Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 29.11.2006
Aktenzeichen: I R 45/05
Rechtsgebiete: EStG 1990, AIG, DBA-Österreich 1954, Protokoll zum DBA-Österreich 2000, EWR-Abkommen, EStG 1988


Vorschriften:

EStG 1990 § 2a Abs. 3
AIG § 2 Abs. 1
DBA-Österreich 1954 Art. 4 Abs. 1
DBA-Österreich 1954 Art. 15 Abs. 1
Protokoll zum DBA-Österreich 2000 Abs. 12 Buchst. b zu Art. 24
EWR-Abkommen Art. 31
EStG 1988 (Österreich) § 102 Abs. 2 Nr. 2
1. Der Senat hält auch für Art. 4 Abs. 1 DBA-Österreich 1954 daran fest, dass sich der Begriff der Einkünfte aus einem gewerblichen Unternehmen im Sinne dieser Vorschrift auf einen Nettobetrag bezieht und dass Deutschland deshalb auch für Verluste, die ein in Deutschland ansässiges Unternehmen in seiner in Österreich befindlichen Betriebsstätte erwirtschaftet, kein Besteuerungsrecht hat (Anschluss an Senatsbeschlüsse vom 28. Juni 2006 I R 84/04, BStBl II 2006, 861, und vom 22. August 2006 I R 116/04, BStBl II 2006, 864; vom 13. November 2002 I R 13/02, BFHE 201, 73, BStBl II 2003, 795).

2. Von der in § 2 Abs. 1 Satz 3 AIG und § 2a Abs. 3 Satz 3 EStG 1990 bestimmten Nachversteuerung negativer ausländischer Betriebsstätteneinkünfte, welche in einem vorangegangenen Veranlagungszeitraum nach § 2 Abs. 1 Satz 1 AIG, § 2a Abs. 3 Satz 1 EStG 1990 bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte abgezogen worden sind, kann nach Maßgabe von § 2 Abs. 1 Satz 4 AIG, § 2a Abs. 3 Satz 4 EStG 1990 nur dann abgesehen werden, wenn der Steuerpflichtige nachweist, dass nach den für ihn geltenden Vorschriften des ausländischen Staates ein Abzug von Verlusten in anderen Jahren als dem Verlustjahr allgemein nicht beansprucht werden kann. An einem derartigen "allgemeinen" Ausschluss des Verlustabzugs fehlt es, wenn sich der Abzugsausschluss lediglich aus Gründen der verwirklichten Gegebenheiten des Einzelfalles verbietet.

3. Dem EuGH werden die folgenden Rechtsfragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

a) Steht Art. 31 des EWR-Abkommens der Regelung eines Mitgliedstaates entgegen,

- nach welcher ein in dem einen Mitgliedstaat ansässiger und dort unbeschränkt Steuerpflichtiger zwar nach einem Doppelbesteuerungsabkommen von der Einkommensteuer befreite Verluste aus in einer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte unter bestimmten Voraussetzungen bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte abziehen kann,

- nach der der abgezogene Betrag jedoch, soweit sich in einem der folgenden Veranlagungszeiträume bei den nach dem Doppelbesteuerungsabkommen zu befreienden Einkünften aus gewerblicher Tätigkeit aus in dem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätten insgesamt ein positiver Betrag ergibt, in dem betreffenden Veranlagungszeitraum bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte wieder hinzuzurechnen ist,

- Letzteres allerdings dann nicht, wenn der Steuerpflichtige nachweist, dass nach den für ihn geltenden Vorschriften des anderen Mitgliedstaates ein Abzug von Verlusten in anderen Jahren als dem Verlustjahr "allgemein" nicht beansprucht werden kann, woran es fehlt, wenn ein Verlustabzug in dem anderen Staat nach dessen Recht zwar allgemein eingeräumt wird, jedoch in der konkreten Situation, in der sich der Steuerpflichtige befindet, unterbleibt?

