten, wenn sich die Bedingungen zwischen der AG und dem deutschen Geldgeber ihrerseits ändern sollten, kann nur dahin gehend verstanden werden, dass die AG lediglich als Vermittler zwischengeschaltet wurde. Der Darlehensvertrag wurde zwar in der Folge von der I-AG übernommen, ohne dass sich im neu abgeschlossenen Vertrag ein Hinweis auf den deutschen Geldgeber findet; die übrigen Konditionen blieben aber gleich. Da die M AG und die I-AG unter derselben Anschrift residieren, denselben Personen gehören, beide von Z geleitet werden und ein Grund für die Ablösung des Darlehens durch die I-AG weder genannt wurde und noch sonst ersichtlich ist, war nahe liegend, es habe sich an der Person des eigentlichen Darlehensgebers durch die Übernahme des Vertrages durch die I-AG nichts geändert.

7. Das FG hat, nachdem die Klägerin dem Verlangen, den Geldgeber zu benennen, nicht nachgekommen ist, auch die Ermessensentscheidung zweiter Stufe in rechtlich einwandfreier Weise getroffen, indem es die Zinsen in voller Höhe nicht als Schuld oder Betriebsausgabe berücksichtigt hat.

Nach § 160 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 ist der Abzug der Schulden und Betriebsausgaben unter den dort genannten Voraussetzungen regelmäßig zu versagen. Von diesem Regelfall ist nur in besonderen Ausnahmefällen abzuweichen. Das FG hat im Einzelnen dargelegt, weshalb seines Erachtens ein derartiger Ausnahmefall nicht vorliegt. Es ist nicht erkennbar, ob und in welcher Höhe die von der Klägerin geltend gemachten Zinszahlungen bei einem Empfänger im Inland steuerlich erfasst worden sind.

8. Die Rüge der Klägerin, das FG habe ihren Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2, § 119 Nr. 3 FGO) verletzt, weil es vor der abschließenden mündlichen Verhandlung nicht auf seine geänderte Rechtsauffassung hingewiesen habe und sie sich dadurch nicht ausreichend auf den Termin zur mündlichen Verhandlung habe vorbereiten können, ist unschlüssig.

Ergeben sich in der mündlichen Verhandlung erstmals tatsächliche oder rechtliche Aspekte, zu denen sich einer der Beteiligten noch nicht hat äußern können, kann dies einen Anspruch auf Vertagung (§ 155 FGO i.V.m. § 227 ZPO) begründen. Die Klägerin hat nicht vorgetragen, dass sie Vertagung beantragt hat. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs kann aber nicht mehr gerügt werden, wenn ein Beteiligter nicht alle prozessualen Möglichkeiten ausschöpft, sich rechtliches Gehör zu verschaffen (z.B. Senatsbeschluss vom 10. August 2005 I B 27/05, BFH/NV 2006, 133).

Die von der Klägerin erhobenen weiteren Verfahrensrügen hält der Senat für nicht durchgreifend. Er sieht insoweit von einer weiteren Begründung ab (§ 126 Abs. 6 Satz 1 FGO).



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