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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 16.12.1998
Aktenzeichen: I R 74/98
Rechtsgebiete: AO 1977, GewStG


Vorschriften:

AO 1977 § 12 Satz 2 Nr. 8
GewStG § 8 Nr. 7 Satz 2
BUNDESFINANZHOF

Betriebsstätten i.S. von § 8 Nr. 7 Satz 2 GewStG i.V.m. § 12 AO 1977 sind auch bei mehreren Bauausführungen anzunehmen, die sich zeitlich überschneidend insgesamt über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten hinziehen.

AO 1977 § 12 Satz 2 Nr. 8 GewStG § 8 Nr. 7 Satz 2

Urteil vom 16. Dezember 1998 - I R 74/98 -

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz (EFG 1998 1613)


Gründe

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, führt Tiefbauarbeiten aus, insbesondere verlegt sie durch eigene Bautrupps Gasleitungen und Leitungen für die Post oder für Kommunalverwaltungen. Zwischen ihr als Betriebsgesellschaft und dem Einzelunternehmen ihres Mehrheitsgesellschafters besteht eine Betriebsaufspaltung. Der Gesellschafter hat sein gesamtes Unternehmen an die Klägerin verpachtet. Der Pachtzins betrug im Streitjahr (1994) 487 450,95 DM.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) ermittelte den Gewerbeertrag, indem er gemäß § 8 Nr. 7 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) die Hälfte der Pachtzinsen (= 243 725 DM) dem Gewinn aus Gewerbebetrieb hinzurechnete, und erließ einen entsprechenden Gewerbesteuermeßbescheid.

Dagegen wandte sich die Klägerin mit dem Einwand, sie unterhalte mit jedem einzelnen Bautrupp eine Betriebsstätte gemäß § 12 Satz 2 Nr. 8 Buchst. c der Abgabenordnung (AO 1977); keiner der auf diese einzelnen Betriebsstätten entfallenden Anteile des Pachtzinses übersteige den für die Hinzurechnung nach § 8 Nr. 7 Satz 2 GewStG maßgeblichen Grenzbetrag von 250 000 DM. Da der Verpächter im Rahmen der Betriebsaufspaltung seinerseits gewerbesteuerpflichtig sei, greife die Ausnahme des § 8 Nr. 7 Satz 2 GewStG.

Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1998, 1613 abgedruckt.

Ihre Revision stützt die Klägerin auf Verletzung von § 8 Nr. 7 GewStG i.V.m. § 12 AO 1977.

Sie beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und den angefochtenen Gewerbesteuermeßbescheid 1984 dahin zu ändern, daß bei der Ermittlung des Gewerbeertrages keine Miet- und Pachtzinsen nach § 8 Nr. 7 GewStG hinzugerechnet werden.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. #Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und unter anderweitiger Steuerfestsetzung zur Klagestattgabe.

1. Die Hinzurechnung von Miet- und Pachtzinsen gemäß § 8 Nr. 7 GewStG (in der im Streitjahr geltenden Fassung) entfällt nach Satz 2 dieser Vorschrift, soweit die Miet- oder Pachtzinsen beim Vermieter oder Verpächter zur Gewerbesteuer nach dem Gewerbeertrag heranzuziehen sind, es sei denn, daß ein Betrieb oder ein Teilbetrieb vermietet oder verpachtet wird und der Jahresbetrag der Miet- oder Pachtzinsen 250 000 DM übersteigt. Maßgebend ist jeweils der Jahresbetrag, den der Mieter oder Pächter für die Benutzung der zu den Betriebsstätten eines Gemeindebezirks gehörigen fremden Wirtschaftsgüter an einen Vermieter oder Verpächter zu zahlen hat (§ 8 Nr. 7 Satz 3 GewStG).

2. Das FG ist zutreffend von der Verpachtung eines Betriebs im ganzen ausgegangen, weil die Klägerin die wesentlichen Betriebsgrundlagen des Bauunternehmens ihres Gesellschafter-Geschäftsführers gepachtet hat (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 5. Oktober 1976 VIII R 87/72, BFHE 120, 263, BStBl II 1977, 45). Zutreffend ist das FG auch dem erkennenden Senat (Urteil vom 24. April 1991 I R 10/89, BFHE 164, 445, BStBl II 1991, 771) darin gefolgt, daß gepachtete Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens bei Anwendung des § 8 Nr. 7 Satz 3 GewStG nur dann dem Gemeindebezirk der Hauptbetriebsstätte zuzuordnen sind, wenn sie nicht bei Bauausführungen i.S. des § 12 Satz 2 Nr. 8 AO 1977 eingesetzt werden. Nicht beigepflichtet werden kann dem FG jedoch darin, daß es sich bei den von der Klägerin im Streitjahr getätigten, örtlich fortschreitenden Bauausführungen nicht um mehrere Betriebsstätten i.S. des § 12 Satz 2 Nr. 8 AO 1977 gehandelt habe.

