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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 06.05.2004
Aktenzeichen: I S 13/03
Rechtsgebiete: EStG, ZPO, FGO, BVerfGG


Vorschriften:

EStG § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2
ZPO § 321a
ZPO § 321a Abs. 1
ZPO § 321a Abs. 2 Satz 2
ZPO § 321a Abs. 2 Satz 3
FGO § 56
FGO § 155 Abs. 1 Satz 1
BVerfGG § 93 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Mit seiner Klage begehrte der Kläger, Revisionskläger und Rügeführer (Kläger), ein in Frankreich wohnender französischer Staatsangehöriger mit inländischen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, den Beklagten, Revisionsbeklagten und Rügegegner (Finanzamt --FA--) zu verpflichten, die Einkommensteuer für die Streitjahre 1991 bis 1994 zu veranlagen. Die Klage blieb erfolglos; sie wurde durch das Urteil des Finanzgerichts (FG) Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, vom 6. Dezember 2001 3 K 36/01 (abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2002, 664) abgewiesen. Der Senat hat die dagegen gerichtete Revision des Klägers durch Urteil vom 20. August 2003 I R 72/02 (BFH/NV 2004, 321) als unbegründet zurückgewiesen.

Gegen das --am 11. November 2003 zugestellte-- Senatsurteil wendet sich der Kläger mit seinem "außergerichtlichem Rechtsbehelf der Gegenvorstellung". Er beantragt, das Revisionsverfahren fortzuführen. Der Senat habe bei seiner Entscheidung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde gelegt und dadurch gegen Art. 20 des Grundgesetzes (GG) verstoßen, weil er davon ausgegangen sei, es seien keine Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die Veranlagungsfrist gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ersichtlich oder geltend gemacht. Tatsächlich sei ein entsprechender Antrag im Verwaltungsverfahren gestellt worden. Weil der Senat seine bisherige Rechtsprechung (vgl. Senatsurteile vom 27. April 2000 I R 107/99, BFH/NV 2000, 1454, und I R 71/99, BFH/NV 2001, 299) unvermutet geändert habe, stelle das Urteil in BFH/NV 2004, 321 überdies eine Überraschungsentscheidung dar, wodurch der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden sei (Art. 103 Abs. 1 GG). Schließlich sei eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften unterblieben und damit der Anspruch auf den gesetzlichen Richter verletzt worden (Art. 101 Abs. 1 GG).

Der Schriftsatz mit der Gegenvorstellung vom 10. Dezember 2003 ging beim Bundesfinanzhof (BFH) am selben Tage per Telefax und damit nach Auffassung des Klägers rechtzeitig ein. Zwar sehe § 321a der Zivilprozessordnung (ZPO), der gemäß § 155 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auch auf den Finanzprozess anzuwenden sei, in Abs. 2 Satz 2 und 3 eine zweiwöchige Notfrist nach Zustellung des vollständigen Urteils vor. § 321a ZPO gelte jedoch nur für erstinstanzliche Bagatellprozesse und sei für die Revisionsinstanz nicht einschlägig. Ohnehin betreffe § 321a ZPO lediglich Verstöße gegen das rechtliche Gehör, andere Verfahrensverstöße jedoch nicht, so dass jedenfalls insoweit auf den bisherigen außerordentlichen Rechtsbehelf der fristlosen Gegenvorstellung zurückgegriffen werden müsse. Schließlich diene dieses Rechtsinstitut der Gegenvorstellung dazu, das Bundesverfassungsgericht durch Abhilfeentscheidungen der Fachgerichte zu entlasten, was es rechtfertige, hier die Monatsfrist des § 93 Abs. 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) analog anzuwenden. Vorsorglich werde aber Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Die Geltung der Notfrist des § 321a ZPO sei ihm, dem Kläger, unbekannt gewesen. Sie wäre als Verstoß gegen den Rechtsstaatsgrundsatz verfassungswidrig, da sie das "Gebot der Rechtsmittelklarheit" verletzen würde. Als Ausländer würde er durch die kurze Frist auch diskriminiert; ihm würde der Justizgewährungsanspruch (Art. 19 Abs. 4 GG) vorenthalten.

Das FA ist dem Vorbringen des Klägers in der Sache entgegengetreten, hat sich zu der Frage der Zulässigkeit der Gegenvorstellung aber nicht geäußert.

II. Die Gegenvorstellung ist gemäß § 321a ZPO i.V.m. § 155 Abs. 1 Satz 1 FGO statthaft. Sie war jedoch als unzulässig zu verwerfen (§ 155 FGO i.V.m. § 321a Abs. 4 Satz 2 ZPO).

1. Denn nach § 321a Abs. 2 Satz 2 ZPO ist sie innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen bei dem Gericht des ersten Rechtszuges einzureichen. Die Frist beginnt gemäß § 321a Abs. 2 Satz 3 ZPO mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, im Streitfall also am 11. November 2003. Da die Gegenvorstellung des Klägers beim BFH erst am 10. Dezember 2003 einging, war die Zwei-Wochen-Frist abgelaufen.

