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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 19.03.2001
Aktenzeichen: I S 21/00
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 69 Abs. 2 Satz 2
FGO § 69 Abs. 3
FGO § 69 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Die Antragsteller sind Eheleute, die u.a. im Jahr 1995 (Streitjahr) ihren Wohnsitz im Inland hatten und für das Streitjahr zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Der Antragsteller war im Streitjahr als Regisseur u.a. in Österreich und in den Niederlanden tätig und erzielte durch diese Tätigkeiten Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 121 540 DM bzw. 47 952 DM.

Der Antragsgegner (das Finanzamt --FA--) vertrat bei der Einkommensteuerveranlagung der Antragsteller für das Streitjahr die Auffassung, das Besteuerungsrecht für diese Einkünfte stehe der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) zu, da der Antragsteller weder in Österreich noch in den Niederlanden seine Tätigkeit unter Benutzung einer ihm dort regelmäßig zur Verfügung stehenden ständigen Einrichtung ausgeübt hatte und die Einschränkungen gemäß Art. 8 Abs. 2 Satz 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern vom 4. Oktober 1954 (BGBl II 1955, 750, BStBl I 1955, 370) i.d.F. des Änderungsabkommens vom 8. Juli 1992 (BGBl II 1994, 123, BStBl I 1994, 228) --DBA-Österreich-- und gemäß Art. 9 Abs. 2 Satz 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie verschiedener sonstiger Steuern und zur Regelung anderer Fragen auf steuerlichem Gebiete vom 16. Juni 1959 (BGBl II 1960, 1782, BStBl I 1960, 382) i.d.F. des Zweiten Zusatzprotokolls (Änderungsprotokoll) vom 21. Mai 1991 (BGBl II 1991, 1429, BStBl I 1992, 95) --DBA-Niederlande-- nicht für die selbständig ausgeübte Tätigkeit von Regisseuren gelte. Das FA erließ einen Einkommensteuerbescheid, dem diese Rechtsauffassung zugrunde liegt. Einspruch und Klage waren erfolglos.

Die Antragsteller legten am 2. Oktober 2000 beim Finanzgericht (FG) wegen der Nichtzulassung der Revision form- und fristgerecht Beschwerde ein --der das FG nicht abhalf (Beschluss vom 4. Oktober 2000)-- und beantragten gleichzeitig beim FA, die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides insoweit auszusetzen, als die festgesetzte Steuer auf die in Österreich und in den Niederlanden erzielten Einkünfte entfällt. Nachdem das FA diesen Antrag abgelehnt hatte und auch der Einspruch gegen die Ablehnung erfolglos war (Einspruchsentscheidung vom 5. Dezember 2000), haben die Antragsteller durch ihren Prozessbevollmächtigten am 28. Dezember 2000 beim Bundesfinanzhof (BFH) beantragt, die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides 1995 vom 12. Juni 1997 wegen ernstlicher Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit auszusetzen und die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Das FA beantragt, den Antrag der Antragsteller zurückzuweisen.

II. Der Antrag der Antragsteller war abzulehnen. Zwar hatte die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision Erfolg (Senatsbeschluss vom heutigen Tag I B 146/00, nicht veröffentlicht). Dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Einkommensteuerbescheides war aber dennoch nicht zu entsprechen. Die Rechtmäßigkeit des Bescheides ist nach Auffassung des beschließenden Senats nicht i.S. des § 69 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ernstlich zweifelhaft.

1. Gemäß § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 FGO kann der BFH auf Antrag schon vor Einlegung der Revision als Gericht der Hauptsache (s. BFH-Beschluss vom 23. Februar 1989 V S 3/88, BFHE 155, 501, BStBl II 1989, 424) die Vollziehung eines angefochtenen Steuerbescheides aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides bestehen oder wenn --was im Streitfall von den Antragstellern nicht geltend gemacht worden ist-- dessen Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel i.S. des § 69 Abs. 2 FGO bestehen, wenn bei summarischer Prüfung der Rechtmäßigkeit des Bescheides anhand der präsenten Beweismittel Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken und die so gewichtig sind, dass ein Obsiegen des Antragstellers im Hauptsacheverfahren (im Streitfall: in dem durch Zulassung der Revision möglichen Revisionsverfahren) mindestens ebenso wahrscheinlich wie ein Unterliegen ist (s. Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., 1995, § 69 FGO Rz. 296; Gosch in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 69 FGO Rz. 123, jeweils m.w.N.).