b) Bejahendenfalls: Wirkt es sich auf den Ansässigkeitsstaat aus, wenn die Verlustabzugsbeschränkungen in dem anderen Mitgliedstaat (als dem Quellenstaat) ihrerseits gegen Art. 31 des EWR-Abkommens verstoßen, weil sie den dort mit seinen Betriebsstätteneinkünften nur beschränkt Steuerpflichtigen gegenüber den dort unbeschränkt Steuerpflichtigen benachteiligen?

c) Weiterhin bejahendenfalls: Muss der Ansässigkeitsstaat auf die Nachversteuerung der ausländischen Betriebsstättenverluste verzichten, soweit diese andernfalls in keinem Mitgliedstaat abgezogen werden können, weil die Betriebsstätte im anderen Mitgliedstaat aufgegeben worden ist?


Gründe:

I. Sach- und Streitstand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine in Deutschland ansässige GmbH, die von 1982 bis zum Streitjahr 1994 eine Betriebsstätte in Österreich unterhielt. Bis einschließlich des Jahres 1990 erzielte sie in dieser Betriebsstätte Verluste von insgesamt 2 467 507 DM (richtig wohl: 2 467 407 DM) --davon 36 295 DM in 1990--, welche für die Veranlagungszeiträume 1982 bis 1990 auf ihren Antrag vom Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) gemäß § 2 Abs. 1 des Gesetzes über steuerliche Maßnahmen bei Auslandsinvestitionen der deutschen Wirtschaft (Auslandsinvestitionsgesetz --AIG--) vom 18. August 1969 (BGBl I 1969, 1211, 1214) --bis 1989 (vgl. § 8 Abs. 5 Satz 1 AIG)-- bzw. gemäß § 2a Abs. 3 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG 1990) --ab 1990 (vgl. § 52 Abs. 2 a EStG 1990)--, jeweils i.V.m. Art. 4 Abs. 1 und Art. 15 Abs. 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (DBA-Österreich 1954) vom 4. Oktober 1954 (BGBl II 1955, 749, BStBl I 1955, 369), mit den jeweiligen positiven inländischen Einkünften verrechnet wurden. Von 1991 bis 1994 erzielte die Klägerin in der Betriebsstätte Gewinne von insgesamt 1 191 672 DM, davon 746 828 DM im Streitjahr.

Das österreichische Steuerrecht kannte bis einschließlich 1988 keinen Verlustvortrag für beschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaften. Erst mit dem (österreichischen) Abgabenänderungsgesetz 1989 (österreichisches BGBl 1989, 660) wurde der Verlustabzug für gewerbliche Betriebsstätten in Österreich eingeführt, und zwar auch für solche vor dem 31. Dezember 1988 entstandene Verluste, die in den vorangegangenen sieben Jahren entstanden waren. Nach § 102 Abs. 2 Nr. 2 des österreichischen Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr maßgeblichen Fassung (öEStG 1988) konnte ein Verlustabzug allerdings nur insoweit beansprucht werden, als die Verluste der österreichischen Betriebsstätte die nicht der beschränkten Steuerpflicht unterliegenden Einkünfte überstiegen. Österreich ließ danach einen Verlustabzug nur subsidiär für den Fall zu, dass eine Verlustberücksichtigung im Stammhausstaat nicht möglich war (zur österreichischen Rechtslage im Einzelnen: Schuch/Haslinger in Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 24 Österreich Rz 4 ff.; Konezny in Gassner/Lang/Lechner, Das neue Doppelbesteuerungsabkommen Österreich-Deutschland, 1999, S. 293, 296 ff.). Da die Klägerin in den Veranlagungszeiträumen 1982 bis 1990 über ausreichend inländische Einkünfte verfügte, konnte ein Verlustabzug in Österreich von ihr nicht beansprucht werden.

Im Streitjahr führte das für die Besteuerung der Klägerin in Österreich zuständige Finanzamt eine Betriebsprüfung bei der österreichischen Betriebsstätte für die Veranlagungszeiträume 1990 bis 1992 durch. In dem danach erstellten Betriebsprüfungsbericht wurde festgehalten, "dass im vorliegenden Fall eine --wenn auch abstrakte-- Möglichkeit des Verlustabzuges gegeben ist, die aus Gründen des Einzelfalles versagt wurde".

