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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 22.02.2006
Aktenzeichen: I R 56/05
Rechtsgebiete: EGV, EG, EStG 1990, KStG 1996, EWGRL 435/90


Vorschriften:

EGV Art. 52
EGV Art. 73b
EGV Art. 73d
EG Art. 43
EG Art. 56
EG Art. 58
EStG 1990 § 20 Abs. 1 Nr. 1
EStG 1990 § 20 Abs. 1 Nr. 3
EStG 1990 § 36 Abs. 2 Nr. 3
KStG 1996 § 23 Abs. 1
KStG 1996 § 27 Abs. 1
KStG 1996 § 28 Abs. 4
KStG 1996 § 29 Abs. 2
KStG 1996 § 30 Abs. 1
KStG 1996 § 30 Abs. 2 Nr. 2
KStG 1996 § 40 Satz 1 Nr. 1
KStG 1996 § 40 Satz 1 Nr. 2
KStG 1996 § 44
KStG 1996 § 47 Abs. 2
KStG 1996 § 49 Abs. 1
KStG 1996 § 50 Abs. 1 Nr. 1
KStG 1996 § 50 Abs. 1 Nr. 2
KStG 1996 § 51
KStG 1996 § 52
EWGRL 435/90 Art. 5 Abs. 1
Dem EuGH werden zur Vorabentscheidung folgende Rechtsfragen vorgelegt:

1. Stellt es einen Abzug von der Quelle i.S. von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 435/90/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 (ABlEG Nr. L 225, 6, berichtigt ABlEG Nr. L 266, 20) über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (Mutter/Tochter-Richtlinie, nunmehr Art. 5 i.d.F. der Richtlinie 2003/123/EG vom 22. Dezember 2003, ABlEG 2004 Nr. L 7, 41) dar, wenn das nationale Recht vorschreibt, dass bei der Ausschüttung von Gewinnen durch eine Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft Einkünfte und Vermögensmehrungen der Kapitalgesellschaft besteuert werden, die nach nationalem Recht nicht besteuert würden, wenn sie bei der Tochtergesellschaft verblieben und nicht an die Muttergesellschaft ausgeschüttet würden.

2. Falls die erste Frage verneint wird: Ist es mit Art. 73b und 73d EGV (bzw. Art. 56 und 58 EG) sowie Art. 52 EGV (bzw. Art. 43 EG) vereinbar, wenn eine nationale Regelung die abweichende Verrechnung der Gewinnausschüttung einer Kapitalgesellschaft mit Eigenkapitalanteilen dieser Gesellschaft mit der Folge einer dadurch ausgelösten steuerlichen Belastung auch in Fällen vorsieht, in denen die Kapitalgesellschaft nachweist, dass sie an gebietsfremde Anteilseigner Dividenden ausgeschüttet hat, obwohl ein solcher Anteilseigner nach nationalem Recht anders als ein gebietsansässiger Anteilseigner nicht berechtigt ist, die festgesetzte Körperschaftsteuer auf seine eigene Steuer anzurechnen.


Gründe:

I. Sachverhalt und Streitstand

Anteilseigner der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin), einer GmbH, waren in den Streitjahren 1996 und 1997 zu gleichen Teilen eine niederländische sowie eine deutsche Kapitalgesellschaft, die in den Niederlanden ansässige BV und die in der Bundesrepublik ansässige Holding GmbH (Holding).

Nach Durchführung einer Außenprüfung setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) die zum 31. Dezember 1997 gegen die Klägerin festgestellten Teilbeträge des verwendbaren Eigenkapitals (vEK), die ungemildert der Körperschaftsteuer unterlegen haben, das sog. EK 45, von 6 049 925 DM auf 4 915 490 DM herab. Die Feststellungen, die dieser Minderung zugrunde liegen, sind zwischen den Beteiligten unstreitig.

