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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 29.11.2006
Aktenzeichen: I R 51/05
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

FGO § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1
EStG § 1 Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, leben in Deutschland und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger ist Ingenieur und erzielte im Streitjahr (1997) Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit. Gegen den Einkommensteuerbescheid 1997 legten die Kläger Einspruch ein. Sie machten geltend, dass in dem vom Kläger erklärten Gewinn Einkünfte enthalten seien, die dieser aufgrund einer Beratungstätigkeit in Polen für ein dort ansässiges Unternehmen erzielt habe. Diese Einkünfte seien nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 18. Dezember 1972 --DBA-Polen 1972-- (BGBl II 1975, 646) steuerbefreit. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) wies den Einspruch als unbegründet zurück.

Die dagegen gerichtete Klage war erfolgreich. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) Rheinland-Pfalz vom 20. Januar 2004 2 K 1654/01 ist in Internationales Steuerrecht (IStR) 2004, 348 veröffentlicht.

Mit der Revision rügt das FA eine Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und zur Abweisung der Klage. Das FA hat die in Polen erzielten Einkünfte des Klägers zu Recht der Einkommensteuer unterworfen.

1. Der Kläger hatte im Streitjahr einen Wohnsitz im Inland. Er ist mithin gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) unbeschränkt steuerpflichtig mit der Folge, dass alle von ihm im Streitjahr erzielten Einkünfte der deutschen Einkommensteuer unterliegen. Sowohl das FG als auch die Beteiligten gehen ferner erkennbar davon aus, dass der Kläger aus abkommensrechtlicher Sicht in Deutschland ansässig war (Art. 4 Abs. 1 DBA-Polen 1972); der Senat sieht keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Annahme unzutreffend sein könnte.

2. Nach Art. 21 Abs. 1 Buchst. a DBA-Polen 1972 werden bei einer in Deutschland ansässigen Person Einkünfte aus selbständiger Arbeit von der Bemessungsgrundlage der deutschen Einkommensteuer ausgenommen, wenn die Einkünfte aus Quellen innerhalb Polens stammen und nach dem DBA-Polen 1972 in Polen besteuert werden können. Diese Regelung greift jedoch im Streitfall nicht ein. Denn nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 DBA-Polen 1972 können Einkünfte einer in Deutschland ansässigen Person aus einem freien Beruf oder aus sonstiger selbständiger Tätigkeit ähnlicher Art nur in Deutschland besteuert werden, es sei denn, dass die Person für die Ausübung ihrer Tätigkeit in Polen regelmäßig über eine feste Einrichtung verfügt. Diese Voraussetzung erfüllt der Kläger unstreitig nicht. Das schließt ein Besteuerungsrecht Polens und damit eine Steuerbefreiung der Einkünfte in Deutschland aus.

3. Eine abweichende Beurteilung ergibt sich nicht aus Art. 14 Abs. 2 DBA-Polen 1972.

a) Nach dieser Vorschrift können Vergütungen, die eine in Deutschland ansässige natürliche Person für die in Polen ausgeübte unselbständige oder selbständige Tätigkeit bezieht, nur in Deutschland versteuert werden, wenn (a) der Empfänger sich in Polen insgesamt nicht länger als 183 Tage während des betreffenden Kalenderjahres aufhält, (b) die Vergütungen von einer Person oder für eine Person gezahlt werden, die nicht in Polen ansässig ist und (c) die Vergütungen nicht von einer Betriebsstätte getragen werden, welche die Person, die die Vergütungen zahlt, in Polen hat. Die Kläger weisen zwar zu Recht darauf hin, dass die genannte Regelung im Hinblick auf die im Streitfall maßgeblichen Vergütungen kein ausschließliches deutsches Besteuerungsrecht begründet; es fehlt hierfür an der Voraussetzung, dass die Vergütungen nicht von einer oder für eine in Polen ansässige Person gezahlt worden sind. Dieser Hinweis kann der Revision jedoch nicht zum Erfolg verhelfen.

b) Das FA macht unter Berufung auf eine Auskunft des Bundesministeriums der Finanzen geltend, dass die Erwähnung der Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Art. 14 Abs. 2 DBA-Polen 1972 auf einem Redaktionsversehen beruhe. Für die Richtigkeit dieser Annahme könnte sprechen, dass Art. 14 DBA-Polen 1972 sich im Ausgangspunkt nur auf Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezieht und dass die Erwähnung der selbständigen Arbeit in Abs. 2 keinen inhaltlichen Bezug zum sonstigen Regelungsgehalt der Vorschrift aufweist. Dieser Umstand könnte umso gewichtiger erscheinen, als Art. 14 Abs. 2 DBA-Polen 1972 ausdrücklich auf Abs. 1 der Norm verweist ("ungeachtet des Absatzes 1"), die Abkommensbestimmung zu Einkünften aus selbständiger Arbeit (Art. 13 DBA-Polen 1972) hingegen nicht erwähnt; daraus könnte abzuleiten sein, dass Art. 14 Abs. 2 DBA-Polen 1972 nach der erkennbaren Vorstellung der Vertragsparteien nur eine Ausnahmeregelung zu Art. 14 Abs. 1 DBA-Polen 1972 enthalten, nicht aber die Einkünfte aus selbständiger Arbeit betreffen soll. Insoweit unterscheidet sich die hier zu beurteilende Vorschrift insbesondere von denjenigen in anderen Abkommen, in denen zwar die Besteuerungszuständigkeit des Tätigkeitsstaats u.a. von einer gewissen Dauer des Aufenthalts in jenem Staat abhängig gemacht wird, die einschlägige Anordnung aber eindeutig in die Gesamtregelung zu den Einkünften aus selbständiger Arbeit eingebunden ist (vgl. z.B. Art. 14 Abs. 1 Buchst. b der Doppelbesteuerungsabkommen mit Bangladesch und Pakistan sowie Art. 14 Abs. 1 Satz 3 der Abkommen mit Kasachstan, Lettland und Namibia). Dass im Hinblick auf Art. 14 Abs. 2 DBA-Polen 1972 ein solcher Zusammenhang nicht erkennbar ist, mag darauf hindeuten, dass die Worte "oder selbständige" --aus welchen Gründen auch immer-- versehentlich in die Norm aufgenommen worden sind.