Das FA rechnete daraufhin die positiven österreichischen Betriebsstätteneinkünfte gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 AIG, § 2a Abs. 3 Satz 3 EStG 1990 (jeweils i.V.m. § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes --KStG--) dem Gesamtbetrag der Einkünfte der Klägerin hinzu und versteuerte dadurch die insoweit zuvor bei der inländischen Veranlagung berücksichtigten Verluste aus der österreichischen Betriebsstätte nach (vgl. z.B. Oberfinanzdirektion --OFD-- Berlin, Verfügung vom 1. Oktober 1996, EStG-Kartei Berlin § 2a EStG Nr. 802 I; OFD Berlin, Verfügung vom 3. Februar 1998 EStG-Kartei Berlin § 2a EStG Nr. 802 II; OFD Karlsruhe, Verfügung vom 7. April 1998, EStG-Kartei Baden-Württemberg § 2a EStG Nr. 1.1).

Die anschließende Klage vor dem Finanzgericht (FG) hatte Erfolg. Das FG Berlin gab ihr durch Urteil vom 11. April 2005 8 K 8101/00, abgedruckt in Internationales Steuerrecht (IStR) 2005, 571, statt.

Das FA stützt seine Revision auf Verletzung materiellen Rechts.

Es beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Rechtslage nach deutschem Recht

Die Entscheidung über die Revision ist von der Beantwortung der im Leitsatz genannten Vorlagefragen abhängig. Sofern jene Fragen zu verneinen sind, müssen das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen werden. Ist eine der Fragen aber zu bejahen, ist die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

1. Die im Inland ansässige und hier mit ihren sämtlichen Einkünften (vgl. § 1 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 KStG) unbeschränkt steuerpflichtige Klägerin erwirtschaftete in ihrer in Österreich befindlichen Betriebsstätte Einkünfte aus einem gewerblichen Unternehmen i.S. von Art. 4 Abs. 1 DBA-Österreich 1954, für die Österreich, auf dessen Gebiet sich die Wirkung des Unternehmens erstreckt, das Besteuerungsrecht hat. Für solche Einkünfte, für die nach diesem Abkommen Österreich das Besteuerungsrecht zugewiesen worden ist, hat nach Art. 15 Abs. 1 DBA-Österreich 1954 Deutschland seinerseits kein Besteuerungsrecht. Die insoweit anzustellende Einkünfteermittlung richtet sich nach deutschem Recht.

2. Da sich der Begriff der Betriebsstätteneinkünfte auf einen Nettobetrag bezieht, entspricht es ständiger Rechtsprechung des Senats, dass auch Betriebsstättenverluste aus der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen sind. Der Senat nimmt insoweit auf diese Rechtsprechung Bezug (vgl. z.B. Senatsbeschlüsse vom 28. Juni 2006 I R 84/04, BStBl II 2006, 861, und vom 22. August 2006 I R 116/04, BStBl II 2006, 864 --beide zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt--; vom 13. November 2002 I R 13/02, BFHE 201, 73, BStBl II 2003, 795; Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, a.a.O., MA Art. 23 A Rz 57, jeweils m.w.N.) und hält an dieser auch für die mit Österreich vereinbarte Abkommenslage fest.

Auf diesem Regelungsverständnis, wonach das Besteuerungsrecht und das Fehlen desselben aufgrund der abkommensrechtlich vereinbarten Freistellung sich nicht nur auf positive, sondern auch auf negative Einkünfte bezieht (sog. Symmetriethese), bauen die (innerstaatliche) Regelungen des § 2 Abs. 1 Satz 3 AIG und des § 2a Abs. 3 EStG 1997 auf (vgl. Senatsbeschlüsse in BStBl II 2006, 861, und in BStBl II 2006, 864, sowie in BFHE 201, 73, BStBl II 2003, 795; Wassermeyer in Debatin/ Wassermeyer, a.a.O., MA Art. 23 A Rz 57). Durch die Bezugnahme auf § 2a Abs. 3 EStG 1997 im Protokoll zu dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (DBA-Österreich 2000) vom 24. August 2000 (BGBl I 2002, 734, BStBl I 2002, 584), dort in Abs. 12 Buchst. b zu Art. 24 des Abkommens, wird dieses Verständnis ausdrücklich als zwischen beiden Vertragsstaaten übereinstimmendes bestätigt. Dass die nämliche Abkommensregelung nach österreichischem Verständnis --nach der anderweitigen Spruchpraxis des österreichischen Verwaltungsgerichtshofs (Erkenntnis vom 25. September 2001 99/14/0217 E, IStR 2001, 754)-- hiervon abweichend gehandhabt wird, ändert daran nichts.

