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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 11.08.2000
Aktenzeichen: I S 5/00
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 69 Abs. 3 Satz 1
FGO § 69 Abs. 4
FGO § 69 Abs. 2 Satz 2
FGO § 100 Abs. 2 Sätze 2 und 3
FGO § 135 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. 1. Die Klägerin, Revisionsklägerin und Antragstellerin (Klägerin) war in den Streitjahren 1989 und 1990 in der Rechtsform einer GmbH vermögensverwaltend tätig. Anteilseigner waren u.a. die Herren E und D. Seit 1987 war die Klägerin --in den Streitjahren zeitweise mehrheitlich-- an der S beteiligt. Daneben hielten in den Streitjahren auch E (zeitweise) und D Beteiligungen an der S. S vermietete eine gepachtete Presse, die sie später selbst betrieb. Sie wies in den Jahren 1988 bis 1990 Verluste aus; Ende 1990 wurde die Anlage stillgelegt. Im Juli 1989 gewährte die Klägerin der S ein Darlehen. Auf dieses Darlehen nahm sie 1989 und 1990 Wertberichtigungen vor, zudem auf die Beteiligung an der S. Der Beklagte, Revisionsbeklagte und Antragsgegner (das Finanzamt --FA--) behandelte diese Wertberichtungen als verdeckte Gewinnausschüttungen (vGA).

2. Die Klage blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte im Wesentlichen aus, es sei nicht nachgewiesen, dass der Erwerb der Beteiligung und die Darlehenshingabe durch die Klägerin betrieblich veranlasst gewesen seien. Bereits 1987 sei klar geworden, dass mit der (ursprünglichen) Vermietung der Anlage kein Gewinn erzielbar gewesen sei. Für das Engagement der Klägerin bei der S hätten vielmehr deren Interessen im Vordergrund gestanden. Sowohl die Beteiligung als auch die Darlehenshingabe seien im Ergebnis der S zugute gekommen. Für beide Gesellschaften sei derselbe Geschäftsführer (E) tätig geworden. Gesellschafter der S seien unwidersprochen die Lebensgefährtin des E und die Ehefrau des D, also den Gesellschaftern der Klägerin nahestehende Personen gewesen. Das FA habe zu Recht vGA angenommen, da weder die Beteiligung noch die Darlehensgewährung für die Klägerin die behaupteten Gewinnaussichten beinhaltet hätten. Diese Vermögensanlage hätte ein sorgfältig und gewissenhaft handelnder Geschäftsführer nicht getätigt.

3. Auf Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision hat der Senat die Revision zugelassen. Die Klägerin hat Revision eingelegt.

Das FA hat u.a. wegen Körperschaftsteuer 1989 und 1990 erfolglos Vollstreckungsmaßnahmen in das bewegliche Vermögen der Klägerin betrieben. Danach hat es beim Amtsgericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen die Klägerin beantragt.

4. Die Klägerin beantragt Aussetzung der Vollziehung der Körperschaftsteuerbescheide 1989 und 1990 einschließlich Zinsen bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Bescheide. Sie verweist auf ihren Vortrag im Hauptsacheverfahren. Dort rügt sie im Wesentlichen, das FG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass eine Presse nicht mit Gewinn habe betrieben werden können. Vor allem habe es seiner Entscheidung zu Unrecht die Feststellung zu Grunde gelegt, dass sowohl die Lebensgefährtin des E als auch die Ehefrau des D Gesellschafter der S gewesen seien. Dies sei unzutreffend, wie sie, die Klägerin, im Klageverfahren dargelegt habe. Vor allem hätten in den Jahren ab 1990 in der Leitung der S nicht die Klägerin, sondern fachlich versierte Drittfirmen das Sagen gehabt. Mit der Nichtberücksichtigung ihres Vortrags habe das FG zumindest ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Das FA weist in seiner Stellungnahme darauf hin, dass während des anhängigen Revisionsverfahrens bei ihm kein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Bescheide gestellt worden sei. Wäre er gestellt worden, wäre die Prüfung, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide bestehen, angesichts der Zulassung der Revision durch den Bundesfinanzhof (BFH) "wahrscheinlich positiv ausgefallen".

