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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 29.04.2009
Aktenzeichen: I R 93/08
Rechtsgebiete: GewStG 1991


Vorschriften:

GewStG 1991 § 8 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) war im Streitjahr 1991 alleinige Gesellschafterin der GmbH X. Zwischen dieser und der Klägerin als Organträgerin wurde mit einem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag ein gewerbesteuerliches Organschaftsverhältnis zum 1. Januar 1991 vereinbart.

Die X, die am 20. September 1990 im Handelsregister eingetragen wurde, ist im Wege der Umwandlung aus dem VEB Y (VEB) entstanden. Die Klägerin erwarb die Anteile an der X am 20. Dezember 1990 von der Treuhandanstalt.

Zum 1. Juli 1990 beliefen sich die Ende der 60er Jahre gewährten und unstreitig schon vor dem Jahr 1990 mindestens in gleicher Höhe bestehenden Kredite, hinsichtlich derer die X als Gesamtrechtsnachfolgerin in das Schuldverhältnis des VEB gegenüber der Staatsbank der DDR eintrat, auf umgerechnet 47 928 667 DM. Diese Altkredite setzten sich laut Bilanz zum 30. Juni 1990 aus einem Grundmittelkredit in Höhe von 16 993 829 Mark der DDR und einem Umlaufmittelkredit in Höhe von 78 863 505 Mark der DDR zusammen, die im Verhältnis zwei zu eins umgerechnet wurden. Im Rahmen einer Umschuldung am 27. Februar 1991 wurden die Darlehen bei der Z-Bank als partieller Rechtsnachfolgerin der Staatsbank getilgt. Für den Zeitraum vom 2. Januar 1991 bis zum 27. Februar 1991 entstanden Kreditzinsen in Höhe von 745 556 DM.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) vertrat unter Hinweis auf das Senatsurteil vom 2. Juli 1997 I R 28/96 (BFH/NV 1998, 212) die Auffassung, die Entgelte für die Altkredite seien als sog. Dauerschuldzinsen i.S. des § 8 Nr. 1 zweite Tatbestandsgruppe des Gewerbesteuergesetzes 1991 (GewStG 1991) anzusehen, und rechnete in dem gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung geänderten Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag 1991 die gezahlten Zinsen dem Gewinn aus Gewerbebetrieb zur Hälfte (372 778 DM) hinzu.

Der dagegen gerichteten Klage gab das Hessische Finanzgericht mit Urteil vom 20. Mai 2008 8 K 1797/03 statt.

Das FA rügt die Verletzung materiellen Rechts und beantragt mit der Revision,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist unbegründet. Das Finanzgericht (FG) hat zutreffend angenommen, dass die streitbefangenen Kreditzinsen nicht gemäß § 8 Nr. 1 GewStG 1991 zur Hälfte dem Gewinn aus Gewerbebetrieb hinzuzurechnen sind. Im Streitfall handelt es sich bei den Kreditverbindlichkeiten zwar um Schulden. Das FG hat aber zu Recht angenommen, dass sie nur der vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals gedient haben.

1.

Nach § 8 Nr. 1 GewStG 1991 werden dem Gewinn aus Gewerbebetrieb u.a. die bei seiner Ermittlung abgezogenen Entgelte für die Schulden zur Hälfte wieder hinzugerechnet, die der nicht nur vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals dienen.

2.

§ 8 Nr. 1 GewStG 1991 ist im Beitrittsgebiet ab dem 1. Januar 1991 anzuwenden (Art. 8 i.V.m. Anlage I Kapitel IV Sachgebiet B Abschn. II Nr. 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 20 Buchst. h des Einigungsvertrages vom 31. August 1990, BGBl. II 1990, 889). Hierbei sind die Verhältnisse im jeweiligen Erhebungszeitraum auch insoweit maßgebend, als es für das Tatbestandsmerkmal der Schulden auf deren Bestehen, nicht aber auf den Zeitpunkt ihrer Entstehung ankommt. Daraus folgt, dass bei Gewerbebetrieben mit Geschäftsleitung im Beitrittsgebiet ab dem Erhebungszeitraum 1991 Entgelte für Dauerschulden auch dann der Hinzurechnung unterliegen, wenn die Schulden vor dem 1. Januar 1991 begründet worden sind. Dies ist verfassungsrechtlich unbedenklich (Senatsurteil in BFH/NV 1998, 212).

