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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 23.09.2008
Aktenzeichen: I R 57/07
Rechtsgebiete: FGO, EStG, DBA-Frankreich


Vorschriften:

FGO § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1
FGO § 110 Abs. 1 Satz 4
EStG § 39b Abs. 6
DBA-Frankreich Art. 13 Abs. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichten bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine deutsche Staatsangehörige, ist Angestellte der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) in Karlsruhe. Seit 1991 hat sie ihren Wohnsitz im Elsass. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) bestätigte ihren sog. Grenzgängerstatus in widerruflichen und befristeten Freistellungsbescheinigungen nach § 39b Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Die Einkünfte der Klägerin aus nichtselbständiger Tätigkeit wurden daher von der VBL nicht dem Lohnsteuerabzug unterworfen, sondern in Frankreich besteuert (Art. 13 Abs. 5 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern vom 21. Juli 1959, BGBl II 1961, 398, mit späteren Änderungen --DBA-Frankreich--).

Mit Bescheid vom 25. Juli 2003 widerrief das FA die zuletzt erteilte Freistellungsbescheinigung vom 4. Januar 2001 mit Wirkung zum 1. Januar 2003. Es war der Auffassung, aufgrund des Kassenstaatsprinzips nach Art. 14 Abs. 1 DBA-Frankreich stehe Deutschland das Besteuerungsrecht für die Lohneinkünfte der Klägerin zu, weil sie bei der VBL und damit einer Anstalt des öffentlichen Rechts beschäftigt sei, die keine Gewinnerzielungsabsicht habe (Art. 14 Abs. 3 DBA-Frankreich). Die sog. Grenzgängerregelung des Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich könne daher nicht auf die Klägerin angewandt werden.

Das Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg, Außensenate Karlsruhe, hat der deswegen erhobenen, in ihrem Hauptantrag auf Aufhebung des Widerrufsbescheids gerichteten Klage mit Urteil vom 26. Juni 2007 1 K 421/04, veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 1401, soweit sie hilfsweise als Fortsetzungsfeststellungsklage fortgeführt wurde, stattgegeben und festgestellt, dass der Widerruf der Freistellungsbescheinigung rechtswidrig gewesen sei.

Mit seiner Revision rügt das FA eine Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Das FG hat zutreffend entschieden, dass die Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig ist (§ 100 Abs. 1 Satz 4 FGO), weil die Klägerin ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Widerrufs der Freistellungsbescheinigung hat. Das FA hat auch in der Folgezeit der Klägerin keine Freistellungsbescheinigung nach § 39b Abs. 6 EStG erteilt und ferner die Lohnsteuer nachgefordert. Das berechtigte Interesse der Klägerin besteht daher sowohl unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr als auch unter dem der Prozessökonomie (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 7. Juni 1989 X R 12/84, BFHE 157, 370, BStBl II 1989, 976).

2. Das FG hat aber zu Unrecht angenommen, dass der Widerruf der Freistellungsbescheinigung rechtswidrig gewesen sei. Die Klägerin kann für die von der VBL erhaltenen Bezüge keine Freistellungsbescheinigung gemäß § 39b Abs. 6 EStG i.V.m. Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich beanspruchen. Das Besteuerungsrecht für diese Einkünfte steht nicht Frankreich, sondern Deutschland zu.

a) Die in Frankreich wohnende Klägerin ist in Deutschland mit ihren inländischen Einkünften aus ihrer hier ausgeübten nichtselbständigen Arbeit gemäß § 1 Abs. 4 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG beschränkt einkommensteuerpflichtig. Nach Art. 13 Abs. 1 DBA-Frankreich steht das Besteuerungsrecht für Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit grundsätzlich dem Tätigkeitsstaat zu. Abweichend hiervon bestimmt Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich, dass Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit von Personen, die im Grenzgebiet eines Vertragsstaates arbeiten und ihre ständige Wohnstätte, zu der sie in der Regel jeden Tag zurückkehren, im Grenzgebiet des anderen Vertragsstaates haben, nur in diesem anderen Staat besteuert werden. Die Klägerin erfüllt zwar diese Voraussetzungen. Die sog. Grenzgängerregelung des Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich ist aber durch die Sonderregelung des Art. 14 Abs. 1 DBA-Frankreich ausgeschlossen (vgl. Senatsurteil vom 5. September 2001 I R 88/00, BFH/NV 2002, 623).