3. Allerdings wirkt sich die geschilderte Abkommenslage für gewerbliche Einkünfte aus einer in einem ausländischen Staat belegenen Betriebsstätte nach § 2 Abs. 1 Satz 1 AIG, § 2a Abs. 3 Satz 1 EStG 1990 (hier i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG) nicht aus, falls der Steuerpflichtige beantragt, einen Verlust, der sich nach den Vorschriften des inländischen Steuerrechts bei diesen Einkünften ergibt, bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte abzuziehen, soweit er vom Steuerpflichtigen ausgeglichen oder abgezogen werden könnte, wenn die Einkünfte nicht von der Einkommensteuer zu befreien wären, und soweit er nach dem betreffenden Doppelbesteuerungsabkommen zu befreiende positive Einkünfte aus gewerblicher Tätigkeit aus anderen in diesem ausländischen Staat belegenen Betriebsstätten übersteigt. Einen solchen Antrag hat die Klägerin im Streitfall gestellt und hiernach wurde dementsprechend verfahren.

4. Der abgezogene Betrag ist aber, soweit sich in einem der folgenden Veranlagungszeiträume bei den nach dem betreffenden Doppelbesteuerungsabkommen zu befreienden Einkünften aus gewerblicher Tätigkeit aus in diesem ausländischen Staat belegenen Betriebsstätten insgesamt ein positiver Betrag ergibt, nach § 2 Abs. 1 Satz 3 AIG, § 2a Abs. 3 Satz 3 EStG 1990 in dem betreffenden Veranlagungszeitraum bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte wieder hinzuzurechnen. Davon ist nach § 2 Abs. 1 Satz 4 AIG, § 2a Abs. 3 Satz 4 EStG 1990 (nur dann) abzusehen, wenn der Steuerpflichtige nachweist, dass nach den für ihn geltenden Vorschriften des ausländischen Staates ein Abzug von Verlusten in anderen Jahren als dem Verlustjahr allgemein nicht beansprucht werden kann. Davon unabhängig scheidet die Hinzurechnung nach der in dem erwähnten Protokoll in Abs. 12 Buchst. b Satz 2 zu Art. 24 DBA-Österreich 2000 getroffenen Vereinbarung aus, wonach bezogen auf Verluste, die in der Bundesrepublik Deutschland ansässige Personen ab dem Wirtschaftsjahr 1990 in österreichischen Betriebsstätten erleiden, "ab der Veranlagung 1994 ... Hinzurechnungen gemäß § 2a Abs. 3 dritter Satz des deutschen Einkommensteuergesetzes" mit Blick auf die andernfalls drohende Gefahr, dass ein Verlustabzug gänzlich entfällt, unterbleiben.

5. Die Klägerin hat u.a. im Streitjahr positive Einkünfte aus ihrer in Österreich belegenen Betriebsstätte erzielt. Der Nachversteuerungstatbestand des § 2 Abs. 1 Satz 3 AIG bzw. des § 2a Abs. 3 Satz 3 EStG 1990 ist sonach erfüllt.

