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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 07.08.2002
Aktenzeichen: I R 45/01
Rechtsgebiete: FGO
Vorschriften:
FGO § 96 Abs. 2 | |
FGO § 119 Nr. 3 | |
FGO § 120 Abs. 3 Nr. 1 | |
FGO § 126 Abs. 3 Nr. 2 | |
FGO § 126 Abs. 4 |
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob eine Verpflichtung zur Einlösung von Badekarten gewinnmindernd zu berücksichtigen ist.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, pachtete mit Wirkung zum 1. September 1986 von einem fremden Dritten (D-GmbH) den Betrieb eines Kur- und Thermalschwimmbades an. Die D-GmbH hatte ihrerseits den genannten Betrieb von der V-GmbH angepachtet und es dabei übernommen, die Verpflichtungen aus den am 1. September 1986 noch in Umlauf befindlichen Eintrittskarten zu erfüllen. Diese Verpflichtung, deren Wert im Pachtvertrag auf 60 000 DM geschätzt worden war, übernahm die Klägerin in dem Pachtvertrag mit der D-GmbH.
Nach der Übernahme des Schwimmbadbetriebs stellte die Klägerin fest, dass der Wert der tatsächlich noch im Umlauf befindlichen Eintrittskarten sich auf mehr als 1,2 Mio. DM belief. Sie bildete deshalb in ihrer Bilanz auf den 31. Dezember 1986 eine Rückstellung in Höhe des betreffenden Betrags, die sie im Streitjahr (1987) unverändert fortführte.
Im Rahmen einer Betriebsprüfung für die Veranlagungszeiträume 1986 bis 1988 vertrat der Prüfer die Ansicht, dass die Bildung der Rückstellung nicht zulässig gewesen sei. Er löste deshalb die Rückstellung zum 31. Dezember 1987 erfolgswirksam auf. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) schloss sich dem an und erließ entsprechende Steuerbescheide (Körperschaftsteuerbescheid 1987 sowie Feststellungsbescheid gemäß § 47 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes --KStG-- zum 31. Dezember 1987).
Die u.a. gegen diese Bescheide gerichtete Klage hatte im Streitpunkt keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, dass die Klägerin in ihrer Bilanz auf den 31. Dezember 1987 zwar eine Rückstellung für die Einlösungsverpflichtung habe bilden dürfen. Dem sei jedoch ein aktiver Rechnungsabgrenzungsposten gegenüber zu stellen, da die Übernahme der Einlösungsverpflichtung wirtschaftlich ein zusätzliches Pachtentgelt darstelle. Aus der anteiligen Auflösung des Rechnungsabgrenzungspostens einerseits und der Rückstellung andererseits ergebe sich für 1987 im Ergebnis keine Gewinnminderung.
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hin ließ der erkennende Senat die Revision gegen das finanzgerichtliche Urteil hinsichtlich der hier noch streitbefangenen Bescheide zu. Daraufhin reichte die Klägerin eine Revisionsbegründung ein, in der sie unter Hinweis auf ihr erstinstanzliches Vorbringen geltend machte, dass das FG zu Unrecht die Bildung eines aktiven Rechnungsabgrenzungspostens gefordert habe.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und die angefochtenen Bescheide in der Weise zu ändern, dass die Rückstellung für die Verpflichtung zur Einlösung von Badekarten in voller Höhe gewinnmindernd berücksichtigt wird und ein Ansatz eines korrespondierenden aktiven Rechnungsabgrenzungspostens unterbleibt.
Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II. 1. Die Revision ist zulässig. Zwar enthält die Revisionsbegründungsschrift keinen ausdrücklichen Revisionsantrag i.S. des § 120 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Ein förmlicher Antrag ist jedoch entbehrlich, wenn sich aus dem Vorbringen des Revisionsklägers eindeutig ergibt, inwieweit er eine Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Urteils erstrebt (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 120 Rz. 53, m.w.N.). Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt, da die Ausführungen der Klägerin in der Revisionsbegründungsschrift ersichtlich darauf hinauslaufen, dass die von ihr gebildete Rückstellung für die Einlösungsverpflichtung in vollem Umfang und ohne Kompensation durch einen Aktivposten berücksichtigt werden soll. Damit ist dem Erfordernis des § 120 Abs. 3 Nr. 1 FGO genügt.
2. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG. Dessen Urteil leidet an einem Verfahrensmangel, da der Klägerin in der ersten Instanz nicht in ausreichendem Maße rechtliches Gehör gewährt worden ist.
a) Nach Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) hat vor Gericht jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. Daraus folgt für das finanzgerichtliche Verfahren zum einen, dass das FG sein Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützen darf, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten (§ 96 Abs. 2 FGO). Darüber hinaus haben die Verfahrensbeteiligten Anspruch darauf, dass das Gericht sie auch in rechtlicher Hinsicht auf entscheidungserhebliche Erwägungen und Gesichtspunkte hinweist, mit denen sie erkennbar nicht gerechnet haben und auch nicht rechnen mussten. Das FG verletzt deshalb das Recht eines Beteiligten auf Gehör, wenn es sein Urteil auf einen rechtlichen Gesichtspunkt stützt, der weder im Besteuerungsverfahren noch im gerichtlichen Verfahren zur Sprache gekommen war und dessen Heranziehung auch nicht aus sonstigen Gründen nahe lag (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17. Juni 1998 II R 29/97, BFH/NV 1999, 185; vom 23. September 1999 VI R 106/98, BFH/NV 2000, 448; Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz. 10 a, jeweils m.w.N.).
b) Diese Voraussetzung ist im Streitfall gegeben. Das FG hat in der angefochtenen Entscheidung darauf abgestellt, dass die Klägerin in ihrer Bilanz auf den 31. Dezember 1987 einen aktiven Rechnungsabgrenzungsposten habe bilden müssen und dass die vom FA vorgenommene Gewinnerhöhung aus diesem Grund berechtigt sei. Die Möglichkeit einer aktiven Rechnungsabgrenzung war indessen nach Aktenlage weder im Verwaltungsverfahren noch im Verlauf des Klageverfahrens angesprochen worden. Nach dem unwidersprochenen Vortrag der Klägerin hat das FG auch in der mündlichen Verhandlung nicht auf diesen Gesichtspunkt hingewiesen. Schließlich handelte es sich nicht etwa um eine so naheliegende Erwägung, dass die Klägerin ohne weitere Anhaltspunkte mit einer hierauf gestützten Entscheidung hätte rechnen müssen. Das gilt um so mehr, als die Klägerin im Klageverfahren vorgetragen hatte, dass sie sich auf die unzutreffenden Angaben der D-GmbH verlassen habe und dass eine Schadensersatzklage gegen die D-GmbH "wirtschaftlich nicht durchführbar" gewesen sei. Auch ein sachkundiger und gewissenhafter Berater der Klägerin konnte und musste vor diesem Hintergrund nicht davon ausgehen, dass das FG ohne vorherigen Hinweis die Übernahme der Verbindlichkeit gegenüber den Kunden als "zusätzliches Pachtentgelt" zugunsten der D-GmbH behandeln könnte. Die hierauf gestützte Entscheidung des FG verletzt mithin das Recht der Klägerin auf Gehör.
c) Das angefochtene Urteil beruht auf dieser Rechtsverletzung. Das folgt aus § 119 Nr. 3 FGO. Die dort verankerte Vermutung, dass eine Versagung des rechtlichen Gehörs für das später ergangene Urteil ursächlich ist, gilt zwar nicht ausnahmslos. Sie muss jedoch nur dann weichen, wenn das Gehör nur hinsichtlich einzelner Feststellungen verletzt wurde, auf die es unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ankommt (Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz. 11, m.w.N.). Um eine solche Gestaltung handelt es sich im Streitfall schon deshalb nicht, weil der Ansatz eines Passivpostens für die Einlösungsverpflichtung --auch nach Auffassung des FG-- ernsthaft im Raum steht und ohne die vom FG befürwortete aktive Rechnungsabgrenzung der Klage hinsichtlich des Streitjahrs möglicherweise hätte --vollständig oder teilweise-- stattgegeben werden müssen. Schließlich hatte die Klägerin keine Gelegenheit, die erst im Urteil zu Tage getretene Gehörsverletzung schon in der ersten Instanz zu rügen, so dass sie ihr Recht auf Beanstandung des Verfahrensmangels nicht durch rügelose Verhandlung verloren hat.
d) Der hiernach vorliegende Verfahrensmangel führt dazu, dass der Rechtsstreit gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO an das FG zurückverwiesen werden muss. Eine Sachentscheidung ist dem Senat verwehrt. Denn zum einen hängt die Beantwortung der Frage nach einer aktiven Rechnungsabgrenzung u.a. von der Auslegung des Vertrags zwischen der Klägerin und der D-GmbH ab, die das FG bislang nicht in verfahrensfehlerfreier Weise vorgenommen hat. Zum anderen folgt aus § 119 Nr. 3 FGO, dass in Fällen der Gehörsverletzung stets eine Zurückverweisung geboten und insbesondere eine Anwendung des § 126 Abs. 4 FGO nicht zulässig ist (Gräber/ Ruban, a.a.O., § 126 Rz. 9, m.w.N.). Deshalb könnte der Senat selbst dann, wenn er dem FG in der Sache folgen wollte, dessen Entscheidung im vorliegenden Verfahren nicht bestätigen.
Ende der Entscheidung
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