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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 23.01.2008
Aktenzeichen: I R 40/07
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 4 Abs. 2
1. Eine Bilanz kann nicht nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG geändert ("berichtigt") werden, wenn sie nach dem Maßstab des Erkenntnisstands im Zeitpunkt ihrer Erstellung den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung entspricht (Bestätigung des Senatsurteils vom 5. Juni 2007 I R 47/06, BFHE 218, 221, BStBl II 2007, 818).

2. Eine Bilanz kann nicht mit dem Ziel eines niedrigeren Gewinnausweises nach § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG geändert werden, wenn das Finanzamt den Gewinn zwar höher als vom Unternehmer erklärt ansetzt, dies aber auf einer Berücksichtigung von außerbilanziellen Gewinnerhöhungen beruht.


Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Zulässigkeit der Änderung einer Bilanz.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH, deren Wirtschaftsjahr dem Kalenderjahr entspricht. Sie stellte am 30. April 2002 ihren Jahresabschluss für das Streitjahr (2001) auf. Den auf dieser Basis ermittelten Gewinn berücksichtigte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -FA-) in Steuerbescheiden, die gemäß § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung unter Vorbehalt der Nachprüfung ergingen.

Im Rahmen einer Betriebsprüfung gelangte die Prüferin zu der Auffassung, dass der von der Klägerin erklärte Gewinn um 6 347 DM (Verminderung eines Aktivpostens) und um weitere 51 330 DM (Erhöhung von Rückstellungen) zu vermindern sowie um 135 000 DM (Ansatz eines Übernahmegewinns gemäß § 12 Abs. 2 Satz 2 des Umwandlungssteuergesetzes 1995 -UmwStG 1995-) und um weitere 29 913 DM (Erhöhung der nicht abziehbaren Betriebsausgaben) zu erhöhen sei. Daraufhin machte die Klägerin mit Schreiben vom 22. März 2006 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) geltend, dass sie für das Streitjahr eine Rückstellung für die Kosten der Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen hätte bilden müssen (BFH-Urteil vom 19. August 2002 VIII R 30/01, BFHE 199, 561, BStBl II 2003, 131), was bisher nicht geschehen sei. Das FA erließ im Anschluss an die Betriebsprüfung Änderungsbescheide, in denen es diese Rückstellung nicht berücksichtigte.

Die deshalb erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) abgewiesen (FG Köln, Urteil vom 21. März 2007 13 K 4358/06). Sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2007, 1472 abgedruckt.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung materiellen Rechts. Sie beantragt sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und die angefochtenen Bescheide dahin zu ändern, dass die Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuermessbetrag für das Streitjahr unter Berücksichtigung einer zusätzlichen Rückstellung in Höhe von 90 755,33 € festgesetzt werden.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist unbegründet und deshalb gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FA hat es zu Recht abgelehnt, die Bildung einer Rückstellung für die Kosten der Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen bei der Besteuerung der Klägerin für das Streitjahr zu berücksichtigen.

1. Die Klägerin ermittelt ihren Gewinn nach § 4 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes 1997 i.d.F. des Steuerbereinigungsgesetzes 1999 vom 22. Dezember 1999 (BGBl I 1999, 2601, BStBl I 2000, 13) -EStG 1997- (i.V.m. § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes, § 7 Satz 1 des Gewerbesteuergesetzes). Da sie nach Handelsrecht buchführungspflichtig ist, muss sie dabei für den Schluss eines Wirtschaftsjahres das Betriebsvermögen ansetzen, das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung auszuweisen ist (§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG 1997). Zu diesen Grundsätzen gehört, dass im Jahresabschluss eine Rückstellung für die zukünftigen Kosten der Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen gebildet werden muss, soweit der Unternehmer zu einer solchen Aufbewahrung verpflichtet ist (BFH-Urteil in BFHE 199, 561, BStBl II 2003, 131). Um eine solche Rückstellung geht es im Streitfall.

2. Das FG hat nicht festgestellt, ob die Klägerin am hier maßgeblichen Bilanzstichtag zur künftigen Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen verpflichtet war und mit welchen Aufwendungen sie in diesem Zusammenhang ggf. rechnen musste. Revisionsrechtlich bindend (§ 118 Abs. 2 FGO) festgestellt hat es jedoch, dass die Klägerin in ihrer ursprünglichen Bilanz für das Streitjahr keine Rückstellung für eine solche Verpflichtung gebildet hat. Das steht dem Erfolg der Klage entgegen, da die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Änderung jener Bilanz im Streitfall nicht erfüllt sind.

a) Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG 1997 darf eine Bilanz auch nach ihrer Einreichung beim FA geändert werden, wenn sie den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung unter Befolgung der Vorschriften des EStG nicht entspricht. Dazu hat der Senat wiederholt entschieden, dass diese Vorschrift nicht schon dann eingreift, wenn ein Bilanzansatz bei rückschauender Betrachtung objektiv gegen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung verstößt. Vielmehr ist ein Bilanzansatz i.S. des § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG 1997 "richtig", wenn er denjenigen Kenntnisstand widerspiegelt, den ein ordentlicher Kaufmann im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung bei pflichtgemäßer und gewissenhafter Prüfung haben konnte (Senatsurteile vom 5. Juni 2007 I R 47/06, BFHE 218, 221, BStBl II 2007, 818; vom 5. April 2006 I R 46/04, BFHE 213, 326, BStBl II 2006, 688, m.w.N.). Das gilt nicht nur insoweit, als es um die Einschätzung tatsächlicher Umstände geht, sondern ebenso im Hinblick auf die daraus zu ziehenden rechtlichen Folgerungen (Senatsurteil in BFHE 218, 221, BStBl II 2007, 818). Ein Bilanzansatz, der dieser Vorgabe entspricht, darf nicht nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG 1997 geändert ("berichtigt") werden. Daran hält der Senat weiterhin fest.

b) Im Streitfall ist hiernach für die von der Klägerin angestrebte Berichtigung der Bilanz für das Streitjahr kein Raum. Denn selbst wenn die Klägerin am maßgeblichen Bilanzstichtag mit künftigen Aufwendungen für die Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen rechnen musste, könnte das Fehlen einer entsprechenden Rückstellung nur dann zur "Unrichtigkeit" ihrer ursprünglichen Bilanz führen, wenn ein ordentlicher Kaufmann im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung bei ordentlicher und gewissenhafter Prüfung die Notwendigkeit der Rückstellungsbildung hätte erkennen müssen. Das aber hat das FG ohne Rechtsfehler verneint: Nach seinen revisionsrechtlich bindenden Feststellungen hat die Klägerin ihre Bilanz für das Streitjahr im April 2002 aufgestellt; sie konnte dabei das einschlägige Urteil des BFH in BFHE 199, 561, BStBl II 2003, 131, das vom 19. August 2002 datiert, nicht berücksichtigen. Vor Ergehen jenes Urteils gab es indessen keinen verfestigten Meinungsstand des Inhalts, dass Aufwendungen der genannten Art durch eine Rückstellung zu berücksichtigen seien; vielmehr hatte das FG München die Bildung eines Passivpostens für solche Aufwendungen noch im Jahr 2001 für unzulässig erachtet (FG München, Urteil vom 23. Mai 2001 9 K 5141/98, EFG 2001, 1357). Dass seinerzeit die Bildung einer Rückstellung der hier in Rede stehenden Art in sonstiger Rechtsprechung, in Verwaltungsanweisungen oder im Fachschrifttum befürwortet wurde, ist weder von der Klägerin aufgezeigt worden noch sonst erkennbar. Angesichts dessen ist es mit dem Gebot kaufmännischer Sorgfalt vereinbar, wenn die Klägerin in ihrer Bilanz für das Streitjahr eine Rückstellungsbildung unterließ. Darin liegt mithin kein Bilanzierungsfehler, der gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG 1997 berichtigt werden könnte.

c) Zu einer abweichenden Beurteilung führt nicht der Hinweis der Revision auf das bilanzrechtliche Vorsichtsprinzip. Denn aus diesem Prinzip lässt sich nicht ableiten, dass ein Kaufmann schon dann eine Rückstellung bilden muss, wenn die Notwendigkeit der Rückstellungsbildung rechtlich ungeklärt ist und das Bestehen eines entsprechenden Grundsatzes ordnungsmäßiger Buchführung denkbar erscheint. Vielmehr ist der Senat in seiner Rechtsprechung stets davon ausgegangen, dass es in dieser Situation mit der kaufmännischen Sorgfalt vereinbar sein kann, die Bildung einer Rückstellung zu unterlassen (Senatsurteile in BFHE 213, 326, BStBl II 2006, 688, und in BFHE 218, 221, BStBl II 2007, 818). Das muss namentlich dann gelten, wenn es -wie im Streitfall- im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung keine gewichtigen Stimmen gab, die eine entsprechende Rückstellungsbildung forderten.

d) Ebenso hat das FG ohne Rechtsfehler angenommen, dass die von der Klägerin begehrte Rückstellungsbildung nicht nach Maßgabe des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG 1997 steuerlich berücksichtigt werden kann. Nach dieser Vorschrift darf zwar eine Bilanz unabhängig von den Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG 1997 geändert werden. Eine solche Bilanzänderung ist aber nur dann zulässig, wenn sie in einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit einer Bilanzberichtigung gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG 1997 steht und soweit die Auswirkung jener Bilanzberichtigung auf den Gewinn reicht. Um eine solche Situation geht es im Streitfall nicht.

