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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 13.11.2002
Aktenzeichen: I R 90/01
Rechtsgebiete: EStG 1990
Vorschriften:
EStG 1990 § 22 Nr. 3 | |
EStG 1990 § 49 Abs. 1 Nr. 9 |
Gründe:
I.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH, betreibt im Rahmen eines Firmenverbunds insbesondere die Vermittlung von Adressen für die sog. Direktwerbung. Sie schloss am 21. Januar 1991 mit einer monegassischen AG (C) einen "Vertrag über Nutzungsrechte" ab, wonach ihr die C als Eigentümerin von 150 000 Postkäuferanschriften diese Anschriften zur exklusiven und uneingeschränkten Nutzung zur Verfügung stellte. Die C verpflichtete sich, die Adressen im Zeitraum von vier Jahren nicht zu verkaufen und das Nutzungsrecht keiner anderen Firma einzuräumen.
Nach Auffassung des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt --FA--) erzielte die C durch die Anschriftenüberlassung beschränkt steuerpflichtige Einkünfte gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 9 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.V.m. § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG). Wegen des gleichwohl unterlassenen Steuerabzugs gemäß § 50a Abs. 4 Nr. 3 EStG nahm das FA die Klägerin infolgedessen durch Bescheid vom 30. Oktober 1997 gemäß § 50a Abs. 5 Satz 5 EStG i.V.m. § 73g der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung --EStDV 1990--) für die Körperschaftsteuer, die in den Streitjahren 1993 bis 1995 auf die gezahlten Nettovergütungen entfiel, und für 1995 außerdem für den Solidaritätszuschlag, als Haftende in Anspruch. Durch Bescheid vom 15. August 2000 wurde die Haftungssumme herabgesetzt.
Die dagegen und gegen das mit den Haftungsbescheiden verbundene Leistungsgebot gerichtete Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) gab ihr mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 28 abgedruckten Urteil statt und hob sowohl den Haftungsbescheid als auch das damit verbundene Leistungsgebot antragsgemäß auf.
Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist nur hinsichtlich des Leistungsgebots begründet und führt nur insoweit zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage. Im Übrigen ist die Revision unbegründet.
1. Die C ist nach § 2 Abs. 1, § 8 Abs. 1 KStG mit ihren Bezügen aus dem Inland beschränkt steuerpflichtig, soweit diese unter eine der in § 49 EStG 1990 näher bezeichneten Einkunftsarten einzuordnen sind. Da für die C im Inland keine Betriebsstätte unterhalten wurde oder ein ständiger Vertreter bestellt war (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG 1990), kann als Rechtsgrundlage für eine beschränkte Steuerpflicht der C gemäß § 49 Abs. 1 EStG 1990 für die Überlassung der Adressen nur dessen Nr. 9 in Betracht kommen. Die Vorinstanz hat dies aber zu Recht verneint. Infolgedessen scheidet eine Steuerabzugspflicht der Klägerin als Vergütungsschuldnerin gemäß § 50a Abs. 4 Satz 1 EStG 1990 und damit auch eine Haftungsinanspruchnahme gemäß § 50a Abs. 5 Satz 5 EStG 1990 i.V.m. § 73e EStDV 1990 aus.
2. Zu den inländischen Einkünften i.S. der beschränkten Steuerpflicht (§ 1 Abs. 4 EStG 1990) gehören gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG 1990 sonstige Einkünfte i.S. des § 22 Nr. 3 EStG 1990 aus der Überlassung der Nutzung oder des Rechts auf Nutzung von gewerblichen, technischen, wissenschaftlichen und ähnlichen Erfahrungen, Kenntnissen und Fertigkeiten, z.B. Plänen, Mustern und Verfahren, die im Inland genutzt werden oder worden sind. Davon erfasst wird insbesondere die Überlassung von sog. Know-how, also von Spezialwissen als Ergebnis erfinderischer Tätigkeit, aber auch von Erfahrungswissen, dessen Wert darin besteht, einem Dritten, dem es vermittelt wird, Zeit und Kosten zu ersparen (vgl. z.B. Senatsurteil vom 16. Dezember 1970 I R 44/67, BFHE 101, 70, BStBl II 1971, 235; Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 23. November 1988 II R 209/82, BFHE 155, 132, BStBl II 1989, 82).