Da das ursprüngliche EK 45 in voller Höhe für Gewinnausschüttungen der Streitjahre verwendet worden war, verrechnete das FA gemäß § 28 Abs. 4 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1996 die nach Herabsetzung nicht mehr durch tariflich belastetes vEK gedeckten Ausschüttungen mit Eigenkapital i.S. des § 30 Abs. 2 Nr. 2 KStG 1996 (EK 02), wodurch sich für beide Streitjahre Erhöhungen der Körperschaftsteuer ergaben. Gegen die geänderten Körperschaftsteuerbescheide und die Bescheide über die Feststellungen nach § 47 Abs. 2 KStG 1996 erhob die Klägerin Klage, mit der sie sich insoweit gegen die Anwendung des § 28 Abs. 4 KStG 1996 wandte, als die Gewinnausschüttungen an die BV mit dem EK 02 verrechnet worden waren. Die Verrechnung entspreche nicht dem Sinn und Zweck der Vorschrift.

Mit Urteil vom 29. April 2005 III 371/02 gab das Finanzgericht (FG) Hamburg der Klage statt. Sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2005, 1470 veröffentlicht.

Mit seiner Revision rügt das FA eine Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH)

Dem EuGH sind die im Leitsatz formulierten Rechtsfragen vorzulegen.

Gemäß Art. 234 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Buchst. a des Vertrags über die Gründung der Europäischen Gemeinschaften (hier nach der Zählung des Vertrages von Amsterdam zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften --EG--, sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- 1997 Nr. C-340/1) ist der Senat zur Vorlage verpflichtet. Die Rechtsfragen sind für das Revisionsverfahren entscheidungserheblich und betreffen die Auslegung von Europarecht. Diese ist dem EuGH vorbehalten, wenn die zutreffende Auslegung des o.g. Vertrages nicht derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel an der richtigen Anwendung des Gemeinschaftsrechts keinerlei Raum bleibt (s. EuGH-Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81 "C.I.L.F.I.T.", EuGHE 1982, 3415). Letzteres ist nicht der Fall.

A. Rechtslage nach deutschem Steuerrecht

1. a) Nach dem bis einschließlich 1999 geltenden Körperschaftsteuerrecht ist das Eigenkapital einer Kapitalgesellschaft zum Schluss jedes Wirtschaftsjahres in das für Ausschüttungen verwendbare Eigenkapital (vEK) und das übrige Eigenkapital aufzuteilen. Das vEK ist der Teil des Eigenkapitals, der das Nennkapital übersteigt (§ 29 Abs. 2 Satz 2 KStG 1996). Es wird gegliedert in Einkommensteile, die der Körperschaftsteuer unterlegen, und Vermögensmehrungen, die der Körperschaftsteuer nicht unterlegen haben (§ 30 Abs. 1 KStG 1996). Der Teilbetrag, der der Körperschaftsteuer nicht unterlegen hat, wird wiederum gemäß § 30 Abs. 2 KStG 1996 unterteilt in Eigenkapitalanteile, die aus ausländischen Einkünften entstanden sind (EK 01), sonstige Vermögensmehrungen, die der Körperschaftsteuer nicht unterlegen haben (EK 02), Eigenkapital, das vor dem 1. Januar 1977 entstanden ist (EK 03) sowie Einlagen (EK 04).

b) Das zu versteuernde Einkommen, das eine Kapitalgesellschaft erzielt, unterliegt regelmäßig einem Steuersatz von 45 v.H. (§ 23 Abs. 1 KStG 1996). Schüttet die Kapitalgesellschaft Gewinne aus, reduziert sich die Körperschaftsteuer auf 30 v.H. (§ 27 Abs. 1 KStG 1996). Auch Ausschüttungen von unbelastetem vEK werden grundsätzlich mit einem Steuersatz von 30 v.H. belegt. Die Körperschaftsteuer erhöht oder mindert sich entsprechend um den Unterschiedsbetrag zwischen der bei der Kapitalgesellschaft eingetretenen Belastung des Eigenkapitals (Tarifbelastung), das nach § 28 KStG 1996 als für die Ausschüttung verwendet gilt, und der Belastung, die sich hierfür bei Anwendung eines Steuersatzes von 30 v.H. des Gewinns vor Abzug der Körperschaftsteuer ergibt (Ausschüttungsbelastung, § 27 Abs. 1 KStG 1996). Die hiernach im Ausschüttungsfall bei der Kapitalgesellschaft erhobene Körperschaftsteuer in Höhe von 30 v.H. des Ausschüttungsbetrags wird unter bestimmten weiteren Voraussetzungen auf die vom Ausschüttungsempfänger zu zahlende Steuer angerechnet. Der Anrechnung liegt eine Steuerbescheinigung zu Grunde, die von der Kapitalgesellschaft ausgestellt wird und in der die auf den Ausschüttungsbetrag entfallende (anrechenbare) Körperschaftsteuer ausgewiesen wird (§ 44 Abs. 1 KStG 1996).