2. § 321a ZPO und damit die in dessen Abs. 2 Satz 2 und 3 geregelte Zwei-Wochen-Frist ist im Finanzprozess (i.V.m. § 155 Abs. 1 Satz 1 FGO) uneingeschränkt anwendbar (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 5. Dezember 2002 IV B 190/02, BFHE 200, 42, BStBl II 2003, 269; vom 7. August 2002 V S 14/02, BFH/NV 2003, 175; Senatsbeschlüsse vom 29. Januar 2003 I B 114/02, BFHE 201, 11, BStBl II 2003, 317; vom 22. Oktober 2003 I B 140/03, BFH/NV 2004, 350; vom 5. November 2003 I B 105, 106/03, BFH/NV 2004, 359; Ruban in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., Vor § 115 Rz. 26 f.). Das gilt für Gegenvorstellungen gegen Entscheidungen der FG, gleichermaßen aber für solche gegen Entscheidungen des BFH (BFH-Beschluss vom 27. Januar 2004 VIII R 111/01, BFH/NV 2004, 660): Gegen Revisionsurteile sind Rechtsmittel nicht gegeben (vgl. § 321a Abs. 1 Nr. 1 ZPO) und ist das Revisionsgericht an seine Entscheidung gebunden (§ 155 FGO i.V.m. § 318 ZPO). Deswegen ist nach § 321a Abs. 1 ZPO auf Rüge der durch das insoweit unanfechtbare Urteil beschwerten Beteiligten der Prozess vor dem BFH als dem Gericht des ersten Rechtszuges fortzuführen, wenn dieser den Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Darüber hinaus ist § 321a ZPO der allgemeine Rechtsgrundsatz zu entnehmen, dass die Beseitigung von Verfahrensfehlern nach Ergehen einer mit förmlichen Rechtsmitteln nicht mehr anfechtbaren Entscheidung durch das entscheidende Gericht selbst (iudex a quo) zu erfolgen hat (vgl. Senatsbeschluss in BFHE 200, 42, BStBl II 2003, 269; Senatsbeschluss in BFHE 201, 11, BStBl II 2003, 317).

Die früher statthafte außerordentliche Beschwerde wegen sog. greifbarer Gesetzwidrigkeit ist seit In-Kraft-Treten des § 321a ZPO am 1. Januar 2002 entfallen (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse in BFHE 200, 42, BStBl II 2003, 269; in BFH/NV 2003, 175; Senatsbeschlüsse in BFHE 201, 11, BStBl II 2003, 317; in BFH/NV 2004, 350 und 359; Gräber/Ruban, ebenda), so dass der Antrag des Klägers, das Revisionsverfahren fortzuführen, insgesamt als einheitliche Gegenvorstellung i.S. des § 321a ZPO zu behandeln ist. Für eine eigenständige Fristenregelung --beispielsweise, wie vom Kläger erwogen, von einem Monat analog § 93 Abs. 1 BVerfGG-- ist in Anbetracht dessen kein Raum; § 321a ZPO tritt vollen Umfanges mitsamt seinen tatbestandlichen Voraussetzungen an die Stelle der früheren außerordentlichen Beschwerde (vgl. BFH-Beschlüsse in BFHE 200, 42, BStBl II 2003, 269, unter 3. der Gründe; vom 12. Dezember 2002 V B 185/02, BFHE 200, 46, BStBl II 2003, 270; in BFH/NV 2004, 660; vgl. auch Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 7. März 2002 IX ZB 11/02, BGHZ 150, 133; Wendt, Entscheidungen des Bundesfinanzhofs für die Praxis der Steuerberatung 2003, 155; Seibel, AO-Steuerberater 2003, 58).

3. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 FGO in die versäumte Notfrist des § 321a Abs. 2 Satz 2 ZPO ist dem Kläger nicht zu gewähren. Vor dem BFH besteht Postulationszwang (vgl. § 62a FGO). Dementsprechend wird der Kläger von einem rechtskundigen Rechtsanwalt vor dem BFH vertreten. Es ist zu erwarten, dass diesem die vorstehend dargestellte Rechtslage, die seit dem 1. Januar 2002 gilt und zwischenzeitlich durch zahlreiche höchstrichterliche Entscheidungen geklärt wurde, bekannt ist. Das "Gebot der Rechtsmittelklarheit" ist angesichts der eindeutigen gesetzlichen Regelung in § 321a Abs. 2 Satz 2 ZPO hinsichtlich der Frist zur Erhebung der Gegenvorstellung nicht verletzt. Es ist auch nicht zu erkennen oder substantiiert dargetan, dass der Kläger als französischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Frankreich durch diese Frist diskriminiert würde. Er wird insofern denselben Anforderungen unterworfen wie deutsche Staatsgehörige mit Wohnsitz in Deutschland.

4. Unabhängig davon ist klarstellend darauf hinzuweisen, dass der Senat den vom Kläger im Verwaltungsverfahren gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in die Veranlagungsfrist gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG nicht übersehen hat. Zwar ist im Urteil davon die Rede, dass "Gründe für eine Wiedereinsetzung (...) nicht ersichtlich oder geltend gemacht" sind. Damit sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass der vom Kläger gestellte Wiedereinsetzungsantrag keinen Erfolg haben konnte, weil hierfür keine tragfähigen Gründe vorgebracht worden sind.

5. Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen, da die Finanzgerichtsordnung eine solche für die Gegenvorstellung nicht vorsieht. Es fehlt insoweit an einem Gebührentatbestand (vgl. auch BFH-Beschluss vom 7. August 2002 V S 14/02, BFH/NV 2003, 175). Eine analoge Anwendung der für Verfahren nach § 321a ZPO seit dem 1. Januar 2002 geltenden Nr. 1960 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz kommt nicht in Betracht, weil für das Verfahren vor den FG nur die Teile 3 und 9 des Kostenverzeichnisses gelten, der --auf bürgerliche Rechtsstreitigkeiten beschränkte-- Teil 1 hingegen nicht anwendbar ist (BFH-Beschluss vom 27. Januar 2004 X S 22/03, n.v.; Eberl, Deutsches Steuerrecht 2003, 2211; im Ergebnis auch in BFH/NV 2004, 660; anders FG des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 17. Juni 2003 3 V 74/02, EFG 2003, 1500).

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