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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 03.09.1999
Aktenzeichen: I R 54/98
Rechtsgebiete: FGO, BFHEntlG


Vorschriften:

FGO § 27 Abs. 2
FGO § 116 Abs. 1 Nr. 1
FGO § 115 Abs. 1
FGO § 27
FGO § 126 Abs. 1
FGO § 124 Abs. 1
BFHEntlG Art. 1 Nr. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Die Klage des Klägers und Revisionsklägers (Kläger), eines e.V., hat das Finanzgericht (FG) abgewiesen (Entscheidungen der Finanzgerichte 1998, 975). An der mündlichen Verhandlung, deren Beginn auf den 24. März 1998, 9 Uhr, angesetzt war, und an der anschließenden Entscheidung des FG hat u.a. der ehrenamtliche Richter D mitgewirkt.

Ausweislich zweier Schreiben des FG sollte ursprünglich an Stelle des D Frau V als ehrenamtliche Richterin an der Verhandlung teilnehmen. V war aber nicht zum Termin erschienen und konnte vom FG auch nicht telefonisch erreicht werden. Daraufhin wurde um 9.30 Uhr aus der Hilfsliste nach § 27 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) der ehrenamtliche Richter D kurzfristig fernmündlich nachgeladen.

Gegen 11.00 Uhr rief V bei Gericht an und erklärte, sie habe sich am Sitz des FG total verfahren und das Gericht nicht gefunden. Da sie dadurch zum Termin viel zu spät gekommen wäre, sei sie wieder nach Hause gefahren.

Mit seiner Revision rügt der Kläger die unvorschriftsmäßige Besetzung des erkennenden Gerichts nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO. Da nach dem Geschäftsverteilungsplan des Gerichts statt des ehrenamlichen Richters D Frau V hätte mitwirken müssen, sei das Gericht aus sachfremden Erwägungen falsch besetzt gewesen. § 27 Abs. 2 FGO greife tatbestandsmäßig nicht ein. V sei ersichtlich nicht an der Ausübung ihres Richteramts verhindert gewesen. Es widerspreche dem von einem ehrenamtlichen Richter zu erwartenden pflichtgemäßen Verhalten, sich nicht rechtzeitig über den Weg zum Gericht zu informieren bzw., ohne das Gericht zu unterrichten, einfach wieder nach Hause zu fahren. Der Umstand, daß dem Gericht der Grund für das Nichterscheinen unbekannt gewesen sei, habe das Gericht nicht zu der Annahme berechtigt, daß V aus einem triftigen Grund nicht erschienen und deshalb verhindert sei. Zwar müsse das Gericht den Verhinderungsgrund nach ständiger Rechtsprechung nicht nachprüfen. Diese Rechtsprechung basiere jedoch ersichtlich auf der Annahme, daß es sich um einen ehrenamtlichen Richter handele, der auf eine gewissenhafte Amtsführung bereits vereidigt sei. V sei jedoch nach Mitteilung des Gerichts frisch gewählt und noch nicht vereidigt gewesen. In diesem Fall müsse der Vorsitzende den Gründen des Ausbleibens weiter nachgehen und den Sitzungsbeginn solange aufschieben bzw. die Sitzung ganz vertagen, solange über den Hinderungsgrund keine Klarheit bestehe. Spätestens in der Mittagspause dürfte er den Verhinderungsgrund erfahren haben.

Mit Schreiben vom 5. Juni 1998 teilt das FG mit, daß der zuständige Senat erst am Tag nach Schluß der mündlichen Verhandlung den Verhinderungsgrund erfahren habe. Zwei weitere ehrenamtliche Richter aus der Hilfsliste, die in der Reihenfolge dem Richter D an sich vorausgegangen wären, hätten auf Anfrage erklärt, aus beruflichen Gründen nicht kurzfristig zur Verfügung zu stehen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und den Rechtsstreit zur neuerlichen Verhandlung an das FG zurückzuverweisen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.

II. Die Revision ist unzulässig. Sie ist durch Beschluß zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 1 FGO).

1. Nach § 115 Abs. 1 FGO i.V.m. Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs findet die Revision nur statt, wenn das FG oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof (BFH) sie zugelassen hat. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

2. Das Rechtsmittel ist auch nicht als zulassungsfreie Revision nach § 116 Abs. 1 FGO zulässig. Die zulassungsfreie Verfahrensrevision ist nur statthaft, wenn ein Mangel i.S. des § 116 Abs. 1 FGO schlüssig gerügt wird. Ein Verfahrensmangel ist schlüssig gerügt, wenn die zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachen --ihre Richtigkeit unterstellt-- einen Mangel i.S. von § 116 Abs. 1 FGO ergeben (vgl. z.B. BFH-Beschluß vom 9. November 1998 V R 67/97, BFH/NV 1999, 643, m.w.N.; Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 116 Rdnr. 3, m.w.N.). Der Kläger hat keine Tatsachen vorgetragen, aus denen auf eine Verletzung der Vorschriften über den gesetzlichen Richter geschlossen werden könnte.

a) Nach übereinstimmender Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte führt eine unrichtige Anwendung einer Vorschrift, die die Besetzung des Gerichts betrifft, nur dann zu einem Verfahrensfehler (hier:) i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO, wenn sich der Gesetzverstoß zugleich als Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes darstellt. Das gilt auch, wenn Vorschriften über die Beteiligung von ehrenamtlichen Richtern an einer mündlichen Verhandlung als verletzt gerügt werden. Eine gerichtliche Entscheidung verstößt gegen das Gebot des gesetzlichen Richters, wenn sie von willkürlichen Erwägungen bestimmt ist. Von Willkür kann nur die Rede sein, wenn die Entscheidung sich soweit von dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt hat, daß sie nicht mehr zu rechtfertigen ist (vgl. z.B. BFH in BFH/NV 1999, 643, m.w.N.; Gräber/Ruban, a.a.O., Rdnr. 4, m.w.N.).