Die vorstehend beschriebene Regelung gilt allerdings nach § 40 Satz 1 Nr. 1 und 2 KStG 1996 (u.a.) nicht für Gewinnausschüttungen von steuerfreien ausländischen Einkünften (EK 01) und Einlagen (EK 04). Diese Ausschüttungen beziehen sich auf Vermögensmehrungen, die bei der ausschüttenden Kapitalgesellschaft nicht zur Entstehung einer Ertragsteuer geführt haben, und fließen auch den Anteilseignern unabhängig davon, ob sie gebietsansässig oder gebietsfremd sind, unbelastet zu. Bei Ausschüttungen von sonstigen steuerfreien Vermögensmehrungen (EK 02) und solchen aus dem EK 03 bleibt es hingegen bei der Ausschüttungsbelastung von 30 v.H. Da die Körperschaftsteuer bei Ausschüttungen aus dem EK 03 nichtanrechnungsberechtigten Anteilseignern auf Antrag unter bestimmten Voraussetzungen vergütet wird (§ 52 KStG 1996), wird die Steuerbefreiung der Vermögensmehrungen bei der Kapitalgesellschaft auf der Ebene der Anteilseigner letztlich nur bei Ausschüttungen aus dem EK 02 rückgängig gemacht.

Während unbeschränkt steuerpflichtigen Anteilseignern die Körperschaftsteuer jedoch --wie bei allen anderen Ausschüttungen auch-- auf die Einkommen- oder Körperschaftsteuer wieder angerechnet wird (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 und 3, § 36 Abs. 2 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes --EStG-- 1990, § 49 Abs. 1 KStG 1996), gilt dies nicht für Ausschüttungen aus dem EK 02 bei Anteilseignern, die nicht zur Anrechnung berechtigt sind.

Hierdurch kommt es in diesen Fällen zu einer definitiven Körperschaftsteuerbelastung von zuvor bei der Kapitalgesellschaft steuerfreien Vermögensmehrungen. Nichtanrechnungsberechtigt sind gemäß § 51 KStG 1996 Anteilseigner, bei denen die Einnahmen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 EStG 1990 nicht steuerpflichtig oder nach § 50 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 KStG 1996 bei der Veranlagung nicht erfasst werden, in der ganz überwiegenden Mehrzahl der Fälle also Gebietsfremde.

c) In welcher Reihenfolge das Eigenkapital für Ausschüttungen als verwendet gilt, unterliegt nicht dem Belieben der Kapitalgesellschaft, sondern ist in § 28 Abs. 3 i.V.m. § 30 KStG 1996 vorgeschrieben: Zuerst gilt das mit Körperschaftsteuer belastete, danach das unbelastete vEK als für die Ausschüttung verwendet. Innerhalb des unbelasteten vEK gilt zunächst das EK 01, sodann EK 02, EK 03 und schließlich EK 04 als verwendet.

Eine Ausnahme von dieser regelmäßigen Verwendungsreihenfolge schreibt § 28 Abs. 4 KStG 1996 für die Fälle vor, in denen zunächst Teilbeträge des vEK i.S. von § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 oder 2 KStG 1996, also Teilbeträge, die der Körperschaftsteuer unterlegen haben, als verwendet galten, später aber für die Verrechnung der Gewinnausschüttung nicht mehr ausreichten. In dieser Situation ist die Ausschüttung insoweit, als sie nicht durch die belasteten vEK-Beträge abgedeckt wird, mit dem EK 02 zu verrechnen.