2. Im Streitfall besteht hinsichtlich des Sachverhalts keine Unklarheit, die sich auf die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Einkommensteuerbescheides auswirken könnte. Zwar ist ungeklärt, ob der Antragsteller in Österreich und in den Niederlanden nur als Regisseur oder auch --was er abweichend von der Klageschrift und den Feststellungen des FG in dem die Nichtzulassungsbeschwerde betreffenden Schriftsatz vom 2. Oktober 2000 vorgetragen hat-- auch als Bühnenbildner tätig war. Diese Unklarheit ist aber unerheblich, da es für die zwischen den Beteiligten streitige Anwendung des Art. 8 Abs. 2 Satz 2 DBA-Österreich und des Art. 9 Abs. 2 Satz 2 DBA-Niederlande bei summarischer Prüfung nicht darauf ankommt, ob der Antragsteller nur als Regisseur oder auch als Bühnenbildner tätig war. Der beschließende Senat ist nach entsprechender Prüfung der Rechtslage der Auffassung, dass gewichtigere Gründe für die Unanwendbarkeit des Art. 8 Abs. 2 Satz 2 DBA-Österreich und des Art. 9 Abs. 2 Satz 2 DBA-Niederlande auf sog. werkschaffende Künstler wie z.B. Regisseure und Bühnenbildner sprechen.

a) Gemäß Art. 8 Abs. 1 Satz 1 DBA-Österreich bzw. Art. 9 Abs. 1 DBA-Niederlande hat nicht der Wohnsitzstaat (im Streitfall: die Bundesrepublik Deutschland), sondern der andere Staat (im Streitfall: die Republik Österreich bzw. das Königreich der Niederlande) das Besteuerungsrecht für Einkünfte aus selbständiger Arbeit, wenn die Arbeit im anderen Staat ausgeübt wird oder worden ist. Eine Ausübung in dem anderen Staat liegt nach Art. 8 Abs. 2 Satz 1 DBA-Österreich bzw. Art. 9 Abs. 2 Satz 1 DBA-Niederlande nur dann vor, wenn der Steuerpflichtige die Tätigkeit, durch die er die Einkünfte erzielt, unter Benutzung einer ihm dort regelmäßig zur Verfügung stehenden ständigen Einrichtung ausübt. Diese Einschränkung gilt jedoch gemäß Art. 8 Abs. 2 Satz 2 DBA-Österreich bzw. Art. 9 Abs. 2 Satz 2 DBA-Niederlande nicht für eine freiberuflich bzw. selbständig ausgeübte künstlerische, vortragende, sportliche oder artistische Tätigkeit.

b) Der Wortlaut des Art. 8 Abs. 2 Satz 2 DBA-Österreich und des Art. 9 Abs. 2 Satz 2 DBA-Niederlande lässt --dies ist den Antragstellern einzuräumen-- die Auslegung zu, dass die Regelungen für alle nach innerstaatlichem Steuerrecht als künstlerisch zu beurteilenden Tätigkeiten und somit auch für die künstlerischen Tätigkeiten von Regisseuren und Bühnenbildnern gelten. Daher wird zu Art. 8 Abs. 2 DBA-Österreich auch die Auffassung vertreten, dessen Satz 2 gelte auch für die nicht auf der Bühne auftretenden Bühnenkünstler, wie z.B. Bühnenbildner (s. Erlass des österreichischen Bundesministeriums für Finanzen vom 11. Februar 1997 Z 04 1482/5-IV/4/97, AÖFV Nr. 88/1997).

c) Im Urteil vom 8. April 1997 I R 51/96 (BFHE 183, 110, BStBl II 1997, 679) hat der Senat jedoch zu Art. XI Abs. 6 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung vom 26. November 1964 (BGBl II 1966, 359, BStBl I 1966, 730) i.d.F. des Revisionsprotokolls vom 23. März 1970 (BGBl II 1971, 46, BStBl I 1971, 140) --DBA-Großbritannien-- entschieden, dass diese Ausnahmeregelung, soweit sie für Künstler gilt, nur auf vortragende Künstler anzuwenden ist, die unmittelbar oder über Medien mittelbar in der Öffentlichkeit auftreten, nicht jedoch auf werkschaffende Künstler wie Regisseure. Die in dem vom Antragsteller erstrittenen Senatsurteil vom 11. April 1990 I R 75/88 (BFHE 160, 513) vertretene Auffassung, die weitgehend gleichlautende Regelung in Art. 17 des Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) mit Belgien gelte auch für selbständig künstlerisch tätige Regisseure und Bühnenbildner, hat der Senat im Urteil in BFHE 183, 110, BStBl II 1997, 679 ausdrücklich aufgegeben.

