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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 09.06.1999
Aktenzeichen: II B 112/98
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 103 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) haben gegen eine Grunderwerbsteuerfestsetzung des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) Klage beim Finanzgericht (FG) erhoben. In dieser Sache wurde vom Vorsitzenden des geschäftsplanmäßig zuständigen Senats Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 4. November 1998 anberaumt. Der Ladung an die Beteiligten war eine Kopie eines --von einem anderen Senat des FG in einer Parallelsache erlassenen-- Urteils beigefügt. Die Ladung enthielt hierzu u.a. folgenden Zusatz:

"Das Urteil des 2. Senats des FG ... wird in einer neutralisierten Fassung zu den Akten genommen. Sie erhalten eine Kopie davon."

Am 27. Oktober 1998 beantragten die Kläger, die geschäftsplanmäßig für die Streitsache zuständigen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Es sei zu befürchten, daß diese geneigt seien, der Entscheidung des 2. Senats inhaltlich und vorbehaltlos zu folgen. Die Besorgnis der Befangenheit werde auch dadurch verstärkt, daß das FG den von ihnen benannten Zeugen nicht zum Termin geladen habe.

Die nach der Geschäftsverteilung des 1. Senats des FG zur Entscheidung über den Rechtsstreit berufenen Richter haben sich zum Befangenheitsantrag der Kläger dienstlich geäußert. In den dienstlichen Äußerungen wurden u.a. die Umstände mitgeteilt, die zur Einführung des Urteils des 2. Senats des FG in das vorliegende Verfahren geführt haben.

Die dienstlichen Äußerungen der Richter wurden dem Prozeßbevollmächtigten der Kläger per Telefax am 28. Oktober 1998 um 16.52 Uhr zur Stellungnahme bis 29. Oktober 1998, 12.00 Uhr übersandt.

Durch Telefax vom 29. Oktober 1998 teilte der Prozeßbevollmächtigte der Kläger mit, er sei nicht in der Lage, "heute innerhalb von 4 Stunden Stellung zu nehmen". Telefonisch wurde daraufhin die Stellungnahmefrist bis zum Montag, 2. November 1998, 12.00 Uhr, verlängert.

Am 1. November 1998 teilte der Prozeßbevollmächtigte der Kläger wiederum per Telefax dem FG mit, es sei in der Kürze der Zeit nicht möglich gewesen, die Kläger zu erreichen. Diese hätten somit keine Möglichkeit, zu den dienstlichen Äußerungen Stellung zu nehmen. Hierdurch werde ihnen das rechtliche Gehör verwehrt.

Durch Beschluß vom 2. November 1998 wurde das Ablehnungsgesuch der Kläger abgelehnt. An diesem Beschluß haben die für befangen gehaltenen Richter nicht mitgewirkt.

Mit der gegen den Beschluß gerichteten Beschwerde machen die Kläger geltend, ihnen sei durch das FG eine angemessene Erklärungsfrist zu den dienstlichen Äußerungen der für befangen gehaltenen Richter verweigert worden.

Der Beschwerde ist seitens des FG nicht abgeholfen worden.

Die Kläger beantragen sinngemäß, die Richter A, B und C wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen.

Das FA beantragt, die Beschwerde der Kläger zurückzuweisen.

II. Die Beschwerde der Kläger ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Entscheidung.

Der angefochtene Beschluß des FG verletzt das Grundrecht der Kläger aus Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), weil ihnen durch das FG keine angemessene Stellungnahmefrist zu den dienstlichen Äußerungen der von dem Ablehnungsgesuch betroffenen Richter gewährt wurde. Das Recht auf Gehör soll gewährleisten, daß einer gerichtlichen Entscheidung nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde gelegt werden, zu denen Stellung zu nehmen den Beteiligten Gelegenheit gegeben war. Deshalb gebietet die grundgesetzliche Gewährleistung des Rechts auf Gehör, bei der Entscheidung über die Ablehnung eines Richters dienstliche Äußerungen der betroffenen Richter den Beteiligten mit der Gelegenheit zur Stellungnahme mitzuteilen. Tatsachen oder Beweisergebnisse aus den dienstlichen Äußerungen der abgelehnten Richter dürfen bei der Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch nur dann verwertet werden, wenn der Antragsteller zuvor Gelegenheit hatte, hierzu Stellung zu nehmen (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Juni 1968 2 BvR 599, 677/67, BVerfGE 24, 56, 62; Beschlüsse des Bundesfinanzhofs vom 12. Juli 1991 III B 151/87, BFH/NV 1992, 122, m.w.N., und vom 4. November 1993 X B 120/93, BFH/NV 1994, 190).

Gegen dieses Recht hat das FG verstoßen. Der Beschluß vom 2. November 1998 verwertet die dienstlichen Äußerungen der abgelehnten Richter, ohne daß die Kläger ausreichend Gelegenheit gehabt hätten, zu den dienstlichen Äußerungen Stellung zu nehmen. Eine ausreichende Erklärungsfrist wurde den Klägern nicht gewährt. Weder die zunächst nur für wenige Stunden gewährte noch die später auf zwei Werktage verlängerte Stellungnahmefrist kann auch nur annähernd als ausreichend angesehen werden.

Der angefochtene Beschluß beruht auch auf der Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG. Denn es läßt sich nicht ausschließen, daß die Anhörung des Klägers zu einer anderen Entscheidung über das Ablehnungsgesuch hätte führen können. Denn die dienstlichen Äußerungen teilen die Tatsachen mit, die zu dem Vorgang geführt haben, der Gegenstand des Richterablehnungsgesuchs der Kläger ist.



Ende der Entscheidung

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