§ 28 Abs. 4 KStG 1996 dient dem Ziel, Systembrüche im Zusammenhang mit der Weiterausschüttung ausländischer Einkünfte zu verhindern. Solche hätten sich ergeben, wenn eine unbeschränkt steuerpflichtige Körperschaft steuerfreie ausländische Einkünfte erzielt, die in das EK 01 eingehen, deren Ausschüttung aber nicht zur Herstellung der Ausschüttungsbelastung führt (§ 40 Satz 1 Nr. 1 KStG 1996). In Fällen dieser Art hätte es bei Einhaltung der Verwendungsreihenfolge des § 28 Abs. 3 KStG 1996 dazu kommen können, dass zunächst mit belastetem vEK verrechnete Ausschüttungen später mit EK 01 verrechnet worden wären, ohne dass die den Gesellschaftern als Voraussetzung für die Steueranrechnung erteilten Steuerbescheinigungen (§ 44 KStG 1996) hätten rückgängig gemacht und zurückgefordert werden können. Die Folge wäre gewesen, dass den Gesellschaftern eine Körperschaftsteuer angerechnet worden wäre, die die Gesellschaft letztlich nicht gezahlt hat (BTDrucks 12/4487, S. 40; Senatsurteil vom 25. April 2001 I R 43/00, BFH/NV 2001, 1607, m.w.N.). Dies verhindert § 28 Abs. 4 KStG 1996, indem er eine Verrechnung mit EK 02 anordnet, dessen Ausschüttung bei der Gesellschaft zur Herstellung der Ausschüttungsbelastung führt.

2. Die Gefahr einer Anrechnung nicht gezahlter Körperschaftsteuer, der § 28 Abs. 4 KStG 1996 begegnen soll, besteht für den Regelfall nur im Verhältnis zu in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtigen Anteilseignern. Denn für nur beschränkt steuerpflichtige Anteilseigner schließt § 50 Abs. 5 Satz 2 EStG 1990 die Anrechnung von Körperschaftsteuer generell aus, sofern nicht die Ausschüttungen Betriebseinnahmen des Anteilseigners aus einem von diesem unterhaltenen inländischen Betrieb sind (§ 50 Abs. 5 Satz 3 EStG 1990). Dementsprechend kann im Streitfall, in dem die letztgenannte Voraussetzung unstreitig nicht erfüllt ist, die BV im Zusammenhang mit der Ausschüttung der Klägerin unabhängig von der Ausstellung einer Steuerbescheinigung keine Körperschaftsteuer anrechnen. Dies führt indessen nicht dazu, dass § 28 Abs. 4 KStG 1996 im Streitfall nicht anwendbar wäre.

Denn der Wortlaut des § 28 Abs. 4 KStG 1996 ist eindeutig und belässt keine Auslegungsmöglichkeiten. Der Anwendungsbereich der Vorschrift kann nicht ihrem Zweck entsprechend auf anrechnungsberechtigte Anteilseigner eingeschränkt werden. Auch für die Annahme einer Regelungslücke ist kein Raum; dem Gesetzgeber kann nicht unterstellt werden, er habe übersehen, dass die Vorschrift bei nichtanrechnungsberechtigten Anteilseignern zu zweckwidrigen Ergebnissen führt. Er hat die insoweit überschießende Rechtsfolge vielmehr ersichtlich in Kauf genommen. § 28 Abs. 4 KStG 1996 ist daher auch bei nichtanrechnungsberechtigten Anteilseignern anzuwenden.