Fraglich und unter den Beteiligten streitig ist lediglich, ob sie nach Satz 4 dieser Vorschriften von dieser Nachversteuerung zu verschonen ist. Das FG hat das angenommen, im Ergebnis aber zu Unrecht.

a) Denn davon, dass die Klägerin einen Abzug ihrer Betriebsstättenverluste in Österreich "allgemein" nicht beanspruchen könnte, kann keine Rede sein. Nach dem einschlägigen österreichischen Steuerrecht (§ 102 Abs. 2 Nr. 2 öEStG 1988) konnte sie dies nach den insoweit bindenden (vgl. § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) Feststellungen des FG nur deswegen nicht, weil sie in den Jahren der Verlustentstehung insgesamt Gewinne erwirtschaftet hat. "Allgemein" stand ihr der Verlustabzug also zu, er verbot sich lediglich konkret aus Gründen der verwirklichten Gegebenheiten des Einzelfalles. Das aber reicht nicht aus, um eine allgemeine Nichtbeanspruchung des Verlustabzugs i.S. von § 2 Abs. 1 Satz 4 AIG, § 2a Abs. 3 Satz 4 EStG 1990 annehmen zu können. Der Gefahr einer doppelten Beanspruchung von Verlustabzügen soll hierdurch abstrakt, nicht aber konkret vorgebeugt werden. Der Regelungswortlaut ist klar und eindeutig (im Ergebnis ebenso die ganz einhellige Meinung, vgl. z.B. Probst in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, Außensteuerrecht, § 2a EStG Rz 365; Wied in Blümich, EStG, KStG, GewStG, § 2a EStG Rz 157; Gosch in Kirchhof, EStG, 6. Aufl., § 2a Rz 95; Mössner in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 2a Rz E 35 a.E., E 38, jeweils m.w.N.). Er begrenzt etwaige Auslegungsmöglichkeiten und belässt in diesem Punkt keine weiteren Auslegungsspielräume, auch nicht aus Gründen eines gemeinschaftsrechtskonformen Verständnisses.

b) Bestätigt wird dieses Ergebnis mittelbar durch die erwähnte Protokollvereinbarung zu Art. 24 DBA-Österreich 2000, die zum einen gemäß Art. 30 DBA-Österreich 2000 Bestandteil dieses Abkommens und zum anderen über das Zustimmungsgesetz vom 26. März 2002 (BGBl II 2002, 734) in innerstaatliches Recht übergeleitet worden ist. Denn wenn dort bestimmt wird, dass Hinzurechnungen nach § 2a Abs. 3 Satz 3 EStG 1990 ab der Veranlagung 1994 ausgeschlossen sind, dann bedeutet dies zugleich, dass die Anwendung von § 2a Abs. 3 Satz 3 EStG 1990 bis dahin nach dem Willen der Vertragsstaaten, aber eben auch des deutschen Gesetzgebers trotz der restriktiven Verlustabzugsmöglichkeiten nach Maßgabe von § 102 Abs. 2 Nr. 2 öEStG 1988 nicht in Frage stand.

Gleichermaßen scheidet im Streitfall auch die unmittelbare Anwendung der Protokollvereinbarung aus. Diese greift zwar nach ihrem Abs. 12 Buchst. b Satz 2 "ab der Veranlagung 1994" und schließt Hinzurechnungen nach § 2a Abs. 3 Satz 3 EStG 1990 von da an aus. Aus dem Regelungszusammenhang zu Satz 1 der Vereinbarung ergibt sich aber zweifelsfrei, dass sich dies nur auf Verluste bezieht, die ab dem Wirtschaftsjahr 1990 in österreichischen Betriebsstätten erlitten wurden. Letzteres waren im Streitfall indes lediglich Verluste in Höhe von 36 295 DM (von ab 1982 aufgelaufenen Verlusten von insgesamt 2 467 407 DM). Dem stehen für die Hinzurechnung nach § 2a Abs. 3 Satz 3 EStG 1990 in der österreichischen Betriebsstätte zwischen 1991 bis 1994, dem Streitjahr, erwirtschaftete Gewinne von insgesamt (nur) 1 191 672 DM, davon 746 828 DM im Streitjahr, gegenüber, so dass die Verschonungsklausel in Abs. 12 Buchst. b Satz 2 des Protokolls nicht zum Zuge kommt (vgl. auch OFD München und Nürnberg, Verfügungen vom 10. Oktober 2003, ESt-Kartei Bayern DBA Österreich Karte 9.1; OFD Kiel, Verfügung vom 16. Februar 2004, ESt-Kartei Schleswig-Holstein DBA-Österreich Karte 4.1).