a) Nach den tatrichterlichen Feststellungen des FG, die die Klägerin nicht durch Verfahrensrügen angegriffen hat und die den Senat binden (vgl. § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), ist die Frage entscheidungserheblich, unter welchen Umständen eine Betriebsstätte i.S. von § 8 Nr. 7 Satz 3 GewStG i.V.m. § 12 Satz 2 Nr. 8 AO 1977 bei mehreren Bauausführungen anzunehmen ist, die sich zwar zeitlich überschneidend insgesamt über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten hinziehen, von denen dieser Zeitrahmen aber bei keiner der jeweiligen einzelnen Bauausführungen erreicht wird. Diese Frage wird gesetzlich nicht ausdrücklich beantwortet. § 12 Satz 2 Nr. 8 AO 1977 regelt lediglich die Fälle, in denen entweder einzelne Bauausführungen länger als sechs Monate dauern (§ 12 Satz 2 Nr. 8 Buchst. a AO 1977) oder aber dieser Zeitrahmen von einer Bauausführung von mehreren zeitlich nebeneinander bestehenden Bauausführungen überschritten wird (§ 12 Satz 2 Nr. 8 Buchst. b AO 1977), und die Fälle mehrerer ununterbrochen aufeinander folgender Bauausführungen, die sich insgesamt über den Zeitraum von mehr als sechs Monaten erstrecken (§ 12 Satz 2 Nr. 8 Buchst. c AO 1977). Unter diesen Umständen sollen jeweils Betriebsstätten vorliegen. Die Regelungslage schöpft jedoch nicht alle Sachverhaltskonstellationen aus. In Anbetracht dessen ist die Frage, ob eine Betriebstätte gegeben ist, wenn mehrere nebeneinander bestehende Bauausführungen sich über einen Zeitraum von insgesamt mehr als sechs Monate überschneiden, in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Teilweise wird dies mit der Vorinstanz verneint (FG Köln, Urteil vom 30. Juni 1983 IX 104/80 G, EFG 1984, 187; Birk in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 12 AO 1977 Rz. 41), teilweise wird unter Berufung auf § 12 Satz 2 Nr. 8 Buchst. c AO 1977 gefolgert, in diesem Fall sei erst recht von Betriebsstätten auszugehen (Scholtz in Koch/Scholtz, Abgabenordnung, 5. Aufl., § 12 Rz. 21; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 12 AO 1977 Tz. 18; Buciek in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 12 AO 1977 Rz. 44).

b) Dieser --letzteren-- Betrachtungsweise schließt der Senat sich an. Es wäre in der Tat schwerlich einzusehen, weshalb bei parallel verlaufenden Bauausführungen etwas anderes anzunehmen sein sollte als bei mehreren ununterbrochen aufeinander folgenden Bauausführungen, vorausgesetzt, der Sechs-Monats-Zeitraum wird überschritten. In beiden Fällen besteht gleichermaßen eine Verstetigung der jeweiligen Bauausführungen, die es im Einklang mit § 12 AO 1977 rechtfertigt, diese als Betriebsstätte anzusehen. Die positiv-gesetzlichen Regelungen in § 12 Satz 2 Nr. 8 AO 1977 widersprechen dem nicht. Die präpositionale Ergänzung "insbesondere" im Eingangssatz von § 12 Satz 2 AO 1977 verdeutlicht, daß diese Regelungen nicht abschließend sind. Der beispielhaft aufgelistete Katalog für das Vorliegen von Betriebsstätten kann sonach um entsprechende Varianten ergänzt werden. Das ist vorliegend der Fall.

2. Die Vorinstanz hat eine hiervon abweichende Ansicht vertreten. Ihre Entscheidung war aufzuheben. Es ist unstreitig, daß die Jahrespacht, soweit sie auf Wirtschaftsgüter entfällt, die zu den Betriebsstätten im vorstehenden Sinn gehören, den Betrag von 250 000 DM nicht übersteigt. Da die Sache deshalb spruchreif ist, kann der Senat durcherkennen und den einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag 1994 antragsgemäß auf 4 865 DM festsetzen, die sich wie folgt errechnen: Summe des Gewinns und der Hinzurechnungen bisher 341 057 DM abzgl. Hälfte der Pachtzinsen 243 725 DM = abgerundeter Gewerbeertrag 97 300 DM x Steuermeßzahl von 5 v.H. gemäß § 11 Abs. 2 Nr. 2 GewStG.

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