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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 30.01.2002
Aktenzeichen: I R 59/00
Rechtsgebiete: KStG, EStG, HGB


Vorschriften:

KStG § 8 Abs. 1
EStG § 5 Abs. 1 Satz 1
HGB § 249 Abs. 1
HGB § 249 Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine Anstalt des öffentlichen Rechts (Sparkasse). Sie ist nach einschlägigem Landesrecht verpflichtet, ihren Pensionären und deren Witwen nach den für Beamte geltenden Vorschriften in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen Beihilfen zu gewähren. Bei pensionierten Vorständen ergibt sich eine entsprechende Verpflichtung aus vertraglichen Regelungen. In ihrer Bilanz zum 31. Dezember 1996 bildete die Klägerin für derartige künftige Beihilfeleistungen eine Rückstellung in Höhe von 433 000 DM. Der Bewertung liegt ein versicherungsmathematisches Gutachten zur Ermittlung des Barwerts der künftigen Beihilfeleistungen auf der Grundlage der bisherigen jährlichen Zahlungen zugrunde. Diese Rückstellung wurde durch den Beklagten und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) nicht anerkannt.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Die Vorentscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 853 abgedruckt.

Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung von § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) i.V.m. § 5 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und § 249 Abs. 1 Satz 1 des Handelsgesetzbuchs (HGB) sowie Art. 28 Abs. 1 Satz 2 des Einführungsgesetzes zum Handelsgesetzbuch (EGHGB). Es beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist unbegründet. Sie war zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Zu Recht hat das FG entschieden, dass die Klägerin für ihre Verpflichtung, an ihre Pensionäre Beihilfen zu zahlen, in ihrer Bilanz des Streitjahres eine Rückstellung zu bilden hat.

1. Gemäß § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG hat die Klägerin in ihren Bilanzen das Betriebsvermögen anzusetzen, das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung auszuweisen ist. Diese ergeben sich u.a. aus § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB. Danach sind für ungewisse Verbindlichkeiten Rückstellungen zu bilden. Ungewisse Verbindlichkeiten in diesem Sinne sind einerseits Verbindlichkeiten, die dem Grunde nach bestehen, deren Höhe aber noch ungewiss ist, und andererseits Verbindlichkeiten, deren künftiges Entstehen noch ungewiss ist, wobei die Ungewissheit der Höhe nach dazukommen kann (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 27. Juni 2001 I R 45/97, BFHE 196, 216, BFH/NV 2001, 1334).

Im Streitfall sind ungewisse Verbindlichkeiten im letzteren Sinne zu beurteilen. Auch wenn sich nach dem "Gesetz der großen Zahl" aus der Gesamtheit der Beihilfeverpflichtungen eine Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme ergeben sollte, die an Sicherheit grenzt, besteht am Bilanzstichtag noch keine gewisse Verbindlichkeit. Voraussetzung dafür wäre eine dem Inhalt und der Höhe nach bestimmte Leistungspflicht, die erzwingbar ist und eine wirtschaftliche Belastung darstellt (BFH-Urteile vom 4. Februar 1999 IV R 54/97, BFHE 187, 418, BStBl II 2000, 139; vom 6. April 2000 IV R 31/99, BFHE 192, 64, BStBl II 2001, 536). Eine derartige Zahlungspflicht ist am Bilanzstichtag noch nicht entstanden.

2. Für eine dem Grunde nach ungewisse Verbindlichkeit ist nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung eine Rückstellung zu bilden, wenn sie erstens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit entstanden ist und der Steuerpflichtige daraus in Anspruch genommen wird und wenn sie zweitens ihre wirtschaftliche Verursachung im Zeitraum vor dem Bilanzstichtag findet (ständige Rechtsprechung, vgl. neuerdings etwa BFH-Urteil vom 8. November 2000 I R 10/98, BFHE 193, 406, BStBl II 2001, 349).