b) Nach Art. 14 Abs. 1 DBA-Frankreich können Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen sowie Ruhegehälter, die einer der Vertragsstaaten, ein Land oder eine juristische Person des öffentlichen Rechts dieses Staates oder Landes an in dem anderen Staat ansässige natürliche Personen für gegenwärtige oder frühere Dienstleistungen in der Verwaltung oder in den Streitkräften zahlt, grundsätzlich nur in dem erstgenannten Staat besteuert werden. Diese Regelung greift im Streitfall ein.

aa) Die VBL ist nach § 1 ihrer Satzung (VBLS) eine Anstalt des öffentlichen Rechts und damit eine juristische Person des öffentlichen Rechts.

bb) Die Klägerin erhält ihren Lohn von der VBL für "Dienstleistungen in der Verwaltung".

aaa) Das Merkmal "in der Verwaltung" erfordert eine gewisse Einbindung des Dienstleistenden in eine Gebietskörperschaft oder juristische Person des öffentlichen Rechts und grenzt einmalige oder gelegentliche Leistungen von selbständig oder gewerblich Tätigen für die Verwaltung aus dem Anwendungsbereich des Art. 14 Abs. 1 DBA-Frankreich aus (vgl. Kramer in Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 14 Frankreich Rz 11). Ferner fordert es eine Dienstleistung für die Gebietskörperschaft oder juristische Person des öffentlichen Rechts. Allein die Besoldung durch Bund, Länder oder sonstige juristische Personen des öffentlichen Rechts reicht demnach nicht aus, wenn der Bedienstete --wie im Sachverhalt, der dem Senatsurteil vom 17. Dezember 1997 I R 60-61/97 (BFHE 185, 376, BStBl II 1999, 13) zugrunde lag-- mittels Dienstleistungsüberlassungsvertrag einem privaten Steuersubjekt überlassen wird und diesem das Weisungs- und Direktionsrecht zusteht. Ebenso wenig fallen --wie sich aus Art. 14 Abs. 3 DBA-Frankreich ergibt-- auf Gewinnerzielung gerichtete gewerbliche Tätigkeiten eines Vertragsstaates, eines Landes oder einer juristischen Person des öffentlichen Rechts dieses Staates oder Landes unter Art. 14 Abs. 1 DBA-Frankreich.

bbb) Eine weitere Abgrenzung danach, ob mit den Dienstleistungen unmittelbar öffentliche Aufgaben verwirklicht werden, ist entgegen der Auffassung des FG nicht vorzunehmen. Vielmehr können auch Dienstleistungen, die z.B. im Bereich der Vermögensverwaltung oder auf privatrechtlicher Grundlage erbracht werden, unter Art. 14 Abs. 1 DBA-Frankreich fallen. Dies folgt zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der Bestimmung, der mehrere Deutungsmöglichkeiten zulässt; es ergibt sich jedoch aus dem Aufbau des Art. 14 DBA-Frankreich. Die Regelung in Art. 14 Abs. 3 DBA-Frankreich, nach der Zahlungen für Dienstleistungen, die im Zusammenhang mit einer auf Gewinnerzielung gerichteten gewerblichen Tätigkeit eines der beiden Vertragsstaaten, eines Landes oder einer juristischen Person des öffentlichen Rechts dieses Staates oder Landes stehen, nicht unter Art. 14 Abs. 1 DBA-Frankreich fallen, wäre überflüssig, wenn bereits nach Art. 14 Abs. 1 DBA-Frankreich alle Tätigkeiten, die nicht der unmittelbaren Erfüllung öffentlicher Aufgaben dienten, von der Geltung des Kassenstaatsprinzips ausgeschlossen wären. Dies spricht dafür, dass Art. 14 Abs. 1 DBA-Frankreich allein an die öffentlich-rechtliche Rechtsform des Dienstherrn anknüpft und alle Aufwendungen für Arbeitnehmer oder Personen mit arbeitnehmerähnlicher Einbindung in die Verwaltung der juristischen Personen erfassen will. Nur dann, wenn die juristischen Personen des öffentlichen Rechts wie Privatrechtssubjekte eine auf Gewinnerzielung ausgerichtete Tätigkeit ausüben, wird das Kassenstaatsprinzip durch Art. 14 Abs. 3 DBA-Frankreich weiter eingeschränkt.

Die Auffassung, nur hoheitliche Tätigkeiten fielen unter Art. 14 Abs. 1 DBA-Frankreich, führte darüber hinaus zu erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten, weil es weitgehend in das Belieben des Staates gestellt ist, welche Aufgaben er sich als öffentliche Aufgabe zueigen macht. Ebenso steht es ihm grundsätzlich frei, ob er seine Aufgaben in privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Form erfüllt.