Unabhängig davon bringt die Protokollvereinbarung in Abs. 12 Buchst. b Satz 3 und 4 ohnehin zum Ausdruck, dass in Deutschland nicht berücksichtigungsfähige Verluste bis 1997 in erster Linie in Österreich und darüber hinaus grundsätzlich im jeweiligen Betriebsstättenstaat abzuziehen sind (s. auch Konezny, Steuer und Wirtschaft International 1999, 350; derselbe in Gassner/Lang/Lechner, a.a.O., S. 293 ff.).

III. Vereinbarkeit mit Gemeinschaftsrecht

Das FG-Urteil wäre danach aufzuheben, die Klage wäre abzuweisen. Der vorlegende Senat erachtet die unterschiedliche Behandlung von Steuerpflichtigen mit ausländischen Betriebsstättenverlusten einerseits und inländischen Betriebsstättenverlusten andererseits bei der Einkünfteermittlung (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 1, §§ 4 ff. EStG 1997) aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht jedoch nicht als zweifelsfrei. Sie könnte gegen die in Art. 31 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) vom 2. Mai 1992 (BGBl II 1993, 267) verbürgte Grundfreiheit der freien Wahl der Niederlassung verstoßen, deren nähere Bestimmung dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vorbehalten ist (vgl. Art. 234 Abs. 1 Buchst. a des Vertrages von Amsterdam zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften --EG-- sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- 1997 Nr. C-340/1).

1. Diese Grundfreiheit des Art. 31 des EWR-Abkommens ist hier insoweit einschlägig, als Österreich der Europäischen Union erst am 1. Januar 1995 beigetreten ist und somit im Streitjahr noch nicht Mitgliedstaat war. Eine Anwendung von Art. 52 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft --EGV-- (jetzt Art. 43 EG) kommt daher im Streitfall nicht in Betracht. Die durch Art. 31 des EWR-Abkommens verbürgte Niederlassungsfreiheit stimmt in ihrem wesentlichen Gehalt jedoch mit jener in Art. 52 EGV überein (vgl. EuGH-Urteil vom 23. Februar 2006 Rs. C-471/04 "Keller Holding", Amtsblatt der Europäischen Union --ABlEU-- 2006, Nr. C 131, 20, dort unter Tz. 47, 48, m.w.N.).

2. Der erkennende Senat hat durch den zitierten Beschluss in BStBl II 2006, 861 gemäß Art. 234 Abs. 3 EG bezogen auf die mit Art. 15 Abs. 1 DBA-Österreich 1954 vergleichbare Freistellung des Betriebsstättenverlustes in Art. 20 Abs. 2 Satz 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern vom 23. August 1958 (BGBl II 1959, 1270) den EuGH angerufen. Er hat diesem die Rechtsfrage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob es mit Art. 43 und Art. 56 EG vereinbar ist, wenn ein deutsches Unternehmen mit Einkünften aus Gewerbebetrieb Verluste aus einer Betriebsstätte in einem anderen Mitgliedstaat bei der Gewinnermittlung nicht abziehen kann, weil nach dem maßgeblichen Doppelbesteuerungsabkommen entsprechende Betriebsstätteneinkünfte nicht der deutschen Besteuerung unterliegen. Auch insoweit nimmt der Senat auf seinen erwähnten Vorlagebeschluss Bezug.