Solches Wissen wurde im Streitfall nicht zur Nutzung überlassen. Zwar ist nach den den Senat bindenden (vgl. § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) tatrichterlichen Feststellungen davon auszugehen, dass es sich bei den in Rede stehenden Adressen nicht um beliebige "nackte" Datenbestände handelte. Vielmehr waren die Adressen aufgrund entsprechender Recherchen nach Marketinggesichtspunkten, insbesondere nach demografischen Vorgaben, Berufsgruppen, Alter, Geschlecht, regionaler Zugehörigkeit und ähnlicher Auswahlmerkmale, welche Rückschlüsse auf das spezifische Kundenverhalten oder auf Bestellgewohnheiten zulassen, aufbereitet und ausgewählt worden (vgl. dazu auch § 29 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b des Bundesdatenschutzgesetzes vom 20. Dezember 1990, BGBl I 1990, 2954). Derartige Aufbereitungen wurden seitens der C teilweise als sog. Selektionskosten auch gesondert berechnet. Gerade an diesen gesonderten Abrechnungen erweist sich indes, dass das Ergebnis dieser Recherchen über das Käuferverhalten nicht durch die Vergütung für die eigentliche Adressenüberlassung abgegolten wurde. Auch wenn der Auswahl der Adressen ein bestimmtes, als solches nutzbares "Wissen" zugrunde liegt, dokumentieren diese --anders als z.B. Pläne o.ä.-- keine besonderen Erfahrungen, Kenntnisse oder Fertigkeiten und damit kein bestimmtes Know-how. Sie treten damit nicht als Verkörperung eines immateriellen Wirtschaftsgutes in Erscheinung, sondern sind verselbständigte materielle Wirtschaftsgüter. Sie werden als solche losgelöst von den auf einer Vorstufe ermittelten Rechercheerkenntnissen --vergleichbar mit anderer handelsüblicher Ware, die nach bestimmten Maßgaben vom Überlassenden vorsortiert wurde-- vermarktet und vom Nutzenden sodann aufgrund einer eigenen Konzeption für Werbe- und Vertriebsmaßnahmen (z.B. im Wege des sog. Direkt-Mailings) eingesetzt. Zur Nutzung überlassen wird nicht das Know-how des Herrichtens, sondern das fertige Produkt (vgl. ähnlich zur Überlassung von Software: Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerungsabkommen, Art. 12 MA Rz. 63 f.).
Eine Überlassung der Adressen zur Nutzung von Know-how scheidet infolgedessen aus, ohne dass noch auf die weiteren Streitfragen nach der Reichweite der in § 49 Abs. 1 Nr. 9 letzter Halbsatz EStG 1990 bestimmten Subsidiarität sowie des wirtschaftlichen Verbrauchs der überlassenen Datensätze aufgrund der Nutzung einzugehen wäre.
3. Das FG ist zu demselben Auslegungsergebnis gelangt. Es hat allerdings zu Unrecht nicht nur den Haftungsbescheid, sondern auch das damit verbundene Leistungsgebot aufgehoben. Die Klage war insoweit unzulässig. Denn zum einen fehlt die auch im Hinblick auf das Leistungsgebot erforderliche (vgl. § 44 Abs. 1 FGO) Einspruchsentscheidung des FA. Eine Untätigkeitsklage (vgl. § 46 FGO), die diese u.U. erübrigen könnte, wurde seitens der Klägerin nicht erhoben. Zum anderen ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin speziell durch das Leistungsgebot beschwert wäre und welche Einwendungen sie hiergegen geltend machen will. Damit fehlt zugleich das Rechtsschutzbedürfnis (vgl. auch Beermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 254 AO Rz. 55). Insoweit waren das Urteil der Vorinstanz deshalb aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Ende der Entscheidung
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