c) Doch muss dieser Überlegung im Streitfall nicht weiter nachgegangen werden. Denn auch wenn ein Redaktionsversehen nicht vorliegen sollte oder das Vorliegen eines solchen Versehens bei der Auslegung des Abkommens nicht berücksichtigt werden könnte, würde dies nicht zu der von den Klägern begehrten Rechtsfolge führen. Denn in diesem Fall ist anzunehmen, dass Art. 14 Abs. 2 DBA-Polen 1972 im Hinblick auf Einkünfte aus selbständiger Arbeit nur dann eingreift, wenn eine in einem Vertragsstaat ansässige Person für die Ausübung ihrer Tätigkeit im anderen Vertragsstaat über eine feste Einrichtung i.S. des Art. 13 Abs. 1 DBA-Polen 1972 verfügt.

aa) Das ergibt sich zum einen aus der Systematik des Abkommens. Denn Art. 14 Abs. 2 DBA-Polen 1972 weist das Besteuerungsrecht unter den drei dort genannten Voraussetzungen dem Ansässigkeitsstaat zu. Einkünfte aus selbständiger Arbeit dürfen aber gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 1 DBA-Polen 1972 ohnehin vom Ansässigkeitsstaat besteuert werden. Deshalb ist eine erneute Zuweisung nur für solche Fälle sinnvoll, für die das Besteuerungsrecht dem Tätigkeitsstaat zugewiesen ist. Dies wiederum ist bezogen auf Einkünfte aus selbständiger Arbeit nur bei Vorliegen einer festen Einrichtung i.S. des Art. 13 Abs. 1 DBA-Polen 1972 der Fall. Die Kernaussage des Art. 14 Abs. 2 DBA-Polen 1972 lautet, was die Einkünfte aus selbständiger Arbeit angeht, bei einer solchen Auslegung demnach: Auch dann, wenn der Steuerpflichtige über eine feste Geschäftseinrichtung in Polen verfügt, können die für die in Polen ausgeübte selbständige Tätigkeit bezogenen Einkünfte gleichwohl unter den in Art. 14 Abs. 2 DBA-Polen 1972 genannten Voraussetzungen nur in Deutschland besteuert werden. Es handelt sich mithin im Verhältnis zu Art. 13 DBA-Polen 1972 nicht um eine Erweiterung, sondern vielmehr um eine Einschränkung des Besteuerungsrechts des Tätigkeitsstaats. Anderenfalls bliebe für die Ausgangsregelung in Art. 13 Abs. 1 Satz 1 DBA-Polen 1972 --vor allem wegen Art. 14 Abs. 2 Buchst. b DBA-Polen 1972-- letztlich kein Anwendungsbereich.

bb) Die vom FG vertretene gegenteilige Auslegung wäre zum anderen mit Sinn und Zweck des Art. 14 Abs. 2 DBA-Polen 1972 nicht vereinbar. Die dort getroffene Regelung schreibt eine ausschließliche Besteuerung des Wohnsitzstaates fest und durchbricht damit das Arbeitsortprinzip (vgl. dazu allgemein Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 15 MA Rz 85). Der Besteuerungsvorrang des Tätigkeitsstaats wird für solche Fälle aufgehoben, in denen die Tätigkeit nur einen verhältnismäßig schwachen Bezug zu diesem Staat aufweist. Dies ist aber nur dort sinnvoll, wo ein Besteuerungsvorrang des Tätigkeitsstaats überhaupt begründet worden ist, also --wiederum bezogen auf Art. 13 DBA-Polen 1972-- nur bei Vorliegen einer festen Geschäftseinrichtung.

4. Vor diesem Hintergrund sind die in Rede stehenden Einkünfte des Klägers nicht durch Art. 21 Abs. 1 Buchst. a DBA-Polen 1972 von der deutschen Besteuerung freigestellt. Über die Höhe dieser Einkünfte besteht zwischen den Beteiligten kein Streit. Angesichts dessen erweist sich der angefochtene Bescheid als rechtmäßig, so dass die gegen ihn gerichtete Klage unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils abgewiesen werden muss.

Ende der Entscheidung

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