a) Das FG hat mit Recht eine hinreichende Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme der Klägerin bejaht. Diese wird in der Rechtsprechung mit der Formel umschrieben, dass mehr Gründe für als gegen das Entstehen der in Rede stehenden Verbindlichkeit und die künftige Inanspruchnahme des Steuerpflichtigen sprechen (BFH-Urteile vom 1. August 1984 I R 88/80, BFHE 142, 226, BStBl II 1985, 44; vom 2. Oktober 1992 III R 54/91, BFHE 169, 423, BStBl II 1993, 153; vom 6. Dezember 1995 I R 14/95, BFHE 180, 258, BStBl II 1996, 406; in BFHE 193, 406, BStBl II 2001, 349). Dabei ist grundsätzlich auf das einzelne Rechtsverhältnis abzustellen. Im Streitfall ist bereits aus der dem einzelnen Berechtigten gegenüber bestehenden Beihilfeverpflichtung eine Inanspruchnahme hinreichend wahrscheinlich. Denn es entspricht der Lebenserfahrung, dass beihilfeberechtigte Pensionäre im Laufe ihres Ruhestandes zugesagte Beihilfeleistungen tatsächlich in Anspruch nehmen. Dementsprechend hat die Klägerin der Bewertung ihrer Rückstellung auch die dem einzelnen Beihilfeempfänger in den letzten fünf Jahren geleisteten Beihilfen zugrundegelegt. Jedenfalls ergibt sich die hinreichende Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme im Wege einer pauschalen Beurteilung aufgrund aller bestehenden Beihilfeverpflichtungen. Ist wie im Streitfall über die Bilanzierung einer Mehrzahl gleicher oder gleichartiger Wirtschaftsgüter oder Schulden zu befinden, ist es mit dem Ziel eines zutreffenden Vermögensausweises zulässig, die Gesamtheit dieser Wirtschaftsgüter oder Schulden zugrundezulegen. Dies gilt nicht nur für die Bewertung eines Bestandes (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 15. Oktober 1997 I R 16/97, BFHE 184, 439, BStBl II 1998, 249, m.w.N.), sondern auch für die Ermittlung der Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme dem Grunde nach (vgl. BFH-Urteile vom 7. Mai 1998 IV R 24/97, BFH/NV 1998, 1471; vom 22. November 1988 VIII R 62/85, BFHE 155, 322, BStBl II 1989, 359; vom 12. Dezember 1990 I R 153/86, BFHE 163, 146, BStBl II 1991, 479; vom 27. März 1996 I R 3/95, BFHE 180, 155, BStBl II 1996, 470).

b) Die Verpflichtung der Klägerin zur Beihilfegewährung ist auch wirtschaftlich vor dem Bilanzstichtag des Streitjahres verursacht worden. Die Verursachung setzt nach ständiger Rechtsprechung des BFH voraus, dass die wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale für das Entstehen der Verbindlichkeit bereits am Bilanzstichtag erfüllt sind und das rechtliche Entstehen der Verbindlichkeit nur noch von wirtschaftlich unwesentlichen Tatbestandsmerkmalen abhängt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteile in BFHE 142, 226, BStBl II 1985, 44; vom 12. Dezember 1991 IV R 28/91, BFHE 167, 334, BStBl II 1992, 600; vom 18. Januar 1995 I R 44/94, BFHE 177, 61, BStBl II 1995, 742; vom 13. Mai 1998 VIII R 58/96, BFH/NV 1999, 27). Maßgeblich ist dabei die wirtschaftliche Wertung des Einzelfalles vor dem Hintergrund der rechtlichen Struktur des Tatbestands, mit dessen Erfüllung die Verbindlichkeit entsteht (BFH-Urteile vom 13. November 1991 I R 102/88, BFHE 166, 222, BStBl II 1992, 336; vom 19. Mai 1987 VIII R 327/83, BFHE 150, 140, BStBl II 1987, 848). Im Streitfall ist der Anspruch auf Beihilfe im Einzelfall zwar abhängig von der Erfüllung der jeweiligen tatbestandlichen Voraussetzungen (Krankheit, Geburts- oder Todesfall). Dennoch findet die dahingehende Verpflichtung, Beihilfe zu leisten, ihren wesentlichen wirtschaftlichen Bezugspunkt bereits im erfüllten Arbeitsverhältnis. Es bildet die wirtschaftliche Grundlage für die Ansprüche auf Beihilfeleistungen nach Eintritt in den Ruhestand. Der Eintritt des Beihilfefalles selbst bedeutet demgegenüber lediglich die Umsetzung der bestehenden Beihilfeverpflichtung in eine Zahllast.