II.1. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist zulässig.

Der BFH ist zuständiges Gericht der Hauptsache i.S. des § 69 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO), da die Revision bei ihm anhängig ist (BFH-Beschluss vom 29. September 1994 VIII S 5/94, BFH/NV 1995, 537). Die Zugangsvoraussetzungen des § 69 Abs. 4 FGO sind erfüllt. Zwar hat das FA im vorliegenden Verfahren nicht einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der angegriffenen Bescheide abgelehnt. Dies hindert indes nicht die Aussetzung der Vollziehung durch das Gericht, wenn eine Vollstreckung droht (§ 69 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 FGO). Eine Vollstreckung droht, wenn die Finanzbehörde wie vorliegend mit der Vollstreckung begonnen hat oder sie jedenfalls aus Sicht eines objektiven Beobachters unmittelbar bevorsteht (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1995, 537; vom 29. Oktober 1985 VII B 69/85, BFHE 145, 17, BStBl II 1986, 236). Dass ergriffene Vollstreckungsmaßnahmen zunächst fruchtlos verlaufen sind, steht dem jedenfalls solange nicht entgegen, als nicht die Absicht erklärt worden ist, die Vollstreckungsmaßnahmen einzustellen.

Auch der Antrag des FA auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens hindert nicht die Zulässigkeit des Antrags auf Aussetzung der angegriffenen Bescheide. Zwar findet während der Dauer eines Insolvenzverfahrens keine Vollstreckung in das zur Insolvenzmasse gehörige oder in das sonstige Vermögen des Gemeinschuldners statt (§ 89 Abs. 1 der Insolvenzordnung --InsO--), die Durchsetzung derartiger Ansprüche ist vielmehr nur nach Maßgabe der Vorschriften der InsO möglich (§ 87 InsO). In diesem Fall besteht kein Rechtschutzbedürfnis für einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (vgl. zur Konkursordnung BFH-Beschluss vom 27. November 1974 I R 185/73, BFHE 114, 164, BStBl II 1975, 208). Vorliegend ist das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin indessen offensichtlich noch nicht eröffnet. Ob es eröffnet wird, ist fraglich. Bis zur möglichen Eröffnung kann die Klägerin daher noch ein Rechtschutzbedürfnis an der Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Bescheide geltend machen.

2. Der Antrag ist auch begründet.

Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Jedenfalls die erste Voraussetzung ist im Streitfall gegeben.

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsakts bestehen, wenn --bei summarischer Prüfung-- gewichtige Umstände Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (vgl. BFH-Urteil vom 4. Mai 1977 I R 162-163/76, BFHE 123, 3, BStBl II 1977, 765). Ist der Verwaltungsakt --wie im Streitfall-- bereits Gegenstand eines anhängigen Revisionsverfahrens, bestehen ernstliche Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit, wenn unter Berücksichtigung der besonderen Voraussetzungen des Revisionsverfahrens und der beschränkten Prüfungsmöglichkeiten des Revisionsgerichts, insbesondere seiner grundsätzlichen Bindung an die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz (§ 118 Abs. 2 FGO), ernstlich mit der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts gerechnet werden kann. Die Erfolgsaussichten sind daher auf der Grundlage der sich im Revisionsverfahren stellenden Rechtsfragen zu prüfen (Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 69 Anm. 87, m.w.N.). Das bedeutet, dass bei vermutlichem Durcherkennen des BFH die Erfolgsaussichten des Revisionsverfahrens, bei voraussichtlicher Zurückverweisung die Erfolgsaussichten des auf Grund der Zurückverweisung fortzusetzender Klageverfahrens beim FG zu prüfen sind (BFH-Beschluss vom 24. November 1995 VII S 21/95, BFH/NV 1996, 420). Im Falle einer Zurückverweisung bestehen ernstliche Zweifel allerdings auch dann, wenn sich aufgrund der bisherigen Feststellungen des FG nicht absehen lässt, ob die Klage letztlich Erfolg haben wird (BFH-Beschluss vom 4. Februar 1997 VII S 29/96, BFH/NV 1997, 588). Hiervon ausgehend bestehen vorliegend an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide ernstliche Zweifel.