B. Vereinbarkeit mit Gemeinschaftsrecht

Der Revision wäre deswegen zu entsprechen. Das erstinstanzliche Urteil müsste aufgehoben und die Klage abgewiesen werden. Anders verhielte es sich nur, wenn die Herstellung der Ausschüttungsbelastung von Ausschüttungen aus dem EK 02 gegen Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 435/90/EWG (EWGRL 435/90) des Rates vom 23. Juli 1990 (ABlEG Nr. L 225, 6, berichtigt ABlEG Nr. L 266, 20) über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (im Folgenden als Mutter/Tochter-Richtlinie --MTR-- bezeichnet), nunmehr Art. 5 i.d.F. der Richtlinie 2003/123/EG vom 22. Dezember 2003 (ABlEG 2004 Nr. L 7, 41) verstößt oder § 28 Abs. 4 KStG 1996 mit der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 73b und 73d mit Art. 58 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft --EGV--, jetzt Art. 56, 58 und 48 EG oder mit der Niederlassungsfreiheit (Art. 52 EGV, Art. 43 EG) insoweit unvereinbar ist, als er eine abweichende Verwendungsreihenfolge bei Ausschüttungen auch dann vorschreibt, wenn an gebietsfremde Anteilseigner ausgeschüttet wird und die Kapitalgesellschaft dies zweifelsfrei nachweist.

1. Die Richtlinie bezweckt, jede Benachteiligung der Zusammenarbeit zwischen Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten gegenüber der Zusammenarbeit zwischen Gesellschaften desselben Mitgliedstaates zu beseitigen und damit den Zusammenschluss von Gesellschaften auf Gemeinschaftsebene zu erleichtern. Zur Vermeidung der Doppelbesteuerung sieht Art. 5 Abs. 1 MTR vor, dass im Staat der Tochtergesellschaft bei der Gewinnausschüttung eine Befreiung vom Steuerabzug an der Quelle gewährt wird.

Die Körperschaftsteuer, die durch die Ausschüttung von EK 02 ausgelöst wird, ist zwar eine Steuer der Kapitalgesellschaft. Die Besteuerung wird jedoch durch die Zahlung der Dividende ausgelöst. Auch der Umfang der Besteuerung richtet sich unmittelbar nach der Höhe der vorgenommenen Ausschüttung. Ohne Gewinnausschüttung bleibt die Steuerfreiheit der Teilbeträge des EK 02 hingegen erhalten.

In seinem Urteil vom 4. Oktober 2001 Rs. C-294/99 "Athinaiki Zythopoiia AE" (EuGHE I 2001, 6797) hat der Gerichtshof entschieden, dass ein Steuerabzug von der Quelle i.S. von Art. 5 Abs. 1 MTR auch dann vorliegt, wenn das nationale Recht vorschreibt, dass bei der Ausschüttung von Gewinnen durch eine Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft Einkünfte und Vermögensmehrungen der Tochtergesellschaft besteuert werden, die nach nationalem Recht nicht besteuert würden, wenn sie bei der Tochtergesellschaft verblieben.

In ähnlicher Weise werden auch bei der im Streitfall zu beurteilenden Situation Vermögensmehrungen, die bei der Kapitalgesellschaft selbst steuerfrei sind, im Ergebnis erst und nur insoweit der Besteuerung unterworfen, als sie an Anteilseigner ausgeschüttet werden. Diese Besteuerung wird nur deswegen definitiv, weil der betreffende Anteilseigner als Gebietsfremder nicht zur Anrechnung der Körperschaftsteuer berechtigt ist. § 27 KStG 1996 könnte gegen Art. 5 Abs. 1 MTR verstoßen, da Ausschüttungen an gebietsfremde Muttergesellschaften auch dann der Körperschaftsteuer unterworfen werden, wenn das hierzu verwendete vEK aus steuerfreien Vermögensmehrungen herrührt.

2. Verstößt § 27 KStG 1996 nicht gegen Art. 5 Abs. 1 MTR, erhebt sich die Frage, ob § 28 Abs. 4 KStG 1996 deshalb mit Art. 73b und 73d EGV bzw. Art. 56 und 58 EG (Freiheit des Kapitalverkehrs) oder mit Art. 52 EGV bzw. Art. 43 EG (Freiheit der Niederlassung) unvereinbar ist, weil er eine Abweichung von der normalen Verwendungsreihenfolge von Ausschüttungen auch in Fällen vorsieht, in denen die Kapitalgesellschaft an gebietsfremde Anteilseigner Dividenden ausschüttet und diese Voraussetzungen nachweist.