3. Die hiernach ausstehende Entscheidung des EuGH könnte im Ausgangspunkt für das vorliegende Streitverfahren einschlägig sein. Denn je nachdem, in welcher Weise man die Vorlagefrage jenes Beschlusses in BStBl II 2006, 861 beantwortet, leitet sich daraus die Folgefrage ab, in welcher Weise eine gemeinschaftsrechtskonforme Berücksichtigung der Betriebsstättenverluste sichergestellt werden kann. Befürwortet der EuGH den prinzipiellen Abzug der Verluste im Ansässigkeitsstaat des Unternehmens, stellt er diese Abzugsmöglichkeit aber unter den Vorbehalt einer späteren Nachversteuerung, wie sie in der Vergangenheit in Deutschland in § 2 Abs. 1 Satz 3 und 4 AIG, § 2a Abs. 3 Satz 3 und 4 EStG 1990 vorgesehen war, so muss diese Nachversteuerung ihrerseits in gemeinschaftsrechtskonformer Weise ausgestaltet und durchgeführt werden. Letzteres müsste auch dann sichergestellt werden, wenn ein Mitgliedsstaat ohne gemeinschaftsrechtlich bedingte Notwendigkeit den (liquiditätsschonenden) Abzug der Auslandsverluste unter Nachversteuerungsvorbehalt vorsieht.

4. Die gemeinschaftsrechtskonforme Ausgestaltung und Durchführung der Nachversteuerung erfordert prinzipiell die Gleichbehandlung zwischen Steuerpflichtigen mit in- wie ausländischen Betriebsstätteneinkünften. Der EuGH hat in seinem Urteil vom 13. Dezember 2005 Rs. C-446/03 "Marks and Spencer" (ABlEU 2006, Nr. C 36, 5) im Hinblick auf den Abzug der Verluste der in dem einen Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft bei der in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Muttergesellschaft allerdings einen tauglichen Rechtfertigungsgrund für eine Ungleichbehandlung darin gesehen, einen doppelten Verlustabzug im In- wie im Ausland nach Möglichkeit zu vermeiden. Diese Sichtweise hält der erkennende Senat für zutreffend. Er hat sie deswegen in seinem Beschluss in BStBl II 2006, 861 im Grundsatz auf die Verhältnisse zwischen (inländischem) Stammhaus und (ausländischer) Betriebsstätte für übertragbar gehalten.

5. Eine solche Konzeption könnte in § 2 Abs. 3 Satz 4 AIG, § 2a Abs. 3 Satz 4 EStG 1990 in sachgerechter Weise umgesetzt worden sein, indem dort die Nachversteuerung zunächst berücksichtigter Auslandsverluste für den Fall angeordnet wird, dass im anderen Mitgliedstaat die allgemeine Möglichkeit des Verlustabzugs besteht. Zwar ließe sich dieses Ergebnis auch --oder noch wirkungsvoller-- erreichen, wenn der Nachversteuerungstatbestand nur bei einem konkreten Verlustabzug im Ausland ausgelöst würde. Dagegen lassen sich jedoch Erwägungen einer leichteren verwaltungsseitigen Handhabbarkeit und generell der allgemeinen Steueraufsicht anführen. Gegen ein Abstellen auf den konkreten Verlustabzug spricht unter den Gegebenheiten des Streitfalls aber noch ein weiteres, nämlich der Umstand, dass Österreich den in Rede stehenden Abzug der Betriebsstättenverluste eines dort beschränkt Steuerpflichtigen seinerseits nach Lage der Dinge in gemeinschaftsrechtswidriger Weise beschränkt hat.