3. Für die Verpflichtung der Klägerin, unter den gegebenen Voraussetzungen Beihilfen zu leisten, besteht handelsrechtlich auch kein Passivierungswahlrecht, das in der Steuerbilanz zu einem Passivierungsverbot führen würde (vgl. BFH-Beschluss vom 3. Februar 1969 GrS 2/68, BFHE 95, 31, BStBl II 1969, 291). Es handelt sich insbesondere nicht um eine mittelbare Verpflichtung aus einer Zusage für eine laufende Pension oder eine Anwartschaft auf eine Pension oder eine ähnliche unmittelbare oder mittelbare Verpflichtung i.S. von Art. 28 Abs. 1 Satz 2 EGHGB, wobei im Streitfall nur eine "ähnliche unmittelbare" Verpflichtung in Frage käme. Der Begriff der "ähnlichen" Verpflichtung wird restriktiv ausgelegt, um den Grundsatz der Passivierungspflicht aus § 249 Abs. 1 HGB nicht zu unterlaufen (vgl. Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl., § 249 HGB Rn. 115, m.w.N.). Darüber hinaus wird das in Art. 28 Abs. 1 Satz 2 EGHGB vorgesehene Passivierungswahlrecht für "ähnliche" Verpflichtungen, zumal es zeitlich nicht begrenzt ist, teilweise als Grundsatz "ordnungswidriger Buchführung" angesehen (vgl. z.B. Hopt/Baumbach/Duden, Handelsgesetzbuch, vor § 238 Rn. 27, 58; § 249 Rn. 8). Eine restriktive Betrachtung, der auch der Senat folgt, führt im Streitfall dazu, die Verpflichtung zur Beihilfegewährung nicht als "ähnliche" Verpflichtung i.S. des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 EGHGB anzusehen. Diese Verpflichtung kommt inhaltlich einer Krankenversicherung nahe. Sie hat den Eintritt der Pensionsberechtigung lediglich zur Voraussetzung. Eine inhaltliche Verknüpfung mit der Pensionszusage ergibt sich daraus nicht.

4. Schließlich stehen der Bildung einer Rückstellung für die Verpflichtung der Klägerin zur Beihilfegewährung nicht die Grundsätze der Bilanzierung schwebender Geschäfte entgegen. Ansprüche und Verbindlichkeiten aus fortbestehenden schwebenden Geschäften werden zwar nicht bilanziert, solange und soweit sie einander ausgleichend gegenüberstehen. Eine Passivierung erfolgt lediglich im Falle drohender Verluste oder bei Vorliegen sogenannter Erfüllungsrückstände (ständige Rechtsprechung, vgl. dazu BFH-Urteile vom 26. Mai 1976 I R 80/74, BFHE 119, 261, BStBl II 1976, 622; vom 8. Dezember 1982 I R 142/81, BFHE 137, 448, BStBl II 1983, 369; vom 20. Januar 1983 IV R 158/80, BFHE 138, 53, BStBl II 1983, 413; vom 2. Oktober 1997 IV R 82/96, BFHE 184, 422, BStBl II 1998, 205). Da dieses Passivierungsverbot jedoch nur eingreift, "solange und soweit" sich Ansprüche und Verbindlichkeiten ausgleichend gegenüberstehen, endet es mit der Beendigung des Schwebezustandes des gegenseitigen Geschäfts. Dessen Saldierungsbereich ist somit zeitlich und sachlich eingegrenzt. Ein schwebendes Geschäft ist beendet, wenn einer der gegenseitig zur Leistung Verpflichteten (im Regelfall der zur Sach- oder Dienstleistung verpflichtete Vertragspartner) seine Leistung in vollem Umfange erbracht hat. Dies war vorliegend mit dem Eintritt der Beihilfebegünstigten in den Ruhestand der Fall. Danach zu erfüllende Verpflichtungen der Klägerin sind in der Bilanz auszuweisen.

5. Die der Vorentscheidung zugrundeliegende Bewertung der Rückstellung ist unter den Beteiligten unstreitig.

Ende der Entscheidung

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