a) § 28 Abs. 4 KStG 1996 zielt allein darauf ab, zu verhindern, dass Körperschaftsteuer bei den Anteilseignern angerechnet wird, die die Kapitalgesellschaft nicht entrichtet hat. Obwohl diese Gefahr nur bei anrechnungsberechtigten Anteilseignern besteht, behandelt § 28 Abs. 4 KStG 1996 anrechnungsberechtigte und nichtanrechnungsberechtigte Anteilseigner gleich. Dies führt bei Ausschüttungen an --regelmäßig nicht anrechnungsberechtigte-- gebietsfremde Anteilseigner zu einer definitiven Körperschaftsteuerbelastung, während gebietsansässige Anteilseigner unter ansonsten gleichen Voraussetzungen die Körperschaftsteuer anrechnen können.

b) Dieser Nachteil kann sich beschränkend auf die Beteiligung von gebietsfremden Muttergesellschaften an gebietsansässigen Tochtergesellschaften auswirken, indem gebietsfremde Unternehmen davon abgehalten werden, sich an Unternehmen in Deutschland zu beteiligen. Art. 73b und 73d EGV bzw. Art. 56 und 58 EG sowie Art. 52 EGV bzw. Art. 43 EG verlangen nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs aber nicht nur die Beseitigung jeglicher, auch versteckter Diskriminierung des Gebietsfremden, sondern auch die Aufhebung aller Beschränkungen des freien Kapitalverkehrs und der freien Niederlassung, die darauf beruhen, dass derjenige, der von diesen Rechten Gebrauch machen will, in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen ansässig ist, in dem er sich beteiligen will. In diesem Zusammenhang verleihen Art. 73b und 73d EGV (bzw. Art. 56 und 58 EG) und Art. 52 EGV (bzw. Art. 43 EG) nicht nur der gebietsfremden Muttergesellschaft selbst, sondern auch dem gebietsansässigen Tochterunternehmen entsprechende Rechte, weil deren Möglichkeit, bei nicht in Deutschland ansässigen Investoren Kapital aufzunehmen, eingeschränkt wird (vgl. --bezogen auf die Kapitalverkehrsfreiheit-- z.B. EuGH-Urteil vom 19. Januar 2006 Rs. C-265/04 "Bouanich", Internationales Steuerrecht --IStR-- 2006, 169 Tz. 34, und --bezogen auf die Niederlassungsfreiheit-- z.B. Scheuer in Lenz/Borchardt, EU- und EG-Vertrag, 3. Aufl., Art. 43 Rz. 7 ff., m.w.N., zur ständigen Rechtsprechung des EuGH). Die Klägerin kann deswegen als Beteiligungsgesellschaft Rechte aus diesen Bestimmungen geltend machen.

c) Nach der Rechtsprechung des EuGH kann eine derartige Beschränkung zulässig sein, wenn mit ihr ein berechtigtes, mit dem EG-Vertrag zu vereinbarendes Ziel verfolgt wird und wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. In einem solchen Fall muss allerdings ihre Anwendung zur Erreichung des damit verfolgten Zieles geeignet sein und darf nicht über das hinausgehen, was hierzu erforderlich ist (ständige Rechtsprechung des EuGH, vgl. z.B. Urteile vom 13. Dezember 2005 Rs. C-446/03 "Marks & Spencer plc", Der Betrieb --DB-- 2005, 2788; Rs. C-411/03 "SEVIC Systems AG", Betriebs Berater --BB-- 2006, 11).

aa) Das mit § 28 Abs. 4 KStG 1996 verfolgte Ziel, zu verhindern, dass Anteilseignern Körperschaftsteuer angerechnet wird, die die ausschüttende Körperschaft nicht bezahlt hat, ist ein berechtigtes Anliegen, das die Regelung nach Auffassung des Senats grundsätzlich rechtfertigt. Zwar sind im Ausland ansässige Gesellschafter nach der Regelungslage nichtanrechnungsberechtigt. Jedoch rechtfertigen die Schwierigkeiten, insbesondere bei Publikumsgesellschaften die Anteilseigner zu ermitteln, die Ungleichbehandlung von Ausschüttungen an gebietsansässige und an gebietsfremde Anteilseigner. Es fällt in die Risikosphäre der Kapitalgesellschaft, wenn sie Ausschüttungen vornimmt, obwohl zweifelhaft ist, dass ausreichendes belastetes vEK vorhanden ist.