3.

Die streitbefangenen Kreditverbindlichkeiten sind Schulden i.S. des § 8 Nr. 1 GewStG 1991.

Wie der Senat in seinem Urteil in BFH/NV 1998, 212 im Einzelnen ausgeführt hat, unterschieden sich die Kredite in der DDR in Wesen und Funktion zwar grundlegend von einer marktwirtschaftlichen Darlehensaufnahme nach den §§ 607 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB a.F., jetzt: §§ 488 ff. BGB n.F.); gleichwohl schließen diese Besonderheiten die Annahme nicht aus, dass zivilrechtlich und gewerbesteuerrechtlich Schulden (fort-)bestanden.

Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 26. Oktober 1993 XI ZR 222/92 (BGHZ 124, 1) hat das Ende der sozialistischen Planwirtschaft die Verpflichtungen der volkseigenen Wirtschaftseinheiten zur Rückzahlung der Altkredite nicht wegfallen lassen. Maßgebend ist die Erwägung, dass der Einigungsgesetzgeber die Verpflichtungen als tilgungsbedürftig behandelt hat. Da auch die speziell Altkreditschulden von Treuhandunternehmen betreffende Verordnung über Maßnahmen zur Entschuldung bisher volkseigener Unternehmen von Altkrediten (Entschuldungsverordnung) vom 5. September 1990 (Gesetzblatt der DDR I 1990, 1435) den Fortbestand solcher Schulden voraussetzt, gilt für die auf eine VEB-Nachfolge-GmbH übergegangene Verpflichtung zur Kreditrückzahlung nichts anderes (BGH-Urteil vom 11. Oktober 1994 XI ZR 189/93, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1995, 47, unter II.2.). Ebenso wenig besteht ein Grund, die Altkredite nach dem 1. Juli 1990 generell in Eigenkapital der VEB-Nachfolgegesellschaften umzuqualifizieren (vgl. BGH-Urteil in NJW 1995, 47, unter II.5.).

Hieran ist, wie der Senat bereits in seinem Urteil in BFH/NV 1998, 212 ausgeführt hat, für die gewerbesteuerrechtliche Beurteilung anzuknüpfen.

4.

Die Schulden haben das Betriebskapital der X gestärkt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) dient grundsätzlich jede Schuld des Betriebs der Verstärkung des Betriebskapitals (z.B. Urteile vom 5. November 1980 I R 132/77, BFHE 132, 87, BStBl II 1981, 219; vom 24. Mai 1989 I R 85/85, BFHE 158, 79, BStBl II 1989, 900; vom 7. August 1990 VIII R 30/89, BFHE 162, 129, BStBl II 1990, 1081; vom 4. September 1997 IV B 110/96, BFH/NV 1998, 202). Dies gilt auch dann, wenn der Gegenwert der Schuld im Betriebskapital nicht mehr vorhanden ist. Bereits die Tatsache, dass eine Schuld aufrechterhalten wird, ist eine objektive Verstärkung des Betriebskapitals. Eine Tilgung der Schuld würde den Einsatz von Betriebsmitteln erfordern und damit zu einer Verringerung des Betriebskapitals führen (BFH-Urteil vom 26. November 1957 I 230/56 U, BFHE 66, 97, BStBl III 1958, 39; Blümich/Hofmeister, § 8 GewStG Rz 421). Auf das Handeln und den Willen des Unternehmers kommt es ebenso wenig an wie auf den Inhalt und den Entstehungsgrund der Schuld; die Annahme einer Dauerschuld setzt auch keine rechtsgeschäftliche Verpflichtung im Sinne einer sog. Schuldaufnahme voraus (vgl. BFH-Urteile vom 27. Juni 1957 IV 140/56 U, BFHE 65, 140, BStBl III 1957, 287; in BFHE 66, 97, BStBl III 1958, 39; vom 11. August 1959 I 197/57 S, BFHE 69, 447, BStBl III 1959, 428). Die Klägerin kann sich daher nicht mit Erfolg darauf berufen, dass sie selbst keine rechtsgeschäftliche Verpflichtung eingegangen und die "Kreditaufnahme" durch den VEB mit einer Darlehensaufnahme nach den §§ 607 ff. BGB a.F. nicht vergleichbar gewesen sei.