Nach der geschilderten Regelungslage in § 102 Abs. 2 Nr. 2 öEStG 1988 wird der in Österreich beschränkt Steuerpflichtige gegenüber dem unbeschränkt Steuerpflichtigen benachteiligt (vgl. dazu umfassend Schuch/Haslinger in Debatin/Wassermeyer, a.a.O., Art. 24 Österreich Rz 7 ff.). Es überzeugt dann jedenfalls nicht ohne weiteres, wenn die gemeinschaftsrechtswidrige Regelungslage in dem einen Mitgliedstaat --hier Österreich-- im Ergebnis durch den anderen Mitgliedstaat --hier Deutschland-- und zu dessen Lasten ausgeglichen werden müsste, um insgesamt ein gemeinschaftsrechtskonformes Ergebnis sicherzustellen. Dabei gilt es besonders zu berücksichtigen, dass nach Maßgabe der international geübten Praxis zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (vgl. Art. 7 Abs. 1 des Musterabkommens der OECD) und auch des zwischen Deutschland und Österreich abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommens das Besteuerungsrecht für die Einkünfte der Betriebsstätte in erster Linie dem Betriebsstättenstaat als dem Quellenstaat zugewiesen wird, nicht jedoch dem Ansässigkeitsstaat des Unternehmens. Diese bilaterale Verteilung des Besteuerungssubstrats ist auch für die europarechtliche Beurteilung im Ausgangspunkt und vorbehaltlich ihrer diskriminierungsfreien Umsetzung vorgreiflich (vgl. EuGH-Urteile vom 12. Mai 1998 Rs. C-336/96 "Gilly", EuGHE 1998, 2793; vom 5. Juli 2005 Rs. C-376/03 "D.", ABlEU 2005, Nr. C 271, 4; vom 14. Dezember 2006 Rs. C-170/05 "Denkavit", BFH/NV 2007, 159; Senatsurteil vom 9. November 2005 I R 27/03, BFHE 211, 493, BStBl II 2006, 564, jeweils m.w.N.). Es wäre so gesehen vorrangig Sache des Quellenstaats, für eine Besteuerung im Einklang mit dem EGV Sorge zu tragen. Dagegen wiederum ließe sich freilich einwenden Deutschland habe in § 2 Abs. 1 Satz 4 AIG, § 2a Abs. 3 Satz 4 EStG 1990 das Absehen von der Nachversteuerung nicht davon anhängig gemacht, dass die allgemeine Verlustberücksichtigung im Ausland in gemeinschaftsrechtswidriger Weise zugelassen oder abgelehnt wird. Das Gebot der folgerichtigen Umsetzung einer gesetzgeberischen Entscheidung könnte also nach sich ziehen, dass die Frage der gemeinschaftsrechtskonformen gesetzgeberischen Umsetzung des Verlustabzugs in dem anderen Mitgliedstaat unberücksichtigt zu bleiben hat (so prinzipiell für eine doppelte Berücksichtigung von Betriebsstättenverlusten denn auch M. Lang, IStR 2006, 550).

6. Unabhängig von dem Vorstehenden hat der EuGH in seinem Urteil in ABlEU 2006, Nr. C 36, 5 bezogen auf den Abzug der Verluste einer ausländischen Tochtergesellschaft bei der inländischen Muttergesellschaft entschieden, dass der Ansässigkeitsstaat der Muttergesellschaft den Verlustabzug ermöglichen müsse, wenn andernfalls ein Verlustabzug in beiden Staaten ausscheide und die Verluste für den Steuerpflichtigen damit im Ergebnis endgültig würden. Im Streitfall hat die Klägerin in ihrer österreichischen Betriebsstätte in den Jahren 1982 bis 1990 Verluste von insgesamt 2 467 407 DM und in den Jahren 1991 bis 1994 Gewinne von insgesamt 1 191 672 DM erwirtschaftet, per Saldo also einen Gesamtverlust von 1 275 735 DM. Nach den tatrichterlichen Feststellungen hat sie die Betriebsstätte im Streitjahr 1994 veräußert. Unterstellt man, dass sie deswegen diese verbliebenen Verluste im Falle einer Nachversteuerung nirgendwo mehr abziehen kann, könnte sich jene Nachversteuerung im Umfang anderweitig gänzlich unberücksichtigt bleibender Verluste aus Sicht des Gemeinschaftsrechts schon von daher und unbeschadet der abkommensrechtlichen Zuordnung der Betriebsstätteneinkünfte zwischen beiden beteiligten Mitgliedsstaaten verbieten.

7. Der Senat erachtet die Gemeinschaftsrechtslage zu den erwähnten Punkten nicht als derart eindeutig, dass er von einer Vorlage an den EuGH gemäß Art. 234 Abs. 3 EG absehen dürfte (vgl. EuGH-Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. C-283/81 "C.I.L.F.I.T.", EuGHE 1982, 3415).

IV. Vorlage an den EuGH

Der Senat setzt das Revisionsverfahren deshalb gemäß §§ 74, 121 FGO aus und legt dem EuGH die im Leitsatz formulierten Fragen gemäß Art. 234 Abs. 3 EG zur Vorabentscheidung vor.

Ende der Entscheidung

Zurück