bb) Es ist aber fraglich, ob die Regelung nicht über das hinausgeht, was erforderlich ist, um das verfolgte Ziel zu erreichen (vgl. EuGH-Urteil in DB 2005, 2788 Tz. 53). Jedenfalls in Fällen, in denen die Kapitalgesellschaft zweifelsfrei nachweist, dass an einen gebietsfremden Anteilseigner ausgeschüttet wurde, und daher die Gefahr einer Steuererstattung nicht entrichteter Körperschaftsteuer nicht gegeben ist, ist es möglicherweise gemeinschaftsrechtlich geboten, diesen Umstand bei der Besteuerung der ausschüttenden Gesellschaft zu berücksichtigen. Es spricht viel dafür, dass § 28 Abs. 4 KStG 1996 gebietsfremde Anteilseigner insofern willkürlich diskriminiert (vgl. Art. 73d Abs. 3 EGV, Art. 58 Abs. 3 EG).

d) Eine Verpflichtung, die besondere Situation gebietsfremder Anteilseigner bei der Regelung des § 28 Abs. 4 KStG 1996 zu berücksichtigen, könnte sich auch aus den Grundsätzen der Entscheidung des Gerichtshofs der European Free Trade Association (EFTA) vom 23. November 2004 E-1/04 "Fokus Bank" (IStR 2005, 55) ergeben.

aa) Darin hat der EFTA-Gerichtshof ausgeführt, es sei mit Art. 40 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 (BGBl II 1993, 267), der inhaltlich mit Art. 56 EG übereinstimmt, nicht vereinbar, dass ansässige Anteilseigner ein Steuerguthaben auf Dividendenzahlungen einer gebietsansässigen Gesellschaft erhalten, gebietsfremde Anteilseigner dagegen nicht. Gebietsfremde und Gebietsansässige befänden sich in einer vergleichbaren Situation. Dividenden, die ansässige Gesellschaften an gebietsfremde Anteilseigner zahlten, seien daher nicht anders zu behandeln als Dividenden, die nicht ansässige Gesellschaften an ansässige Anteilseigner zahlten (sog. Inbound-Dividenden, siehe hierzu EuGH-Urteil vom 7. September 2004 Rs. C-319/02 "Manninen", EuGHE I 2004, 7477).

Der Zweck des Anrechnungssystems sei es, die wirtschaftliche Doppelbelastung zu vermeiden, die eintrete, wenn Gewinne, die bereits auf der Ebene der Kapitalgesellschaften besteuert worden seien, nachfolgend auf der Ebene der Gesellschafter besteuert würden. Dieser Zweck könne nur erreicht werden, wenn allen Anteilseignern der Vorteil des Anrechnungsguthabens gewährt werde, unabhängig davon, wo sie ansässig seien.

bb) Hieraus könnte zu folgern sein, dass die wirtschaftliche Doppelbelastung, die bei Ausschüttungen aus dem EK 02 entsteht, entweder dadurch beseitigt werden muss, dass das nationale Recht nichtansässigen Anteilseignern die Körperschaftsteuer vergütet, oder aber, wenn das Gesetz diese Möglichkeit nicht vorsieht, dass Ausschüttungen von zuvor steuerfreien Vermögensmehrungen der Kapitalgesellschaft jedenfalls dann nicht besteuert werden, wenn die Kapitalgesellschaft nachweist, dass sie an gebietsfremde Anteilseigner ausgeschüttet hat und die Gefahr einer Steueranrechnung nicht gegeben ist, weil diesen Personen keine Steuerbescheinigung ausgestellt wird.

III. Aussetzung des Revisionsverfahrens

Das Revisionsverfahren wird in entsprechender Anwendung der §§ 74, 121 der Finanzgerichtsordnung bis zur Bekanntgabe der Entscheidung des EuGH über die vorgelegten Rechtsfragen ausgesetzt.

Ende der Entscheidung

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