Bei der gebotenen summarischen Prüfung hält der Senat jedenfalls die Rüge der Klägerin für begründet, dass das FG ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 96 Abs. 2, § 119 Nr. 3 FGO, Art. 103 des Grundgesetzes --GG--) verletzt hat.

Der Vorentscheidung liegt die Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens durch das FG zugrunde, dass für das Engagement der Klägerin gegenüber der S nicht ihre eigenen, sondern deren Interessen ausschlaggebend gewesen seien. Sie beruht wesentlich auf der Feststellung des FG, dass Gesellschafter der S die Lebensgefährtin des E und die Ehefrau des D gewesen seien. Diese Feststellung deckt sich nicht mit den schriftsätzlichen Ausführungen der Klägerin, wo sie dieser Annahme des FG in einer vorausgegangenen Rechtssache unter Beifügung präsenter Beweismittel ausdrücklich widersprochen hat. Dieser Schriftsatz ist in der mündlichen Verhandlung vor dem FG laut Vorentscheidung zwar erörtert, sein Inhalt ist indessen zumindest im streitigen Punkt in den Entscheidungsgründen nicht gewürdigt worden. Geht das Gericht auf den Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von entscheidender Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung dieses Vortrags schließen, sofern er --anders als im Streitfall-- nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Mai 1992 1 BvR 986/91, BVerfGE 86, 133; vom 1. Februar 1978 1 BvR 426/77, BVerfGE 47, 182). Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht, jedenfalls die wesentlichen der Rechtsverfolgung dienenden Tatsachen oder Rechtsausführungen der Beteiligten in den Entscheidungsgründen zu verarbeiten (Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Anm. 10 a).

Die Klägerin hat insoweit auch ihr Rügerecht nicht verloren. Da sich die Verletzung ihres rechtlichen Gehörs erst aus den Entscheidungsgründen ergibt, war ihr eine entsprechende Rüge in der mündlichen Verhandlung nicht möglich.

Bei der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör wird von Gesetzes wegen vermutet, dass das Urteil auf dem Mangel beruht (§ 119 FGO). Eine Ausnahme von dieser Kausalitätsregel (vgl. dazu Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Anm. 11) liegt offensichtlich nicht vor.

Ob das FG zudem eine nach den Akten feststehende Tatsache unberücksichtigt gelassen hat (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO - vgl. dazu BFH-Beschluss vom 23. März 2000 VII S 26/99, BFHE 191, 183), braucht der Senat nicht zu entscheiden.

3. Bei der gebotenen summarischen Prüfung ist somit davon auszugehen, dass der Senat die Vorentscheidung aufheben und das Hauptsacheverfahren an das FG zurückverweisen wird, wobei der Ausgang des Klageverfahrens im zweiten Rechtsgang nicht abzusehen ist.

Grundsätzlich ist die Frage der Aussetzung der Vollziehung für jeden Verfahrensabschnitt gesondert zu prüfen. Im Interesse wirksamen Rechtsschutzes ist sie jedoch auf die Zeit bis sechs Wochen nach Zustellung des Revisionsurteils zu erstrecken (vgl. BFH-Beschlüsse vom 19. Juni 1968 I S 4/68, BFHE 92, 326, BStBl II 1968, 540; vom 16. Dezember 1999 V S 12/99, BFH/NV 2000, 996).

Im Hinblick auf den Antrag des FA auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann von einer Sicherheitsleistung durch die Klägerin abgesehen werden (vgl. BFH-Beschluss vom 18. Februar 1992 VIII B 101/91, BFH/NV 1993, 488; Gräber/Koch, a.a.O., § 69 Anm. 146).

4. Die Übertragung der Berechnung der von der Vollziehung auszusetzenden Beträge auf das FA beruht auf entsprechender Anwendung von § 100 Abs. 2 Sätze 2 und 3 FGO, die Kostenentscheidung auf § 135 Abs. 1 FGO.



Ende der Entscheidung

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