Grund für diese Rechtsprechungsänderung war die zwischenzeitliche Entwicklung der abkommensrechtlichen Auslegung des Art. 17 des OECD-Musterabkommens aus 1977 (OECD-MustAbK) zur Vermeidung der Doppelbesteuerung des Einkommens und des Vermögens und die Erkenntnis, dass der Begriff "Künstler" eigenständig abkommensrechtlich auszulegen ist, wenn das betreffende DBA dafür eine Grundlage bietet. Für diese einschränkende, werkschaffende Künstler wie Regisseure und Bühnenbildner vom Anwendungsbereich des Art. XI Abs. 6 DBA-Großbritannien ausschließende Auslegung dieses Artikels war nach dem Urteil in BFHE 183, 110, BStBl II 1997, 679 nicht allein der im englischen Text des Art. XI Abs. 6 des DBA-Großbritannien verwendete Begriff "public entertainer" entscheidend. Vielmehr ergab sich diese Auslegung auch aus dem Sinn und Zweck der Regelung. Sie besteht darin, das Besteuerungsrecht für bestimmte Berufsgruppen, die aufgrund der mit der Berufstätigkeit typischerweise verbundenen Mobilität und vielfachen Einnahmemöglichkeiten im Wohnsitzstaat hinsichtlich der Einkünfte aus der Auslandstätigkeit oftmals nur schwer steuerlich erfasst werden können, dem Tätigkeitsstaat zuzuweisen, für den die praktischen Schwierigkeiten der steuerlichen Erfassung dieser Einkünfte in der Regel geringer sind (s.a. Wassermeyer in Debatin/ Wassermeyer, Doppelbesteuerung, MA Art. 17 Rz. 21, m.w.N.). Ziff. 3 Satz 5 des Kommentars zu Art. 17 Abs. 1 OECD-MustAbk bestätigt diese Auslegung. In der Literatur wird daher auch zu Art. 9 Abs. 2 Satz 2 DBA-Niederlande die Auffassung vertreten, die Bestimmung sei entsprechend auszulegen (Schauhoff in Debatin/Wassermeyer, DBA-Niederlande, Art. 9 Rz. 59).

d) Der beschließende Senat ist nach summarischer Prüfung der Rechtslage der Ansicht, dass gewichtigere Gründe dafür sprechen, auch den Begriff der künstlerischen Tätigkeit i.S. des Art. 8 Abs. 2 Satz 2 DBA-Österreich und des Art. 9 Abs. 2 Satz 2 DBA-Niederlande nicht nach innerstaatlichem Steuerrecht, sondern eigenständig abkommensrechtlich auszulegen.

Der Sinn dieser DBA-Vorschriften entspricht dem des Art. XI Abs. 6 DBA-Großbritannien. Dass in ihnen --abweichend von Art. XI Abs. 6 DBA-Großbritannien und Art. 17 Abs. 1 OECD-MustAbk-- die zu den Einkünften führende Tätigkeit als "künstlerische Tätigkeit" und nicht als eine "als Künstler" ausgeübte Tätigkeit bezeichnet wird, ist unerheblich. Die Bedeutung beider Formulierungen ist gleich. Übt eine Person eine künstlerische Tätigkeit aus, wird sie dabei als Künstler tätig. Unerheblich in Bezug auf den Ausschluss werkschaffender Künstler ist auch der Umstand, dass Art. XI Abs. 6 DBA-Großbritannien eine einkunftsartunabhängige Zuweisung des Besteuerungsrechts enthält, die Art. 8 Abs. 2 Satz 2 DBA-Österreich und Art. 9 Abs. 2 Satz 2 DBA-Niederlande dagegen nur Einkünfte aus freiberuflicher selbständiger Arbeit bzw. selbständiger Arbeit betreffen. Die Möglichkeit einer solchen Beschränkung auf Einkünfte aus selbständiger Arbeit sieht z.B. auch Ziff. 2 des Kommentars zu Art. 17 Abs. 1 OECD-MustAbk vor.

Für eine die werkschaffenden Künstler ausschließende Auslegung spricht nicht zuletzt, dass sich ihre Tätigkeit an einem Kunstwerk häufig über einen längeren Zeitraum erstreckt und an verschiedenen Orten ausgeübt wird (z.B. Ausarbeitung der Grundkonzeption für eine Regie im Wohnsitzstaat und Proben mit den Schauspielern im Aufführungsland; Anfertigung der Skizzen für ein Bühnenbild im Wohnsitzstaat und Überwachung der Umsetzung der Skizzen in ein fertiges Bühnenbild in einem anderen Staat). Welche Bedeutung die Tätigkeiten an den verschiedenen Orten für das geschaffene Kunstwerk haben, lässt sich nicht klar und eindeutig messen, allenfalls grob schätzen. Die Anwendung des reinen Tätigkeitsortprinzips des Art. 8 Abs. 2 Satz 2 DBA-Österreich und des Art. 9 Abs. 2 Satz 2 DBA-Niederlande passt daher in Fällen wie dem Streitfall nicht (vgl. Wassermeyer, a.a.O.), da es zu willkürlichen Ergebnissen führen kann.



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