aa) Unter welchen Umständen der in § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG 1997 geforderte Zusammenhang einer Bilanzänderung mit einer Bilanzberichtigung vorliegt, ist nicht abschließend geklärt. Jedenfalls aber besagt der insoweit eindeutige Gesetzeswortlaut, dass es im Gegenzug zu der Bilanzänderung nach § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG 1997 zu einer Bilanzberichtigung nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG 1997 gekommen sein muss. Daran fehlt es im Streitfall. Denn die von der Klägerin begehrte Bildung einer zusätzlichen Rückstellung würde zu einer Gewinnminderung führen, und die dieser gegenüberstehende Gewinnerhöhung beruht nicht auf einer Bilanzberichtigung:

Nach den Feststellungen des FG ist der Ansatz eines Mehrgewinns im Anschluss an die Betriebsprüfung darauf zurückzuführen, dass das FA einen Übernahmegewinn i.S. des § 12 Abs. 2 UmwStG 1995 berücksichtigt und zudem bestimmte Betriebsausgaben der Klägerin als nicht abziehbar behandelt hat. Sowohl die Erfassung des Übernahmegewinns (vgl. dazu Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 25. März 1998, BStBl I 1998, 268, Tz. 12.05; Widmann in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 12 UmwStG Rz 366, m.w.N.) als auch die Berücksichtigung der Nichtabziehbarkeit von Betriebsausgaben (dazu BFH-Urteile vom 9. Juni 1999 I R 64/97, BFHE 189, 75, BStBl II 1999, 656; vom 6. April 2000 IV R 31/99, BFHE 192, 64, 69, BStBl II 2001, 536, 538; Senatsbeschluss vom 24. März 2004 I B 203/03, BFH/NV 2004, 959; Stapperfend in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, § 4 EStG Rz 1123) vollziehen sich indessen durch eine Gewinnerhöhung außerhalb der Bilanz. Eine außerbilanzielle Gewinnerhöhung berührt keinen Bilanzansatz und kann daher die Rechtsfolge des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG 1997 nicht herbeiführen (ebenso FG Münster, Urteil vom 27. Januar 2005 12 K 4155/03 E,G, EFG 2006, 1654; FG Hamburg, Urteil vom 8. März 2006 V 187/03, EFG 2006, 1153; Stapperfend in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 4 EStG Rz 472; a.A. Wied in Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, § 4 EStG Rz 1035; Korn/Strahl, EStG, § 4 Rz 448, m.w.N.). Deshalb ist unabhängig davon, ob § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG 1997 nur bei Bestehen eines steuerlichen Wahlrechts eingreift (so BFH-Urteil vom 14. August 1975 IV R 30/71, BFHE 117, 44, BStBl II 1976, 88) oder ob auch ein objektiv unrichtiger Bilanzansatz nach dieser Vorschrift geändert werden kann (so z.B. Crezelius in Kirchhof, EStG, 7. Aufl., § 4 Rz 247 f.; Weber-Grellet in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 4 Rz C 188, m.w.N.), im Streitfall für eine solche Maßnahme kein Raum.

bb) Mit dieser Beurteilung weicht der Senat nicht von der Rechtsprechung anderer Senate des BFH ab.

aaa) Allerdings hat der VIII. Senat in seinem Urteil vom 15. März 2000 VIII R 34/96 (BFH/NV 2001, 297) ausgeführt, dass ein in § 4 Abs. 5 EStG enthaltenes Verbot des Abzugs von Betriebsausgaben u.a. die Bildung einer Rückstellung hindere (ebenso Schreiber in Blümich, a.a.O., § 5 EStG Rz 745; Crezelius in Kirchhof, a.a.O., § 5 Rz 120). Diese Aussage war aber für seine Entscheidung letztlich nicht tragend. Denn die Frage nach der systematischen Einordnung eines Abzugsverbots wirkt sich ertragsteuerrechtlich nur dann aus, wenn es darum geht, ob eine fehlerhaft unterlassene Gewinnerhöhung in einem späteren Veranlagungszeitraum nachgeholt werden kann (vgl. Schreiber in Blümich, a.a.O., § 5 EStG Rz 745), und einen solchen Sachverhalt hatte der VIII. Senat nicht zu beurteilen. Einer Anfrage nach § 11 Abs. 3 Satz 1 FGO bedarf es daher insoweit nicht.

bbb) Im Ergebnis dasselbe gilt im Hinblick auf die Rechtsprechung des IV. Senats des BFH, nach der eine Bilanzänderung auch dann i.S. des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG 1997 mit einer Bilanzberichtigung zusammenhängen kann, wenn sich die gegenläufige Gewinnänderung aus Fehlern bei der Verbuchung von Entnahmen und Einlagen ergibt (BFH-Urteil vom 31. Mai 2007 IV R 54/05, BFH/NV 2007, 1973). Denn jene Rechtsprechung beruht auf dem Gedanken, dass die Verbuchung eines Vorgangs als Entnahme die Höhe des in der Bilanz ausgewiesenen Eigenkapitals beeinflusst. Dieser Gedanke kann nicht auf Sachverhalte übertragen werden, die sich aus steuerrechtlicher Sicht gänzlich außerhalb der Bilanz vollziehen. Nur um solche geht es jedoch im Streitfall.

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