5.

Die Schulden dienten jedoch nicht der längerfristigen Verstärkung des Betriebskapitals der Klägerin.

a)

Eine Schuld --ausgenommen Verbindlichkeiten des laufenden Geschäftsverkehrs und Kontokorrentschulden, für die abweichende Regeln gelten-- dient der nicht nur vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals, wenn ihr Gegenwert das Betriebskapital tatsächlich länger als ein Jahr verstärkt (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteile vom 27. Februar 1991 I R 29/89, BFHE 164, 89, BStBl II 1991, 529, m.w.N.; vom 31. Mai 2005 I R 73/03, BFHE 211, 43, BStBl II 2006, 134). Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht gegeben.

b)

Die Darlehen wurden zwar dem Rechtsvorgänger der X bereits vor 1970 gewährt. Die unter Geltung der sozialistischen Planwirtschaft gewährten Kredite unterscheiden sich jedoch grundlegend von marktwirtschaftlich gewährten Darlehen und können nicht als Dauerschulden i.S. des § 8 Nr. 1 GewStG 1991 beurteilt werden (a.A. Sächsisches Staatsministerium der Finanzen vom 8. Juni 1995, Deutsches Steuerrecht 1995, 1151). So war das sozialistische Kreditverhältnis vor allem durch das staatliche Interesse an der Planerfüllung bestimmt, in dessen Dienst es stand. Die Kredite waren zwar wie marktwirtschaftliche zurückzuzahlen und zu verzinsen. Doch galten diese Pflichten wiederum unter den Bedingungen des geschlossenen sozialistischen Wirtschaftssystems; sie konnten auch bei Nichterfüllung jedenfalls nicht zum Scheitern des Betriebes führen (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 8. April 1997 1 BvR 48/94, BVerfGE 95, 267, 304).

Erst mit dem Rückzug des Staates aus den Rechtsbeziehungen zwischen den volkseigenen Betrieben und der kreditgebenden Bank und der Privatisierung der Unternehmen und ihrer Rechtsbeziehungen wandelte der Kreditvertrag seine Bedeutung. Zum einen wurde er aus dem Bedingungsverhältnis von Kreditaufnahme und Planerfüllung gelöst. Im Verhältnis zur Bank blieben nur die reinen Kreditschulden übrig, ohne dass deren Ursache noch eine Rolle spielte. Zum anderen waren die Kredite für die in die staatliche Wirtschaftslenkung nicht eingebundene Z-Bank als partieller Rechtsnachfolgerin der Staatsbank nicht mehr ein Mittel der Durchsetzung des Plans, sondern der Gewinnerzielung (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 95, 267, 304 f.).

Wie das FG zutreffend ausführt, liegt der Hinzurechnung von Dauerschuldzinsen die Vorstellung zugrunde, dass es rechtlich dem Gewerbebetrieb freisteht, sich entweder mit Eigenkapital oder Fremdkapital zu finanzieren. Diese Wahlfreiheit stand den volkseigenen Betrieben der DDR jedoch nicht zu. Erst mit der Einführung der sozialen Marktwirtschaft durch den am 30. Juni 1990 in Kraft getretenen Staatsvertrag zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion vom 18. Mai 1990 (BGBl. II 1990, 537) sind aus den Altverbindlichkeiten der volkseigenen Betriebe Schulden i.S. des § 8 Nr. 1 GewStG 1991 geworden. Erst ab diesem Zeitpunkt war es der X rechtlich möglich, die Darlehen zu tilgen, und erst ab diesem Zeitpunkt wandelten sich die Darlehen ihrer Funktion nach in marktwirtschaftliche Darlehen. Da die Klägerin die Kredite unstreitig am 28. Februar 1991 zurückgezahlt hat, haben sie das Betriebskapital der X weniger als ein Jahr und damit nur vorübergehend verstärkt.

Ende der Entscheidung

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