b) Der Vortrag des Klägers ergibt nicht schlüssig, daß durch die Heranziehung des Richters D willkürlich von der gesetzmäßigen Reihenfolge bei der Heranziehung der ehrenamtlichen Richter, insbesondere von § 27 FGO abgewichen worden sein könnte. Vielmehr läßt er darauf schließen, daß die Voraussetzungen für die Heranziehung eines Ersatzrichters i.S. des § 27 Abs. 2 FGO vorgelegen haben.

aa) Die ehrenamtliche Richterin V ist --unstreitig-- nicht zur mündlichen Verhandlung am 24. März 1998 erschienen. Sie war --wie der Kläger vorträgt-- aufgrund Ortsunkenntnis nicht in der Lage gewesen, das Gebäude des FG zu finden. Sie war somit nach eigenem Vortrag des Klägers an der Teilnahme an der mündlichen Verhandlung verhindert.

bb) Diese Verhinderung war unvorhergesehen i.S. des § 27 Abs. 2 FGO. Eine unvorhergesehene Verhinderung liegt nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn sie dem Gericht nach Absendung der Ladung bekannt wird (vgl. z.B. BFH-Beschluß vom 18. Juni 1996 IV R 66/95, BFH/NV 1996, 840; BFH-Urteil vom 30. August 1994 IX R 42/91, BFH/NV 1995, 481; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts --BVerwG-- vom 25. April 1991 7 C 11/90, BVerwGE 88, 159). Der Kläger hat nicht vorgetragen, daß das Nichterscheinen der ehrenamtlichen Richterin aufgrund Ortsunkenntnis vorhersehbar gewesen sein könnte.

cc) Im allgemeinen ist zwar von dem verhinderten ehrenamtlichen Richter zu erwarten, daß er die Hinderungsgründe dem Gericht bekannt gibt. Tut er dies gleichwohl nicht, so ist die Heranziehung eines Ersatzrichters aber nicht bereits willkürlich. Eine Mitteilung von Gründen für die unvorhergesehene Verhinderung und deren Verifizierung schreibt § 27 Abs. 2 FGO nämlich nicht vor (BFH in BFH/NV 1996, 840; BFH-Beschluß vom 14. März 1986 VI R 11/85, BFH/NV 1986, 548; BVerwG-Urteil vom 22. Oktober 1985 7 C 78/84; Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 310, § 30 VwGO Nr. 20). So weicht das Gericht auch dann nicht ohne sachlichen Grund von der nach § 27 Abs. 1 FGO aufgestellten Liste ab, wenn der nach § 27 Abs. 1 FGO zuständige ehrenamtliche Richter unentschuldigt der Sitzung fernbleibt (BFH-Beschluß vom 10. April 1995 VIII R 69/94, BFH/NV 1995, 912; BVerwG-Beschluß vom 19. Juni 1975 6 C 9.75, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1976, 128; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 27 FGO Tz. 2). So gesehen kann auch nicht entscheidend sein, ob der ehrenamtliche Richter im Einzelfall die "unvorhergesehene Verhinderung" durch eigene Anstrengungen hätte vermeiden können. § 27 Abs. 2 FGO setzt eine "schuldlose" Verhinderung tatbestandsmäßig nicht voraus. Solange daher keine Anhaltspunkte vorgetragen werden, die für ein erkennbar willkürliches Verhalten des ehrenamtlichen Richters sprechen, kann die Heranziehung eines Ersatzrichters nicht als sachfremd beurteilt werden.

dd) Zwar hat der BFH in diesem Zusammenhang wiederholt ausgesprochen, daß sich das FG darauf verlassen darf, daß ein auf gewissenhafte Amtsführung vereidigter ehrenamtlicher Richter sich seiner richterlichen Pflicht nicht ohne zwingenden Grund entzieht (vgl. z.B. BFH-Beschluß vom 17. Januar 1989 VII R 187/85, BFH/NV 1989, 532, m.w.N.). Mit der Behauptung, ein ehrenamtlicher Richter sei noch nicht vereidigt gewesen, läßt sich aber nicht schlüssig darlegen, daß dieser stets pflichtwidrig handle.

Im übrigen würde ein zeitlich unbegrenztes Zuwarten bei Nichterscheinen eines noch nicht vereidigten ehrenamtlichen Richters oder --wie vom Kläger vorgeschlagen-- gar eine Vertagung sämtlicher Termine dem Sinn des § 27 Abs. 2 FGO zuwiderlaufen. Die Hilfsliste hat den Zweck, die planmäßige Abwicklung der zur mündlichen Verhandlung angesetzten Termine zu gewährleisten (BVerwG-Urteil vom 18. März 1976 2 C 8.74, HFR 1976, 538). Da somit ein plan- und zielloses Abwarten des Gerichts nicht im Sinne der Norm und auch nicht der Prozeßökonomie liegt, kann es auch nicht sachwidrig sein, wenn der Vorsitzende bei Nichterscheinen des noch nicht vereidigten ehrenamtlichen Richters von der durch § 27 Abs. 2 FGO eröffneten Möglichkeit Gebrauch macht.

Ende der Entscheidung

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