Ferner kann es sich --wie der Streitfall zeigt-- auch bei Leistungen, die nicht unmittelbar dem hoheitlichen Bereich zuzurechnen sind, wirtschaftlich betrachtet gleichwohl um Aufwendungen für Dienstleistungen im öffentlichen Dienst handeln. Die VBL gewährt den bei ihren Mitgliedern (§ 19 VBLS) Beschäftigten eine im Umlageverfahren finanzierte zusätzliche Alters-, Erwerbsminderungs- und Hinterbliebenenversorgung. Diese Versorgung wird überwiegend von den öffentlichen Arbeitgebern finanziert (Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr, Bundesangestelltentarif, Kommentar § 16 ATV Rz 6), die hierzu tarifvertraglich verpflichtet sind (§ 46 des Bundesangestelltentarifvertrags). Aus Sicht der Arbeitgeber handelt es sich bei den Umlagen zur Finanzierung der zusätzlichen Altersversorgung um Lohnaufwendungen für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst und damit um Kosten, die im Zusammenhang mit der Erfüllung öffentlicher Aufgaben anfallen. Die Erfassung dieser Gehälter entspricht demnach auch dem Zweck des Kassenstaatsprinzips, die Vertragsstaaten durch die Ausübung der Besteuerungsrechte nicht bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben zu behindern.

ccc) Der Auffassung des FG, aus Art. 19 des OECD-Musterabkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (OECD-MustAbk), der nur Bund und Länder, nicht dagegen sonstige juristische Personen des öffentlichen Rechts nenne, folge, dass das Merkmal "in der Verwaltung" in Art. 14 Abs. 1 DBA-Frankreich restriktiv auszulegen sei, ist nicht zu folgen. Es gibt keinen Grundsatz, dass Bestimmungen in DBA, die das Besteuerungsrecht hinsichtlich bestimmter Einkünfte gegenüber den entsprechenden Regelungen im OECD-Musterabkommen erweitern, im Interesse einer möglichst geringen Abweichung vom OECD-Musterabkommen einschränkend auszulegen sind. Die Vertragsstaaten haben in Art. 14 Abs. 1 DBA-Frankreich nicht nur Vergütungen der Vertragsstaaten oder einer ihrer Gebietskörperschaften, sondern ausdrücklich auch Vergütungen, die von sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts bezahlt werden, einbezogen. Diese Entscheidung ist nicht durch restriktive Auslegung anderer Merkmale des Art. 14 Abs. 1 DBA-Frankreich zu konterkarieren. Zwar ist zu vermuten, dass die Vertragsstaaten die Bestimmung eines DBA, die ihrem Wortlaut nach mit einer Bestimmung des OECD-Musterabkommens übereinstimmt, auch im Sinne des Musterkommentars verstanden haben. Diese Vermutung greift jedoch bei einer vom Wortlaut des OECD-Musterabkommens abweichenden Regelung nicht ein und gilt erst recht nicht, wenn die Bestimmung --wie hier-- in einem DBA bereits vor Schaffung des ersten Musterabkommens im Jahr 1963 zwischenstaatlich vereinbart wurde. Im Übrigen wird auch zu Art. 19 OECD-MustAbk die Auffassung vertreten, maßgeblich sei nicht die Ausübung einer hoheitlichen Tätigkeit, sondern allein die öffentlich-rechtliche Rechtsform des Dienstherrn (Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, a.a.O., Art. 19 MA Rz 40).

ddd) Eine andere Beurteilung ist auch nicht deshalb angezeigt, weil die Klägerin in den Streitjahren als ... von ihrer eigentlichen Tätigkeit freigestellt war. Eine Abgrenzung nach der Art der ausgeübten Tätigkeit ist allenfalls dann erforderlich, wenn die juristische Person des öffentlichen Rechts auch Tätigkeiten mit Gewinnerzielungsabsicht ausübt (vgl. Senatsbeschluss vom 7. April 2004 I B 196/03, BFH/NV 2004, 1377). Denn insoweit ist die Anwendung des Art. 14 Abs. 1 DBA-Frankreich ausgeschlossen (Art. 14 Abs. 3 DBA-Frankreich). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Die VBL entfaltet keine auf Gewinnerzielung gerichtete Tätigkeit. Die Klägerin fällt danach nicht unter die Grenzgängerregelung des Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich.

3. Das FG ist von anderen Grundsätzen ausgegangen. Sein Urteil ist daher aufzuheben und die Klage ist insgesamt abzuweisen.



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